Frederick Marryat
Der Pascha
Frederick Marryat

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Sechszehntes Kapitel.

Am andern Tage hörten der Pascha und sein Minister nach den Geschäften des Divans nicht in der besten Stimmung von der Welt der Fortsetzung von Hudusis Geschichte zu; denn die Köpfe schmerzten sie noch in Folge der Zweifel des Erzählers oder doch in Folge der Mittel, welche sie angewandt hatten, um dieselben zu zerstreuen.

 

Ich habe sagen hören, fuhr Hudusi fort, daß der plötzliche Besitz von Gold auch den tapfersten Mann vorsichtig, die Memme aber noch viel feiger mache, als sie zuvor war. Ich verspürte etwas von einer derartigen Wirkung, denn meine fünfhundert Goldstücke hatten zur Folge, daß mir alle meine Tapferkeit zu den Fingerspitzen hinausschweißete. Ich stellte abermals Betrachtungen an und kam zu dem Entschlusse, mich nicht weiter mit der Sache zu befassen; weder dem Sultan noch dem Pascha sollten meine Bemühungen zu statten kommen. Wir machten in derselben Nacht einen Ausfall, und da man mich für ein Wunder der Tapferkeit hielt, so war ich unter denen, welchen der Befehl ertheilt wurde, einen Trupp anzuführen. Ich drehte meinen Schnurrbart, schwor, daß kein Janitschar mit dem Leben davon kommen solle, schwenkte meinen Seymetar, zog an der Spitze meiner Compagnie aus, zahlte dann Fersengeld und langte nach zwei Tagen wohlbehalten im Hause meiner Mutter an. Sobald ich daselbst eingetroffen war, zerriß ich meinen Turban, streute dem Andenken meines Vaters zu Ehren Staub auf meinen Kopf und setzte mich nieder. Meine Mutter umarmte mich, – wir waren allein.

»Und wie stehts mit deinem Vater? Müssen wir um ihn trauern?«

»Ja,« versetzte ich. »Er war ein Löwe und ist jetzt im Paradies.«

»Meine Mutter begann nun ein bitterliches Wehgeheul, faßte sich aber bald wieder und sagte:

»Aber es wäre eine Dummheit, Hudusi, sich die Haare und gute Kleider für nichts und wieder nichts zu zerraufen. Weißt du gewiß, daß dein Vater todt ist?«

»Ganz gewiß,« lautete meine Antwort. »Ich sah ihn am Boden liegen.«

»Aber es wäre möglich, daß er nur verwundet würde,« entgegnete meine Mutter.

»Nicht doch, meine theuerste Mutter; gib alle Hoffnung auf, denn ich sah, wie ihm der Kopf abgeschnitten wurde.«

»Weißt Du aber auch gewiß, daß der Körper, den Du ohne Kopf sahst, der seinige war?«

»Ganz gewiß, liebe Mutter, denn ich war Zeuge, wie ihm der Kopf abgeschnitten wurde.«

»Wenn dieß der Fall ist,« erwiederte meine Mutter, »so ist klar, daß er nicht wieder zurückkehren kann. Allah Acbar, – Gott ist groß, – dann müssen wir trauern.«

Und meine Mutter eilte in die Straße hinaus, kreischte, schrie und zerraufte sich Haar und Kleider, so daß sie alle ihre Nachbarn voll mitleidiger Theilnahme fragten, was ihr zugestoßen sey.

»Ah wahi! das Haupt meines Hauses ist nicht mehr!« rief sie. »Mein Herz ist voll Bitterkeit, meine Seele ist ausgetrocknet, – meine Leber ist nur wie Wasser. Ah wahi! ah wahi!«

Und sie fuhr fort zu weinen, sich das Haar zu zerraufen und allen Trost zurückzuweisen. Die Nachbarinnen kamen ihr zu Hülfe, sprachen mit ihr, redeten ihr Vernunft ein, tadelten ihr Ungestüm und suchten sie zu beschwichtigen. Zwar waren alle der Ansicht, daß der Verlust schwer sey, aber als ein ächter Gläubiger müsse der Gestorbene nothwendig ins Paradies eingegangen seyn; zugleich erklärten sie, das Benehmen der Frau hätte nicht musterhafter seyn können, und es habe wohl nie ein Weib gegeben, die ihren Gatten mit mehr Liebe empfangen hätte. Ich sagte nichts, muß aber zugestehen, daß ihr vorläufiges Gespräch mit mir und die Quantität Pillau, welche sie zum Nachtessen verzehrt hatte, mich die Thatsache sehr bezweifeln ließen.

