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Siebenundsechzigstes Kapitel

Timothy setzt seine Erzählung fort.

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Ich konnte mir nicht verschweigen, daß auch ich während meines früheren abenteuerlichen Lebens mir dieselben Folgerungen, wie Timothy, gebildet hatte; aber ich war schon längst zu der Ansicht gekommen, daß es keine Entschuldigung für die Unredlichkeit giebt, und daß diese zuletzt nur zur Entdeckung und Schande führen kann. Abends ging ich zeitig nach Hause, um Timothy Herrn Kophagus vorzustellen, der ihn mit großer Freundlichkeit aufnahm und augenblicklich mit seiner Anstellung in meiner Apotheke einverstanden war. Timothy begrüßte die Damen und verließ dann mit Ephraim, der ihn unter seinen Schutz genommen hatte, das Zimmer. Nach wenigen Tagen war er so eingebürgert unter uns, als ob wir schon monatelang hier beieinander gelebt hätten. In der ersten Zeit kostete es mich einige Mühe, seine Lebhaftigkeit und seinen Hang fürs Komische zu unterdrücken; es gelang mir jedoch allmählich, und ich fand nicht nur einen brauchbaren Gehilfen, sondern auch, was er immer gewesen war einen liebevollen Gefährten in ihm. Während der ersten Tage unseres Zusammenseins hatte ich ihm meine Abenteuer erzählt und wiederholte Fragen nach meinen wenigen Freunden gethan. Er erzählte mir, Lady De Clare und Flita hätten Herrn Masterton, von welchem er dies erfahren, in großem Kummer über den Inhalt meines Briefes, besucht; auch Lord Windermear sei sehr unruhig und ärgerlich gewesen. Herr Masterton habe ihm hierauf geraten, sich einen andern Dienst zu suchen, was er jedoch abgelehnt und dem alten Herrn seine Absicht, nach mir zu suchen, mitgeteilt habe. Beim Abschied habe er versprochen, ihm Nachricht zu geben, sobald er mich finden sollte.

»Da lag ich nun im Bette, Japhet«, fuhr Timothy fort, »und dachte über die ersprießlichste Maßregel nach. Auf eine solche Weise zu verfahren, wie Du Deinen Vater suchtest, erkannte ich für eine Wildgänsejagd; auch wäre mein Geld in kurzem alle gewesen. Also überlegte ich, ob ich nicht einen Hausiererkram übernehmen sollte, der mich ernährte, während er mich zugleich in den Stand setzte, von Ort zu Ort zu ziehen. Was meinst Du, daß meine erste Spekulation gewesen sei? Höre denn: Ich sah einen Mann, der einen Hund vor einen kleinen Karren gespannt hatte und ›Hundefleisch!‹ – ›Katzenfleisch!‹ – ausrief. Da sagte ich zu mir: nun, das ist doch einmal etwas, das ist doch einmal ein Beruf, da kann ich herumwandern und mein Brot verdienen. Ich ließ mich in ein Gespräch mit dem Menschen ein, als er vor einem geringen Wirtshause anhielt, bewirtete ihn mit einem Kruge Bier und fragte ihm alle Geheimnisse seines Gewerbes ab. Dann ließ ich noch einen Krug kommen und schlug ihm vor, mir seinen ganzen Kram, bis auf Messer und Schürze herab, zu verkaufen. Der Bursche war's zufrieden. Nachdem wir eine gute Weile miteinander gehandelt hatten, zahlte ich ihm drei Guineen für das Ganze. Er fragte mich, ob ich in London zu hausieren gesonnen sei. Ich erwiderte ihm, nein, ich wolle mich auf dem Lande herumtreiben. Er riet mir zu der Straße gen Westen, weil dort mehr volkreiche Städte zu finden seien. Gut, wir tranken noch einen Krug, um den Handel fest zu machen, ich zahlte ihm das Geld und nahm Besitz von der Ware, ganz entzückt über meine neue Beschäftigung. Jetzt ging's nach Brentford. Unterwegs verkaufte ich da und dort einen Bissen, und am Ende kam ich zu der nämlichen Bank, wo wir ausgeruht und unfern Schweinsbraten verspeist hatten.«

»Das ist doch seltsam! auch ich war dort, aber für mich ist die Bank sehr unglücklich gewesen.«

