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Toilette

Rue Germain-Pilon, um sechs Uhr abends, mitten im Winter. Draußen schneit es.

Scene: ein ehemaliges Atelier, das zugleich als Schlafzimmer, als Salon, als Küche und als Eßzimmer zu dienen scheint. Die Einrichtung besteht nur aus einem Schlafsofa, einem Spiegelschrank, einem Klavier, einem großen unpolierten Holztisch und einem Büffet à la Henri III. An der Wand hängen verschiedene Kasserollen, die durch einen großen Vorhang nur halb verdeckt werden.

Lucien Dargais. Ein großer, schöner, blonder Mann von etwa 28 Jahren, mit stolz geschwungener Nase, klaren, blauen Kinderaugen und rötlichem Bart. Er sitzt in Hemdsärmeln vor dem Kamin, den ganzen Kopf voll Papilloten.

Céline Dargais, 25 Jahre alt. Sie sieht fast aus wie eine große Puppe mit ihrem runden, rosigen, lachenden Gesicht, das von lichtblondem Haar umrahmt ist.

Céline kniet vor dem Kamin und macht die Brennschere heiß.

Lucien:

»Thu sie jetzt heraus, Linon, sie muß allmählich schon rotglühend sein.«

Céline (zieht die Brennschere heraus):

»Nein, es ist gerade recht so. Nun wollen wir mal sehen, ob es geht.«

(Sie nähert sich ihm mit der Schere. Lucien weicht zurück:)

»Gieb acht, du wirst mir die ganzen Haare verbrennen.«

Céline:

»Aber keine Spur, du Dummer, sie ist schon ganz kalt. Laß mich nur machen.« (Sie versucht die erste Papillote mit der Schere zu fassen.)

Lucien:

»Geht es?«

Céline:

»Es wird schon gehen.«

Lucien:

»Höre mal, wenn es nicht geht, reiße ich die ganze Geschichte herunter.«

Céline:

»So, das möchte ich denn doch sehen, nachdem ich mir solche Mühe mit deinen Locken gegeben habe. Das wäre denn doch zu arg. Rühr dich nicht, sonst kriegst du eine Ohrfeige.« (Sie giebt ihm lachend einen kleinen Schlag auf die Backe.)

Lucien (ebenfalls lachend):

»O du Feigling.« (Er will sie küssen.)

Céline:

»Komm – halt still.«

Lucien:

»Wird es denn auch lange genug halten?«

Céline:

»Nun freilich, den ganzen Abend.«

Lucien:

»Aber ich werde mich lächerlich machen mit meinen Locken. Ich sehe aus wie eine große Puppe – wie ein Jesuskind.«

Céline (zuckt die Achseln):

»Hast du schon mal ein Jesuskind mit rotem Bart und einem Zwicker gesehen? – Red' doch nicht so dumm! Soll ich dir sagen, wie du aussehen wirst? Wie ein schöner Mann mit natürlich gewelltem Haar. Ich kämme und bürste dich so lange, bis es tadellos sitzt, bis nur noch ein Anflug von Locken da ist. (Schmeichelnd.) O du wirst entzückend aussehen, mein Schatz.«

Lucien:

»Meine süße kleine Linon.«

(Er will sie umarmen, sie entwindet sich ihm und läuft wieder an den Kamin, um die Brennschere zu wärmen.)

Lucien (nimmt eine Karte vom Tisch und liest laut vor):

»Herzog und Herzogin von Abbeville geben sich die Ehre, Monsieur und Madame Lucien Dargais zum Diner, Mittwoch, den 19. Januar um halb acht, einzuladen. (Pause.) Du, Linon –«

Céline:

»Was denn?«

Lucien:

»Es ist zu schade, daß du nicht mitgehst.«

Céline:

»Aber warum denn? Es macht doch nichts.«

Lucien:

»Hättest du wirklich nicht dein blauseidenes Kleid wieder herrichten können?«

Céline:

»Nein, beim besten Willen nicht. Ich hab' mir vor zwei Monaten einen wattierten Unterrock daraus gemacht.«

Lucien:

»Einen Unterrock? Aber du trägst ihn ja nie?«

Céline:

»Er ist mir zu warm, und da wir keine Bettdecke haben –«

Lucien:

»Armes Kindchen. Das kommt davon, wenn man einen armen Dichter heiratet. Du hattest nur das eine seidene Kleid und jetzt brauchen wir es als Bettdecke. Mein Gott, wann wird das endlich mal ein Ende nehmen.« (Er schüttelt traurig den Kopf.)