Ich blieb nicht lange zu Hause; denn obgleich es meine Pflicht war, meine Mutter von dem Tode meines Vaters zu unterrichten, forderte es doch auch meine Obliegenheit, daß ich zu meinem Corps zurückkehrte. Freilich hatte ich zu dem letzteren durchaus keine Lust, und weil ich der Ansicht war, ein ruhiges gemächliches Leben sage meinem Charakter am besten zu, so nahm ich mir vor, mich einer religiösen Sekte anzuschließen. Ehe ich das Dach meiner Mutter verließ, reichte ich ihr dreißig Zecchinen, für die sie mir sehr dankbar war, da sie in sehr dürftigen Verhältnissen lebte.

»Ah!« rief sie, als sie das Geld sorgfältig in einen alten Lappen einwickelte, »wenn Du nur den Kopf Deines armen Vaters hättest zurückbringen können, Hudusi.«

Ich hatte gute Lust, ihr zu bedeuten, daß sie just die Summe erhalten habe, welche ich für denselben erlöste; doch fiel mir noch zu rechter Zeit ein, ich könne eben so gut über die Sache schweigen, weßhalb ich sie umarmte und ohne weitere Aufklärung von ihr schied.

Es gab eine Art von Derwischen, die ihr Quartier etwa sieben Meilen von dem Städtchen aufgeschlagen hatten, wo meine Mutter wohnte, und da sie nie lang an dem gleichen Platze blieben, so machte ich mich eiligst auf den Weg, um mich ihnen anzuschließen. Bei meiner Ankunft bat ich um ein Gespräch mit ihrem Oberen, und da man der Meinung war, ich komme, um wegen eines ersehnten Gegenstandes beten zu lassen, so wurde ich ohne Weiteres eingeführt.

»Khoda Shefa midehed – Gott gibt Erleichterung,« begann der alte Mann. »Was wünschest Du mein Sohn. Khosh amedid – Du bist willkommen.«

Ich trug ihm meinen Wunsch vor, aus innerem religiösem Drang in die Sekte der Derwische einzutreten, und bat ihn um Aufnahme.

»Du weißt nicht, was Du verlangst, mein Sohn; wir führen ein hartes Leben der Buße, der Zerknirschung und des Gebets – unsere Nahrung besteht blos aus Kräutern und Quellwasser – unsre Ruhe wird stets unterbrochen, und wir wissen nicht, wo wir unsre Häupter hinlegen sollen. Geh' weiter, mein Freund – fahre hin im Frieden.«

»Auf Alles dieses bin ich wohl gefaßt, Vater,« versetzte ich, (denn Eurer Hoheit dir Wahrheit zu sagen, die Betheurungen des alten Mannes über die Strenge eines Derwischlebens kamen mir sehr zweifelhaft vor) »und will mich sogar im Nothfall noch strengeren Kasteiungen unterziehen. Ich habe meinen kleinen Reichthum mitgebracht, um ihn zu dem allgemeinen Vorrathe zu legen und zu der Wohlfahrt Eures frommen Häufleins beizutragen. Ihr dürft mich nicht zurückweisen.«

Ich bemerkte, wie schon bei der bloßen Erwähnung des Goldes die Augen des Alten blinzelten, und zog daher aus meinem Gürtel fünfundzwanzig Zecchinen hervor, welche ich in der Absicht, sie zum Opfer zu bringen, von meinem übrigen Schatze getrennt hatte.

