Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sein Artikel

André Vallon, 30 Jahre alt, schön? – o nein, aber sympathisch und gewinnend. Er ist Schriftsteller und hat trotz seiner Jugend schon einen Namen. Seine Sachen sind raffiniert modern, es liegt beinahe etwas krankhaftes darin.

Georgette Vallon, 25 Jahre, die Tochter des berühmten Dichters Leopold Bronze, der durch sein tragisches Ende bekannt ist. Sie hat dasselbe feingeschnittene Profil wie ihr Vater, mit den großen träumerischen Augen und dem schöngeformten, kindlichen Mund.

Scene: der Garten einer kleinen Villa in Rueil, die gerade am Haltepunkt der Dampftrambahn liegt. Es ist im Sommer. Auf den stürmischen Tag ist ein milder Abend gefolgt. Man hat eben die Blumen begossen, die jetzt die Luft mit ihren tausendfachen Wohlgerüchen erfüllen.

Unter einem Baum steht ein Kinderwagen, in dem ein Baby schläft. Ein kleines Mädchen von vier bis fünf Jahren spielt auf dem Boden mit einer großen Puppe und daneben sitzt eine Kinderfrau mit weißer Mütze und näht.

Georgette geht ihrem Mann entgegen, der gerade aus der Trambahn steigt:

»Nun?«

André:

»Alles in Ordnung.«

Georgette:

»Fest abgemacht?«

André:

»Ja, ich habe eben den Vertrag auf ein Jahr unterzeichnet – vier Artikel im Monat – gerade das, was ich wollte. Bist du zufrieden?«

Georgette:

»O ja, sehr.«

(Er tritt in den Garten und macht die Thür hinter sich zu, dann legt er den Arm um die Taille seiner Frau und giebt ihr einen Kuß.)

André:

»Was macht Baby?« (Er will auf das Kind zugehen.)

Georgette:

»O weck ihn nicht auf, André. Marie und ich haben so viel Mühe gehabt, bis er eingeschlafen ist. Der Sturm hatte ihn nervös gemacht und er wollte absolut nicht schlafen. Aber er hat tüchtig getrunken und ist ganz munter.«

André (blickt seine kleine Tochter an, die so vertieft in ihr Spiel ist, daß sie ihn gar nicht bemerkt):

»Und Suzon?«

Georgette:

»Sie spielt Mama. Du siehst, sie ist ganz artig. – Willst du hier draußen bleiben oder hineingehen?«

André:

»O, ich bleibe lieber noch etwas hier.« (Er setzt sich auf eine Bank und seine Frau nimmt neben ihm Platz. Dann nimmt sie eine Stickerei aus dem Nähkorb, der neben ihr auf einem Tisch steht. André betrachtet schweigend ihr ruhiges Gesicht, während er sich mit dem Hut Kühlung zufächelt.)

André:

»Gott, ist es heiß! In der Trambahn war es beinah zum umfallen.«

Georgette:

»Willst du etwas trinken?« (Sie macht Miene aufzustehen.)

André:

»O nein, bemüh dich nicht. Nachher! (Pause.) Sag doch, Schatz –

Georgette:

»Was denn?«

André:

»Du bist wirklich merkwürdig. Freust du dich denn gar nicht, daß ich Mitarbeiter an der ›Feuille‹ geworden bin, am ersten Blatt von Paris?«

Georgette:

»Aber ich bin ganz selig darüber, André.«

André:

»Selig? Nun, das sieht man dir aber nicht an.– Du fragst nicht einmal nach den näheren Umständen?«

Georgette:

»Aber ich weiß doch, daß du das viele Fragen nicht leiden kannst.«

André:

»Überflüssige Fragen, nein. Aber heute ist es doch was anderes. 1200 Franks mehr oder weniger im Monat, das ist doch keine Kleinigkeit!«

Georgette:

»Also, du bekommst für den Artikel?«

André:

»300 Franks, gerade so viel, wie ich verlangt habe.«

Georgette:

»Und wirst natürlich ins Hauptblatt kommen?«

André:

»Nun freilich.«

Georgette:

