Jack London
Die Insel Berande
Jack London

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Kapitulation

Als Scheldon zwischen den Palmen hervorkam, wartete Joan an der Pforte zum Grundstück, und er konnte ihr ansehen, daß sie sich bei seinem Anblick freute.

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich mich freue, Sie zu sehen«, begrüßte sie ihn. »Was ist aus Tudor geworden? Das letzte Pistolengeknatter war nicht schön anzuhören. Wer war das, Sie oder Tudor?«

»Sie wissen also alles«, erwiderte er kühl. »Nun ja, es war Tudor, aber mit der linken Hand. Er liegt da mit einem Loch in der Schulter.«

Er beobachtete sie scharf. »Das ist eine Enttäuschung, nicht wahr?« fragte er gedehnt.

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, daß ich ihn nicht getötet habe.«

»Aber ich wollte ja gar nicht, daß er getötet wurde, nur weil er mich geküßt hat«, rief sie.

»Ach, er hat Sie geküßt!« wiederholte Scheldon mit offensichtlicher Überraschung. »Mir war doch, Sie hätten gesagt, daß er Ihren Arm verletzt hätte.«

»Man kann es einen Kuß nennen, wenn er auch nur die Nasenspitze traf.« Sie lachte bei der Erinnerung. »Aber ich habe es ihm selbst heimgezahlt. Ich habe ihm ins Gesicht geschlagen. Und meinen Arm hat er auch verletzt. Er ist braun und blau. Sehen Sie.«

Sie streifte den Ärmel ihrer Bluse hoch, und er sah die Druckstellen zweier Finger.

In diesem Augenblick kam ein Trupp Schwarzer zwischen den Palmen hervor; sie trugen den Verwundeten auf einer roh gezimmerten Tragbahre.

»Romantisch, nicht wahr?« spöttelte Scheldon, indem er Joans bestürztem Blick folgte. »Und jetzt muß ich noch dazu den Doktor spielen und ihn verarzten. Komisch, dies Duell des zwanzigsten Jahrhunderts. Erst macht man in einen Menschen ein Loch, und dann bemüht man sich, es zu stopfen.«

Sie waren beiseitegetreten, um die Tragbahre vorbeizulassen, und Tudor, der die letzte Bemerkung gehört hatte, richtete sich auf dem Ellbogen seines gesunden Armes auf und sagte mit herausforderndem Lächeln: »Würden Sie eine meiner Kugeln abbekommen haben, dann hätten Sie sich das Loch mit einem Teller stopfen müssen.«

»Oh, Sie Schurke!« rief Joan. »Sie haben Ihre Kugeln gekerbt!«

»Es war der Verabredung gemäß«, erwiderte Tudor. »Alles war erlaubt. Wenn wir wollten, konnten wir Dynamit gebrauchen.«

»Er hat recht«, versicherte Scheldon. »Jede Waffe war erlaubt. Ich lag im Grase an einer Stelle, wo er mich nicht sehen konnte, und erledigte ihn wirklich auf anständige Art und Weise. Das kommt davon, wenn man eine Frau auf der Plantage hat. Und jetzt gilt es, Antiseptica mit Wasser anzusetzen, denke ich. Es ist eine schlimme Sache. Ich werde im Buch nachlesen müssen, ehe ich darangehe.«

»Ich kann nicht einsehen, daß ich die Schuld haben sollte«, begann sie. »Ich kann doch nichts dafür, daß er mich küßte. Ich dachte nicht im Traum daran, daß er es je versuchen würde.«

»Deshalb habe ich nicht gekämpft. Aber jetzt ist keine Zeit für Erklärungen. Wenn Sie Bandagen und Binden vorbereiten wollen, werde ich unter ›Schußwunden‹ nachsehen, was zu tun ist.«

»Blutet es stark?« fragte sie.

