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3.
Ein fauler Zauber

Am Nachmittag wurde ein kleiner Ausflug unternommen nach einem Hügel, den Baron von Münkhuysen angekauft hatte, und auf dessen Gipfel er sich ein Landhäuschen hatte erbauen lassen. Zwar erhob sich die Anhöhe kaum dreißig Meter über das Flachland, immerhin aber war sie in dieser ebenen Gegend eine Merkwürdigkeit.

Unterwegs beklagte sich die Gesellschaft, daß in diesem Lande von einer richtigen Aussicht keine Rede sein könne; auch von solch einem Maulwurfshügel aus könne man eben höchstens einige Dörfer in nächster Nähe erblicken. Dahinter sei der weitere Ausblick durch Dämme behindert, über die im besten Falle eine Windmühle rage.

»Dennoch sollen sie heute eine richtige Fernsicht genießen,« erklärte Münkhuysen mit geheimnisvollem Lächeln.

Alles war infolgedessen in gespannter Erwartung; denn man war gewohnt, dem Baron unbedingt Glauben zu schenken, und doch konnte sich niemand erklären, woher die versprochene Fernsicht plötzlich kommen solle.

Im Landhaus angelangt, führte der Hauswirt die Gesellschaft sofort in ein rundes, fensterloses Türmchen hinauf, das sein Licht von oben durch eine Glaskuppel empfing, und in dessen Wände ein Kranz von Doppelgläsern, gleich Feldstechern, eingelassen war.

»Schauen Sie einmal durch diese Operngläser,« forderte Münkhuysen seine Gäste auf. Und wahrhaftig! Was erblickten sie? Eine Aussicht, die sich in unabsehbare Fernen dehnte: da sah man entlegene Dörfer und Windmühlen, endlos sich hinziehende Kanäle und erst ganz fern am Horizont die Dämme als kaum sichtbare Streifen.

»Da hört sich doch alle Wissenschaft auf!« eiferte Professor Schulze, ein Naturforscher aus Berlin: »Wie war es Ihnen nur möglich, Baron, eine solch großartige Fernsicht hierher zu zaubern? Denn daß es sich nicht um ein täuschendes Panorama handeln kann, beweisen die Fuhrwerke, Schiffe und Menschen, die wir in voller Bewegung ihres Weges dahinziehen sehen.«

Während noch alle schauten und staunten, sagte Münkhuysen lachend: »Die Sache ist kindlich einfach: sehen Sie, ich ließ diese Operngläser einfach verkehrt in die zu diesem Zwecke ausgesparten Maueröffnungen einfügen, die großen Gläser vorn, nach innen, und die kleinen nach außen. Das ist der ganze Zauber, der Sie entzückt. Ist es nicht eine merkwürdige Sonderbarkeit von uns Menschenkindern, daß wir auf eine weite Fernsicht so viel Wert legen und uns, um sie genießen zu können, mit dem Erklettern hoher Berge abplagen, oft unter Lebensgefahr? Was ist denn das im Grunde für ein so erstrebenswerter Vorzug, wenn wir von einem himmelhohen Berg so weit in die Welt hinaus sehen, daß wir Wälder und Hügel, Dörfer und Städte kaum mehr zu erkennen vermögen und oft im Zweifel sind, ob ein Kirchturm oder eine Tanne am Horizont emporragt. Wem das ein solcher Genuß ist, der kann ihn sich überall dadurch verschaffen, daß er einfach seinen Feldstecher verkehrt an die Augen hält.«

Das Gelächter über diesen verblüffenden Scherz war allgemein; doch mußte man, wie immer, dem Baron rechtgeben; denn die Fernsicht machte tatsächlich einen ebenso großartigen Eindruck, als wenn sie Tatsache gewesen wäre.

Vergnügt kehrten alle wieder in die Stadt zurück, vollbefriedigt, ohne erhebliche Anstrengung einen so erhabenen Aussichtspunkt erklommen zu haben.

So stolz der junge Frank bisher auf seine vielseitigen Kenntnisse gewesen war, mußte er sich doch immer mehr eingestehen, daß er bei Münkhuysen so viel Neues lernte, daß der Wahn, als habe er seine Lehrjahre schon hinter sich, rasch verflog. Er fing an, zu merken, daß sie erst jetzt so recht begannen. Das Leben und der lebendige Verkehr mit bedeutenden Männern fügte seiner Hochschulbildung noch vieles Wertvolle hinzu und gab ihr erst den rechten Wert.

Es fanden sich aber auch hier in des Barons Umgebung tüchtige und bewährte Männer der verschiedensten Berufe, Männer der Wissenschaft und der Technik. Es gab kaum einen Gegenstand, der im Laufe der Zeit nicht irgendwie berührt und von allen Seiten beleuchtet worden wäre. Als man einmal von neuen Erfindungen auf dem Gebiete des Kriegswesens redete, bedauerte Münkhuysen, daß der Dowepanzer so kurzerhand abgetan worden sei.

»Mochte er auch für den Soldaten zu schwer sein,« meinte er, »so hätte er doch für Verschanzungen gute Dienste leisten können; ja die Wiedereinführung der Kriegselefanten hätte er ermöglicht: ein mit dem Dowepanzer geschützter Elefant, mit einem Dowepanzerturm, in welchem nur wenige Krieger sich aufhielten, gliche einer unverletzbaren wandelnden Festung, die dem feindlichen Heere unabsehbaren Schaden zufügen könnte. Auch Automobile ließen sich mit dem leichten Panzerstoff überkleiden und so in der Schlacht wirksam verwenden.«


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