»Und an einem bestimmten Tage?«

André:

»Ja, am Sonntag. Alle Sonntage wird ein Artikel von mir erscheinen. – Das ist der günstigste Tag, den es giebt. All die Leute, die während der Woche keine Zeit zum Zeitungslesen haben, holen es am Sonntag nach. Da wird man viel schneller bekannt.«

Georgette:

»War der Chefredakteur liebenswürdig?«

André:

»Und wie! Unglaublich liebenswürdig sogar. Er hat sich noch daran erinnert, daß wir zu gleicher Zeit Mitarbeiter des ›Semaine agricole‹ waren.«

Georgette:

»Nun ja, seit der Zeit habt ihr beide euren Weg gemacht. Du besonders. – Hoffentlich hat er dir etwas über dein Talent gesagt?«

André (belustigt):

»O, er hat mir gesagt, ich sei ein Genie und dann hat er mich ›junger Meister‹ genannt.« (Er erhebt die Hand und sagt pathetisch:)

»Ein Ge – nie! – Nun, Schatz, für das Genie muß ich aber doch eine Belohnung haben. Komm, gieb deinem genialen Mann einen schönen Kuß.«

Georgette (beugt sich über ihn und küßt ihn zärtlich, fast mütterlich auf die Stirn:)

»Du eitler Mann. – Nun, und wann wirst du denn anfangen, für die ›Feuille‹ zu arbeiten? Diese Woche schon?«

André:

»O nein. Erst nächsten Monat. Es muß doch erst etwas Reklame gemacht werden, verstehst du: ›Wir sind erfreulicherweise in der Lage, unsern Lesern mitzuteilen, daß wir den geistvollen Schriftsteller André Vallon als Mitarbeiter für unser Blatt gewonnen haben. Derselbe etc. Außerdem bin ich mit meinem Stück für die Folies-Tragiques noch nicht fertig. – Apropos, hast du nicht vielleicht eine Photographie gefunden?«

Georgette (zitternd):

»Eine Photographie?«

André:

»Nun ja.«

Georgette (mit veränderter Stimme):

»Das Bild einer nackten Frau?«

André (verbessert sie):

»Im Tricot.«

Georgette:

»Ja, das hab' ich gefunden – wie ich deinen Paletot ausschüttelte –«

André:

»Wie ein Pflaumenbaum, von dem man die Früchte herunterschüttelt – wann denn?«

Georgette:

»Letzten Montag.«

André:

»Warum hast du es mir denn nicht gleich wiedergegeben?«

Georgette:

»Weil –«

André:

»Ich hab' es schon überall gesucht. – Und wenn ich jetzt nicht selbst davon angefangen hätte –«

Georgette:

»O, du magst ganz ruhig sein. Es wäre nicht verloren gegangen. Ich hatte die Absicht, es dir heute wiederzugeben. – Siehst du (sie wühlt in ihrem Nähkorb und giebt ihm dann ein Couvert), da ist es.«

André (nimmt das Couvert an sich, ohne die Photographie anzusehen):

»Danke schön. (Pause.) Du glaubst am Ende gar –«

Georgette (kurz):

»Ja!«

André:

»Aber du irrst dich. Die Sache ist nicht so wie du glaubst. Laß mich dir erklären –«

Georgette (sanft):

»Nein, erkläre mir nichts. Bitte, sag mir nichts, es ist mir lieber so –«

André:

»Ich will es dir aber erklären. (Er nimmt die Photographie aus dem Couvert.) Es ist eine amerikanische Schauspielerin, die in meinem Stück in den Folies Tragiques auftreten will. Sie hat mir deswegen geschrieben und ihr Bild geschickt. Ich will dir den Brief zeigen, damit du dich überzeugst –« (Er will seine Brieftasche herausnehmen, aber Georgette verhindert ihn daran:)

»Wozu? ich würde dir ja doch schließlich alles verzeihen – das weißt du ja. Laß uns lieber nicht mehr davon sprechen,«

André (trocken):