»Nein; die Kugel scheint keine Arterie getroffen zu haben. Das wäre schlimm gewesen.«

»Dann brauchen wir uns nicht erst mit Nachlesen abzugeben«, sagte Joan. »Ich sterbe vor Neugier, alles zu erfahren. Die ›Apostel‹ liegt ohne Wind vor der Landspitze und wird von ihren Booten geschleppt. In fünf Minuten wird sie vor Anker liegen, und sicher ist Doktor Welshmere an Bord. Wir haben nichts zu tun, als es Tudor bequem zu machen. Wir bringen ihn am besten in Ihr Zimmer unter das Moskitonetz und schicken ein Boot, um Doktor Welshmere zu bestellen, daß er seine Instrumente mitbringen soll.«

Eine Stunde später hatte Doktor Welshmere den Patienten wohl versorgt und schritt zum Strande, um sich an Bord zu begeben, wobei er versprach, zum Essen wiederzukommen. Joan und Scheldon standen auf der Veranda und sahen ihn abfahren.

»Ich werde nie wieder etwas gegen die Missionare haben, seit ich sie hier auf den Salomons gesehen habe«, sagte sie, indem sie sich auf einen Liegestuhl niederließ.

Sie blickte Scheldon an und begann zu lachen.

»So ist's recht«, sagte er. »Mir ist auch zumute, als wäre ich ein rechter Narr gewesen und hätte versucht, einen Gast zu ermorden.«

»Aber Sie haben mir ja noch gar nicht erzählt, um was es sich handelte.«

»Um Sie«, erwiderte er kurz.

»Um mich? Aber Sie haben doch eben gesagt, daß es sich nicht um mich gehandelt hätte.«

»Oh, nicht wegen des Kusses.« Er trat ans Geländer, lehnte sich dagegen und blickte sie an. »Aber es betrifft Sie trotzdem, ich kann es Ihnen ja ruhig erzählen. Sie erinnern sich wohl, daß ich Sie vor längerer Zeit davor warnte, was geschehen würde, wenn Sie Teilhaber von Berande würden. Und richtig, jetzt klatscht die ganze Küste darüber, und Tudor bestand darauf, mir den Klatsch zu erzählen. Sie sehen also, daß es unter diesen Umständen nicht angeht, daß Sie hierbleiben. Es wäre besser, wenn Sie fortgingen.«

»Aber ich will nicht fortgehen«, widersprach sie mit kläglicher Miene.

»Dann eine Anstandsdame –«

»Nein, auch keine Anstandsdame.«

»Aber Sie erwarten doch wohl nicht von mir, daß ich herumlaufe, um jeden Verleumder in den Salomons, der seinen Mund auftut, niederzuschießen?« fragte er verdrießlich.

»Nein, das auch nicht«, antwortete sie impulsiv. »Ich will Ihnen sagen, was wir tun. Wir heiraten uns und bringen dadurch alle zum Schweigen. – So!«

Er betrachtete sie erstaunt und würde geglaubt haben, daß sie ihn zum Narren hielte, hätte nicht eine plötzliche Glut ihre Wangen überzogen.

»Ist das Ihr Ernst?« fragte er unsicher. »Warum?«

»Um diesen ekelhaften Küstenklatsch zum Schweigen zu bringen. Das ist doch ein triftiger Grund, nicht wahr?«

Die Versuchung war stark und unerwartet genug, um ihn schwanken zu lassen, aber der ganze Ekel, der ihn gepackt hatte, als er, die Mücken abwehrend und alle Abenteuer verfluchend, im Grase lag, überkam ihn wieder, und er antwortete:

»Nein, das ist schlimmer als gar kein Grund. Ich lege keinen Wert darauf, Sie aus Gründen der Schicklichkeit zu heiraten –«

»Sie sind der lächerlichste Mensch, der mir je vorgekommen ist«, platzte sie mit einem Anflug ihres früheren Zornes heraus. »Sehr gegen meinen Wunsch reden Sie mir von Liebe und Heirat, gehen wochenlang maulend durch die Plantage, weil Sie mich nicht haben können, sehen mich, wenn Sie denken, daß ich es nicht merke, mit so hungrigen Blicken an, daß ich mich frage, wann Sie das letztemal etwas zu essen bekommen haben, verdrehen die Augen nach meinem Revolvergurt am Nagel, fechten meinetwegen Duelle aus und so weiter – und – und jetzt, da ich Ihnen sage, daß ich Sie heiraten will, erlauben Sie sich, mir einen Korb zu geben.«

