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13.
Die Erforschung des Südpols

Zum letztenmal war die Gesellschaft im trauten Speisesaale versammelt und besprach die bevorstehende Reise. Hiezu hatte man Zeit, denn alle hatten ihre Vorbereitungen abgeschlossen, und es gab für sie nichts mehr zu tun, als am anderen Morgen das Schiff zu besteigen. Dieses sollte sie zunächst nach Australien führen, wo Münkhuysen für die weitere Fahrt ein Fahrzeug bauen ließ, wie er es sich für den Zweck einer Polarreise ausgesonnen hatte.

»Warum lassen Sie denn das Schiff in Australien herstellen,« fragte Michael Mäusle, »statt auf einer unserer vorzüglich bewährten deutschen Werften?«

»Das gab sich von selbst,« erwiderte der Baron: »Mein Schiff sollte nach dem Vorbild von Nansens ›Fram‹ gebaut werden; denn die größte Gefahr in den Polargegenden für ein Schiff ist, daß es durch Eispressung zermalmt wird. Ist das Eis um das Schiff geschlossen und fängt an zu schrauben, so wird das Fahrzeug zunächst gehoben, weil die glatten, schrägen Schiffswände unter dem Druck an den Eiswänden hinaufgleiten.«

»Was bedeutet denn das,« unterbrach Ernst den Baron, »was Sie ›Schrauben des Eises‹ nennen?«

»Das will ich Ihnen zu erklären versuchen,« erbot sich Raimund: »Wenn große Eismassen durch Stürme getrieben und durch starken Frost vermehrt eine Pressung aufeinander ausüben, so werden einzelne Teile oder kleinere Schollen, inmitten der Eispressung, nach oben getrieben oder ›emporgeschraubt‹; ebenso ergeht es dem unglückseligen Schiff, das sich etwa im Schoße dieser drängenden Eismassen befindet.«

»Nun gut,« fuhr Münkhuysen fort: »Ist das Fahrzeug stark genug, einen gehörigen Druck zu ertragen, so wird es, wie gesagt, emporgeschraubt; der Kiel jedoch wird in des Eises Schraubstock gezwängt, da er nicht die schrägen Gleitflächen besitzt, und da ist es denn erklärlich, wenn er schließlich abgedrückt und der Schiffsboden völlig aufgerissen wird.

»So ging es dem Schiff der schwedischen Südpolexpedition, der ›Antarctic‹, das im südlichen Eismeer unterging, nachdem ihm das Schraubeis den Kiel abgepreßt hatte. Wäre es kiellos gewesen, so wäre es mit Verlust des Steuers davongekommen; so aber mußte es untergehen und die Besatzung wurde zu einer unvorhergesehenen Überwinterung auf der Pauletinsel gezwungen.

»Nansens ›Fram‹ ist besonders für solche Schraubeispressungen eingerichtet gewesen und besaß keinen Kiel; außerdem waren die Schiffswände durch ein Gewirr von Balken im Innern gestützt, so daß sie ohne Beschädigung große Pressungen auszuhalten vermochten.

»Aber eben dieses System von Balken im Innern des Schiffes gefiel mir nicht. Ich sagte mir, daß sich ein Fahrzeug von unbegrenzter Widerstandskraft viel einfacher herstellen lasse, wenn es massiv aus einem gewaltigen Holzblock gearbeitet würde, statt aus Planken zusammengesetzt zu sein. Bäume aber, die groß genug sind, um ein solches Schiff aus einem Stück zu liefern, finden sich in Australien: das sind die Eukalypten oder Blaugummibäume.

»Das Holz des Eukalyptus fault nicht und gehört zum härtesten Holz, das es gibt; für den Schiffbau gibt es kein vorzüglicheres Material. Ich begab mich daher persönlich nach Australien und suchte einen Baum aus, der sich für meine Zwecke eignete. Aus dem Stamm dieses Riesen wird nun mein Polarschiff, das ›Südkreuz‹, herausgearbeitet; es erhält eine Länge von 50 Metern, bei 12 Meter Deckbreite und allerdings nur geringem Tiefgang. Letzteres jedoch ist für eine Fahrt im Eise nur von Vorteil.

