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Neunundvierzigstes Kapitel

Abermals ein Verhör wegen einer Mutterschaft, welches gleicherweise wie jenes frühere damit endigt, daß die Dame in Ohnmacht fällt.

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Am folgenden Tag stand schon die Neuigkeit in den Zeitungen, daß Sir Henry De Clare einen Selbstmord begangen habe, für welche rasche That, wie die Nachrichten besagten, niemand einen Grund anzugeben wisse. Auch empfing ich noch einen Brief von Kathlin M'Shane, welcher ihre erste Mitteilung bestätigte. Ihre Mutter war auf das Schloß geholt worden, um bei der Ausstellung der Leiche zu helfen. Es konnte also kein Zweifel ferner obwalten. Sobald ich mich wieder ins Freie wagen durfte, eilte ich zu dem betreffenden Amte, um Sir Williams Testament zu lesen. Es war sehr kurz und verfügte, außer einigen Legaten, bloß über sein persönliches Vermögen zu Gunsten seiner Gemahlin; denn nur ein kleiner Teil der Ländereien hing, wie ich nun entdeckte, an dem Titel, und das Übrige ging nicht nur auf die männlichen Erben, sondern auch, falls keine solchen vorhanden sein sollten, nach dem Altersrechte auf die weiblichen über mit der Bedingung, daß, wenn sie heiraten würden, ihr Gemahl den Namen De Clare anzunehmen verpflichtet sei. Nun war das Geheimnis am Tage, nun wußte ich, warum Melchior feines Bruders Kind gestohlen hatte. Zufrieden mit meiner Entdeckung, beschloß ich, auf der Stelle nach England überzusetzen, die verwitwete Lady De Clare aufzusuchen, und die ganze Sache in Herrn Mastertons Hände zu legen. Zum guten Glücke hatte Tim eine genügende Summe bei sich, um die nötigen Auslagen bis nach London zu bezahlen; sonst wäre ich genötigt gewesen, auf Rimessen zu warten, da meine Barschaft noch vor unserer Ankunft in Dublin auf die Neige gegangen war. Wir kamen wohlbehalten an. Ich eilte alsbald nach meinem Hause wo ich Harcourt in großen Sorgen um mich fand. Am andern Morgen ging ich zu meinem alten rechtsgelehrten Freunde, dem ich meine Erlebnisse berichtete.

»Brav gemacht, Newland!« sagte er, als ich geendet hatte: »ich wette zehn gegen eins, daß Sie noch Ihren Vater finden. Aus Ihrem Leben wäre bereits ein ganz artiger Roman zu machen. Wenn Sie Ihre halsbrechenden Abenteuer fortsetzen, so wird's ja ganz anziehend werden.«

Obgleich sehr befriedigt, Flitas Herkunft entdeckt zu haben, und voll Begierde, die fröhliche Nachricht zu überbringen, war ich doch entschlossen, sie nicht zu sehen, bis alles genügend geordnet wäre. Der Aufenthalt der verwitweten Lady De Clare wurde durch Herrn Masterton leicht entdeckt; es war Richmond, und so begaben wir uns zusammen dahin. Wir wurden in das Empfangszimmer geführt, und zu meinem Entzücken erkannte ich bei ihrem Eintritt dieselbe schöne Fran mit den Ohrgehängen von Korallen und Goldperlen, welche so viel Ähnlichkeit mit Flitas Kette hatten. Ich hielt es für besser, die Einleitung des Gesprächs Herrn Masterton zu überlassen.

»Sie sind, Madame, die Witwe des verstorbenen Sir William De Clare?«

Die Dame verbeugte sich.

»Sie werden mich entschuldigen, Madame, aber ich habe sehr dringende Gründe, einige Fragen an Sie zu richten, welche Ihnen außerdem zudringlich erscheinen möchten. Sind Sie unterrichtet von dem Tode Ihres Schwagers, Sir Henry De Clare?«

»Ich habe nichts davon erfahren«, erwiderte sie. »Ich blicke nur selten in eine Zeitung und habe lange mit seinem Menschen in Irland Briefe gewechselt. Darf ich Sie fragen, was seinen Tod herbeigeführt hat?«

»Er fiel durch seine eigene Hand, Madame.«

Lady De Clare bedeckte ihr Gesicht: »Gott vergebe ihm!« sagte sie leise.

