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Hinter den Coulissen

(An einem Winterabend um halb neun, im obersten Stockwerk der »Gaîtés Champetres«.

Ein kleines Zimmer am äußersten Ende eines langen Korridors. Es ist die Garderobe der fünf Tänzerinnen, deren Namen mit Kreide an der Thür angeschrieben sind:

Paèle
Rémy
Achart
Folain
Bernale

Paèle und Rémy treten ohne besondere Eile ein. Sie haben noch Zeit genug. Beide sind dunkel gekleidet, mit großen, extravaganten Hüten. Ein müder Zug liegt auf den jungen Gesichtern. Sie lassen sich, jede vor ihrem Schminktisch, nieder, auf dem noch die fettigen, mit roten und schwarzen Farbflecken bedeckten Servietten liegen.)

Paèle (reckt sich und gähnt):

»Ah – Aaaaaaah –«

Rémy (macht ihr nach):

»Ahaaaaaah. – Du steckst mich an mit deiner Gähnerei.«

Paèle:

»Herrgott, bin ich müde. (Sie gähnt wieder.) Ich gäbe, Gott weiß was darum, wenn ich einen Augenblick schlafen könnte.«

Rémy:

»Nun, so thu' es doch, dich hindert ja kein Mensch daran. Es ist noch Zeit genug.«

Paèle:

»Ach nein, vom schlafen wird mir erst recht schlecht. Ich hab' schon solche Magenschmerzen.«

Rémy:

»Magenschmerzen?«

Paèle:

»Ja, so arg, daß ich mir Mühe geben muß, nicht laut aufzuschreien.«

Rémy:

»Mir geht es ebenso mit den Füßen. Ich. glaube, sie würden einfach brüllen, wenn sie könnten.«

Paèle:

»So thu doch ›Eau Sédatives‹ darauf.«

Rémy:

»Ach, das hilft mir schon längst nicht mehr. Aber man hat mir gesagt, Tomaten wären gut für Fußschmerzen.«

Paèle:

»Frische?«

Rémy:

»Natürlich frische. Bei den eingemachten weiß man nie, was drin ist. Nein, danke schön, da hätt' ich zu viel Angst. Aber frische Tomaten, als Pflaster unter den großen Zeh gelegt, sollen Wunder thun.«

Paèle:

»Hast du es denn schon versucht?«

Rémy:

»Nein, ich bekomme sie erst. Ich habe Bernale gebeten, mir welche zu besorgen. Sie bringt sie heute Abend mit.«

Paèle (während sie ihre Bluse auszieht):

»Wenn sie nur welche bekommt. Um diese Jahreszeit ist es gar nicht so leicht, Tomaten sind doch eigentlich eine Sommerfrucht.«

Rémy:

»O, sie findet gewiß welche. Ich bin überzeugt, daß sie ganz Paris danach abläuft.«

Paèle:

»Ja, das ist gewiß, Bernale ist sehr gefällig.«

Rémy (während sie ihr Korsett ablegt):

»Und so gut. Es ist unglaublich, wie jemand so gut sein kann, ohne einen damit zu langweilen. Sie ist die Beste vom ganzen Theater – auch in Bezug auf die Moral.«

Paèle:

»Offen gesagt, anfangs hab' ich nicht recht an ihre Tugend geglaubt.« ( Sie fängt an, sich zu schminken.)

Rémy:

»Ich auch nicht. Sie hat zu schöne Beine und ihr Busen ist so chic. Ich hab' mir oft gesagt, es ist unmöglich, daß sie mit alle dem nur ihren Mann beglückt.«

Paèle:

»Und noch dazu ist er gar nicht so anziehend, dieser magere kleine Gustav. Er sieht so gerupft aus.«

Rémy:

»Und so schmächtig. Er ist der schwächste von all unsern Maschinisten.«

Paèle:

»Und sie hat doch so viel Geschmack und ist so hübsch.«

Rémy:

»Nun freilich – – da kommt Achart.«

( Achart ist ein hübsches Mädchen mit kecker Stumpfnase. Sie trägt einen ungeheuren Rembrandthut und ein viel zu elegantes Cape von dunkelrotem Samt.)

