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34.
Antarktische Jagden

Sowohl um stets mit frischem Fleische versehen zu sein, als auch um sich und den Hunden gesunde Bewegung zu verschaffen, machten die Mitglieder der Polarexpedition häufige Jagdausflüge, die sie ziemlich weit aus ihrem Tale hinausführten.

Da ging es denn meist auf Schlitten hinaus, gezogen von den treuen Grönlandhunden, die sich auch als Jagdhunde bewährten.

Münkhuysen hatte ausschließlich Grönlandhunde mitgenommen. Zwar fand Nordenskjöld, daß auch Falklandshunde in der Antarktis ganz brauchbar sind; doch scheinen sie nicht so widerstandsfähig und ausdauernd zu sein und werden von den nordischen Hunden totgebissen, wenn man beide Arten mit sich führt. Nordenskjöld konnte von seinen acht Falklandshunden auch nicht einen einzigen am Leben erhalten, während sich seine grönländischen Hunde vorzüglich erhielten.

Bei den Schlittenfahrten unserer Freunde machten sich die vielen Sastrugis sehr unangenehm bemerkbar. Sastrugis nennt man die Schneedünen, die sich an Löchern und Furchen anhäufen, welche der Sturm in den weichen Schnee gräbt. Oft glich die Landschaft einem tief gepflügten Ackerland, und das schlimmste war, daß man diese Schneewälle in dem blendenden, eintönigen und schattenlosen Weiß der Ebene gar nicht bemerkte, bis der Schlitten sie erreichte und durch die jähe Erschütterung nur zu häufig zum Umkippen gebracht wurde.

War dies eine Unannehmlichkeit, so waren die zahlreichen Gletscherspalten geradezu lebensgefährlich. Diese oft unergründlich erscheinenden Risse und Sprünge im Eise nötigten zu den umfassendsten Vorsichtsmaßregeln, zumal sie für gewöhnlich durch trügerische Schneebrücken und Schneedecken unsichtbar gemacht wurden. Man durfte sich daher nur angeseilt und in langer Reihe auf unbekannten Boden wagen. Wer dann in einen Spalt stürzte, was nicht so selten vorkam, versank doch nicht in der Tiefe des Abgrunds und konnte am Seil wieder emporgezogen werden.

Keinem blieb es erspart, zum mindesten einmal ein derartiges unheimliches Abenteuer zu erleben, und auch die vordersten Zughunde am Schlitten brachen manchmal ein, wenn die gefrorene Schneebrücke besonders dünn war.

Einmal kamen die schnellfüßigen Hunde mit ihrem geringen Gewicht ohne Unfall über eine solche oberflächlich zugewehte Spalte. Das Gewicht des nachfolgenden Schlittens jedoch brachte die Schneedecke zum Einsturz und er stürzte so jach in die Tiefe, daß die Leine riß und er verloren ging. Glücklicherweise war kein Mensch darauf gesessen. Doch traf nun Münkhuysen die Anordnung, daß künftig je zwei Mann sich in gehörigen Abständen hinten an den Schlitten anseilten, um ihn zurückzuhalten, wenn er einbräche.

So kalt es meist war, so war die Jagd doch ein Vergnügen: selbst bei neununddreißig Zentigrad unter Null, der niedrigsten Temperatur des ganzen Winters, wurde die Kälte nicht als lästig empfunden. Schlimm waren nur die schneidenden Schneestürme, die übrigens selten mit größerer Heftigkeit das geschützte Tal heimsuchten, und vor allem das zeitweilige Tauwetter, bei dem man zum mindesten nasse Füße bekam und mehr fror als bei strenger Kälte. Da blieb man dann, wenn möglich, lieber hinter den schützenden Wänden der wohldurchwärmten Südburg.

Außer den geschwänzten Eisbären erlegten die Jäger hauptsächlich viele Pelzrobben und Seeelefanten, Tiere, welche in den bisher erforschten Breiten durch eben so grausame wie törichte Schlächtereien fast vollständig ausgerottet sind. Diese Seehunde hielten sich aber bloß an der Küste auf, wo sie sich den ganzen Winter über runde Löcher im Eise offen hielten. Sie waren in dieser Jahreszeit nur vereinzelt zu finden; doch wurden öfters ein oder zwei Exemplare erbeutet, wenn man bei sonnigem, windstillem Wetter sich über die Münkhuysenberge wagte.