»Lady De Clare, wie standen Ihr Gemahl und der verstorbene Sir Henry mit einander? Der Umstand ist von Wichtigkeit.«

»Nicht zum besten, Sir. In der That, sie haben sich in den letzten Jahren weder gesehen noch gesprochen; wir wußten nicht einmal, was aus ihm geworden sei.«

»Waren besondere Ursachen zur Feindseligkeit vorhanden?«

»Viele, Sir, auf seiten des ältern Bruders; aber Sir Henry hatte keine, denn er erfuhr die gütigste Behandlung, bis er« – Lady De Clare stockte – »bis er sich sehr schlecht gegen ihn betrug.«

Wie wir nachher erfuhren, hatte Henry De Clare das kleine Erbe, das ihm sein Vater hinterließ, verschwendet, war jedoch von seinem ältern Bruder freigebig unterstützt worden, bis er den Versuch machte, Lady De Clare zu verführen, worauf ihm für immer das Haus verwiesen wurde.

»Und nun, Madame«, fuhr Herr Masterton fort, »muß ich auf einen schmerzlichen Gegenstand kommen. Sie hatten eine Tochter aus Ihrer Ehe?«

»Ja«, erwiderte die Dame mit einem tiefen Seufzer.

»Wie verloren Sie dieselbe? Glauben Sie ja nicht, daß ich Ihnen ohne besonders gebieterische Gründe diesen Kummer verursachen würde.«

»Sie spielte im Garten. Die Amme glaubte, es sei zu kalt, und lief einen Augenblick hinein, um ein Tuch zu holen, das sie ihr um den Hals binden wollte; aber als sie wieder kam, war das Kind nicht mehr da.« – Lady De Clare drückte ihr Tuch auf die Augen.

»Wo haben Sie das Kind nachher gefunden?«

»Erst nach drei Wochen fand man seinen Leichnam in einem etwa eine Viertelmeile weit entfernten Teiche.«

»Hat denn die Amme das Kind nicht gesucht, als sie entdeckte, daß es nicht mehr im Garten war?«

»O ja, sie eilte augenblicklich nach jener Richtung hin. Es ist unbegreiflich, daß das Kind so weit fortkommen konnte, ohne von der Amme bemerkt zu werden.«

»Wie lange ist das nun her?«

»Es sind jetzt neun Jahre.«

»Und wie alt war das Kind damals?«

»Etwa sechs.«

»Ich denke, Newland, jetzt können Sie sprechen.«

»Lady de Clare«, begann ich, »haben Sie nicht ein paar Ohrgehänge von sehr merkwürdiger Arbeit? es müssen Korallen mit Goldperlen sein.«

»So ist es, Sir«, versetzte sie erstaunt.

»Hatten Sie nicht eine Kette von derselben Arbeit? Wollten Sie wohl die Güte haben, diese hier zu betrachten?« – Ich reichte ihr die Kette.

»Barmherziger Himmel!« rief Lady De Clare, »das ist ja die Kette! Diese Kette trug meine arme Cäcilie, als sie ertrank, und doch wurde der Schmuck nicht mehr bei dem Leichnam gefunden. Wie kam diese Kette in Ihre Hände, Sir? Ich hielt es einen Augenblick für möglich, sie könnte mit ihrem vielen Golde die Zigeuner, welche sich damals eben in der Nähe aufhielten, in Versuchung geführt haben, das Kind zu ertränken. Sir William aber wollte es nicht glauben; ihm schien es wahrscheinlicher, daß das arme Kind im Todeskampfe die Kette zerrissen und vom Halse verloren habe. Ist es die Zurückgabe dieses unglückseligen Geschmeides, was Sie zu mir führt?«

»Nein, Madame, durchaus nicht. Hatten Sie zwei weiße Ponies zu jener Zeit?«

»Ja, Sir.«

»Stand ein Maulbeerbaum im Garten?«

»Ja, Sir!« rief die Dame mit wachsender Bestürzung.

»Wollen Sie mir die Güte erweisen, mir zu beschreiben, wie Ihr Kind zur Zeit, da Sie es verloren, aussah?«

»Sie war – aber alle Mütter sind parteiisch, und vielleicht bin ich's auch – sie war ein sehr schönes, liebliches Kind«.

»Mit lichten Haaren, nicht wahr?«

»Ja, Sir; aber wozu diese Fragen?« rief sie atemlos. »Sicherlich können Sie sie nicht umsonst thun; sagen Sie mir, Sir, was sollen diese Fragen?«

Herr Masterton nahm das Wort. »Wir haben, Madame, einige Hoffnung, daß Sie betrogen worden sind, daß Ihre Tochter vielleicht nicht ertrunken ist.«

Mit stockendem Atem, mit offenem Munde heftete Lady De Clare ihre Augen auf ihn. »Nicht ertrunken!« rief sie aus: »O, mein Gott! mein Kopf!« und dann sank sie ohnmächtig zurück.

»Ich bin zu voreilig gewesen«, sagte Herr Masterton, ihr beispringend; »aber die Freude tötet nicht. Lassen Sie Wasser bringen, Japhet!«

*


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