»Die Innenräume des ›Südkreuz‹ werden ausgebohrt und lassen überall meterdicke Wände übrig: im Verhältnis zu dem ungeheuren massiven Block bilden sie nur unwesentliche Hohlräume. So kann der stärkste Eisdruck meinem Schiffe nichts anhaben, und bei seiner glatten, abgerundeten Außenform wird es im Schraubeis mit Leichtigkeit emporgetrieben. Einen Kiel, der ihm angesichts seiner Blocknatur nicht einmal gefährlich werden könnte, besitzt es nicht. Es kann auf unterseeische Riffe auffahren oder von einem Orkan gegen Felsen geschmettert werden, ohne daß es leck werden könnte; höchstens verliert es einige Späne und erhält einige bedeutungslose Schürfungen.«

»Immerhin können die Schiffsschrauben und das Steuerruder abgeschlagen werden,« gab Holm zu bedenken.

Münkhuysen lachte: »Ja, wenn ich mein ›Südkreuz‹ mit solchen veralteten Auswüchsen versehen würde. Ich sage Ihnen aber, das Schiff ist an seinen Außenwänden so glatt wie eine Haselnußschale.«

»Gewiß haben Sie auch eine neue Art der Fortbewegung und Steuerung des Schiffes ersonnen,« vermutete Mäusle, »da es, wie Sie sagen, weder Steuer noch Schrauben besitzt?«

»Selbstverständlich! Vorne am Bug des Schiffes befindet sich eine runde Öffnung mit einem Kanal, darinnen eine Röhre sich mäßig nach rechts oder links wenden läßt; ebenso hinten am Schiff: beide Kanäle stehen miteinander in Verbindung. Die Maschine des ›Südkreuz‹ zieht das Wasser vor dem Schiffe ruckweise ein und stößt es hinten wieder aus; hiedurch wird gleichzeitig der Wasserdruck vorne vermindert und hinten verstärkt, wodurch das Schiff ganz von selber vorwärts getrieben wird. Meine Versuche mit diesem neuen System haben ergeben, daß mit geringerer Dampfkraft eine viel größere Fahrgeschwindigkeit erzielt wird als bei unseren schnellsten Schraubendampfern; selbstverständlich muß durch ein Schutznetz an der vorderen Öffnung das Ansaugen von Seepflanzen, Seetieren und so weiter verhindert werden, die imstande wären, den Kanal zu verstopfen. Dieses Netz bewegt sich beständig und wird automatisch von anhaftenden Substanzen gereinigt.

»Was das Steuern anbelangt, so geschieht dies auf einfachste Weise dadurch, daß der Einzugs- und Abgangsröhre eine andere Richtung gegeben wird. Übrigens hätte ich statt der Dampfkraft lieber die Elektrizität angewendet; ich müßte aber damit erst noch umfassende Versuche anstellen, durch welche unsere Abfahrt wesentlich verzögert würde.«

Da der Baron unseren jungen Freund, Ernst Frank, tatsächlich wie seinen Sohn behandelte und stets bereit war, seine Wißbegier in liebenswürdigster Weise zu befriedigen, bat ihn der Jüngling, ihn näher in seine Reisepläne einweihen zu wollen und ihm überhaupt einige Aufklärungen über die Südpolargegenden zu geben. Er selbst wußte zwar etwas von dem Südpol selber und seiner nächsten Umgebung, von dem Münkhuysen noch keine Ahnung hatte, so wenig wie irgend jemand anders auf Erden. Das war nur Eva und ihm bekannt und ihr großes Geheimnis. Allein sonst hatte Ernst wenig Kenntnisse von den antarktischen Gebieten und lauschte daher begierig den Ausführungen des Barons, als dieser folgendermaßen begann: »Bis auf den heutigen Tag sind verhältnismäßig wenige Entdeckungsfahrten in die Gewässer des südlichen Eismeeres unternommen worden, und der Strand der Antarktis wurde in jüngster Zeit, am 23. Januar 1895, zum allerersten Male von Menschen betreten. Dies geschah, als Egeberg Borchgrevingk mit seinen Begleitern auf Kap Adare landete. Aber auch hier handelte es sich nur um ein kurzes Verweilen am eisigen Strande. Erst Borchgrevingk aus seiner zweiten Reise und nach ihm die letzten großen Südpolexpeditionen haben sich das Verdienst erworben, das Festland genauer untersucht zu haben. Die Schweden betraten es an mehreren Stellen, die Deutschen und die Engländer überwinterten auf demselben, und letztere drangen auch eine ziemliche Strecke in das Land ein.

