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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Mißverständnis über Mißverständnis. Abgeschlagener Sturm auf einen Bischof. Des Majors Doppelwette.

————

Mit zitternder Hand klopfte ich an die Thüre, sandte meine Karte hinein und ließ um die Ehre einer Audienz bei Seiner Herrlichkeit bitten. Nach kurzem Harren im Vorzimmer wurde ich eingeführt. »Mein Lord«, begann ich mit stammelnder Zunge, »wollen Sie mir vergönnen, einige Minuten mit Ihnen allein mich besprechen zu dürfen?«

»Dieser Herr ist mein Sekretär, Sir, und mein Vertrauter, aber freilich, wenn Sie es so wünschen, so habe ich kein Recht, zu verlangen, daß er auch der Ihrige sein solle. Mr. Temple, wollen Sie mir den Gefallen thun, einen Augenblick hinauszugehen?«

Der Sekretär verließ das Zimmer, der Bischof deutete auf einen Stuhl, und ich setzte mich. Nun sah ich ihn scharf an: seine Nase glich der meinigen vollkommen, auch in den anderen Zügen bildete ich mir Ähnlichkeiten zu finden ein und war sehr froh, endlich den Gegenstand meiner Forschungen entdeckt zu haben. »Ich glaube, mein Lord«, hob ich an, »Sie werden mir zugestehen, daß wir oft im Feuer und Ungestüm der Jugend uns in übereilte und unüberlegte Verbindungen stürzen.«

Ich hielt immer die Augen fest auf ihn gerichtet. »Ja wohl, mein junger Sir, und wenn wir das thun, so kommt Scham und Reue hintendrein«, erwiderte der Bischof etwas verwundert.

»Allerdings, mein Lord«, entgegnete ich; »aber zugleich müssen wir auch fühlen, daß wir verpflichtet sind, uns die Folgen, so unangenehm dieselben sein mögen, gefallen zu lassen.«

»Wenn wir unrecht thun, Mr. Newland«, sagte der Bischof, erst auf meine Karte, dann auf mich blickend, »so erfahren wir, daß uns nicht nur die Strafen jener Welt bevorstehen, sondern daß wir auch schon in dieser dafür zu leiden haben. Ich hoffe, Sie hatten keine solche Erfahrung zu machen?«

»Leider werden die Sünden der Väter in den Kindern heimgesucht, und in dieser Hinsicht kann ich allerdings Ja sagen.«

»Mein werter Sir«, versetzte der Bischof, »ich hoffe, Sie entschuldigen mich, wenn ich Ihnen bemerke, daß meine Zeit ein wenig kostbar ist. Wenn Sie mir wirklich etwas Wichtiges zu sagen, über irgend etwas meinen Rat zu begehren haben – denn einer Unterstützung scheinen Sie nicht zu bedürfen – so erzeigen Sie mir die Gefälligkeit, auf dem nächsten Wege zur Sache zu kommen.«

»Ich will so kurz sein, mein Lord, als die Sache mir gestattet. Erlauben Sie mir denn einige Fragen, auf welche ich, im Vertrauen auf Ihre Ehre und die Würde Ihres Berufes, eine offenherzige Antwort zu erhalten hoffe. Haben Sie nicht in früher Jugend eine eheliche Verbindung geschlossen und waren Sie damals nicht in höchst bedrängten Umständen?«

Der Bischof starrte mich an. »Wahrhaftig, Mr. Newland, das ist eine sonderbare Frage, eine Frage, von der ich nicht absehe, wozu sie führen soll. Aber ich will sie dennoch beantworten: Ja, ich habe in früher Jugend geheiratet, zu einer Zeit, wo ich nicht im Überflusse lebte.«

»Sie hatten ein Kind aus dieser Verbindung? Ihr ältestes war ein Knabe?«

»Auch das ist wahr, Mr. Newland«, versetzte der Bischof wehmütig.

»Wie lange ist es her, daß Sie es zum letzten Mal gesehen haben?«

»O viele Jahre!« erwiderte der Bischof, das Tuch auf die Augen drückend.

