Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel
Johannes' Flucht

Mit glänzendem Erfolg war das Hauskonzert in der Villa Wehrhaus verlaufen. Mitwirkende und Zuhörer waren höchlichst befriedigt gewesen. Der Kreis der Zuhörer hatte sich noch bedeutend erweitert, da der Kommerzienrat nicht nur die Eltern der jungen Künstler, sondern auch verschiedene Angestellte seines industriellen Unternehmens zu Gaste gebeten hatte.

Noch ehe das Konzert begann, als man aber schon in dem künstlerisch eingerichteten Musiksaal der Villa versammelt war, hatte Johannes Helldorf Gelegenheit gefunden, Emmerich ein paar nicht für andere Ohren bestimmte Worte zuzuraunen.

»Vater hat verpachtet, ich bereite meine Flucht vor.«

Als Emmerich erstaunt aufblickte, da war Johannes' Gestalt schon im Gewühl der umstehenden Gäste verschwunden. Auch gelang es Emmerich den ganzen Abend nicht wieder, den Freund zu erblicken. Er schien verschwunden.

Freilich war Emmerich auch nicht allzu eifrig auf der »Suche« nach Johannes gewesen, er fühlte sich gar zu sehr von der Erscheinung der lieblichen Elisabeth angezogen, die, nach seiner Ansicht, heute in ihrem schlichten Batistkleidchen am allerbesten aussah.

Jede einzelne Nummer des Hauskonzertes wurde mit lautem Applaus ausgezeichnet. Auch Ilsedore und Margarete hatten mit der geplanten Überraschung viel Beifall geerntet. Sie hatten ganz im geheimen einige Duette einstudiert und sich mit Fräulein Heine, der Begleiterin am Flügel, in Verbindung gesetzt. Alles gelang über Erwartung, so daß gerade diese Duette als der Glanzpunkt des Abends gefeiert wurden.

Leo besonders war hochentzückt. Mit fast weltmännischer Gewandtheit verstand er es, den beiden Sängerinnen zu huldigen.

Nach dem Konzert saß man noch längere Zeit zusammen. Auf der breiten, langen Veranda wurden Erfrischungen gereicht. Der Abend war so mild und lieblich, daß selbst Vater Mellenhoff bis zum Schluß aushielt.

Allseitig befriedigt, kehrte man heim. Leo hatte es sich nicht nehmen lassen, er begleitete Ilsedore, um ihr noch viel Schmeichelhaftes über ihren Gesang zu sagen. Das junge Mädchen strahlte voller Befriedigung. War es doch das erste Mal, daß sie als Sängerin gefeiert wurde.

Als sie die schmale Holztreppe zu ihrem Stübchen hinaufstieg, lächelte sie still vor sich hin. Vorhin, als der spontane Beifall der Gesellschaft sie umbrauste, da hatte sie nur ihn, Leo, gesehen. Nur ihr hatte sein Beifall gegolten, wie sie zu ihrer unaussprechlichen Genugtuung fühlte.

»Das Leben ist doch recht schön,« mußte sie denken, als sie dann am weit offen stehenden Fenster lehnte und hinaus in den mondbeleuchteten Garten schaute. – In ihrer Seele regte sich erneut der Wunsch, recht viel zu lernen, aus der Enge dieses Lebens hinauszutreten, um Großes zu leisten. Doch dieses Wunder würde wohl niemals kommen, da – ein rascher Schritt auf der Holztreppe riß sie aus ihrem Nachdenken.

»Ilsedore, gut, daß du noch wach bist,« sagte Emmerich, der in der geöffneten Tür stand.

»Wie siehst du aus, Emmerich? Was ist geschehen?« rief Ilsedore erschrocken und aus all ihren Himmeln gestürzt.

»Ein Unglück! Johannes ist fort!«

»Wohin?« fragte Ilsedore.

»Wohin? Niemand weiß wohin! Doch höre, ich begleitete Helldorfs nach Hause – da, als ich mich eben von Grete verabschieden will, ihr Vater war sofort ins Haus gegangen, hörten wir einen gellenden Schrei. – Wir fliegen die Stufen hinauf, aus dem Wohnzimmer blinkt Licht, die Tür war nur angelehnt, Grete reißt sie auf, da steht ihr Vater, kreidebleich im Gesicht, am Mitteltisch und hält ein Briefblatt in der Hand.« Emmerich hatte die Worte wild herausgestoßen, nun hielt er atemschöpfend inne.

»Weiter,« drängte Ilsedore. »Was weiter?«

»Es waren nur wenige Worte, die auf dem Blatte standen: ›Vater, ich verlasse Dein Haus, ich kann Deinen Willen nicht erfüllen, ich gehe und suche mein Glück, draußen bei fremden Menschen. Suche mich nicht. Du würdest mich nur in den Tod treiben. Johannes.‹

»Kein Wort, keinen Gruß mehr?« fragte Ilsedore.

»Nichts – nichts,« stöhnte Emmerich. »Nur Grete erzählte mir, daß vor dem Konzert eine Szene zwischen ihrem Vater und Johannes stattgefunden hätte. Auf ihre Frage darnach hätte ihr Bruder nur die Achseln gezuckt und leichthin gesagt: »Nichts für kleine Mädchen.«

»Was sagt sie?« fragte Ilsedore.

»Sie ist außer sich, die alte Dörte führte die Weinende in ihr Zimmer.«

»Und der Apotheker?«

»Ihn hat es böse gefaßt, er saß noch am Tisch, als ich fortging, und stierte in den Brief. – Schmettau ist bei ihm, ich mußte nach Hause.«

»Der arme Johannes!« brach Ilsedore los. »Der arme, gute Junge, wohin mag er sich gewendet haben, war er mit Geld versorgt?«

»Darauf kann ich dir keine Antwort geben, vielleicht lichtet sich das Dunkel – vielleicht gibt er mir eine Nachricht. Jetzt heißt es abwarten.«

Emmerich reichte seiner Schwester die Hand. Diese erschrak, die Hand war kalt wie Eis. – »Gute Nacht, Schwesterlein!«

Erst spät, als im Garten schon die Sonne ihre ersten Strahlen auf die Erde sandte, schlief Ilsedore ein.


 << zurück weiter >>