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21.
Münchhausens wunderbare Berichte

Als verhältnismäßig kleines Schiff konnte das »Südkreuz« keine große Bemannung haben: die ganze Besatzung zählte nur fünfzehn Mann, eine junge Frau und ein kleines Fräulein.

Außer Münkhuysen und seiner Tochter Eva befanden sich an Bord: Michael Mäusle und seine Frau Neeltje, Ernst Frank, Professor Schulze und Professor Raimund, Ingenieur Holm und Doktor Maibold, als Passagiere. Den Oberbefehl über das Schiff führte Kapitän Hugo von Münchhausen; ihm zur Seite standen die beiden genuesischen Steuermänner Cavini und Geloso nebst fünf italienischen Matrosen, die nur mit ihren Vornamen benannt wurden: Luigi, Carlo, Pietro, Antonio und Enrico. Diese wenigen Kräfte genügten bei der Einfachheit der Bauart des Polarfahrzeugs, das meist gar keine Segel führte und deren überhaupt nur wenige besaß. Zwei der Matrosen dienten abwechselnd als Heizer, und im Notfall waren auch die Mitglieder des Unternehmens genügend angelernt, um Hand anlegen zu können.

Münchhausens großartige Phantasie erheiterte die Gesellschaft oft während der sonst etwas langweiligen Fahrt. Es gab keine noch so außergewöhnliche Lage, in der er sich nicht schon einmal befunden haben wollte, und dann wußte er Wunder davon zu erzählen, wie er sich aus den größten Bedrängnissen herauszuhelfen verstanden habe. Er behauptete sogar, schon nach dem antarktischen Strande eine Forschungsreise ausgeführt zu haben, und was er da alles erlebt und geleistet haben wollte, war fabelhaft. Übrigens nahm er es nie übel, wenn man über sein Seelatein aus vollem Halse lachte; vielmehr freute ihn dies, da es ja der Hauptzweck seiner lustigen Erfindungen war, und er schmunzelte oder lachte herzlich mit und mutete niemand zu, ihm unbedingten Glauben zu schenken.

Schulzes Ungeduld konnte es kaum erwarten, bis das Festland in Sicht kam. So fragte er eines Tages den Kapitän, wie weit es eigentlich noch bis zum Lande sei?

»Rund fünfhundert Meter,« war Münchhausens ernsthafte Antwort.

»Wie? Nicht weiter als ein halber Kilometer?« fragte der Professor verblüfft und seine Sehwerkzeuge vergeblich anstrengend: »Ich kann ja keine Spur davon sehen! In welcher Richtung liegt es denn?«

»Senkrecht unter uns,« erwiderte Münchhausen trocken: »Die Lotungen ergeben eine Tiefe von fünfhundert Metern.«

Schulze blickte nicht gerade geistreich bei diesem unerwarteten Bescheid, weshalb sein schalkhafter Freund lachend bemerkte: »Machen Sie kein so schafsdummes Gesicht, Mann der Wissenschaft!«

»Bitt' schön! Dazu habe ich ein Recht, als deutscher Professor,« entgegnete der Gelehrte: »Sie sehen auch nicht gerade aus, wie ein Ausbund von Weisheit. Der Esel sollte sich nicht über das Schaf erheben.«

»Professor, Sie werden beleidigend! Ich breche jeden gesellschaftlichen Verkehr mit Ihnen ab. Fortan sind Sie Luft für mich: Sehen Sie zu, wie Sie sich damit abfinden.«

»Bin ich Luft für Sie, so sind Sie für mich Wasserstoffgas, Sie aufgeblähter Luftballon!«

Man kann sich denken, daß die Gefährten mit Vergnügen lauschten, wenn die beiden sich in derart scherzhafter Weise stritten und einander zu überbieten suchten.

Als der Wind, aus Norden wehend, auffrischte, ließ der Kapitän die Segel entfalten, um Kohle zu sparen. Als man dann abends zum Plauderstündchen versammelt war, sagte er: »Schade, Baron, daß Ihr Schiff ein so schlechter Segler ist. Ha! Wenn ich an meinen ›Sturmvogel‹ denke, den schnellsten Segler, den das Salzwasser je gesehen hat! Da war es ein Vergnügen, Kapitän zu sein; er segelte bedeutend schneller als der Wind, und der größte Dampfer vermochte nicht, ihn einzuholen.«

»Schneller als der Wind?« fragte Doktor Maibold spöttisch: »Ich meine, ein Segelschiff wird vom Winde getrieben, ist also in seiner Schnelligkeit von derjenigen des Windes abhängig?«