Weiter im Innern traf man einige bisher ganz unbekannte Geschöpfe, welche die Jagd besonders anregend gestalteten.

Obgleich mit Schießpatronen reichlich versehen, beschlossen unsere Freunde doch, diese Vorräte möglichst zu sparen, als wichtige Hilfsmittel in der Zeit der Not, falls eine solche unerwartet eintreten sollte.

»Man weiß nie,« sagte der Baron, »wann man aus dem Eis wieder herauskommt, wenn man einmal darinnen steckt. Nordenskjöld und seine Genossen mußten an drei verschiedenen Stellen ganz unvorbereitet überwintern, als sie gedacht hatten, die Heimfahrt antreten zu können. Richten wir uns daher vorsichtshalber so ein, als müßten wir jahrelang mit unsern Hilfsmitteln haushalten, so werden wir keine unliebsame und lebensgefährliche Überraschung erleben.«

Darum verlegten sich auch die Jäger förmlich darauf, neue Jagdmethoden zu erfinden und allerlei schlaue Listen auszuhecken, um sich ohne einen Schuß Pulvers in den Besitz des kostbarsten Wildes zu setzen.

So führte beispielsweise Ernst Frank immer chemische Stoffe bei sich, die er in einem kleinen Kolben zu einer Kältemischung ansetzte, sobald ein Schwanzbär oder ähnliches Wild in Sicht kam. Das Fläschchen steckte er in ein Stück Fleisch und warf es dem Tiere entgegen. Da diesen Geschöpfen jede Scheu fremd war, verschlangen sie sofort den Köder und verendeten in kurzer Zeit, weil ihnen der Mageninhalt zu Eis gefror.

»Ganz Ähnliches,« sagte Kapitän Münchhausen, der sich über diese »chemische Jagdmethode« vor Lachen ausschütten wollte, »ganz Ähnliches nahmen wir bei meiner Südpolexpedition mit den Luftkröten vor, nur daß bei diesen die Wirkung der Magenerkältung sich anders äußerte. Wir fanden nämlich dort ein Tier vom Aussehen einer Kröte, jedoch in der Größe eines Mastschweins; die zähe Haut dieser Kröten hing schlaff und in unzähligen Falten herab, wenn sie sich schwerfällig auf dem Eise fortbewegten. Wir beobachteten, daß diese merkwürdigen Tiere zuzeiten große Mengen Schnee und Eis verschluckten; dann blähten alsbald die durch die innere Erkältung entstehenden Gase die Haut auf, die sich straff anspannte. Die Kröten erreichten auf diese Weise die Größe von Mastochsen und erhoben sich, gleich einem Luftballon, langsam und majestätisch in die Höhe. Mit Hilfe der mit Schwimmhäuten versehenen Füße steuerten sie, wohin sie wollten, bis die Spannung durch Entweichen der Gase nachließ, und sie langsam zusammenschrumpfend wieder zur Erde sanken.

»Diese Luftkröten waren äußerst schwer zu fangen: durchlöcherte eine Kugel ihre Haut, so wurden sie zu einer unförmlichen Masse, da ihnen das Knochengerüste fehlte. Dabei machten sie trotz ihrer scheinbaren Schwerfälligkeit, wenn man sich ihnen nahte, so kolossale Sprünge, daß man ihnen unmöglich beikommen konnte. Schließlich kamen wir auf folgende List: wir ließen schwere Kugeln in Eisstücke oder Schneeballen einfrieren; verschluckte nun eine Luftkröte solch einen Brocken, so hinderte sie die Schwere des Eisens am Fliegen und am Springen, und sie war leicht einzufangen. Wenn man sie nun hinten packte, emporhob und schüttelte, so kollerte ihr die Kugel zum Maul heraus. Wir benutzten diese Tiere, um regelrechte Luftreisen zu machen, indem wir sie mit Eis fütterten und uns an ihren Pfoten festbanden.«

