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Siebenunddreißigstes Kapitel

Ich sehe mich wieder nach der verlorenen Fährte um und erfahre zu meinem Erstaunen, daß ich wegen Fälschung zur Deportation verurteilt worden bin.

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Harcourts Benehmen war eine große Ermutigung für mich und würde mich, hätte ich geschwankt und Herrn Masterton mein Wort zu halten gezaudert, auf dem geraden Wege zu bleiben angetrieben haben. Mit leichtem Herzen und dem angenehmen Gefühle, das aus dem befriedigten Gewissen entspringt, kam ich nach Hause. Am andern Morgen fuhr ich nach ***, und da ich meine Flita geraume Zeit nicht mehr gesehen hatte, so gewährte uns diese Zusammenkunft ein wahres Entzücken. Sie war sehr gewachsen und hatte in jeder Hinsicht zugenommen. Sie näherte sich jetzt ihrem fünfzehnten Jahre, so viel ich urteilen konnte, denn ihr wahres Alter konnte man natürlich nicht wissen. In gleichem Maße war die Entwicklung ihres Innern vorangeschritten. Die Vorsteherin pries ihre Gelehrigkeit und ihren Eifer, und schloß mit der Frage, ob ich sie Musik und Zeichnen lehren zu lassen geneigt sei, da sie entschieden Talent für beide Künste gezeigt habe. Auf der Stelle gab ich meine Einwilligung. Flita hing an meinem Halse und umarmte mich für die Erlaubnis. Sie stand nun an der Schwelle des jungfräulichen Alters; ich fühlte wärmer für sie, als jemals. Diesmal nahm ich ihr die Kette von Goldperlen und Korallen vom Halse mit dem Bedeuten, ich müsse sie an einen sicheren Ort bringen, da viel von diesem Kleinod abhänge. Sie war neugierig, das Nähere zu erfahren, ich ließ mich aber nicht darauf ein. Dann befahl ich ihr noch als Vorsichtsmaßregel für den Fall, daß Melchior oder seine Genossen ihren Aufenthalt erforschten, unter keiner Bedingung die Anstalt zu verlassen, außer wenn ich selbst käme, ja nicht einmal einem Schreiben, das sie abriefe, zu gehorchen, wofern es ihr nicht durch Timothy überliefert würde. Dieselben Weisungen gab ich der Vorsteherin, bezahlte Kostgeld und Auslagen und reifte sodann ab mit dem Versprechen, sie nicht mehr so lange auf mich warten zu lassen. Nach meiner Zurückkunft deponierte ich die Halskette bei Herrn Masterton, der sie sorgfältig in seinen eisernen Schrank verschloß.

Am Freitag brach ich verabredetermaßen mit Harcourt, unter Begleitung von Timothy und meines Freundes Diener, auf. Wir fuhren, wie gewöhnlich jüngere Söhne zu thun pflegen, auf der Imperiale und kamen mittags auf seines Vaters Landsitz in –shire an. Ich wurde von dem alten Herrn Harcourt und seiner Familie, welche aus seiner Gattin und drei liebenswürdigen, schönen Töchtern bestand, freundlich ausgenommen. Am folgenden Tag jedoch, nachdem Harcourt eine Gelegenheit ergriffen haben mochte, ihm seinen Irrtum zu benehmen, war ich entzückt, zu finden, daß der alte Herr mir noch mit weit größerer Wärme entgegenkam. Ich blieb vierzehn Tage dort und war der glücklichste Mensch unter der Sonne. In kurzer Zeit stand ich mit der ganzen Familie aus dem vertrautesten Fuße; ich wurde ganz wie ein Angehöriger behandelt. Und doch ward ich nach und nach immer schwermütiger: wenn ich nachts zu Bett ging, empfand ich, welch' eine Wonne es sein müsse, Eltern, Schwestern, Freunde zu haben, sich in den Schoß einer Familie begeben, Freud' und Leid mit ihr teilen zu können. Oft rannen mir die Thränen über die Wangen herab in mein Kissen, wenn ich kaum eine Stunde vorher der Glücklichste unter den Glücklichen gewesen war. In einem solchen Familienleben ist nichts willkommener, als irgend ein kleines Talent von minder gewöhnlicher Art, und meine Taschenspielerkünste, worin mich Melchior zum Meister gemacht hatte, wurden hier als eine Quelle harmlosen Ergötzens hervorgezogen. Beim Abschied luden mich die Eltern herzlich und ein- für allemal ein. Die Augen der anmutigen Mädchen waren so wenig trocken als die meinigen, als wir einander Lebewohl sagten.

»Harcourt«, war mein erstes Wort auf dem Rückwege, »Du hast es Deinem Vater gesagt, nicht?«

»Ja, und den andern auch, Japhet, und Du wirst gefunden haben, daß Du nicht in ihrer Achtung gesunken bist. Mein Vater freut sich unserer Bekanntschaft und rät mir, sie fortzusetzen. Um Dir zu beweisen, daß ich mir dies angelegen sein lasse, will ich Dir einen Vorschlag machen: Ich kenne Dein Haus so gut, wie Du selbst, und weiß, daß Du Dir nur den ersten Stock vorbehalten hast; aber dort sind noch zwei gute Zimmer, und ein Ankleidezimmer kannst Du erübrigen. Was denkst Du, wenn wir zusammen hausen würden? Es wäre für uns beide eine Reduktion, wie der arme Carbonnell sagte, als er Dich zu sich nahm.«

»Von ganzem Herzen! Der Vorschlag entzückt mich.«

Harcourt erklärte hierauf, was er für seinen Anteil an der Wohnung bezahlen wolle; die übrigen Ausgaben sollten gleich verteilt und sein Diener entlassen werden. Ich brauche kaum zu sagen, daß wir bald im Reinen waren; eine Woche nach unserer Ankunft in London wohnten wir schon beistimmen.