»Es ist kaum glaublich, daß auch nicht ein einziger Forscher bis dahin einen Versuch gemacht hatte, landeinwärts zu dringen. Freilich ist die große Eismauer oder Bankise, wie die Franzosen sie nennen, mit schuld an diesem Umstand. Es ist Ihnen ja zweifellos bekannt, daß die Küste der Antarktis überall, wo sie bisher erblickt wurde, von jener unheimlichen, endlosen und nur wenig zerklüfteten Eisterrasse eingeschlossen ist. Dumont d'Urville und Wilkes verfolgten diese Eismauer auf Hunderte von Kilometern westlich von Viktorialand; Roß segelte östlich von Viktorialand ebenfalls mehrere hundert Kilometer an dieser Bankise hin. Sämtliche Gletscher des Binnenlandes sowie das übrige Inneneis fallen nämlich schroff gegen das Meer ab und bilden auf diese Weise eine Mauer von fünfundvierzig bis sechzig Meter Höhe; an anderen Stellen erreicht sie sogar eine Höhe von neunzig bis hundertfünfzig Metern; und nur eine Stelle wurde von Roß beobachtet, wo die Mauer nur fünfzehn Meter hoch war.

»Es muß allerdings betont werden, daß die Südpolarforschung verhältnismäßig jung ist und wir dem Nordpol weit näher liegen als der Antarktis, so daß sich selten eine Forschungsreise dem südlichen Eismeere zuwendete. Anderseits bietet die Nordpolforschung weit größere Hindernisse und Gefahren, denn hier befindet sich ein ausgedehntes Eismeer mit heimtückischen Spalten und unsicheren Eisebenen, die auf dem Wasser schwimmen und unversehens abbröckeln können. Der Südpol scheint hingegen auf einem großen Festlande zu liegen.

»Schon Ptolemäus vertrat die Ansicht eines Südpolarkontinents, doch wollten bis in die neueste Zeit die meisten Männer der Wissenschaft nicht an ihn glauben, obwohl alles für und nichts gegen ihn sprach. Aber die Wissenschaft ist eben persönliche Meinungssache, die sich wenig um die Tatsachen zu kümmern pflegt.

»Während nun Grönland schon im vierzehnten Jahrhundert eine dänische Kolonie war, sind die ersten antarktischen Inseln erst 1501 durch Amerigo Vespucci entdeckt worden, nämlich Südgeorgien, wenn man diese Inselgruppe überhaupt schon zur Antarktis rechnen will.

»Allein beinahe zweihundert Jahre lang konnte kein Seefahrer mehr diese Inseln auffinden, so daß man nicht mehr recht an sie glauben wollte, bis Antonio de la Roché sie 1675 neu entdeckte. Wieder vergingen zweiundsechzig Jahre, bis eine weitere Entdeckung folgte: 1738 fand der französische Admiral Lozier Bouvet die Inselgruppe, die seinen Namen trägt. Freilich erkannte er ihre Inselnatur nicht und glaubte, ein Vorgebirge des Festlandes gesehen zu haben.

»Dann entdeckte Marion du Frezne im Jahre 1772 die Prince-Edwards- und die Crozetinseln und der Bretagner Kerguelen die nach ihm benannten Eilande.

»Aber erst der berühmte Weltumsegler James Cook ist bis zum Polarkreis vorgedrungen und hat ihn dreimal überschritten. Er entdeckte die Südsandwichsinseln und umfuhr das ganze Südpolargebiet, so daß seither viele glaubten, der vermutete Weltteil sei überhaupt nicht vorhanden, während doch nur feststand, daß er so ausgedehnt nicht sein konnte, wie ihn die mittelalterlichen Karten darstellten unter dem Namen › Terra Australis nondum cognita‹, das heißt ›bisher noch unbekanntes Australland‹.

»Fünfzig Jahre lang ließ man den Südpol wieder in Ruhe, bis am 19. Februar 1819 der englische Kapitän William Smith die wirklich antarktischen Inseln durch einen Zufall entdeckte, denen er den Namen Neusüdshetland beilegte. Am 18. Oktober des gleichen Jahres landete er an der König-Georg-Insel, als erster, der eine Landung in der Antarktis gewagt hatte.