»O Kapitän!« sagte Ernst: »Wir müssen von vornherein darauf verzichten«, bei unserer gegenwärtigen Expedition nur entfernt so Wunderbares zu erleben, als Sie bereits erlebt haben.«

»Oho!« erwiderte er lachend: »Was halten Sie denn von mir? Von ungleich größeren Wundern und fabelhafteren Erlebnissen gedenke ich in der Heimat zu berichten, wenn ich erst diese zweite antarktische Reise vollendet habe! Aber hören Sie weiter:

»Auf unseren Jagdausflügen entdeckten wir häufig größere Löcher in der Eisdecke, die offenbar ein Binnenmeer bedeckte. In diesen Gumpen hielten sich Eiskrokodile auf. So benannten wir eine bisher unbekannte Art von Amphibien, die sich, gleich den Seehunden, in dem sonst zugefrorenen Meere stets offene Stellen erhalten. Die Eiskrokodile ähneln dem Krokodil, nur erreichen sie die dreifache Größe desselben, haben Krallen wie die Tiger und einen Schwanz, der wie eine Boa constrictor die größten Fische, Schwanzbären und andere Opfer umschlingt und zermalmt; dabei tragen diese entsetzlichen Tiere ein scharfes, gefährliches Horn über dem Oberkiefer, das sie auch dazu benutzen, das Eis von unten aufzustoßen.

»Lange Zeit mühten wir uns vergebens ab, den Eiskrokodilen beizukommen, und nur die Langsamkeit ihrer Bewegungen auf dem Eise machte es überhaupt möglich, daß wir bei einer Begegnung mit ihnen mit dem Leben davonkamen. Der rostbraune eisenharte Schuppenpanzer, den sie, wie die urweltlichen Krokodile, auch auf dem Bauch trugen, schützte sie vor jeder Verwundung; selbst die Augen- und die Rachenschleimhäute waren so hart und zäh, daß keine Kugel durchdrang, und meine Kältemischungen verloren bei diesen kaltblütigen Tieren jede Wirkung.

»Ich selber erfand eine gelungene Methode, die schrecklichen Geschöpfe zu überwältigen: es wurde eine Pumpe an einen offenen Gumpen gestellt; kroch nun eines der Tiere aufs Eis, so wurde heftig gepumpt, und der Wasserstrahl mittels eines Spritzenschlauchs auf den Kopf des Tieres gerichtet; da das Wasser bei der heftigen Kälte sehr schnell an der Luft gefror, wurde der Kopf des Ungetüms trotz seiner krampfhaften Anstrengungen bald mit einem starren Eispanzer umgeben, darinnen der Drache jämmerlich erstickte. Das Fleisch dieser Amphibien gehörte übrigens zu den köstlichsten Leckerbissen, die wir je genossen.«

Von des Kapitäns berühmten Luftkröten und Eiskrokodilen bekamen unsere Freunde nichts zu sehen, wohl aber anderes seltsames Getier. Da war ein gewaltiger Dickhäuter, doppelt so groß als ein Elefant, gleich dem Mammut mit einem dichten Pelz versehen und zwei starken, nach unten gerichteten Hauern. Einen Rüssel besaß er jedoch nicht.

Als die Jäger diesem furchtbaren Riesen zum ersten Male begegneten, meinte Schulze: »Ich würde das Tier als urweltliches Dinotherium ansprechen, das sich dem hiesigen Klima durch starken Haarwuchs anpaßte, wenn es nur nicht des Rüssels ermangelte.«

Bild: Karl Mühlmeister

»Ach was!« widersprach Münchhausen: »Ein hochbeiniges Walroß ist das: ich kenne es gut von meiner ersten Südpolarfahrt her. Da es jedoch nicht in der See haust, sondern auf dem Landeis, und sein Haupt etwas ungemein Löwenähnliches aufweist, nannten wir es Eislöwe, wonach man sich zu richten hat!«