Meine Besuche bei Herrn Masterton und die nachfolgenden Ereignisse hatten mich ganz vergessen machen, daß ich die Direktoren des Findelhauses besuchen wollte, um zu erfahren, ob eine Nachfrage nach mir ergangen sei. Nun begab ich mich alsbald dahin; man sagte mir, daß am nächsten Tag eine Sitzung sein werde, und ich ergriff diese Gelegenheit, um mich vorzustellen.

»Sie wünschen die Direktoren der Anstalt zu sprechen?« sagte der erste Vorsteher, der in der Sitzung präsidierte.

»Ja, Sir«, erwiderte ich, »ich komme, um mich zu erkundigen, ob eine Nachfrage nach einem ehemaligen Pflegling dieses Hospitals, Namens Japhet Newland, ergangen ist?«

»Japhet Newland?«

»Wenn Sie sich erinnern, Sir, – er wurde einem Apotheker Namens Kophagus übergeben, wozu eine Summe diente, die er als Kind bei seiner Aussetzung mitbekommen hatte. Der Brief, welchem die Banknote beigeschlossen war, besagte zugleich, er werde, wenn die Umstände es erlaubten, reklamiert werden.«

»Ich erinnere mich vollkommen, auch glaube ich von einer Nachfrage gehört zu haben. Ist nicht eine ergangen, Mr. G...?«

»Ich glaube so, vor anderthalb Jahren. Wir wollen nach dem Secretär senden, und das Tagebuch nachschlagen lassen.«

Mein Herz klopfte heftig bei dieser Antwort; der Schweiß trat mir auf die Stirn. Zuletzt wurde meine Bewegung so groß, daß sie mich übermannte. »Ihnen ist nicht wohl, Sir«, sagte einer der Herren, »ein Glas Wasser, geschwind!«

Der Diener brachte mir ein Glas; ich trank und erholte mich.

»Es scheint, Sie nehmen großen Anteil an dem Schicksale dieses jungen Mannes.«

»Allerdings, Sir«, erwiderte ich, »es kann niemandem mehr am Herzen liegen.«

Der Sekretär trat mit seinem Verzeichnis ein, schlug es auf und las: den 16. August – – kam ein Herr, um nach einem hier ausgesetzten Kinde Namens Japhet zu fragen, welches mit einigem Gelbe ausgestattet worden sei, – Japhet, so getauft auf Befehl der Direktoren, Japhet Newland, – wurde in die Apotheke des Mr. Kophagus, Smithfield-Markt, gewiesen. Er kam am nächsten Tag wieder, mit der Nachricht, Mr. Kophagus habe das Geschäft aufgegeben, die Leute im Laden wüßten nichts Bestimmtes, glaubten aber, daß besagtet Japhet Newland vor etwa einem Jahre wegen Fälschung auf Lebenszeit deportiert worden sei.«

»Guter Gott, welch' eine schmähliche Verleumdung!« rief ich mit zusammengeschlagenen Händen aus.

»Bei weiterer Nachforschung im Kalender des Sheriffs fanden wir, daß ein gewisser J. Newland allerdings wegen eines solchen Verbrechens deportiert worden ist. Nun fragt es sich –?«

»Das muß ein anderer gewesen sein! diese Verleumdung ist eine rachsüchtige Bosheit der beiden schurkischen Gehilfen bei Pleggit!« rief ich.

»Wie können Sie das wissen, Sir?« sagte einer der Direktoren mit sanfter Stimme.

»Wie ich's wissen kann, Sir?« versetzte ich, von meinem Sessel aufspringend: »weil ich selbst Japhet Newland bin.«

»Sie, Sir?« erwiderte der Vorsteher mit einem Blick auf meine fashionable Kleidung, meine Kette und meine Juwelen.

»Ja, Sir, ich bin dieser Japhet Newland, der in Ihrer Freistätte erzogen und als Lehrling bei Mr. Kophagus untergebracht worden ist.«

»Dann, Sir«, erwiderte der Vorsitzende, »sind Sie wahrscheinlich zugleich jener Mr. Newland, von welchem in allen vornehmen Gesellschaften gesprochen wird.«

»Ich glaube der zu sein, den Sie meinen, Sir.«

»Ich wünsche Ihnen Glück, Sir, zu Ihren Erfolgen in der Welt. Man sollte nicht glauben, daß Ihnen sehr viel daran gelegen sein müsse, Ihre Eltern zu entdecken.«

»Sir«, entgegnete ich, »Sie haben nie gefühlt, was es heißt, weder Eltern noch Verwandte zu haben. So glücklich Sie mich glauben, – und ich gestehe, daß ich allen Grund habe, für mein unerwartetes Emporsteigen in der Welt dankbar zu sein, so wäre ich doch in diesem Augenblicke bereit, all' das Meinige aufzugeben, meine Findlingskleidung wieder anzuziehen und ein Bettler zu werden, wenn ich nur die Urheber meines Daseins entdecken könnte.« – Ich verbeugte mich tief vor den Vorstehern und verließ das Zimmer.

*


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