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Neunundfünfzigstes Kapitel

Ein peinlicher Irrtum zieht mir eine peinliche Behandlung zu. Statt eines Rechtsbeistandes bediene ich mich des Schneiders und Parfümeurs zu meinem Kriminalprozeß und beschließe, als Gentleman zu sterben.

————

Es ist wahrhaftig schade, sehr schade«, bemerkte einer der Richter, »um einen so feinen und, seinem Betragen, seiner Sprache nach zu urteilen, offenbar wohlerzogenen jungen Menschen; aber«, setzte er gegen die andern gewendet hinzu, »es wird uns keine Wahl bleiben. Was sagen Sie dazu, Mr. B...?«

»Ich muß Ihnen leider beipflichten. Ich fürchte, wie die Sachen stehen, wird die große Jury mit ihrem Spruch nicht lange zögern. Lassen Sie uns übrigens noch eine Frage an den Zeugen Armstrong stellen. Könnt Ihr darauf schwören, daß dieser junge Mensch einer von den Burschen ist, die Euch angefallen haben?«

»Es war schon ziemlich dunkel, Sir, und beide hatten sich ihre Gesichter geschwärzt; aber es war ein Mensch, der ihm in der Statur und auch, so viel ich mich erinnern kann, in der Kleidung vollkommen glich.«

»Ihr könnt also seine Identität beschwören?«

»Nein, Sir, aber mein bestes Wissen und Dafürhalten kann ich verpfänden.«

»Das ist eine wichtige Aussage, die man zu Protokoll nehmen muß«, versetzte Mr. B..., »sie wird ihm beim Verhör zu statten kommen.«

Die Angabe wurde niedergeschrieben, worauf man mich in das Grafschaftsgefängnis überwies. Ich mußte einen Karren besteigen, auf dem ich zwischen zwei Konstablern abfuhr. Bei meiner Ankunft setzte man mich in eine Zelle und gab mir mein Geld zurück. Den Ring aber hatte man behalten, um eine Beschreibung davon geben zu können. Endlich wurde ich von den Handschellen befreit, um anstatt meiner Kleidung die Gefängnistracht anzulegen. Bei dieser Gelegenheit bat ich den Schließer um Erlaubnis, mich waschen zu dürfen, was er mir gern gewährte, und – es klingt seltsam, aber ich war so wenig an den Schmutz gewöhnt, daß ich bei meiner Zurückkunft von dem Brunnen im Gefängnishofe eine Art von Glückseligkeit empfand. Selbst die Gefangenentracht legte ich beinahe mit Vergnügen an, denn so viel Erniedrigendes sie auch hatte, so war sie doch jedenfalls frisch und sauber. Hierauf wurde ich in meine Zelle zurückgebracht und meinen Gedanken überlassen.