Obgleich die anderen nie recht an die sagenhafte Südpolexpedition des Spaßvogels glaubten, so nahmen sie doch den Namen an, denn der Kopf des Tieres sah wirklich dem eines Löwen in vergrößertem Maßstabe auffallend ähnlich, abgesehen von den walroßartigen Hauern. Im übrigen war es freilich ein Dickhäuter, der auf massigen Beinen einhertrabte, und auch sein dichter Pelz unterschied es wesentlich vom König der Tiere, doch das war ja für die Benennung belanglos, da man ja sogar eine Robbe »Seelöwe« heißt. Der Eislöwe bekundete übrigens keinerlei feindliche Absichten, so heimtückisch er auch die ihm unbekannten Eindringlinge anglotzte. Darum zog man es vor, ihn in Ruhe zu lassen: es schien auch nicht ratsam, ohne Not mit ihm anzubändeln. Ein Pflanzenfresser konnte er nicht sein, aus dem einfachen Grunde, daß es hier keine Pflanzen gab. Beim Öffnen des Maules zeigte er denn auch ein scharfes Raubtiergebiß, so daß Schulze den Kopf schüttelte und murmelte: »Da hört sich doch aber wirklich alle Wissenschaft auf: dieser Eislöwe ist eine zoologische Unmöglichkeit!«

Bei einer zweiten Begegnung mit einem Raubtier gleicher Art kam es zum Kampf, denn diesmal schritt es zum Angriff vor und an Flucht war bei seiner Geschwindigkeit nicht zu denken. Einige gutgezielte Kugeln reizten nur seine Wut, ohne es ernstlich zu schädigen.

Der Eislöwe stürzte auf Münkhuysen und Raimund los, die verloren schienen. Inzwischen hatte jedoch Mäusle die Grönlandhunde, die den mitgenommenen Schlitten zogen, rasch ausgeschirrt. Er wußte von Afrika her, daß der stärkste Elefant durch den kleinsten Kläffer völlig aus der Fassung gebracht wird, und hoffte, auch dieses Tier durch die Hunde schrecken zu können. Die mutigen Grönländer stürzten mit wütendem Gekläff auf den Feind zu, der verblüfft im Laufe innehielt und Versuche machte, sie unter seinen Füßen zu zerstampfen, da er mit seinen Stoßzähnen nichts ausrichten konnte gegen so tief unter ihm stehende Feinde.

Die behenden Tiere wichen den Fußtritten mühelos aus und sprangen von allen Seiten an dem Eislöwen empor. Es gelang ihnen nicht, die dicke Haut mit den Zähnen zu packen, dagegen rissen sie ihm ganze Büschel Haare aus. Das war offenbar schmerzhaft, denn das Riesentier drehte sich mit schauerlichem Gebrüll ganz rasend auf den Hinterbeinen im Kreise herum, immer wieder mit den Vorderfüßen niederfahrend, in der Absicht und Hoffnung, die unliebsamen Angreifer nach und nach zermalmen zu können.

Da trabten drei Schwanzbären heran. Ernst wollte auf sie schießen, aber Mäusle, der neben ihm stand, hielt ihn zurück, und als er sah, daß auch Münchhausen und Schulze auf sie anlegten, rief er ihnen zu: »Lassen Sie die Bären ungeschoren! Sehen Sie nicht, daß sie auf das Untier losgehen? Sollen wir uns auch sie noch zu Feinden machen, während sie vielleicht unsere einzigen Retter sind?«

Der bedächtige Kapitän setzte die Flinte ab, doch der eifrige Professor hatte schon abgedrückt. Die Kugel, die einem der Bären gegolten hatte, traf den Eislöwen ins Ohr, denn sie kam ja aus Schulzes nie fehlender Büchse.

Dieser Schuß schien dem Dickhäuter besonders empfindlich zu sein, denn er riß das Maul auf wie ein Scheunentor und brüllte ganz entsetzlich. Im gleichen Augenblick machte einer der Schwanzbären einen mächtigen Satz, erhaschte die dicke Unterlippe zwischen den Stoßzähnen und verbiß sich darein. Die beiden anderen Bären, die ebenfalls der Hunde nicht achteten, sprangen an den Seiten des Kolosses empor, sie mit ihren starken Krallen zerfetzend. Die dicke Haut war diesen Angriffen nicht gewachsen und bald floß das Blut aus beiden Flanken.