»Als nun bekannt wurde, daß diese Gegenden von Pelzrobben wimmelten, machten sich alsbald die englischen und amerikanischen Robbenschläger dorthin. Von diesen scheint der Amerikaner Pendleton zum ersten Male das antarktische Festland erblickt zu haben, das sodann von Kapitän Nathaniel Palmer näher in Augenschein genommen und an dieser Stelle nach ihm Palmersland benannt wurde.

»Der englische Seehundsfänger Powell ist der Entdecker der Südorkneyinseln. Unter allen aber hat sich James Weddell den berühmtesten Namen gemacht. Er erreichte mit dem 74. Grad die südlichste Breite, an die je ein Mensch, außer Roß, bis zum Jahre 1902 gelangt ist. Weddell war mit seinem Fangschiff durch das Packeis gedrungen und kam in ein weites offenes Meer, das Weddellmeer. Für eine Entdeckungsfahrt war er leider nicht ausgerüstet, und aus Sorge, die Lebensmittel möchten ihnen ausgehen, zwang ihn seine Mannschaft zur Umkehr, während nach Süden zu nichts als freie See zu sehen war, die einem weiteren Vordringen kein Hindernis bot. Schmählicherweise hat bis zum heutigen Tag noch kein Mensch das so aussichtsreiche Weddellmeer näher erforscht oder den Punkt wieder erreicht, wo Weddell am 20. Februar 1821 gegen seinen Willen wieder umkehren mußte.

»In den Jahren 1819 bis 1821 umfuhr eine russische Regierungsexpedition unter Fabian Gottlieb von Bellingshausen den Polarkreis und entdeckte die Insel Peters des Ersten, sowie Alexander-des-Ersten-Land.

»Eine kühne Fahrt unter widrigsten Umständen und mit ganz mangelhaften Mitteln vollführte John Biscoe, der 1831 und 1832 den Pol umsegelte, Enderbyland sichtete, Grahamland berührte und die Biscoeinseln entdeckte. Kemp fand das hohe Kempland und Balleny die vulkanischen Ballenyeilande. Eines der beiden Schiffe Ballenys ist mit seiner Besatzung spurlos verschwunden.

»Einen ganz gewaltigen Aufschwung nahm die Südpolarforschung in den Jahren 1838 bis 1843. In diesem Zeitraum besuchten drei wissenschaftliche Unternehmungen die Antarktis: eine amerikanische mit fünf Schiffen unter Charles Wilkes, eine französische mit zwei Schiffen unter Dumont d'Urville, und eine englische, ebenfalls mit zwei Fahrzeugen, unter dem berühmten Nordpolfahrer James Roß.

»Wilkes fuhr auf einer Strecke von zweitausenddreihundert Kilometern das Wilkesland entlang, dessen Küste genau Australien gegenüberliegt. Doch zweifelte man bis in neueste Zeit, ob Wilkesland einem Festlande angehöre oder nur eine Inselkette bilde, da der Amerikaner in respektvoller Entfernung vom Lande dahinfuhr und somit die Frage nicht mit Sicherheit zu entscheiden vermochte.

»Der Franzose Dumont d'Urville sichtete einzelne Teile desselben Landes, nämlich Adélie- und Clarieland, er fand, daß die äußerste Spitze von Grahamland eine Insel war, die er Joinvilleinsel nannte, während er das Land selber Louis-Philippe-Land taufte. Überhaupt nahm er sich's als echter Franzose heraus, den von anderen schon entdeckten und benannten Küsten, Inseln, Buchten und Vorgebirgen neue französische Namen zu geben, nach seinem Belieben. Er hat das Verdienst, eine gute Karte der Umgebung der Joinvilleinsel entworfen zu haben; im übrigen entsprachen seine Leistungen bei weitem nicht seiner Anmaßung und seiner Selbstüberhebung, obgleich seine Reisebeschreibung nicht weniger als achtundzwanzig Bände füllt! Der Franzose hatte eine gewaltige Angst vor dem Packeis, in das er sich nie hineinwagte: er hielt sich wohlweislich stets an dessen nördlichem Rand.

»Ganz anders waren die Erfolge von James Clarke Roß, dem kühnen Engländer. In drei aufeinander folgenden Wintern, die auf der südlichen Halbkugel die Sommerzeit bilden, drang er durch das Packeis. Seine Hauptentdeckung war das Viktorialand mit den beiden Vulkanen, die er mit den Namen seiner Schiffe, Erebus und Terror, benannte. Letzterer schien erloschen, während ersterer sich in vollster Tätigkeit befand.