»Seht, heiliger Vater,« fuhr ich fort; »dieß ist die Opfergabe, welche ich zu bringen im Stande bin.«

»Barik Allah – gesegnet sey Gott,« rief der Derwisch, »daß er uns einen ächten Gläubigen geschickt hat. Dein Opfer soll angenommen werden, aber Du mußt nicht erwarten, daß Du sogleich zu der Strenge unsres heiligen Ordens zugelassen werden kannst. Ich habe viele Schüler hier, welche den Habit tragen und doch nicht so regelmäßig sind, wie gute Derwische seyn sollen. Alle Diese haben übrigens ihre Zeit und wenn sie einmal die Lust zum Unrechtthun verlieren, so werden sie – Inschallah, so es Gott gefällt – aller Wahrscheinlichkeit nach heiligere und andächtigere Männer werden. Du bist angenommen.« Und der Alte streckte seine Hand nach dem Gelde aus, das er mit einer wahren Heißgier zusammen krallte und unter seinem Gewande verbarg.

»Ali,« sagte er zu einem der Derwische, welche während meiner Audienz in einiger Entfernung standen. »Dieser junge Mann – wie heißt Ihr doch? – Hudusi, ist in unsre Brüderschaft aufgenommen. Nimm ihn mit Dir, gib ihm die Ordenstracht, weihe ihn in unsre Geheimnisse ein und nimm ihm zuvörderst den Eid der Verschwiegenheit ab. Murakhas, guter Hudusi, Du bist entlassen.«

Ich folgte dem Derwisch durch einen engen Gang, bis wir an eine Thüre gelangten, an welche er klopfte. Sie that sich auf und ich kam in einen Hof, wo ich mehrere Derwische in verschiedenen Haltungen bewußtlos und schwer athmend auf dem Boden ausgestreckt sah.

»Dies sind heilige Männer,« sagte mein Führer, »welche bei Allah hoch in Gnade stehen. Sie befinden sich in einer Verzückung, werden in diesem Zustande von dem Propheten besucht und dürfen in den achten Himmel eingehen, um die Herrlichkeiten zu schauen, welche den wahren Gläubigen vorbehalten sind.«

Ich gab keine Antwort auf diese Behauptung; aber da sie augenscheinlich im Zustand viehischer Betrunkenheit dalagen, so erlaubte ich mir, das Faktum sehr zu bezweifeln.

Ich erhielt meinen Anzug, leistete den Eid der Verschwiegenheit und wurde meinen Gefährten vorgestellt, in denen ich bald eine Bande zügelloser Gesellen erkannte, die sich jedem Laster hingaben und jeder Tugend Hohn sprachen. Sie lebten ein Leben des Müßiggangs und fanden reichliche Unterstützung von den Leuten, welche fest an ihre angebliche Heiligkeit glaubten. Der alte Mann mit dem weißen Barte, welcher an ihrer Spitze stand, war der Einzige, welcher sich nicht der Schlemmerei hingab; er hatte die lasterhaften Triebe der Jugend überlebt und war dem Laster des Alters verfallen – nämlich einer unersättlichen Geldgier. Ich muß gestehen, daß mir diese Gesellschaft und Lebensweise weit behaglicher vorkam, als die Nachtwachen, die harte Kost und das beständige Gebet, womit mich der Alte bei meiner Anmeldung bedroht hatte; auch wußte ich mich bald herrlich in Heuchelei und Verstellung zu finden, und wurde bei meinen Genossen sehr beliebt.

Ich hätte Eurer Hoheit bemerken sollen, daß die Sekte von Derwischen, welcher ich als Mitglied angehörte, durch den Namen der heulenden Derwische bezeichnet wurde: denn unsre religiösen Uebungen bestanden blos darin, daß wir wie Schackals oder Hyänen so aus voller Macht heulten, bis wir in wirkliche oder verstellte Zuckungen geriethen. Mein Geheul wurde für das schrecklichste und grausenhafteste gehalten, das man je gehört hatte, und natürlich steigerte sich auch der Ruf meiner Heiligkeit in demselben Grade. Wir waren auf dem Weg nach Scutari, unsrem eigentlichen Wohnplatze, begriffen und machten nur hin und wieder auf unsere Reise Quartier, um die frommen Schäflein zu scheeren. Ich war noch keine zehn Tage zu dem Haufen gestoßen, als sie ihre Pilgerfahrt wieder aufnahmen. Während einer Woche sehr einträglichen Reisens kamen wir durch Konstantinopel, setzten über den Bosporus, gewannen unsre Heimath und wurden von den Bewohnern Scutaris, denen der alte Oberderwisch und viele Andere aus unserer Truppe wohl bekannt waren, mit großer Freude bewillkommt.