Der Eislöwe hatte bald den Bären von seinem blutenden Unterkiefer abgeschüttelt, neigte das grimmige Haupt und biß ihm mit einem Biß den Kopf ab. Dann wandte er sich gegen den Feind zu seiner Rechten.

Die Bären sprangen immer noch an den beiden Seiten hinauf und rissen jedesmal mit den Zähnen einen Fetzen des bloßgelegten Fleisches aus dem Bauche des Ungetüms, das ganze Ströme Bluts verlor.

Den einen aber ereilte jetzt sein Schicksal: Der Eislöwe stieß ihm die mörderischen Hauer in den Rücken, sank jedoch selber neben ihm zu Boden.

Dies benutzte der dritte Schwanzbär, um dem übermächtigen Feinde die Klauen in die Kopfhaut zu schlagen, die er jetzt erreichen konnte. Bald hatte er zwischen Ohr und Auge einen ganzen Streifen heruntergerissen. Der Eislöwe erhob sich mühsam, offenbar vom großen Blutverluste geschwächt, und strebte nun, den letzten Feind zu erlegen. Gleichzeitig griffen ihn die Hunde an den wunden Stellen in beiden Flanken an.

Während die anderen Jäger untätig dem grausigen Ringen zusahen, glaubte Schulze den rechten Augenblick gekommen, um den ruhmreichen Sieg durch eine letzte Kugel aus seiner niefehlenden Büchse zu erringen. Er zielte auf das linke Auge des Dickhäuters und traf den Schwanzbären so trefflich, daß er sofort tot zu Boden sank.

So hatte des Professors, von ihm selber so gerühmte Schießkunst den Eislöwen von seinem gefährlichsten Gegner erlöst, und das Ungetüm stapfte schwerfällig auf seinen Retter zu, um ihn aus Dankbarkeit zu fressen.

Schulze stand starr: er hatte ja zwar den Dickhäuter treffen wollen, nun er aber statt seiner seinen Angreifer erlegt hatte, war es doch empörend, daß er zum Lohn dieser edlen Tat selber angegriffen werden sollte. Es wäre ihm sicher ans Leben gegangen, wenn ihn nicht noch rechtzeitig zwei starke Schwabenfäuste ergriffen und weit zur Seite geschleudert hätten.

Mäusle sprang ebenfalls zur Seite, nachdem ihm das gefährliche Rettungswerk geglückt war. Er gab dem Riesentier eine Kugel in den klaffenden Rachen und rief ihm zornig zu: »Hosch no net g'nug, du Dickschädel, du fürchtiger. Guck, do isch der Michel Mäusle aus Gschlachtebretzinge, der fürcht se net vor so eme Goliäthle. Was glotscht me so a'? Willsch no meh blaue Bohne, du Nimmersatt?«

Aber der Eislöwe hatte genug, ja zu viel für seine Kräfte: die Kugeln hätten ihm wohl kaum das Lebenslicht ausgeblasen, aber die mehrfache Anzapfung hatte ihn mehr Blut gekostet, als er entbehren konnte, und so krachte er endgültig zusammen. Als er völlig verendet war, wurde er der prächtigen Stoßzähne beraubt, die zweimal so groß waren als die schönsten Elefantenzähne. Auch große Stücke seines Fleisches wurden auf den Schlitten geladen.

Von Südburg aus wurden nach der Rückkehr der Jäger sämtliche Schlitten ausgeschickt, um die drei Bären mit ihren prächtigen Fellen und den zerstückelten Eislöwen zu holen. Man konnte seine Haut gut verwerten und auch sein Fleisch gab, wie das Bärenfleisch, vorzügliche Braten. Man dörrte daher noch reiche Vorräte davon. Die Reste verschafften den tapferen Hunden gute Tage.

Doktor Maibold pflegte nicht mit auf die Jagd zu gehen. Er hatte jedesmal eine andere Entschuldigung. Er wurde jedoch durchschaut, denn das Ganze war, daß er sich ungern in Gefahr begab. So mußte er manche anzügliche Bemerkung einstecken, bis er sich endlich einmal entschloß, seinen Heldenmut glänzend zu beweisen und sich an einer Jagd zu beteiligen.