Achart:

»– Abend, meine Damen.«

Paèle und Rémy:

»– Abend, Achart.«

Rémy (die gerade dabei ist, sich die Nasenlöcher zu schminken):

»Donnerwetter, du hast ja ein neues Cape an.«

Achart:

»Wie du siehst. Chic, nicht wahr?«

Paèle:

»Es ist viel zu groß für dich. Es schneidet dich so in der Mitte durch. Bei kleinen Figuren sehen solche lange Dinger nicht gut aus.«

Achart (gekränkt und spöttisch):

»Findest du wirklich? Sag doch lieber gleich, daß es zu grün ist.«

Paèle (naiv):

»Grün? aber es ist doch rot. Ich kann es übrigens nicht leiden, wenn man in Rot auf der Straße geht. Es ist so ordinär und cocottenhaft. Ich geh' niemals in Rot aus.«

Achart:

»Du setzt dich halt lieber in Rot ans Fenster. Das ist jedenfalls bequemer.«

Paèle (drohend):

»Was sagst du da? sag das nicht noch einmal.«

Rémy (vermittelnd):

»Na, fangt nur nicht gleich mit eurem Krakehl an. Ihr habt noch den ganzen Abend Zeit, euch die Augen auszukratzen.«

(In diesem Augenblick erscheint Folain. Sie sieht aus wie eine Zeichnung von Gerbault in der »Vie parisienne, schlank und dabei doch voll, mit einem reizenden runden Gesichtchen.)

Folain:

»– Abend, meine Damen.«

Alle:

»– Abend, Folain.«

Folain:

»Ihr seid schon geschminkt? Ist es schon so spät?«

Rémy:

»Fünf Minuten vor neun.«

Folain:

»Hat es schon zum erstenmal geklingelt?«

Paèle:

»O schon lange.«

Folain (wirft ihren Mantel auf einen Stuhl):

»Herrgott, da muß ich eilen.« (Sie kleidet sich hastig aus.)

Rémy:

»Sag doch, Folain, hast du Bernale nicht getroffen?«

Folain:

»Ja, sie ist drunten bei der Portiersfrau und giebt ihrer Kleinen die Brust. Wenn das Kind schläft, kommt sie gleich herauf.«

Rémy:

»Hat sie dir nicht gesagt, ob sie Tomaten für mich bekommen hat?«

Folain:

»Nein, gar nichts. – Übrigens, da wir gerade bei Bernale sind, habt ihr die große Neuigkeit schon gehört?«

Alle:

»Nein, was denn?«

Folain:

»Da muß ich es euch doch schnell erzählen, eh sie kommt. Denkt euch, es hat sich jemand in sie verschossen.«

Paèle:

»O, das wär nicht der Erste.«

Achart:

»So schweig doch – immer muß sie unterbrechen.«

Rémy:

»Bitte, von wem sprichst du?«

Paèle (zu Rémy und Achart):

»So laßt Folain doch erzählen. Ihr könnt euch ja nachher immer noch die Augen auskratzen.«

Folain (das ganze Gesicht voll Cold-Cream, erzählt rasch weiter):

»Also – ganz gewiß ist es nicht der Erste, der sich in Bernale verknallt, aber so was Nobles findet man nicht alle Tage auf der Straße. Denkt euch nur, ein Prinz, ein wirklicher Prinz, und Geld hat er auch und jung und hübsch ist er.«

Rémy:

»Du kennst ihn?«

Folain:

»Warte nur – also, er sieht Bernale im Ballett –«

Rémy:

»In welchem?«

Folain:

»Bacchis – weißt du noch, sie war als weiblicher Faun und sah entzückend aus mit den Ziegenfellhöschen und dem rosa Tricot, mit ihren bloßen Armen und den kleinen Füßchen. – Kurz, der Prinz ist ganz weg. Er kann nicht mehr schlafen, er ist ganz krank. Es läßt ihm keine Ruhe mehr, er muß sie absolut haben.«

Paèle:

»Der arme Kerl.«

Folain:

»Er schreibt ihr, schickt ihr die riesigsten Bouquets, kurz, der ganze Klimbim. Aber sie reagiert auf nichts. Das ärgert ihn, er ist es nicht gewöhnt, abgewiesen zu werden, denkt euch doch, ein Prinz! Der kann sich so was doch nicht gefallen lassen. Er zieht also Erkundigungen ein, und als er erfährt, daß seine Flamme die Frau eines Maschinisten ist, die zwischen den Proben und Vorstellungen kocht, wäscht und ihr Baby stillt, ist er ganz wütend darüber, daß sie nicht mit ihm anbändeln will. Und nun denkt euch, was er thut.«

Rémy:

»Geschwind, Bernale wird gleich kommen.«

Folain:

»Also, er läßt sich Lina de Mézidon vorstellen, ihr wißt doch, diese chice Cocotte, die in den nächsten Tagen bei uns als Prima Tourta debütieren soll. Unter dem Vorwand, mit Mézidon zu plaudern, wird er also hinter die Coulissen kommen, aber in Wirklichkeit nur, um Bernale die Cour zu machen. – Versteht ihr – das wird fidel werden.«

Achart:

»Und wer weiß, ob nicht für uns andern auch etwas dabei herausspringt – zum Beispiel für dich, Folain.«

Folain (harmlos):

»Für mich oder irgend eine von den andern. Das ist Glückssache. Das große Los kann jeder gewinnen.«

Paèle:

»Ja, aber einstweilen hat Bernale die meiste Aussicht.«

Rémy:

»Nun, ihr wißt doch, daß sie sich auf so etwas nicht einläßt. – Aha, da kommt sie.«

(Bernale kommt wie ein Wirbelwind hereingestürzt. Sie ist wirklich ein auffallend schönes Geschöpf mit ihrem rosigen, blühenden Gesicht und dem vollen blonden Haar.

Bernale:

»– Abend, meine Damen.«

Alle:

»–Abend, Bernale,«

Rémy:

»Du kommst noch gerade zur rechten Zeit, hast du meine Tomaten?«

Bernale (giebt ihr ein Paket):

»Da sind sie.«

Rémy:

»O, das ist lieb von dir. Sind sie auch recht weich?«

Bernale:

»Ich hab' die besten genommen, die ich finden konnte. Aber teuer sind sie. Sechs Sous das Stück. Ich war ganz entsetzt und hab' so lange gehandelt, bis die Gemüsefrau sie mir etwas billiger gelassen hat – sechs Stück für 35 Sous. Da ist die Rechnung.« (Sie hält Rémy ein zerknittertes Stück Papier hin.) »Höre mal, das ist ein teures Pflaster. Ich weiß schon, wenn man Schmerzen hat, denkt man nicht daran, was die Mittel kosten – aber immerhin 35 Sous!«

(Damit fängt sie rasch an, sich zu entkleiden. Als sie die Taille auszieht, kommt ein grauleinenes Korsett, wie die Ammen es tragen, zum Vorschein. Das Hemd ist von grobem Stoff, aber blendend weiß. Dann läßt sie den schwarzwollenen Unterrock fallen. Die andern sehen ihr nachdenklich und aufmerksam zu.)

Rémy:

»Wie geht es denn der Kleinen?«

Bernale:

»O, sie schläft. Sie war so artig heute! Denk dir, sie hat den ganzen Tag nur viermal zu trinken verlangt. Da bin ich ganz schön mit meiner Wäsche fertig geworden.


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