Céline (lebhaft):

»Jetzt hätte ich dir fast das Ohr verbrannt. Wirst du wohl endlich still halten? – Wann es ein Ende nimmt? Wer weiß – vielleicht schon heute abend. Und dann – hab' ich mich denn jemals beklagt? – Sehe ich aus wie eine unglückliche Frau? Schau deine Linon doch nur an. Sieht sie wirklich so melancholisch aus?«

(Sie zeigt ihm lachend ihren kleinen roten Mund mit den blitzenden Zähnen.)

Lucien (seinen Gedankengang weiter verfolgend):

»Wenn du nur ein Kleid gehabt hättest, dann wärst du heute mitgegangen. Es ist zu schade – wo wir zum erstenmal zu einem großen Diner eingeladen sind.«

Céline:

»Soll ich ganz aufrichtig sein? – Weißt du, eigentlich bleibe ich viel lieber zu Haus. Ich hätte zu viel Angst gehabt, dich deine Gedichte vordeklamieren zu hören.«

Lucien:

»Glaubst du denn, daß man mich dazu auffordern wird?«

Céline:

»Aber deshalb hat man dich doch eingeladen, Schatz. Der Herzog hat natürlich von dir gehört – von deinem Talent –«

Lucien:

»François Coppée hat ihm gesagt, er solle uns einladen.«

Céline:

»Nun, das ist ja möglich. Aber du kannst dir denken, daß es ihm Freude macht, mit einem jungen, vielversprechenden Dichter zu glänzen. Das ist nun einmal so bei diesen Leuten. – Etwas von deinem Ruhm fällt ja doch auf sie zurück, wenn sie dich lanciert haben. – Aber was wirst du ihnen denn deklamieren?«

Lucien:

»Was meinst du?«

Céline:

»Etwas, was Eindruck macht.«

Lucien:

»Vielleicht meinen tragischen Noel du Hère(Er deklamiert mit düsterem Pathos.)

»Le cadavre était nue sur la table de marbre.
Les pieds rigides –«

Céline:

»O aber Schatz, denk doch bei einem Diner! Das würde den Leuten den Appetit verderben – solche Geschichten mit Leichen und bloßen Füßen. Fällt dir denn gar nichts anderes ein?«

Lucien:

»Nun, dann die ›Vision du Mage‹:

›Anneau de Salomon. Parlez ô Clavicules.
Pantarles, érigez les Cieux‹ –«

Céline:

»Ja, weißt du, das ist ganz großartig, aber ich glaube, es ist zu sonderbar – sie werden es gewiß nicht verstehen.«

Lucien (ärgerlich):

»Nicht verstehen? Glaubst du denn, daß es eine Gesellschaft von Dummköpfen ist? Weißt du, wer alles da sein wird? Jules Lemaître, Ludovic Halévy, Sully Prudhomme, Jules Claretie –«

Céline:

»Der Direktor der Comédie française?

Lucien:

»Nun freilich.«

Céline:

»So? Aber Lulu, dann mußt du doch natürlich die Fragmente von deinem Drama L'Immortalité cérébrale nehmen.« (Sie fängt an zu deklamieren.)

»Sesostris n'est pas mort.
Sa Mémoire vive Dans les Cerveaux – –«

»Und dann im zweiten Akt, weißt du, wo es so anfängt: ›Le mauvais riche avec ses bagues. ‹ Und wo es dann am Schluß heißt: › Voleur gavé, vomis ton or‹ – –

Lucien:

»Aber ich bitte dich, bei so reichen Leuten – das würde taktlos aussehen. Ich werde statt dessen die ›Toisons de l'Orgie‹ wählen. Es liegt so etwas berauschend Wollüstiges darin. ›Les nudités féminines en blanc majeur‹ –«

Céline (unterbricht ihn):

»Aber die Damen – du vergißt ganz, daß auch Damen unter der Gesellschaft sein werden. Du wirst ihr Schamgefühl verletzen, mein Liebling.«

Lucien:

»Ach, diese verfluchte Prüderie. – In der Kunst muß man sagen dürfen was man will, sonst ist es nichts damit.«

(Er strengt sein Gedächtnis an, um etwas anderes zu finden.)