Eure durchlauchtige Hoheit muß wissen, daß die Derwische nicht nur häufig von den Einwohnern um Rath gefragt wurden, sondern auch oft die Geldgeschäfte derselben besorgten. Dem alten Oberderwisch, welcher Ulu-bibi hieß, hatten viele von den Leuten, mit welchen er bekannt war, große Summen anvertraut; aber sein Geiz bewog ihn, das Geld auf Wucherzinsen auszuleihen, und so war es im Falle eines schnellen Gebrauchs sehr schwer, es wieder zurückzuerhalten, obschon es später stets auf das gewissenhafteste bezahlt wurde. Ich hatte mich noch nicht viele Monate zu Scutari aufgehalten, als ich wegen meines vortrefflichen Heulens und wegen der Dauer meiner Konvulsionen sehr in Gnaden kam. Aber während dieses Zustandes, welcher durch die Gewohnheit bald zu einem chronischen Leiden wurde, indem er andauerte, bis die Lebensfunktionen fast ganz erloschen waren, verhielt sich mein Geist so thätig, als nur je, und ich lag da, in ein Meer der peinlichsten Zweifel versenkt. In meiner Erschöpfung zweifelte ich an gar Allem. Ich wußte nicht, waren meine Konvulsionen wirklich vorhanden, oder nur geheuchelt; ich zweifelte, ob ich schlief oder wachte; ich wußte nicht, war ich in einer Verzückung oder in einer andern Welt, todt oder –

 

»Freund Hudusi,« unterbrach ihn Mustapha, »wir möchten die Thatsachen Deiner Geschichte hören, nicht aber Deine Zweifel. Habe ich nicht Recht, durchlauchtige Hoheit. Was ist Alles dieß anders, als Geträtsche?«

»Wohl gesprochen,« versetzte der Pascha.

»Bisweilen däuchte es mich, als sey ich in den Besitz einer Thatsache gekommen; aber sie glitt mir wieder durch die Finger wie der Schwanz eines Aals.«

»Laß uns die Thatsachen hören, welche Dir nicht entwischten, Freund. Die Nebel des Zweifels müssen sich verziehen vor dem Strahlenglanze des Pascha,« entgegnete Mustapha.

 

Eines Tages saß ich in der warmen Sonne auf dem Grabe eines wahren Gläubigen, als ein armes Weib mich anredete.

»Du bist willkommen,« sagte ich.

»Seyd Ihr in guter Stimmung?« versetzte sie.

»O ja,« antwortete ich.

»Sie setzte sich an meine Seite und fuhr nach einer Viertelstunde fort:«

»Gott ist groß!«

»Und Mohamed ist sein Prophet,« erwiederte ich. »Im Namen Allahs, was wünschest Du?«

»Wo ist der heilige Mann? Ich möchte ihm Geld aufzuheben geben. Kann ich ihn nicht sehen.«

»Er ist bei seiner Andacht – aber was liegt daran? Bin ich nicht das Gleiche? Wache ich nicht, wenn er betet? Inschallah – so es Gott beliebt, sind wir das Gleiche. Gib mir den Beutel.«

»Hier ist er,« sagte sie das Geld herausziehend; »siebenhundert Zecchinen, meiner Tochter Heirathgut. Aber es gibt schlimme Menschen, welche stehlen, und es gibt gute Menschen, welchen wir trauen können. Sage ich nicht recht?«

»Du sprichst wohl,« versetzte ich, »und Gott ist groß.«

»Ihr werdet das Geld recht finden,« sagte sie. »Zählt es.«

Ich zählte es und streifte es wieder in den Beutel von Ziegenhaut.