»Sie können mich nicht lächerlicher machen, als ich mich sowieso schon fühle«, antwortete er und rieb sich nachdenklich die Beule auf seiner Stirn. »Und wenn das mit zu dem romantischen Programm gehört – ein Duell um ein Mädchen, das hierauf in die Arme des Siegers eilt – nun, dann werde ich mich jedenfalls nicht noch mehr blamieren, indem ich darauf eingehe.«

»Ich glaubte, Sie würden mit Freuden zugreifen«, gestand sie mit einer Unbefangenheit, die ihm um so echter erschien, als er einen schelmischen Schimmer in ihren Augen zu gewahren meinte.

»Dann muß ich eine andere Auffassung von der Liebe haben als Sie«, sagte er. »Ich möchte, daß ein Mädchen mich aus Liebe heiratet und nicht aus romantischer Bewunderung, weil ich das Glück hatte, mit rauchlosem Pulver ein Loch in die Schulter eines Mannes zu schießen. Ich sage Ihnen, ich habe einen Widerwillen gegen diese abenteuerlichen Narreteien. Das ist nichts für mich. Sehen Sie sich Tudor an, das ist ein solcher Abenteurer. Bricht einen Streit mit mir vom Zaun und benimmt sich wie ein Affe, indem er darauf besteht, mit mir ›bis zum Tode‹ zu kämpfen, wie er sagt. Es war einfach fürchterlich.«

Sie biß sich auf die Lippen, und wenn ihre Augen auch so kühl und ruhig wie gewöhnlich blickten, so stieg doch das verräterische Rot des Zornes in ihre Wangen.

»Natürlich, wenn Sie mich nicht heiraten wollen –«

»Aber ich will ja –«

»Ach, Sie wollen –«

»Aber sehen Sie, Sie Mädelchen, ich möchte, daß Sie mich liebhaben,« fügte er schnell hinzu, »sonst wäre es nur eine halbe Ehe. Ich möchte nicht, daß Sie mich nur heiraten, um den Küstenklatsch zum Schweigen zu bringen, oder aus sonst einer dummen romantischen Neigung. Dann möchte ich Sie lieber nicht zur Frau haben.«

»Oh«, sagte sie mit gespielter Vorsicht, und jetzt hätte er auf den schelmischen Schimmer schwören mögen. »Wenn es so steht, wenn Sie gewillt sind, mein Angebot in Erwägung zu ziehen, so gestatten Sie mir wohl ein paar Bemerkungen. Zunächst haben Sie gar keinen Grund, über Abenteuer zu spotten, denn Sie selbst erleben ja andauernd welche. Ganz bestimmt jedenfalls, als ich Sie zuerst antraf: fieberkrank auf einer einsamen Plantage mit zweihundert wilden Kannibalen, die Ihnen nach dem Leben trachteten. Dann kam ich –«

»Und was war Ihre Ankunft im Sturm?« brach er los. »Direkt nach dem Schiffbruch Ihres Schoners landeten Sie in einem Boot voll malerischer, tahitianischer Seeleute am Strande und marschierten mit einem Cowboyhut auf dem Kopf, Seestiefeln an den Füßen und einem langläufigen Colt an der Hüfte nach dem Bungalow – nun, ich gebe gern zu, daß Sie die Quintessenz aller Abenteuer waren.«

»Ausgezeichnet«, rief sie frohlockend. »Es ist ein einfaches Rechenexempel – wir brauchen nur Ihre und meine Abenteuer gegeneinander aufzurechnen. Dann ist es erledigt, und Sie haben keinen Grund, noch länger über meine Abenteuer zu spotten. Zudem finde ich nicht, daß etwas Romantisches in Tudors Versuch, mich zu küssen, oder etwas Abenteuerliches an diesem unsinnigen Duell war. Dagegen ist es meiner Ansicht nach romantisch, daß Sie sich in mich verliebt haben, und endlich, und das heißt wohl Romantik zur Romantik fügen, endlich – glaube ich, daß – ich dich liebhabe, David – ach, David!«

Das letzte war ein leiser Seufzer, während er sie in seine Arme schloß und an sich preßte.