»Wie du willst. Es wundert mich nur, daß du zwei Tage lang herumgehst und kein Wort von dem Bilde erwähnst. Weißt du, mein Schatz, es ist gerade kein angenehmes Gefühl für mich, daß du dich so verstellst.« Georgette (sehr sanft):

»Erstens, mein lieber André, habe ich das Bild nicht zwei, sondern fünf Tage lang behalten, ohne dir etwas davon zu sagen. Montag abend hast du es verloren und heute ist schon Freitag. Ich habe also fünf Tage lang geschwiegen. Ja, ich habe es fertig gebracht, so lange zu schweigen – soll ich dir sagen, warum?«

André (etwas spöttisch):

»Ja, bitte.«

Georgette:

»Ich habe geschwiegen, weil du arbeitetest. Du solltest Donnerstag deinen Artikel für die ›Revue mauve‹ abliefern und ich fürchtete, es möchte eine Scene geben, wenn ich dich um eine Erklärung gebeten hätte. Ich weiß ja, wie nervös du bist, wie alles dich gleich erregt. – Du wärest nicht mehr imstande gewesen, weiter zu arbeiten. Denke nur daran, in was für einem Zustand du am Dienstag warst, du hast nicht einmal zu Mittag gegessen und den ganzen Abend warst du so traurig, so verzweifelt, weil du glaubtest, daß dein Artikel mißlungen sei. Weißt du noch, wir saßen bis zwei Uhr morgens ohne Lampe im Salon und du sagtest mir immer wieder: ›Siehst du, es ist nichts mehr mit mir, ich kann nichts mehr schreiben‹. Ich hielt dich in meinen Armen und fühlte, wie dein armes Herz schlug. Glaubst du, ich hätte den Mut gehabt, dich in diesem Moment mit einer Eifersuchtsscene zu quälen, wo du schon so müde und verzweifelt warst? Nein, das konnte ich nicht. Am nächsten Morgen hast du dich dann wieder an deinen Artikel gesetzt und diesmal ging es. O und du warst so zufrieden! Sollte ich dir diesen Moment, wo du nach all der Qual, nach all der Anstrengung endlich aufatmetest, die mühsam errungene Freude wieder verderben? Das hab' ich nicht gewollt, André!«

André:

»Und Donnerstag?«

Georgette:

»Donnerstag warst du den ganzen Tag in Paris. – Am Morgen dachte ich wohl daran, mit dir zu sprechen, aber ich konnte es wieder nicht über mich gewinnen, ich sah ja, mit welcher Sorge du an den Ausgang deiner Verhandlungen mit dem Chefredakteur dachtest, wie du dich davor fürchtetest, daß es sich wieder zerschlagen könnte.«

André (bitter):

»Wenn du mich wirklich lieb hättest –«

Georgette:

»Wenn ich dich lieb hätte, (mit Wärme) André, ich hab' dich ja so lieb – was verlangst du denn von mir? – Daß ich dir Scenen machen soll?«

André (ebenso):

»Also nur, um mich nicht in meiner Arbeit zu stören?«

Georgette:

»Ja, um dich nicht in deiner Arbeit zu stören. Deiner Arbeit verdanke ich es ja, daß meine Kinder die herrliche Luft hier draußen atmen dürfen. – Und dann hab' ich auch daran gedacht, was ein anderer großer Dichter – was mein armer Vater hat leiden müssen – meine Mama hatte keinen Respekt vor seiner Arbeit – wie hat sie ihn gequält mit ihren Vorwürfen, ihren ewigen Spöttereien. Du weißt ja auch, wie es geendigt hat. Mein armer Vater hat sich selbst das Leben genommen.«

(Bleich vor Erregung steht sie jetzt auf und ruft ihre kleine Tochter. Suzon kommt eilig angelaufen und fliegt ihrem Papa um den Hals.)

André:

»Grüß Gott, Suzon.«

Suzon:

»Grüß Gott, Papachen. (Dann zeigt sie auf die Photographie:) Was ist das, Papa?«

André (nimmt das Kind auf den Schoß, dann zerreißt er die Photographie in tausend Stücke):

»Nichts, mein Liebling!«


 << zurück weiter >>