»Es ist Alles recht. Verlaß mich Frau, denn ich muß wieder hinein gehen.«

Die Alte verließ mich und dankte Allah, daß sie ihr Geld so sicher untergebracht hatte; indeß liefen mir allerlei Ideen durch den Kopf, welche mich die Thatsache sehr bezweifeln ließen. Mit Zweifeln erfüllt setzte ich mich nieder. Ich zweifelte, ob die Alte ehrlich zu dem Geld gekommen sey, oder ob ich es dem Oberderwisch geben sollte. Ferner zweifelte ich, ob ich es für mich behalten oder ob mir vielleicht Unheil daraus erwachsen könnte. Auch hatte ich meine Zweifel – –«

 

»Ich habe gar keine Zweifel,« unterbrach ihn Mustapha, »sondern bin überzeugt, daß Du es für Dich behieltest. Sag an – ist es nicht so?«

 

»Gerade so lösten sich meine Zweifel in diese Thatsache auf. Ich kam im Geiste mit mir ins Reine, daß siebenhundert Zecchinen, nebst den vierhunderten, welche noch in meinem Besitz waren, einige Zeit währen konnten; auch hatte ich das Leben eines heulenden Derwisches satt. Nach einem letzten, langen Schlußgeheule, durch welches ich meinem Vorgesetzten kund thun wollte, daß ich anwesend sey, machte ich mich unverweilt von hinnen und kaufte an verschiedenen Orten des Bazars Gegenstände ein – da eine Weste, dort ein Halstuch und an einem andern Platze einen Turban. Endlich warf ich meinen Derwischanzug ab, eilte nach dem Bad, einige Minuten nachher zu dem Barbier und kam dann wieder wie ein Schmetterling, der aus seiner dunklen Puppe gekrochen ist, zum Vorschein. Niemand würde in dem saubern jungen Türken den unfläthigen Derwisch erkannt haben. Ich begab mich nach Konstantinopel, lebte daselbst herrlich und in Freuden und verthat mein Geld. Indeß fand ich bald, daß man, wenn man sich in die Welt mischen will, nicht nur einen Yattaghan tragen, sondern auch den Muth besitzen muß, ihn zu gebrauchen. Meine Gewohnheit, mich allzuoft des starken Wassers der Giauren zu bedienen, verflocht mich mehreremale in Streitigkeiten, in welchen ich stets den Beweis führte, daß meine Stimme zwar die eines Löwen, mein Herz aber nur wie Wasser war, und der Finger der Verachtung traf nur zu oft das Wort der Anmaßung. Eines Abends flüchtete ich mich aus einem Kaffeehause, nachdem ich meinen Yattaghan gezogen hatte, ohne so viel Muth aufbieten zu können, um meinem Feinde entgegenzutreten, weßhalb mir derselbe mit seiner eigenen Waffe den Turban gespalten und eine tiefe Schramme im Kopfe beigebracht hatte. Auf den Flügeln der Furcht eilte ich durch die Straßen und prallte endlich gegen einen unbekannten Gegenstand an, den ich über den Haufen rannte. Dann stürzte ich gleichfalls und kugelte neben dem hingestreckten Ding im Koth. Sobald ich mich wieder erholt hatte und darnach hinsah, fand ich, daß die Sache zappelte, und im Uebermaße meines Schreckes meinte ich, den Shitan selbst neben mir zu haben. Aber es war nicht der Teufel in Person, sondern nur einer von den Söhnen Shitans – ein Ungläubiger, ein Giaur, ein Hund zum Anspeien, kurz ein fränkischer Hakim, welcher wegen seiner Geschicklichkeit in der Kur aller Krankheiten so berühmt war, daß man ihm nachsagte, er stehe mit dem Teufel im Bunde.«

 

»Lahnet be Shitan! Fluch über den Teufel,« sagte Mustapha, indem er seine Pfeife aus dem Munde nahm und ausspuckte.

»Wallah thaib – wohlgesprochen,« entgegnete der Pascha.

 

In der Ueberzeugung, ich habe es mit einem Geschöpfe aus einer andern Welt zu thun, führte ich, sobald ich wieder auf die Beine gelangte, einen Hieb mit meinem Yattaghan nach ihm und erwartete zuverlässig, er werde bei der Berührung eines ächten Gläubigen in Feuer und Flammen verschwinden. Mittlerweile hatte er sich übrigens gleichfalls auf die Beine geholfen. Er führte ein großes Rohr mit einem goldenen Knopfe bei sich, parirte mit demselben meinen Hieb und begrüßte mich dann mit einem so tüchtigen Schlag auf meinen Kopf, daß ich wieder besinnungslos in den Koth sank. Als ich wieder zum Bewußtseyn kam, lag ich in einem Vorgebäude auf einer Matte und hat meinen Gegner vor mir, der mir den Kopf pflasterte.