»Für mich ebenfalls, wie Du gleich hören sollst. Ich hatte in jener Kneipe mein Absteigequartier genommen und drei Tage in Brentford sehr gute Geschäfte gemacht. Am dritten Abend kam ich just in der Dämmerung heim, setzte mich auf die Bank und dachte an Dich. Mein Hund hatte sich, ziemlich müde, vor den Karren gelegt. Da hörte ich auf einmal einen durchdringenden Pfiff: im Augenblick sprang der Hund auf die Beine und lief, ehe ich ihn hindern konnte, eine gute Strecke weit davon. Der Pfiff wurde wiederholt, und weg war Hund und Karren wie der Blitz. Ich lief aus Leibeskräften, könnt' ihn aber nicht einholen. Endlich wurde ich gewahr, daß der vorige Herr des Hundes so schnell als möglich vor ihm herlief, und entdeckte nun den Grund, warum der Hund mir durchgegangen war. Immer hoffte ich, ihn noch einzuholen; da kam mir aber ein altes Weib in den Weg, welches mit einer Pfanne aus der Thür trat, um das heiße Wasser in die Rinne zu schütten. Ich warf sie mit Macht zu Boden und mußte richtig über sie her in einen Keller ohne Stufen hinunterschießen. Da lag ich nun, und ehe ich wieder hinaufklettern konnte, war Mann, Hund, Karren, Hundefleisch und Katzenfleisch, alles fort, und Hund und Karren sah ich niemals wieder. Der Schuft kam glücklich davon, ich aber war bankerott. So viel von meinem ersten Etablissement.«

»Du hattest vergessen, Timothy, bei Deinem Handel auch noch den guten Willen zu dem Vorrat zu kaufen.«

»Freilich, Japhet. Nachdem ich übrigens von dem alten Weibe einen recht hübschen Strom von Schimpfreden und ein Pflaster von heißem Gemüse ins Gesicht bekommen hatte – denn sie ging lieber ohne Nachtessen zu Bett, als daß sie ihre Rache hätte unterdrücken können – begab ich mich nach der Herberge zurück, wo ich mich im Schenkzimmer nieder setzte. Zwei Hausierer saßen neben mir. Der eine führte einen großen Pack Zitz und Barchent, der andere einen Kasten mit Kämmen, Nadeln, Bändern, Scheeren, Messern und unächten Schmucksachen. Ich ließ mich in eine Unterhaltung mit ihnen ein, und da ich auch diesmal den Wirt machte, so wurde ich bald vertraut. Sie erzählten mir von ihrem Verdienst und ihrer Art, sich vorwärts zu bringen, so daß ich dachte, diese Hausiererei habe bei ihrem Hin- und Herziehen gar nichts Unangenehmes. Also, nachdem ich alle nötige Aufklärung empfangen hatte, ging ich nach London zurück, löste eine Konzession zum Hausieren, wofür ich zwei Guineen bezahlte, kaufte in einem Laben, in welchen ich gewiesen wurde, einen recht hübschen Vorrat von Waren, und abermals machte ich mich auf die Fahrt. Diesmal schlug ich die Straße nach Norden ein und hatte ein sehr behagliches Auskommen, indem ich meine Waren in den Bauernhäusern, an welchen ich vorüberkam, halbpenceweise verkaufte. Bald aber wurde ich gewahr, daß ich ohne ein Zeitungsblatt kein vollkommener Hausierer sei, und daß die Zeitung nicht radikal genug sein könne. Eine solche Zeitung ersetzt dem Hausierer, wenn er lesen kann, die Hälfte seiner Reiseauslagen; in jedem Hause, namentlich in jeder kleinen Winkelkneipe ist er willkommen; er erhält die beste Ecke am Kamin, hat seine Kost und Wohnung, mit Ausnahme dessen, was er trinkt, umsonst – alles dieses, wenn er seine Zeitung herauslangt und seinen unwissenden Zuhörern vorliest, vor allem aber, wenn er die unverständlichen Stellen erklären kann. Nun wurde ich ein starker Politiker und noch überdies ein mächtiger Radikaler, denn das ist die Politik aller niederen Klassen. Ich lebte angenehm, schlief gut, und verkaufte meine Ware mit großer Schnelligkeit. Zwar nahm ich nicht mehr als drei Shillinge des Tages ein; aber da zwei von den dreien reiner Gewinn waren, so stand ich mich doch immerhin recht gut. Da kam ein kleiner Zufall dazwischen, der mich nötigte, mein Gewerbe oder wenigstens die Artikel, mit denen ich handelte, zu vertauschen.«