Es war ein verhältnismäßig heller Tag; denn man darf nicht denken, daß die Polarnacht das Land in beständige Finsternis hüllte. Tag und Nacht wechselten ab, wenn auch die Tage äußerst kurz waren und bei heftigen Schneestürmen undurchdringliches Dunkel herrschen konnte. Bei gutem Wetter brachte der Tag ein mehr oder weniger klares Dämmerlicht, und die endlosen Schnee- und Eisflächen verstärkten die Helligkeit derart, daß man ziemlich weit sehen konnte. Bei klarem Himmel waren aber auch nachts bei Mondschein oder im rosigen Glanze des Polarlichts Jagdausflüge möglich: die reine Luft und das glitzernde Weiß der Schneedecke verstärkten das nächtliche Licht in einer Weise, daß die der Sonne entwöhnten Augen so gut zu sehen glaubten, wie an einem bewölkten Wintertag in der Heimat.

Der Doktor sollte seinen kühnen, höchst ungern gefaßten Entschluß bitter bereuen, denn gerade heute wurde den Jägern die unheimlichste Begegnung, die sie je gehabt hatten.

Schulze legte soeben seine niefehlende Büchse auf einen Schwanzbären an, als aus einer dunklen Höhle ein riesiges Geschöpf hervorschoß, dessen Anblick alle mit Grauen erfüllte, außer vielleicht Münkhuysen und Michael Mäusle, bei denen das Interesse für alles Unbekannte so lebhaft war, daß es kein Gefühl des Entsetzens aufkommen ließ, zumal beide keinerlei Anlage zur Furchtsamkeit hatten, sondern auch in den ungewohntesten und gefahrvollsten Lagen ihre unerschütterliche Kaltblütigkeit bewahrten.

Das Wesen, das alle anderen mit Abscheu und Schrecken erfüllte, ließ sich auf den ersten Blick als eine Spinne erkennen, als eine Art Kreuzspinne. Aber gleich den Riesen der Urwelt wies sie ganz ungeheure Formen aus. Die verhältnismäßig dünnen Beine, sechs an der Zahl, waren immerhin noch so dick wie die Gliedmaßen eines schweren Gaules. Die Füße liefen in dreizehige Zangen aus. Sie zeigten sich dichtbehaart und maßen bis zum Knie stark zwei Meter, also mehr als Mannshöhe. Vom Knie ab waren sie nach innen und abwärts eingeknickt, wie wir es auch bei unseren zwerghaften Spinnen beobachten. Die allmählich sich verdickenden Schenkel trugen den widerlichen Leib in der Schwebe. Dieser Leib glich einer borstigen Kugel von Nilpferdgröße, etwas abgeplattet am Rücken, vorn mit apfelgroßen, vorquellenden und boshaft glühenden Augen versehen, unter denen ein breites Maul die ganze Vorderseite des Leibes spaltete.

Blitzschnell war dieser Spinnendrache, wie ihn Mäusle alsbald benannte, auf den Bären gestürzt. Es sah aus, als reite er auf ihm, denn der unförmliche Körper ruhte auf seinem Rücken, während die Beine, je drei zur Rechten und zur Linken, auf dem Boden standen. Das überfallene Raubtier heulte ängstlich und schlug mit dem langen Schweife um sich. Da sah man aus den Mundwinkeln der Spinne starke Stachel hervorzucken, jeden etwa vierzig Zentimeter lang. Am Ansatz mochten sie fünf Zentimeter im Durchmesser messen, dann verjüngten sie sich kegelförmig und liefen in eine scharfe Spitze aus. Diese »Kiefer« bohrten sich rasch in beide Seiten des Opfers ein, so tief, daß sie völlig darin verschwanden. Der Bär machte verzweifelte Anstrengungen, sich zu befreien, sank aber bald kraftlos in sich zusammen und zuckte nur noch schwach im Verenden.