»Für einen Laien ist dies keine so widersinnige Behauptung,« meinte der Dicke; »allein mein ›Sturmvogel‹ glitt so leicht über das Wasser, daß er, wenn er recht im Schuß war, weit vor dem Wind herlief. Das läßt sich einfach erklären. Denken Sie sich, Sie schöben einen leichten vierräderigen Karren auf einer asphaltierten Bahn. Diese glatte Bahn stellt die Meeresfläche dar, Sie, Doktor, als die treibende Kraft, verkörpern den Wind oder, wenn Sie recht wacker schieben, den Sturm. Das Gefährt versinnbildlicht meinen ›Sturmvogel‹. Nun geben Sie dem Karren, den Sie nicht festhalten, wie ja auch der Wind das Schiff nicht festhalten kann, einen kräftigen Stoß, so wird er unbedingt weit vor Ihnen herrollen, bis die Wirkung des Anstoßes nachläßt, seine Fahrt sich verlangsamt, und er zuletzt stille steht. Sie aber sind, trotz Ihrer Eile, weit zurück und haben Mühe ihn einzuholen. Genau so wirkten die Windstöße auf mein unvergleichliches Fahrzeug.

»Natürlich kam es bei solchen Gelegenheiten schließlich auch zum Stillstand. Da sagte mir einmal mein neuangeheuerter Steuermann, der mein Schiff noch nicht kannte: ›Kapitän, wir sind in eine Region völliger Windstille geraten; die Segel hängen schlaff und kein Lüftchen will sie blähen.‹

»›Geduld, Geduld!‹ tröstete ich ihn. ›Mein ›Sturmvogel‹ segelt eben schneller als der Wind, und so habe ich das vorausgesehen und nicht anders erwartet. Der Wind konnte mit uns nicht Schritt halten und ist nun um mehrere Seemeilen zurück: wir haben ihn im Schuß weit überholt und müssen nun einfach warten, bis er uns nachkommt.‹ In der Tat dauerte es kaum eine Viertelstunde, so kam der Sturm ganz atemlos hinter uns angekeucht. Zweifellos hatte ihn die völlig ungewohnte Tatsache, daß ein Segler ihm so weit vorauseilte, geärgert, und er hatte alle Kraft aufgewendet, ihn einzuholen. Er war dabei förmlich zum Orkan angewachsen und blähte unsre Segel zum Zerspringen. Der ›Sturmvogel‹ flog wieder pfeilschnell dahin und war bald aufs Neue dem Freund Blasius außer Reichweite. So mußten wir alle Viertelstunden beidrehen und abwarten, bis der Wind uns nachkam.

»Dieses beständige Auf-den-Wind-Warten wurde mir aber doch langweilig, zumal dadurch die herrliche Eigenschaft meines Fahrzeugs, schneller zu segeln als der Wind, gar nicht ausgenützt werden konnte. Ich sann daher auf Abhilfe. An Land hätte man ja etappenweise Winddepots anlegen können, das heißt, mit Wind gefüllte Vorratshäuser in geeigneten Abständen; man hätte sie nach Bedarf geöffnet und gleich wieder vollwehen lassen, ehe man sie wieder abschloß. Auf dem Meer ging das nicht an: man hätte viele Windbojen gebraucht, die infolge ihrer Leichtigkeit leicht abgetrieben worden wären. Ich ließ daher große Säcke aus Segeltuch anfertigen, die luftdicht geteert wurden. Bei guter Brise wurden sie gegen den, Wind geöffnet, und sobald er sich darin verfangen und sie vollständig aufgebläht hatte, band man sie zu und verstaute sie im Schiffsraum. Auf diese Weise konnte ich große Vorräte an Nordwind, Westwind, Südwind, Ostwind, Nordwest, Südost und allen andern Abarten beständig mit mir führen und nach Bedarf verwenden. So wurde ich nicht nur von Windstille, sondern auch von ungünstigen Luftströmungen unabhängig. Leider gelang es mir nicht, die Säcke völlig luftdicht zu verschließen, so daß die Vorräte alle drei bis vier Wochen erneuert werden mußten, was oft langen Aufenthalt verursachte, da die Winde leider nicht täglich aus allen Himmelsrichtungen blasen. Schade, daß die Segelschiffe so ganz in Abgang kommen, sonst hätte ich mir mein so einfaches und doch unschätzbares Verfahren patentieren lassen!«

Selbstverständlich staunte die ganze heitere Gesellschaft über Münchhausens Schnellsegler und noch mehr über seine geniale Erfindung, die erforderlichen Winde mit sich zu führen.


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