»Was war das?«

»Eine pure Kleinigkeit. Ich war spät in einem kleinen Bierhause angekommen, hatte meinen Pack, der sich in einem gemalten Bretterkasten befand, auf den Tisch im Schenkzimmer gestellt und war nach Lesung eines Artikels in der Zeitung eifrig in einer ausgezeichneten Rede begriffen, welche, wie immer, mit großem Applaus und vielen Händedrücken aufgenommen wurde – eine Rede über Rechtsgleichheit, Äckerverteilung und Ausgleichung des Vermögens, worin ich bewies, daß wir alle gleich geboren seien, und niemand das Recht habe, mehr Vermögen zu besitzen, als sein Nachbar. Das Volk drängte sich mit lautem Beifallsgeschrei um mich her. Da fiel es mir ein, ich dürfte wohl auch ein wenig nach meinem Kram sehen, der mir bei dem Gedränge eine Weile aus den Augen gekommen war; aber zu meinem tödlichen Verdrusse fand ich den Eindruck meiner Deklamationen über Gütergemeinschaft so groß, daß einige der Zuhörer mit meinem Kasten und dessen Inhalt auf und davon gegangen waren. Unglücklicherweise hatte ich all mein Geld darin gelassen, weil ich es dort sicherer als in meinen Taschen achtete, und es blieben mir nur siebzehn Shillinge in Silber, meine Einnahme von den letzten drei Tagen her. Jedermann bedauerte den Unfall, aber niemand wollte etwas davon wissen, und wie ich den Wirt bei seiner Verantwortlichkeit zu fassen versuchte, so hieß er mich eine radikale Kanaille und warf mich zur Thür hinaus.«

»Hättest Du mehr nach Deinem Eigentum gesehen, Timothy«, bemerkte ich lachend, »und Dir weniger mit fremdem zu schaffen gemacht, so würdest Du besser gethan haben.«

»Ganz gewiß; ich bin auch seitdem ganz vom Politisieren abgekommen«, erwiderte Tim. »Aber weiter im Text. Ich ging zur nächsten Stadt und griff das Ding auf eine bescheidenere Weise an, kaufte mir für den Rest meines Geldes die allergemeinste Töpferware, Krüge, Kannen, Töpfe samt einem Korbe dazu, setzte den auf meinen Kopf und begab mich wieder auf den Weg. Nun zog ich mit den irdenen Geschirren umher, aber das war eine harte Arbeit. Ich konnte es nicht so hoch bringen, wie als Hausierer und Tabulettkrämer; doch stand ich mich im Durchschnitt auf sieben bis neun Shillinge die Woche, und das war hinreichend für meinen Unterhalt. Dieses Gewerbe führte mich in so viele Küchen, daß ich, wenn Du Dich meines Grundsatzes für das Forschen nach den Eltern erinnerst, wohl ein Dutzend Mütter hätte finden sollen; aber ich traf keine einzige, die mir ähnlich sah. Manchmal ersetzte eine Köchin einen zerbrochenen Topf, um nicht gescholten zu werden, und gab mir ein Stück Fleisch, das ihrer Frau wohl fünf Shillinge gekostet hatte, für einen Artikel, der nicht mehr als zwei Pence wert war. Das andere Mal beherbergte mich ein Häusler, und machte sich dafür mit einem Kruge bezahlt, für den ich einen Penny ausgegeben hatte. Mehr als drei Monate lang trug ich meine Töpferwaren durch das Land, ohne daß mir in dieser Zeit etwas zerbrochen wäre, bis ich eines Tages, als ich durch Eton kam, eine regelrechte Zertrümmerung des ganzen Krams erlebte.«

»Wirklich? wie ging das zu?«

»Ich traf auf ein Dutzend von den jungen Eton-Schülern. Diese schlugen mir das Hahnenspiel, wie sie es nannten, vor, das heißt, ich mußte meine Waren einzeln auf einen Pfosten stecken, und nun warfen sie aus einer gewissen Entfernung mit Steinen darnach, wobei sie mir für jeden Wurf etwas gewisses bezahlten. Dies dünkte mich natürlich ein sehr guter Handel. Alsbald steckte ich einen Krug, der einen Penny wert war, zu einem Penny den Wurf, auf den Pfosten. Der zweite Wurf schmetterte ihn herunter, so daß ich es geraten fand, meinen Sachen, da ich mit solchen merkwürdigen Zielern zu thun hatte, gleich den vollen Preis zu geben. Jeder von ihnen hatte einen Stock, auf welchen ich seine Würfe und die Rechnung, die er nach vollendetem Spiel bezahlen sollte, einkerbte. Ein Stück nach dem andern kam auf den Pfosten, bis mein Korb leer war. Nun wünschte ich mit ihnen abzurechnen, kaum aber begann ich davon zu reden, so brachen sie alle in ein lautes Gelächter aus und liefen davon. Ich jagte ihnen nach, aber es wäre wohl ebenso leicht gewesen, nach Aalen zu greifen. Wenn ich einen hatte, zerrten mich die andern rückwärts, bis er wieder entkam; so waren sie mir zuletzt alle davon gelaufen und ich hatte – nichts.«

»Als Deinen Korb.«

»Nein, nicht einmal den; denn während ich die einen eifrig verfolgte, stießen die andern den Korb wie eine Kugel mit den Füßen vor sich her, bis er mir richtig aus dem Gesichte war. Jetzt hatte ich nur noch acht Pence in der Tasche. Da siehst Du nun, Japhet, wie ich in der Welt herunterkam.«

»Ja, Tim, das war freilich der Fall.«

*


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