Jetzt, da mein erstes Verhör vorüber war, wurde ich weit ruhiger und zu kühler Überlegung fähig. Ich sah die Gefährlichkeit meiner Lage ein, ich überzeugte mich, wie stark der Augenschein gegen mich spreche, welch' geringe Aussicht zu meiner Rettung vorhanden sei. Nach Lord Windermear, nach Herr Masterton oder nach andern meiner frühern Bekannten zu senden, verbot mir mein Stolz; lieber wäre ich auf dem Schaffot umgekommen. Außerdem würde ihr Zeugnis für meinen frühern Rang in der Gesellschaft, so befriedigende Auskunft es auch über Geld, Ring und Mantelsack geben mußte – was freilich bis jetzt lauter sehr nachteilige Umstände waren – dennoch den Verdacht wegen des Raubes, welcher den Richtern so augenfällig bewiesen schien, nicht umgestoßen haben. Meine einzige Hoffnung beruhte auf dem eingefangenen Räuber, daß er mich nicht als seinen Mitschuldigen anerkennen würde, und ich war über seine Wiederherstellung sowie auch über seine Aufrichtigkeit in großen Sorgen. Die Gerichtssitzungen standen, wie ich wußte, sehr nahe bevor. Mit ängstlicher Spannung erwartete ich die Zurückkunft des Schließers, um einige Fragen an ihn zu thun. Mit Anbruch der Nacht machte er seine Runde bei den Gefangenen und kam endlich auch zu mir, durch eine kleine viereckige, oben in der Thür geschnittene Öffnung hereinblickend. Ich fragte ihn, ob ich mir einige Kleinigkeiten, wie Feder, Tinte und Papier kaufen dürfe. Da ich nicht zur Strafe, sondern wegen Untersuchungsarrestes im Gefängnis war, so konnte man mir das nicht abschlagen, obgleich man es den zu Gefangenschaft und schwerer Arbeit Verurteilten nicht erlaubt haben würde. Er versprach, mir das Verlangte bis zum nächsten Morgen herbeizuschaffen. Ich wünschte ihm gute Nacht und warf mich auf meine Matratze. Erschöpft von Anstrengungen und Gemütsleiden, schlief ich die ganze Nacht, ohne zu träumen, ununterbrochen fort. Als ich mit Tagesanbruch erwachte und mein Bewußtsein allmählich wiederkehrte, hatte ich zuerst eine verworrene Vorstellung, daß irgend etwas Schweres, das der Schlaf aus meiner Erinnerung verbannt, mir auf der Seele laste. Was ist es? dachte ich; – jetzt, als ich die Augen öffnete, ward ich mir bewußt, daß ich, Japhet Newland, der kaum zwei Nächte zuvor als Gast der Lady De Clare und ihrer lieblichen Tochter auf einem weichen Daunenbette geruht hatte, hier in einer Gefängniszelle auf einer Matratze liege, beladen mit einer Klage, die mich einem schmählichen Tod entgegensehen ließ. Ich erhob mich und blieb auf meinem Lager sitzen, denn ich hatte die Kleider nicht abgelegt. Meine Gedanken richteten sich zuerst auf Timothy. Sollte ich ihm schreiben? Nein, nein! Warum sollte ich ihn so unglücklich machen? Wenn ich mein Schicksal zu erfüllen hatte, so sollte es unter einem angenommenen Namen geschehen. Aber welchen sollte ich annehmen?

Hier unterbrach mich der Schließer, der die Thüre öffnete und mit dem Befehl hereintrat, meine Matratze nebst den Betttüchern aufzurollen, damit sie, der Gewohnheit gemäß, den Tag über aus der Zelle entfernt würden.

Meine erste Frage war, ob jener schwer verwundete Mann im Gefängnis sei.

»Ihr meint Euern Mitschuldigen?« erwiderte der Schließer; »ja, der ist hier, und hat sich so ziemlich erholt. Der Doktor sagt, »es werde ganz gut mit ihm gehen.«

»Hat er irgend etwas gestanden?« fragte ich.

Der Schließer gab keine Antwort.

»Ich habe einen guten Grund zu dieser Frage«, fuhr ich fort, »denn wenn er bekennt, wer sein Mitschuldiger war, so muß ich frei werden.«

»Sehr wahrscheinlich!« versetzte der Schließer lachend: »nur schade, daß es sich bei diesem Fall um keinen Kronzeugen handelt, sonst könntet Ihr mit der Wasserfahrt davonkommen; jetzt müßt Ihr Euch eben auf Euren Stern verlassen. Die große Jury versammelt sich heute, und da will ich's Euch zu wissen thun, ob die Anklage gegen Euch richtig befunden ist, oder nicht.«

»Wie heißt denn der andere Mann?« fragte ich weiter.

»Ei ja, Ihr verstehts' einmal, einer Sache ein Gesicht zu geben, das muß ich sagen. Ihr würdet mich mit diesem unschuldigen Aussehen da fast überreden, Ihr wüßtet nichts von der ganzen Geschichte.«

»Das ist auch der Fall«, erwiderte ich.

»Ihr seid glücklich, wenn Ihr das beweisen könnt, weiter ist's nichts.«

»Aber Ihr habt mir meine Frage nach des andern Namen immer noch nicht beantwortet.«

»Ja ja«, erwiderte der Schließer lachend: »nun Ihr einmal den Kopf aufgefetzt habt, so will ich ihn sagen; es wird Euch beim Kuckuck was neues sein. Sein Name ist Bill Ogle, alias Moor-Bill. Ich denke, Ihr habt den Namen noch nie gehört?«

»Nein, gewiß nicht«, gab ich zur Antwort.