»Was meinst du zu der ›Prière d'un Agonisant‹?« (Mit Donnerstimme.) »Seigneur, Seigneur, ayez pitié – –«

Céline (zögernd):

»Ja, es ist wunderschön, aber vielleicht zu überwältigend.«

(Sie scheint tief nachzudenken, während sie ihm die Locken auskämmt. Dann fällt sie ihm plötzlich um den Hals.)

»So, jetzt haben wir's. Jetzt bist du schön wie ein junger Gott. Nun steh nur auf. (Lucien gehorcht.) So, nun stell dich an den Kamin, wie du heute abend im Salon der Herzogin dastehen wirst, wenn du deine Gedichte deklamierst. So ist es sehr schön. Und nun schau mich an, nein, nicht so, solche Augen darfst du nicht machen. Sieh mich so an, als ob ich eine ganz fremde Dame wäre –«

Lucien:

»Eine schöne Dame?«

Céline:

»Nicht allzu schön. Aber sehr elegant, dekolletiert mit Blumen und Diamanten und all dem Tralala. – So ist's recht, und nun sag mir ganz langsam die ›Libellules de la Vie‹ her.«

Lucien (in verträumtem Ton):

» Les libellules de la Vie – Partez ce soir, fuyez demain –«

Céline (nachdenklich):

»Ja, das wird Eindruck machen, das muß Eindruck machen. Aber – aber nur vier Strophen, das ist zu kurz, sie werden gleich noch eins verlangen.«

Lucien:

»Und wenn sie nun keins mehr wollen?«

Céline:

»Ach, du bist dumm, du wirst einen wahnsinnigen Erfolg haben, ganz gewiß. – Und wenn sie dann noch mehr hören wollen, so deklamierst du ihnen ›N'aimez mie‹. – Komm, fang an, ich warte darauf.«

Lucien (in demselben verliebten, etwas schleppenden Ton):

»Vous le connaissez, les ensorceleuses,
Dont les coeurs très froids enflamment nos coeurs –
Voici le printemps – –«

Céline (wirft sich ihm an die Brust):

»O du Einziger, du bist ein Genie. Ja, ja, ich weiß eine kleine Frau, die heißt Linon und hat einen genialen Mann. Ja, mein Herr (sie bedeckt ihn mit Küssen). Aber was ist die Uhr? Schon sieben. Und du bist noch nicht fertig. Eil' dich, mein Schatz, ich hole dir schnell einen Wagen.«

Lucien:

»Nein, nein, das will ich nicht haben. Du könntest dich erkälten. Ich werde schon unterwegs einen finden.«

Céline:

»Und klatschnaß ankommen wie der richtige verhungerte Dichter? Nein, ich danke schön. Ich muß sowieso fort, um mir was zum Essen zu kaufen.«

Lucien (während er sich rasch ankleidet):

»Aber kauf dir wenigstens etwas Gutes. Eine Pastete – ein Paar Krammetsvögel und Kuchen – nicht wahr, du kaufst dir Kuchen?«

Celine (während sie sich in einen großen Wollshawl hüllt):

»Ja, ja, sei nur ruhig. (Mit sanfter Stimme.) Nicht wahr, du schaust mir heute Abend nicht zu viel nach all den schönen dekolletierten Damen mit ihren üppigen weißen Schultern? – Du denkst auch ein bischen an deine kleine Linon, die nicht so schön und üppig ist (dabei zeigt sie auf ihren mädchenhaft zarten Busen) – aber ihr Herz gehört nur dir allein.«

Lucien (gerührt):

»Ja, ich werde nur an meine süße kleine Frau denken. Was mach ich mir aus den andern? Meinetwegen mögen sie alle zum Teufel gehen. – Aber willst du dich wirklich hinauswagen? – hast du was Vernünftiges an den Füßen?«

Celine:

»Ja, ich hab' meine Stiefel an. (Sie macht die Thür auf.) O wie kalt. Nimm nur ja dein Halstuch mit. – Ich bin gleich wieder da.«

(Dann hört man sie rasch die Treppe hinablaufen.)


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