Alle sahen dem gräßlichen Schauspiel zu, ohne sich zu regen, gebannt, teils von niegeahntem Grauen, teils von schauderndem Interesse, gepaart mit Mitleid für das gequälte Tier, dem nicht mehr zu helfen war.

Jetzt zog der Spinnendrache seine Zangen aus den Flanken des ausgesaugten Bären: sie glänzten in feuchtem Rot, und von den Spitzen tropfte das Blut herab. Aber das Ungeheuer war noch nicht gesättigt: es schoß auf Maibold zu, der keiner Bewegung fähig war.

Bei diesem Anblick rissen sich die Jäger aus ihrer Erstarrung: Schüsse krachten und mehrere Kugeln durchbohrten den massigen Leib. Ein dicker, rötlicher Brei quoll aus den Wunden.

Allein das Scheusal ließ sich dadurch nicht behindern: in seinem erstaunlich schnellen Lauf prallte es mit dem Kopf an den Doktor, der auf den Rücken fiel und wild zappelte in Todesangst, vergeblich suchend, sich aufzurichten, denn schon hielt ihn der Spinnendrache mit den Zangen der beiden Vorderfüße fest, wie in einem Schraubstock.

Wieder fielen mehrere Schüsse ohne erkennbare Wirkung, als daß die quellenden Wunden sich mehrten. Die austretende blutige Masse gerann jedoch sofort an der Luft und verschloß die kleinen Löcher.

Es schien keine Möglichkeit zu geben, Maibold zu retten. Aber Mäusle bedachte sich nicht lange, wie er stets in Augenblicken höchster Gefahr blitzschnelle Entschlüsse faßte, meist solche, an die kein anderer gedacht oder die keiner gewagt hätte, die sich aber nachträglich als äußerst zweckmäßig zu erweisen pflegten.

Zu aller Erstaunen und Entsetzen machte der Schwabe einen gewaltigen Satz und schwang sich auf den Rücken des Blutsaugers: Weitsprung und Hochsprung waren Mäusles besondere Fertigkeiten, das erkannte man hier wieder, denn niemand hätte ihm diesen Sprung aus ziemlicher Entfernung nachgemacht.

Der Leib des Untiers wurde durch das Gewicht des Reiters und die Wucht seines Auffallens niedergepreßt, so daß er auf seinem Opfer ruhte; denn die Spinnenbeine vermochten einem solchen Anprall nicht genügend Widerstand zu leisten. Schon waren die Stacheln aus den häßlichen Mundwinkeln gefahren, um sich in des Doktors Seiten zu bohren, als der unerwartete und ungewohnte Angriff die Spinne erschreckte und zunächst zu einem krampfhaften Versuch veranlaßte, sich wieder aufzurichten.

Dieses Zögern benutzte der kühne Angreifer: er hatte sein Messer gezogen und packte nun den einen Kiefer mit festem Griff. Im Nu hatte er ihn hart am Ansatz abgeschnitten. Schnell zog der Drache den anderen zurück und kroch mühsam vorwärts, bemüht, sich von der Last zu befreien.

Schießen konnte natürlich niemand mehr, wegen der Gefahr, den Schwaben statt der Spinne zu treffen. Mäusle aber bearbeitete seinen weichen Sitz mit dem Jagdmesser. Zuerst schnitt er mit zwei raschen Hieben die vorquellenden Augen ab, dann zog er lange Schnitte in den Rücken, und als dies nicht schnell genug zu einem befriedigenden Ergebnis führte, packte er ein Bein um das andere und trennte es los.

Der Spinnendrache war über Maibolds Leib weggekrochen und sein nurmehr dreibeiniger Körper sank zu Boden. Der Schwabe sprang herunter und begann ihn unter Steinen zu begraben, die er wuchtig in die blutende breiige Masse warf. Diesem Beispiel folgten die anderen, bis die letzte Zuckung der zappelnden Glieder aufhörte.

Der Doktor erhob sich langsam und schwankend. Man stärkte ihn mit einem Schluck Kognak, und nun vermochte er seinem Retter zu danken und zu schwören, daß dies das erste und letzte Mal sei, daß er sich zur Teilnahme an einer Jagd in diesen unheimlichen Revieren habe verleiten lassen.


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