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Erstes Kapitel
Im kleinen Hause

Weit draußen, am Ende der kleinen Stadt, zwischen fruchtbergenden Scheunen und niedrigen Kätnerhäuschen, stand mitten in einem Garten ein einstöckiges Haus.

Wilder Wein umrankte es bis zum First, so daß es einen sehr malerischen Anblick bot, obgleich es eigentlich sehr prosaisch war, ja einen mehr ärmlichen Eindruck machte. Nur der grüne Umhang der schwankenden Ranken verlieh dem Häuschen das lieblich poesievolle Aussehen.

Eine grün angestrichene Tür führte auf den Vorplatz, der mit Steinquadern gepflastert war. Auf ihn mündeten verschiedene Türen. Aus einer leicht angelehnten Tür schwebten zierliche, bläuliche Rauchwölkchen hervor, die, sich verbreitend, den Duft von frischgebackenem Kuchen durch den Vorplatz trugen.

Stimmen erklangen.

»Schau, Mütterchen, wie köstlich der Napfkuchen gebräunt ist,« rief eine helle Mädchenstimme.

»Vorsicht, Ilsedore, laß ihn nicht fallen,« warnte eine tiefere Frauenstimme.

»Habe keine Sorge, Muttchen, mit solchem Prachtkuchen geht man schon vorsichtig um.«

Die Küchentür wurde aufgemacht, und ein schlankes, junges Mädchen erschien auf der Schwelle. In den Händen hielt sie einen Teller mit dem »Prachtkuchen«.

»Nun will ich gleich die Blumen zum Kranze pflücken,« bemerkte sie, das Köpfchen ein wenig zur Seite neigend.

Ein neugieriger Sonnenstrahl umschmeichelte in diesem Augenblick die Gestalt des jungen Mädchens. Ihr schlichtes rosa Kattunkleid, dessen einziger Schmuck in einer schmalen Spitzenkrause um den Halsausschnitt bestand, wurde zum größten Teil durch eine blauleinene Küchenschürze verdeckt. Ihr Gesichtchen, von der Hitze am Backofen gerötet, strahlte vor seligem Glück.

»Muttchen, bedenke doch, das ist der erste Kuchen, den ich ohne deine Hilfe eingerührt und gebacken habe. Was wird der Vater sagen und Emmerich!« vollendete das junge Mädchen, ihr Werk voller Stolz beschauend.

»Freilich wohl, aber wir haben es uns auch was kosten lassen! Wir nahmen nur von den allerbesten Zutaten,« warf Frau Mellenhoff ein. »Die Zeiten sind schlecht, da darf man sich nur an hohen Festtagen wie heute solchen Luxus gestatten.«

»Dafür haben wir dann auch viel mehr Genuß davon, als wenn jeden geschlagenen Tag Kuchen und Torten auf unserem Tische stünden. Und, liebstes Muttchen, satt sind wir noch stets geworden,« setzte Ilsedore hinzu.

»Du bist ein genügsames Menschenkind; aber, Ilsedore, ich denke mir, es muß ein Hochgefühl sein, wirtschaften zu dürfen, ohne an die knappe Kasse zu denken.«

Einen Augenblick schwieg Ilsedore, dann aber schüttelte sie ziemlich energisch ihr Köpfchen.

»Kann ich eigentlich nicht finden. Vater sagte noch neulich: Die reichen Leute haben meist sehr wenig von ihrem Reichtum, sie sind eben von Kindheit an den Überfluß gewöhnt und würden sich sehr wundern, wenn sie das Geld nicht mehr mit vollen Händen ausgeben dürften.«

»Magst ja recht haben,« erwiderte langsam die Mutter, und ein leiser Seufzer begleitete ihre Worte. »Aber wenn ich bedenke, wie fein und vornehm es bei Kommerzienrat Wehrhaus zugeht, da kommen mir so Gedanken und –"

Ilsedore hatte ihr Tablett auf den Mitteltisch im Wohnzimmer niedergestellt. Nun kniete sie neben dem Stuhl, auf dem ihre Mutter Platz genommen hatte, nieder.