»Es ist nichts,« sagte er, nachdem er mir meinen Kopf verbunden hatte.

Indeß litt ich doch viel Schmerz und fühlte mich von dem Blutverluste so erschöpft, daß ich trotz seiner Versicherung die Thatsache sehr bezweifelte. Soll ich diesen Sohn von Jehanum schildern? Und wenn ich es thue, wird nicht Eure Hoheit die Thatsache bezweifeln? Be chesm, auf meinen Kopf komme es, wenn ich lüge. Er war weniger als ein Mann, denn er hatte keinen Bart; auch trug er keinen Turban, sondern eine Art Geflecht, das mit dem Haar gestorbener Menschen bedeckt war. Letzteres besprenkelte er jeden Morgen mit Mehl aus dem Bäckerladen,, um so seinem Gehirn Nahrung zu geben. Um seinen Hals hatte er ein Stück Leinwand so dicht wie eine Bogenschnur angezogen, damit ihm nicht irgend ein andächtiger, wahrer Gläubiger den Kopf abschlage, wenn er durch die Straße ging. Sein Anzug war von der Farbe der Hölle – nämlich schwarz, und lag ganz an seinem Leibe an; aber dennoch mußte er in seinem eigenen Lande ein großer Mann gewesen seyn, denn er war augenscheinlich ein Pascha von zwei Roßschweifen, die hinter ihm niederhingen. Er war schrecklich anzusehen und fürchtete sich vor nichts, denn er ging in das Pesthaus, rührte Diejenigen an, welche Allah mit der Seuche geschlagen hatte, und wenn er an das Bette trat, stand der Kranke auf und ging. Er führte Krieg gegen das Geschick und Niemand konnte sagen, worin seine Bestimmung lag, bis der Hakim die Entscheidung abgegeben hatte. In seiner Hand hielt er den Schlüssel zu dem Thore, welches in die Regionen des Todes ging, und – was kann ich mehr sagen? – er sagte: lebe – und der Gläubige lebte; er sagte: stirb – und die Houris nahmen ihn auf in's Paradies.

 

»Ein Yessedi! Ein Anbeter des Teufel!« rief Mustapha.

»Möge er und das Grab seiner Väter für ewige Zeiten verunreinigt seyn,« entgegnete der Pascha.

 

Ich blieb vierzehn Tage unter den Händen der Hakim, ehe ich so weit hergestellt war, um wieder gehen zu können, und wenn ich mich meinen Betrachtungen hingab, wandelten mich Zweifel an, ob es nicht klüger wäre, zu einem friedlicheren Gewerbe zu greifen. Der Hakim verstand sich gut auf unsere Sprache und sagte eines Tages zu mir:

»Du bist mehr geeignet, Wunden zu kuriren, als Wunden zu schlagen; du sollst mir Beistand leisten, denn mein gegenwärtiger Gehülfe wird nicht bleiben.«