»Im Norden hatten die Normannen schon im Mittelalter bei Upernivik in Westgrönland den 73. Breitegrad erreicht, im Süden war bisher nur Weddell so weit vorgedrungen, der bis 74 Grad 15 Minuten kam. Roß aber gelangte in der Nähe von Viktorialand bis zu 78 Grad 10 Minuten, ganz in die Nähe des magnetischen Südpols; den magnetischen Nordpol hatte er selber schon früher entdeckt.

»Die fünfzig bis hundert Meter hohe Bankise, die Eismauer, in welche die Küste der Antarktis ausläuft, gebot seinem Vordringen halt. Er verfolgte sie Hunderte von Kilometern weit, ohne ihr Ende absehen zu können: in starrer Einförmigkeit, glatt und ungespalten, wenn auch mit wechselnder Höhe, dehnte sie sich aus. Vergeblich versuchte Roß, auch noch Weddells Kurs zu verfolgen: undurchdringliches Packeis verwehrte ihm die Durchfahrt in das offene Meer. Dagegen verdanken wir ihm noch eine nähere Untersuchung von Louis-Philippe-Land.

»Erwähnenswert sind noch die Fahrten des amerikanischen Robbenschlägers William Smiley und des Walfisch- und Seehundfängers Kapitän Eduard Dallmann aus Hamburg, die noch nähere Kenntnis von Graham- und Palmerland, sowie der vorgelagerten Inseln vermittelten.

»Die Challengerexpedition unter Nares sichtete flüchtig das Westende von Wilkesland. Dann vergingen wieder zwanzig Jahre, bis der norwegische Kapitän Larsen mit dem ›Jason‹ und Kapitän Evensen mit der ›Hertha‹ die ersten antarktischen Versteinerungen von der Seymourinsel heimbrachten und auf der Ostküste des Grahamlandes im Jahre 1893 das hohe König-Oskarland entdeckten. Auch zwei tätige Vulkane fand Larsen, den Christensenvulkan und Lindenbergs Zuckerhut. Seine äußersten südlichen Entdeckungen sind Jasonland und Foynsland.

»Das Viktorialand war seit seiner Entdeckung durch Roß vor fünfundfünfzig Jahren nicht wieder gesichtet worden, bis es der norwegische Walfischfänger Kapitän Bull 1894/1895 besuchte. Der junge norwegische Gelehrte Egeberg Borchgrevingk hatte sich als Matrose auf seinem Schiffe verdingt, um die Fahrt mitmachen zu können, und betrat hier als erster das antarktische Festland. Da jedoch das Unternehmen lediglich praktische Zwecke verfolgte, kam die wissenschaftliche Forschung nicht zu ihrem Recht. Immerhin konnte Borchgrevingk Gesteinsproben sammeln und die ersten Pflanzen des bisher für vegetationslos gehaltenen Kontinentes pflücken, eine Art Leberkraut und einige Kryptogamen.

»1897/98 ging eine belgische Expedition unter Adrien de Gerlache auf der ›Belgica‹ nach Grahamland ab, dessen Westküste sie untersuchte, wobei der Gerlachekanal bei Dancoland entdeckt wurde. Allein die ›Belgica‹ geriet im Eise fest und trieb über ein Jahr lang in einer Eisscholle umher, ohne bedeutendere Entdeckungen machen zu können.

»Die erste Überwinterung am Südpolarkontinent führte Borchgrevingk 1898 bei Kap Adare aus, der Nordspitze von Viktorialand. Hier lernte er die furchtbaren Winterstürme der Antarktis kennen. Er machte mehrere Schlittenfahrten längs der Küste, während ein Vordringen nach Süden, ins Innere des Landes, sich als unmöglich erwies, da hier gewaltige Gletscher und mächtige Felswände schroff bis zu viertausend Meter Höhe emporragten. Im Sommer jedoch fuhr Borchgrevingk mit seinem Schiff nach Süden und fand, daß die Bankise seit Roß' Zeiten ganz bedeutend abgenommen hatte und zurückgewichen war. Dies ermöglichte ihm eine Landung, und nun erreichte er im Schlitten 78 Grad 50 Minuten südlicher Breite, kam also über Roß hinaus, den in siebenundfünfzig Jahren niemand erreicht hatte.