»Mütterchen, du möchtest doch nicht mit Frau Kommerzienrat tauschen? Du bist frisch und gesund, während sie schon seit Jahren an ihren Fahrstuhl gefesselt ist. Ich glaube kaum, daß sie sich so restlos glücklich fühlt in ihrer eleganten Villa wie du in unserem kleinen Häuschen. Und« – Ilsedore stockte, sie neigte ihr Köpfchen tiefer, bis ihre frischroten Lippen die hartgearbeitete Hand ihrer Mutter streiften – »glaube mir, Hortense und Elisabeth können ihre Mama nicht so liebhaben wie ich und Emmerich, und wenn ich erst mal mein Lehrerinnenexamen gemacht habe und auf eigenen Füßen stehe, dann sollst du dich besser pflegen. Dann schicke ich dir jeden Monat einen Zuschuß zur Wirtschaftskasse.«

»Mein geliebtes Kind, Gott segne dein Herz,« flüsterte Frau Mellenhoff. »Aber jetzt geh in den Garten, es muß eine Anzahl Rosen über Nacht aufgeblüht sein.«

Ilsedore ging, mit Körbchen und Blumenschere bewaffnet, aus dem Zimmer. Gedankenvoll schaute Frau Mellenhoff ihrer Tochter nach.

»Ein liebliches Zukunftsbild entrollte sie vor meinen Blicken, nur schade,« setzte sie tief aufseufzend hinzu, »daß es sich wohl niemals verwirklichen kann. Woher sollte das Geld fließen, um Ilsedore nach einem Seminar zu schicken? Emmerichs Erziehung hat fast sämtliche kleinen Ersparnisse aufgezehrt, die wir im Laufe der Jahre beiseitelegen konnten. Freilich, nun er sein Examen hinter sich hat, kostet er nicht mehr so viel. Auf der Universität gibt es für Theologen namhafte Stipendien, und da Emmerich fleißig und strebsam ist, so wird er sich schon durchschlagen. Freilich noch drei Jahre Universität, doch dann ist seine Zukunft gesichert. Ein Glück nur, daß mein Bruder in guten Verhältnissen in Berlin lebt und Emmerich in sein Haus aufnehmen kann, sonst hätten wir seinen Wunsch, eine Universität zu besuchen, auch niemals erfüllen können.«

Frau Mellenhoff verfiel in Nachdenken. Sie wußte es zu genau, daß Emmerich nur ungern Theologie studieren würde. Seine Talente und Fähigkeiten, seine Neigungen und Wünsche galten dem Studium der Geschichte und Philosophie. Erst als Emmerich einsehen lernte, daß ihm kein anderer Weg zum Studium offenstand, hatte er schweren Herzens seiner Lieblingsneigung entsagt.

Nun kam Ilsedore mit ihrem Hoffen und Wünschen. Aus der Schule hatte sie stets die allerbesten Zeugnisse mit heimgebracht. Selbst der gestrenge Herr Schuldirektor hatte es in ihrem Abgangszeugnis ausgesprochen, daß Ilsedore befähigt sei, sich einem ernsten Studium zuzuwenden.

Nur das Geld, das leidige Geld mangelte, um alle diese köstlichen Hoffnungen zu verwirklichen. Und aus diesen Gründen wünschte Frau Mellenhoff reich zu sein, denn sie selbst besaß keinerlei Bedürfnisse und Wünsche. Ihr Wünschen und Streben galt allein dem Glücke ihrer beiden geliebten Kinder.

Auf dem Vorplatz schlug die mächtige Wanduhr eben die elfte Stunde an. Frau Mellenhoff erschrak, es kam selten vor, daß sie am hellen, lichten Tage ihre fleißigen Hände feiern ließ. Nun galt es, die versäumte Zeit wieder einzuholen.