Ich willigte ein, legte ein friedlicheres Gewand an und blieb viele Monate bei dem fränkischen Arzte, mit dem ich allenthalben umher reiste, ohne jedoch lange an dem nämlichen Platze zu verweilen. Er wanderte der Pest nach, statt vor ihr zu fliehen, und ich hatte meine Zweifel, ob mir nicht in Folge des beharrlichen Verkehrs mit Sterbenden selbst auch der Tod blühen könne, weßhalb ich mir vornahm, die erste günstige Gelegenheit zu benutzen, um ihn zu verlassen. Bereits hatte ich viele wundervolle Dinge von ihm gelernt – zum Beispiel, daß Blut zum Leben nothwendig sey – daß der Mensch ohne Athem sterben müsse, daß weiße Pulver das Fieber kurirten, und daß schwarze Tropfen den Durchfall stillten. Endlich langten wir auch hier in Cairo an, und wie ich eines Tages die Drogue der Betrachtung in dem Mörser der Geduld stampfte, forderte mich der Arzt auf, seine Lanzetten zu bringen und ihm zu folgen. Ich schritt hinter dem gelehrten Hakim durch die Straßen, bis wir an einem schlichten Hause in einem abgelegenen Theile dieser großartigen Stadt, über welche Eure Durchlaucht in Gerechtigkeit herrscht, anlangten. Ein altes Weib führte uns unter vielen Weheklagen nach dem Krankenbette, auf welchem ein Geschöpf lag, so schön anzusehen, wie eine Houri. Der fränkische Arzt wurde von der Alten aufgefordert, ihr den Puls durch den Vorhang zu fühlen; er lachte ihr aber nur in den Bart (denn sie war mit einem kleinen derartigen Anflug versehen), zog die Vorhänge bei Seite und bemächtigte sich einer so kleinen und zarten Hand, daß sie nur geschaffen zu seyn schien, den Propheten selbst in der Nähe des Thrones, auf welchem der Engel Gabriel sitzt, mit dem unsterblichen Pillau zu nähren, der für ächte Gläubigen bereitet wird. Ihr Gesicht war bedeckt, und der Franke verlangte, daß der Schleier entfernt werden solle. Die Alte weigerte sich, und er wandte sich der Thüre zu, um die Kranke den Angriffen des Todes zu überlassen. – Endlich aber besiegte die Liebe der Alten zu ihrem Kinde alle religiösen Bedenklichkeiten, und sie willigte ein, daß ihre Tochter sich vor einem Ungläubigen entschleiere. Ich war entzückt über ihre Reize und hätte sie mir auf der Stelle zum Weibe erbitten mögen; aber der Franke wollte nur ihre Zunge sehen. Nachdem er hievon Einsicht genommen, wandte er sich so gleichgiltig ab, als sey das Mädchen weiter nichts, denn ein sterbender Hund. Er forderte mich auf, ihr den Arm zu verbinden, ließ ihr ein Becken voll ihres goldenen Blutes ab und gab dann in die Hände der Alten ein weißes Pulver, indem er sagte, daß er wieder nach der Kranken sehen wolle. Ich streckte meine Hand aus, um das Gold in Empfang zu nehmen, aber es wollte nichts zum Vorschein kommen.

»Wir sind arm,« rief die Alte dem Hakim zu; »aber Gott ist groß.«

»Ich brauche Dein Geld nicht, gute Frau,« versetzte er, »und will Deine Tochter umsonst kuriren.«

Er ging dann wieder an das Krankenbette, sprach der Leidenden Trost zu, und hieß sie guten Muthes seyn, da dann Alles recht gehen werde.

Das Mädchen antwortete mit einer Stimme, weit süßer, als die einer Nachtigall, daß sie ihren Dank nur in Worten und Gebeten zum Allerhöchsten ausdrücken könne.

»Ja,« sagte die Alte, ihre Stimme erhebend, »ein Schurke von einem heulenden Derwisch hat mir zu Scutari mein ganzes Vermögen und das Heirathgut meiner Tochter gestohlen – es waren siebenhundert Zechinen in einem Ziegenhautbeutel!«

Und dann begann sie zu fluchen. Mögen die Hunde der Stadt ihrer Häßlichkeit nachheulen! Und wie sie fluchte! Sie verwünschte meinen Vater und meine Mutter – sie verfluchte ihre Gräber – schleuderte Schmutz auf meine Brüder und Schwestern und besudelte die ganze Generation mit Unrath. Mich selbst gab sie dem Jehanum und jeder Art von Entehrung preis. Es war etwas Schreckliches, das Fluchen des alten Weibes mitanzuhören. Ich drückte mir den Turban in die Augen, damit sie mich nicht erkenne, und erhob mein Gewand, um mein Gesicht zu bedecken, damit mich die Fluchschauer nicht träfen, die sie wie Koth nach mir hinwarf, So saß ich denn da, um abzuwarten, bis der Sturm vorüber Ware. Unglücklicher Weise kriegte bei Erhebung meines Gewandes die alte Hexe jenen verwünschten Ziegenhautbeutel zu Gesicht, der an meinem Gürtel hing und so nicht nur ihr Geld, sondern auch den Rest meines eigenen enthielt.