»Und nun antworten Sie mir, Sir, haben Sie ihn nicht verstoßen?«

»Nein, nein!« rief der Bischof, »es ist seltsam, daß Sie in dieser Sache so unterrichtet scheinen, Mr. Newland, denn Sie konnten damals kaum geboren sein. Ich war zu jener Zeit arm, sehr arm, und doch, obgleich ich kaum das Geld aufbringen konnte, gab ich ihm fünfzig Pfund mit.«

»Aber«, entgegnete ich in großer Bewegung, »warum haben Sie ihn nicht zurückgefordert?«

»Das hätte ich gern gethan, Mr. Newland, aber wie war es möglich! er konnte nicht zurückgefordert werden! – ach, ich habe ihn auf immer verloren!«

»Ich denke doch, in Ihrem jetzigen Überflusse würden Sie ihn wieder zu sehen wünschen?«

»Er ist gestorben, und ich hoffe, er ist im Himmel«, erwiderte der Bischof, sein Gesicht bedeckend.

»Nein, er ist nicht gestorben!« rief ich, indem ich mich auf die Knie vor ihm niederwarf; »er lebt, er liegt hier zu Ihren Füßen und bittet um Ihren Segen.«

Der Bischof sprang auf. »Was soll das bedeuten, Sir?« rief er voll Bestürzung. »Sie mein Sohn?«

»Ja, ehrwürdiger Vater, Ihr Sohn, den Sie mit fünfzig Pfund –«

»– auf dem Verdeck der Portsmouth-Kutsche –!«

»– nein, im Korbe gelassen haben!«

»Mein Sohn, Sir! Unmöglich, er starb im Hospital.«

»Nein, er ist gesund und wohl, wie Sie sehen, aus jenem Hospital hervorgegangen.«

»Entweder, Sir, waltet hier ein sonderbares Mißverständnis ob, oder Sie erlauben sich, einen Scherz mit mir zu treiben«, erwiderte der Bischof; »stand ich ja doch an seinem Sterbebett und folgte ihm zu seinem Grabe.«

»Sind Sie dessen gewiß, mein Lord?« rief ich und fuhr in der tiefsten Bestürzung auf.

»Ich wünschte, ich wäre es nicht, denn ich bin jetzt kinderlos; – aber wer sind Sie, Sir, der Sie so viel von meinem frühern Leben wissen, und mich auf eine solche Weise betrügen wollten?«

»Sie betrügen, mein Lord?« rief ich, meinen ganzen Irrtum erkennend. »Ach, das kam mir nicht in den Sinn. Wer ich bin? ein junger Mann, der seinen Vater sucht. Ihr Gesicht und besonders Ihre Nase erinnerte mich so sehr an mich selbst, daß ich schon meinen Zweck erreicht zu haben glaubte. Bedauern Sie mich, mein Lord, bedauern Sie mich«, rief ich, mein Gesicht mit den Händen bedeckend.

Der Bischof, der nun einsah, daß in einem so leidenschaftlichen Benehmen keine betrügerische Absicht liegen konnte, ließ mir einige Zeit, mich zu erholen, und ging sodann auf Erklärungen ein.

Als er noch Unterpfarrer war, hatte er einen einzigen, sehr zügellosen Sohn, der trotz seiner Vorstellungen durchaus zur See gehen wollte. Er sah ihn auf der Plymouth-Kutsche abreisen, nachdem er ihm die erwähnte Summe mitgegeben. Der junge Mensch erhielt später im Treffen eine tödliche Wunde, wurde in das Hospital von Plymouth gebracht und starb daselbst.

Sodann setzte ich ihm ebenfalls in kurzen Worten meine Angelegenheit auseinander, worauf ich mit getäuschter Hoffnung und krankem Herzen von dannen ging. Der Bischof drückte mir die Hand und wünschte mir bei meinem nächsten Versuche bessern Erfolg.

Ich kam in Verzweiflung nach Hause. Timothy tröstete mich, so gut er konnte. Er riet mir, so viel als möglich in Gesellschaft zu gehen, da ich dort die beste Aussicht hätte, meinen Zweck zu erreichen. Daran glaubte er nun freilich nicht, aber er hoffte, daß Zerstreuung meine Lebensgeister wieder herstellen würde. »Ich will die kleine Flita auf einige Tage besuchen«, erwiderte ich; »ihr Anblick wird mir wohler thun, als alles andere.« – Somit reiste ich am nächsten Tage nach ***, wo ich die holde Kleine im besten Wachstum und Fortschritt fand. Ich blieb eine Woche bei ihr, machte Ausflüge mit ihr aufs Land, unterhielt sie und erheiterte mich selbst in ihrem Umgange; dann kehrte ich nach London zum Major zurück.