»Da habe ich mich verträumt – schon bald Mittag. Mein Mann erscheint pünktlich zum Mittagessen, auch Emmerich schrieb, daß er gegen ein Uhr eintrifft. Wie freue ich mich auf meinen Jungen, der ist gewiß tüchtig gewachsen.«

Und sie verschwand schnell in der Küche, wo man sie zwischen Töpfen und Pfannen herumhantieren hörte.

*

Ein Liedchen trällernd, schritt Ilsedore den Mittelweg im Garten entlang. Um sie her blühte und grünte es in üppiger Pracht.

»Wie wird Emmerich staunen,« lachte sie vor sich hin. »Der gute Junge hat keine Ahnung von dem feierlichen Empfang, der ihm zuteil werden wird. Schade, seine Ferien sind nur kurz bemessen, und dabei muß er sich noch für sein Studium auf der Universität vorbereiten.«

Ilsedore blickte auf, ein Geräusch war an ihr Ohr geschlagen. »Ah, drüben am Zaun lehnt Johannes Helldorf!« Mit einigen Schritten stand Ilsedore am Staket.

»Ist Emmerich schon eingetroffen?« fragte Johannes, atemlos vom Laufen, seiner Jugendgespielin die Hand entgegenstreckend.

»Noch nicht, hast dich wohl davongeschlichen? Na, wenn das dein Vater merkt, Johannes!« rief Ilsedore, lächelnd mit dem Finger drohend.

»Ach was, mittags ist wenig in der Apotheke los! Für zehn Pfennige Kamillen oder ein Büchschen Vaseline für ganze zwanzig Pfennige kann der Hausdiener auch verkaufen. Übrigens ist der Provisor auch anwesend. Du, Ilsedore, Grete schickt mich zu fragen, ob ihr diesen Abend nicht mal bei uns vorsprechen wollt. Wenn auch nur für einen kurzen Besuch.«

»Wir werden kommen,« tröstete Ilsedore. »Du weißt, Vater geht gegen fünf Uhr noch einmal in die Fabrik, da können wir. nachdem wir gevespert haben, in der Apotheke vorsprechen. Jetzt leb' wohl, mein Junge; ich habe noch viel zu schaffen, ehe Emmerich eintrifft.«

Mit leicht geneigtem Haupte schritt Johannes der Apotheke wieder zu. Hoffentlich hatte der gestrenge Vater die Abwesenheit des »Herrn Sohnes« nicht bemerkt, sonst – sonst gab es wieder eine jener garstigen Auseinandersetzungen, die Johannes haßte.

*

Emmerich war angekommen. Mit Freudentränen hatte die Mutter »ihren großen Jungen« in die Arme geschlossen. Selbst der sonst so ernste Vater hatte den künftigen Studiosus umarmt, und gar Ilsedore blickte voller Ehrfurcht zu Emmerich auf.

Das Mittagessen war vorüber. Emmerich und Ilsedore warteten in der von Feuerbohnen umrankten Laube auf die Eltern. Mitten auf dem zierlich gedeckten Tisch stand, von Rosen umkränzt, der Kuchen.

Emmerich lehnte im Korbsessel. Behaglich dehnte und reckte er seine Glieder.

»Du, Ilsedore, es ist doch nirgends so schön wie zu Hause. Sei froh, daß die Mädchen bei Muttern bleiben dürfen.«

»Dafür erlebst du in der großen Stadt an einem Tage mehr als wir in vier Wochen,« warf Ilsedore ein.

Voller Erstaunen schaute Emmerich sein Schwesterchen an. Ihm war noch niemals der Gedanke gekommen, daß es ihr im Vaterhause zu enge werden könnte.

»Wie meinst du das, Kleinchen?« fragte er dann.

»Ich möchte ein Seminar besuchen, um –"

»Heilige Einfalt, willst du die neue Mode mitmachen? Na, Ilsedore, davon lasse die Hände. Glaube mir, du würdest krank vor Heimweh, habe ich es doch noch nicht völlig überwunden,« setzte er halblaut, als schämte er sich seines Geständnisses, hinzu.