»Maschallah – wie wundervoll ist Gott!« kreischte die Alte, stürzte wie eine Tigerin auf mich los und riß den Beutel von meinem Gürtel. Nachdem sie ihn in Sicherheit gebracht hatte, warf sie sich mit ihren zehn Nägeln auf mich und kerbte mir mein Gesicht, das ich anfangs so unglücklich bedeckt und dann so unglücklich wieder aufgedeckt hatte. Was soll ich weiter sagen? Die Nachbarn kamen herein, und ich wurde mit der Alten und dem fränkischen Arzte vor den Kadi geschleppt. Das Geld und der Beutel wurden mir abgenommen. Der Hakim entließ mich, und bald nachher that der Kadi ein gleiches, nachdem er zuvor den Befehl ertheilt hatte, mir hundert Hiebe aufzuzählen. Es war meine Bestimmung und ich habe meine Geschichte vorgetragen. Ist Euer Sklave entlassen?«

»Nein,« versetzte der Pascha. »Bei unserm Bart, wir müssen da Einsicht nehmen, Mustapha. Sprich, Hudusi, wie lautete die Entscheidung des Kadi? Unsere Ohren sind offen.«

 

Das Urtheil des Kadi lautete dahin, daß ich das Geld gestohlen habe und deshalb mit der Bastonade zu züchtigen, sey; da jedoch die Alte angebe, der Beutel hätte siebenhundert Zecchinen enthalten, während doch mehr als einhundert darin sehen, so könne das Geld nicht ihr gehören. Er nahm es deshalb an sich, bis er den rechtmäßigen Eigenthümer ausfindig machen könne. Der Arzt wurde um fünfzig Zecchinen gebüßt, weil er ein türkisches Mädchen angesehen, und um weitere fünfzig, weil er seine Achseln gezuckt hatte. Das Mädchen selbst aber wurde in den Harem des Kadi beordert, weil sie ihr Heirathgut verloren habe, und die Alte erhielt die Weisung, ihren Geschäften nachzugehen. Alle Anwesenden erklärten, das Urtheil sey die Weisheit selbst: ich aber für meine Person bezweifelte sehr die Thatsache.

 

»Mustapha,« sagte der Pascha, »schicke nach dem Kadi, nach dem französischen Arzte, nach dem alten Weibe, nach dem Mädchen und nach dem Ziegenhautbeutel. Wir müssen diese Sache näher untersuchen.«

Die Diener der Gerechtigkeit wurden abgeschickt, und nach weniger als einer Stunde, während welcher der Pascha und sein Vezier stumm fortrauchten, erschien der Kadi nebst den Uebrigen.

»Möge der Schatten Eurer Hoheit nie geringer werden!« begann der Kadi beim Eintritte.

»Mobarek! Mögest Du glücklich seyn!« versetzte der Pascha. »Was müssen wir da hören, Kadi? Man erzählt uns von einem Ziegenhautbeutel und einem Mädchen, ohne daß Unserer richterlichen Hoheit davon amtliche Meldung gethan worden wäre. Handelt sich's da um Geheimnisse, gleich denen, welche in dem Brunnen von Kasan verborgen wurden? – Sprich, was hast Du für Staub gegessen?«

»Was soll ich sagen?« entgegnete der Kadi. »Ich bin nur wie Staub. Das Geld ist hier und das Mädchen gleichfalls. Soll der Pascha mit dem Lärmen eines jeden Weibes behelligt werden oder kann ich mit ein paar Goldstücken vor ihm erscheinen? – Min Allah – Gott verhüte dies! Habe ich nicht hier das Geld und sieben weitere Beutel? War das Mädchen nicht vom Engel des Todes heimgesucht, und konnte sie vor Eurer Hoheit erscheinen, mager, wie ein Hund im Bazar? Ist sie nicht hier? Habe ich wohl gesprochen?«

»Ja, Du hast wohl gesprochen, Kadi. Murakha – Du bist entlassen.«

Der fränkische Arzt wurde dann um hundert weitere Zecchinen gebüßt – um fünfzig, weil er den Puls eines türkischen Mädchens gefühlt, und um die gleiche Summe, weil er ihre Zunge angesehen hatte. Das Mädchen wurde nach dem Harem des Pascha entlassen; der Alten aber gestattete man, nach Belieben zu fluchen, und Hudusi erhielt die volle Erlaubniß, Alles zu bezweifeln, nur nicht die Gerechtigkeit des Paschas.


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