»Fragt man mich, welches bis heutzutage die glänzendsten Namen auf dem Gebiete der Südpolforschung sind, so würde ich unbedingt die drei James nennen: James Cook, James Weddell, James Roß. Ihnen gesellt sich in neuester Zeit Borchgrevingk zu.

»Im Jahre 1901 wurde nun ein neuer großer Vorstoß nach dem Südpol unternommen, wobei drei Unternehmungen zusammenwirkten: die deutsche unter Drygalski auf der ›Gauß‹, die englische auf der ›Discovery‹ unter Scott und die schwedische auf der ›Antarctic‹ unter Otto Nordenskjöld, dem Neffen des berühmten Nordpolarforschers.

»Ich habe Drygalski damals meine Ansicht mitgeteilt, daß die aussichtsvollsten Ausgangspunkte für ein Vordringen gegen den Südpol Viktorialand und das Weddellmeer seien. Er gab dies zu, meinte aber, es habe auch seinen besonderen Reiz, völlig unbekannte Gegenden zum Ausgangspunkt zu wählen. Er vergaß, daß auch dies für das deutsche Unternehmen nicht zutraf. Allein die Rollen waren verteilt, und England hatte die aussichtsreichste für sich beansprucht.

»Der Erfolg hat mir recht gegeben: die englische Expedition in Viktorialand und die schwedische im Weddellmeer wiesen die geographisch glänzendsten Ergebnisse auf. Eine eigentliche Entdeckung neuer Länder wurde zwar nicht erzielt; doch Scott drang mit Schlitten vierhundertvierzig Kilometer weit ins Land ein, während Armitage und Shakleton eine Wasserscheide von zweitausendsiebenhundert Meter Höhe überschritten. Nordenskjöld untersuchte die Küsten von König-Oskar-Land und entdeckte den Kronprinz-Gustav-Kanal. Die romanhaften Schicksale des schwedischen Unternehmens gehören zum Seltsamsten und Interessantesten, was die Geschichte der geographischen Forschung je gezeitigt hat.

»Ihre großen Erfolge erzielten beide Expeditionen mit einer für Schlittenfahrten denkbar schlechtesten Ausrüstung. Drygalski dagegen besaß ein vorzügliches Hundematerial und war reichlichst mit Lebensmitteln versehen. Er hätte auf einer Schlittenfahrt, der sich weithin keinerlei Hindernisse boten, viel weiter vordringen können als die Engländer, selbst wenn er es nicht gewagt hätte, an die Erreichung des Poles selber zu denken. Unbegreiflicher-, ja schmählicherweise unterließ er jedoch jeglichen ernsten Vorstoß nach Süden und entschuldigte sich damit, daß so etwas wenig Reiz habe, wenn man im voraus wisse, daß man nur Eis, nichts als Eis zu sehen bekomme, und dies habe er an der Aussicht von der Höhe seines Fesselballons feststellen können.«

Professor Schulze bemerkte entrüstet, als der Baron hier innehielt: »Wenn das Eis diesen Mann so sehr schreckte, hätte er füglich zu Hause bleiben können! Hatte er etwa erwartet, eine Rivierapromenade und Palmenallee zu finden, die zum Südpol führte?«

Und Michael Mäusle erklärte: »Ein Mensch, dem es so völlig an Unternehmungslust, Wagemut und geographischem Interesse fehlt, eignete sich am allerwenigsten für ein solches Unternehmen, zumal es einen nationalen Wettbewerb galt. Wir Deutsche haben allen Grund, uns zu schämen, daß eine so schlafmützige Persönlichkeit unserem bewährten Forscherruhm nur Eintrag getan hat, vollends bei einer so besonders schönen und günstigen Gelegenheit, sich glänzend hervorzutun!«

»Nun!« sagte der Baron gutmütig: »Immerhin hat die deutsche Gaußexpedition feststellen können, daß Viktoria-, Wilkes- und Kempland eine zusammenhängende Festlandküste bilden, wie ich dies schon in meinen Veröffentlichungen vom Jahre 1899 erklärte. Auch hat sie wacker physikalische, meteorologische und dergleichen Untersuchungen angestellt, wenn sie auch keine geographische Unternehmungslust betätigte, die allerdings bei einer Forschungsreise das wichtigste und unentbehrlichste Erfordernis wäre.«


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