»Nun, hat dir Emmerich was Schönes erzählt?« Mit diesen Worten trat der Vater in die Laube. Ihm folgte seine Gattin mit der bemalten Kaffeekanne, deren Pracht unter einem dickwattierten Kaffeewärmer verborgen war. »Jetzt kommt der schönste Moment des Tages.«

Mit großer Wichtigkeit nahm er eine Zigarre aus der Kiste. Ilsedore hatte inzwischen den Wachsstock, der in einem altertümlichen Messinggehäuse steckte, angezündet. Voller Behagen blies der Hausherr feine, bläuliche Rauchwölkchen in die Luft.

»Hm, wie das schmeckt! Solch eine Zigarre ist eine Zauberin. Hatte mich schon tagsüber auf den Genuß gefreut,« setzte er, zu seiner Frau gewendet, hinzu.

»Es ist ja auch die einzige Zigarre, die du dir gönnst, lieber Mann,« erwiderte Frau Mellenhoff, sich mit der rechten Hand die Rauchwölkchen zuwehend. »Ilsedore, schenke den Kaffee ein, der duftet heute besonders gut. Na, Emmerich,« wendete sie sich an ihren Sohn, »hast du schon Ilsedores Meisterwerk, den köstlichen Kuchen bewundert?«

»Habe ich, zwar vorerst nur aus der Entfernung. Nun soll eine eingehende Prüfung stattfinden. Ilsedore, du mußt dein Meisterwerk auch anschneiden,« schloß Emmerich.

Mit hochrotem Kopfe und einem fragenden Seitenblick nach ihrer Mutter, nahm Ilsedore das Messer zur Hand. Noch zögerte sie, allein Mütterchen nickte ihr ermutigend zu. Da schnitt sie tapfer darauflos.

»O, fein,« lobte Emmerich. »Unser Muttchen hat auch nicht mit den Zutaten gespart,« setzte er, behaglich kauend, hinzu.

»Dir zu Ehren, mein Junge. Dein Abgangszeugnis war sehr befriedigend, das mußte belohnt werden.«

»Müßte eigentlich besser ausgefallen sein. Ich hatte Glück und war gut präpariert, das Lehrerkollegium hat dieses Mal strenger über uns zu Gericht gesessen. Kommerzienrats Leo hat nicht sonderlich gut abgeschnitten.«

»So, seltsam, der Junge hat Verstand und einen klaren Kopf. Da wird es heute in der Villa nicht viel gutes Wetter geben. Der Kommerzienrat rechnete auf ein recht gutes Zeugnis.«

»Konnte er auch,« betätigte Emmerich, »allein Leo hatte sich auf sein sprichwörtliches Glück und auf seine allerdings großen Kenntnisse verlassen. Er hatte auch mehr Gesellschaften besucht als früher. Dabei drängt sich allerlei Gesindel an solch ein Goldfischchen mit großem Wechsel heran. An mich schmissen sich derlei Windhunde nicht an, denn bei mir war nicht viel zu holen.«

»Da hast du die Annehmlichkeiten der Besitzlosen,« bemerkte der Vater, mit vollen Zügen seine Zigarre rauchend. »Aber ich muß die gemütliche Sitzung heute früher abbrechen, der Buchhalter hat sich Urlaub ausgebeten, da übernahm ich seine Vertretung.«

Mit einem Händedruck verabschiedete er sich von Frau und Kindern und eilte rüstigen Schrittes seiner Arbeitsstätte zu.

Bald darauf entfernte sich auch seine Gattin, um einige Haushaltsarbeiten zu vollenden.

»Komm, Ilsedore, wir wollen zu Apothekers gehen,« schlug Emmerich seiner Schwester vor, »sagtest du nicht, daß Johannes mich erwartet?«


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