Mit Erstaunen fand ich ihn in tiefer Trauer. »Mein lieber Carbonnell«, rief ich ihm entgegen, »doch hoffentlich kein ernsthafter Verlust?«

»Nein, lieber Newland, ich wär' ein Heuchler, wenn ich das behauptete, denn in Wahrheit, einen lustigern Leidtragenden hat es niemals gegeben. Mr. M..., der, wie Sie wissen, zwischen mir und der Pairschaft stand, ist in der Rhone ertrunken; da muß ich denn ein klein wenig mitkrächzen. Seine Frau hat nur eine Tochter, sieht aber wieder ihrer Entbindung entgegen. Wenn sie nun einen Knaben bekommt, so habe ich ausgespielt; ist's aber ein Mädchen, so komme ich in den Besitz der Baronie mit fünfzehntausend Pfund jährlich. Übrigens habe ich recht artig › geheckt‹.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Man behauptet, wenn eine Frau mit Mädchen anfange, so gebäre sie in der Regel so fort, und die Wetten stehen zwei gegen eins, daß Mistreß M... ein Mädchen bekommen werde. Nun habe ich in den Klubs bis zum Betrage von fünftausend Pfund gewettet. Ist's also ein Mädchen, so muß ich soviel, sowie ich in den Besitz komme, von meinen jährlichen fünfzehntausend Pfund bezahlen; ist's aber ein Knabe und ich bin abgefahren, so streiche ich dreißigtausend Pfund als Schmerzensgeld ein. Es sind doch gute Leute.«

»Ja, aber sie wissen, daß Sie niemals bezahlen.«

»Ei freilich, weil ich kein Geld habe; aber sie wissen wohl, daß ich bezahlen werde, wenn ich die Herrschaft antrete. Das will ich auch, so ehrenhaft als man's nur erwarten kann, und noch ein paar tausend Pfund dazu, die in meinem Buche stehen.«

»Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Glück, Major. Wie alt ist der gegenwärtige Lord B...?«

»Ich habe soeben im Pairsbuche nachgesehen: er ist zweiundsechzig, aber so rüstig und frisch, daß er noch eine gute Weile leben kann. Nebenbei gesagt, Newland, es ist mir gestern Abend im Klub etwas Unangenehmes widerfahren. Ich spielte ziemlich hoch und verlor sehr viel Geld.«

»Ein unglücklicher Zufall.«

»Nein, das war nicht die Ungeschicklichkeit; aber ich habe alle meine Verluste bar bezahlt, Newland, und unsere Kasse ist dadurch entsetzlich leicht geworden. Ich habe siebenhundertundfünfzig Pfund verloren. Ich gestehe, daß ich Ihr Geld nicht hätte weggeben sollen, aber es geschah wegen dieser Doppel-Wette: ich hätte mein Buch nicht gehörig in Ordnung bringen können, wenn ich diesmal die Verluste nicht bezahlt haben würde. Es handelt sich übrigens ja nur um einen Verzug von etlichen Wochen, bis Mrs. M... mein Schicksal entscheiden wird; bis dahin muß ich, auf eine oder die andere Weise, Geld genug bekommen. Wenn Ihnen die Ihrigen nicht mehr geben wollen, bis Sie volljährig sind, nun dann müssen wir eben so eine Art von gutem Freund holen lassen, das ist alles, und Sie borgen für uns Beide.«

»Borgen!« rief ich, nicht sehr erfreut über den Gedanken; »mir wird man kein Geld leihen!«

»Kein Geld?« versetzte der Major, »sorgen Sie nicht! Ihre Unterschrift und meine Vermittelung werden durchaus hinreichend sein.«

»Wir thäten besser, es ohne das zu versuchen, Major; es will mir nicht recht behagen.«

»Gut, wenn wir können, so soll es geschehen. Aber ich habe keine fünfzig Pfund in meinem Pulte; wie viel haben Sie?«

»Etwa zwanzig«, erwiderte ich, halb verzweifelnd über diese Entdeckung, »doch ich glaube, es steht noch eine kleine Summe bei dem Bankier; ich will einmal gehen und nachsehen.« – Ich nahm den Hut und ging, um über unsern Barvorrat ins Klare zu kommen.

*


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