»Vielleicht kennt Ihr auch Euren eigenen Namen nicht, aber ich kann ihn Euch sagen; denn so weit hat Bill Ogle über Euch den Mund aufgethan.«

»So? und was für einen Namen hat er mir gegeben?«

»Na, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß ich sagen, daß er nicht eher mit der Sprache herausging, als bis er eine Abschrift von den Zeugenaussagen zu Gesicht kriegte und hörte, wie sie Euch erwischt haben, als Ihr ihm davonhelfen wolltet. Alsdann sagte er: ›Ja, Phill Maddox war immer ein Getreuer, und ich bin sterblich betrübt, daß er inn'sitzt, weil er nach mir gesehen hat‹. – Wißt Ihr jetzt Euren Namen?«

»Nichts weniger als das.«

»Nun, habt Ihr nie von einem gehört, der auf den Namen Phill Maddox ging?«

»Niemals«, erwiderte ich, »und ich bin froh, daß Ogle so viel Aufschluß gegeben hat.«

»Recht so! Das muß ich sagen, ich hab' in meinem Leben noch keinen Menschen gesehen, der seinen eigenen Namen nicht kannte, oder die Frechheit hatte, das zu behaupten und Glauben zu erwarten; aber es thut nichts, und Ihr habt ganz recht, vorsichtig zu sein, wenn Euch der Strick schon vor den Augen tanzt.«

»O Gott, o Gott!« rief ich aus, mich auf die Bettstelle werfend und mein Gesicht bedeckend: »gieb mir Kraft, auch das zu tragen, wenn es sein muß.«

Der Schließer sah mich eine Weile an. »Ich weiß nicht, was ich aus ihm machen soll – ich werde noch ganz konfus, beim Kuckuck – und doch ist's sein Irrtum nicht.«

»Freilich ist es einer!« rief ich, indem ich mich erhob; »aber ob man den Irrtum nicht zu spät erkennen wird, das ist eine andere Frage. Nun hat es ja doch nichts zu bedeuten. Wofür soll ich leben, wenn ich meinen Vater nicht finde.«

»Euren Vater finden! Wo kommt denn jetzt wieder der Wind her? Ei, ei, das macht mir den Kopf ganz wirbelig. Aber habt Ihr nicht gesagt, ich solle Euch einige Sachen verschaffen?«

»Ja«, erwiderte ich und gab ihm Geld mit dem Auftrag, mir Schreibzeug, parfümierten Siegellack, Zahnbürste, Zahnpulver, Kamm, Haarbürste, Rasiermesser, einen kleinen Spiegel, Eau de Cologne und andere Toilettengegenstände zu kaufen.

»Das ist eine wunderliche Welt«, sagte der Mann und wiederholte die genannten Dinge, während ich ihm zwei Guineen in die Hand legte. »Ich hab' schon manchen Artikel für Gefangene gekauft, aber von solchen Schnurrpfeifereien hab' ich noch nie etwas gehört – na, mir kann alles gleich sein. Ihr sollt die Sachen haben; aber was Ortocolonne ist, weiß ich nicht und will verdammt sein, wenn ich's behalte – wird doch kein Gift nicht sein? denn das ist nicht erlaubt im Gefängnis.«

»Nein, nein«, erwiderte ich mit einem augenblicklichen Schimmer von Heiterkeit. »Ihr könnt ja fragen, und dann werdet Ihr erfahren, daß es weiter nichts als ein Mittel für die Damen ist, wenn sie ihre Vapeurs bekommen.«

»Ich hätt' mir eher eingebildet, Ihr würdet Euer Geld in der Garküche anlegen; das wär' ja tausendmal natürlicher. Aber 's ist alles eins, hat jeder seinen Sparren.« – Mit diesen Worten ging er hinaus und schloß die Thüre zu.

*


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