»Aber ich habe dich nicht lieb, weil du heute den Narren gespielt hast«, flüsterte sie an seiner Schulter. »Weiße Männer sollten nicht herumlaufen, um sich gegenseitig totzuschlagen.«

»Aber warum liebst du mich denn?« stellte er wie alle Liebenden die ewige Frage, die nie beantwortet werden wird.

»Ich weiß nicht – eben, weil ich dich liebe, denke ich. Und das ist alle Genugtuung, die du mir gabst, als wir das Männergespräch hatten. Aber ich liebe dich seit Wochen – die ganze Zeit schon, da du so köstlich eifersüchtig auf Tudor warst.«

»Ja, ja, weiter«, drängte er atemlos, als sie schwieg.

»Ich war gespannt, wann du dich erklären würdest, und liebte dich um so mehr, weil du es nicht tatest. Du warst wie Vater und Von. Du konntest dich beherrschen. Du machtest dich nicht lächerlich.«

»Nein, erst heute«, sagte er.

»Ja, und auch deshalb liebte ich dich. Es wurde Zeit. Ich fing schon an zu glauben, daß du nie wieder das Gespräch auf diese Angelegenheit bringen würdest. Und selbst jetzt, nachdem ich mich dir angeboten habe, hast du es nicht einmal angenommen.«

Beide Hände auf ihre Schultern gelegt, hielt er sie auf Armeslänge von sich ab und sah ihr lange in die Augen, die nicht mehr kühl blickten, sondern wie von einem goldenen Schimmer erfüllt waren. Sie senkte die Lider, hob aber tapfer den Kopf, um seinem Blick zu begegnen. Da zog er sie ernst und zärtlich an sich. »Und wie steht es mit deinem eigenen Herd und Sattel?« fragte er einen Augenblick später.

»Ich habe sie ja beinahe gewonnen. Das Grashaus ist mein Herd, die Martha mein Sattel, und – sieh alle die Bäume, die ich gepflanzt habe, vom Getreide ganz zu schweigen. Aber du bist doch an allem schuld. Vielleicht hätte ich dich nie geliebt, wenn du mich nicht auf den Gedanken gebracht hättest.«

»Dort kommt die Nongassla um die Spitze und setzt ihre Boote aus«, bemerkte Scheldon beiläufig. »Der Kommissar ist an Bord. Er fährt nach San Christobal, um den Mord an dem Missionar zu untersuchen. Wir haben Glück, das muß ich sagen.«

»Ich verstehe nicht, wieso ist das ein Glück?« fragte sie kläglich. »Wir hätten diesen Abend ganz für uns allein haben sollen, um alles zu besprechen. Ich habe tausend Fragen an dich. – Und es wäre kein Männergespräch geworden«, fügte sie hinzu.

»Aber mein Plan ist doch noch besser.« Er überlegte einen Augenblick. »Sieh mal, der Kommissar ist der einzige Beamte, der uns einen Trauschein ausstellen kann. Und – das ist das beste am der Sache – Doktor Welshmere ist auch hier, um die Trauung vorzunehmen. Wir heiraten heute abend.«

Joan prallte zurück, machte sich aus seinen Armen los und trat einige Schritte zurück. Er konnte sehen, daß sie wirklich erschrocken war.

»Ich – ich dachte –« stammelte sie.

Dann ging langsam eine Veränderung mit ihr vor, und ihr Gesicht wurde so seltsam mit Glut übergossen, wie er es heute schon einmal gesehen hatte. Ihre sonst so kühlen, gleichgültigen Augen glänzten voller Wärme und waren nicht fähig, den seinen zu begegnen. Dann trat sie zu ihm, schmiegte sich in seine Arme und flüsterte leise:

»Ich bin bereit, David.«

 

Ende.

 


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