Jack London
Die Insel Berande
Jack London

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Lokalkolorit

Bei Sonnenuntergang lief eine kleine Jacht langsam ein, und kurz darauf kam der Kapitän an Land. Er war ein junger Mann von zwanzig Jahren mit sanfter Stimme, aber er hatte Joans Bewunderung sofort gewonnen, als Scheldon ihr erzählte, daß er ganz allein die Besatzung der Jacht befehligte, die ausschließlich aus schwarzen Malaitanern bestand. Die Romantik lockte und winkte, als Joan erfuhr, daß es Christian Young, ein geborener Norfolker, aber direkter Nachkomme John Youngs, eines der Meuterer von der Bounty, war. Die Mischung von tahitischem und englischem Blute zeigte sich in seinen sanften blauen Augen und der dunklen Hautfarbe, und die englische Energie, die auf den ersten Blick verschwunden zu sein schien, lebte in ihm, denn sie allein ermöglichte es ihm, seine Jacht mit den kriegerischen Salomoninsulanern zu bemannen und sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die unerwartete Gegenwart Joans machte ihn verlegen, aber seine Verlegenheit schwand durch die freie, kameradschaftliche Art, die Scheldon unweiblich erschien, und die seine Gefühle verletzt hatte. Neuigkeiten von der Außenwelt brachte Young nicht, wohl aber eine ganze Masse von den Salomons. Fünfzehn Leute von der Lunga-Plantage, die weiter östlich an der Guadalcanarer Küste lag, hatten Gewehre gestohlen und waren in den Busch entwichen. Dann hatten sie Nachricht gesandt, daß sie zurückkehren und die drei Weißen ermorden würden. Unterdessen hatten sich zwei von diesen dreien an ihre Verfolgung gemacht. Es wäre sehr leicht möglich, so folgerte Young, daß die Schwarzen, wenn sie nicht gefangen würden, bei Berande an die Küste kämen, um ein Boot zu stehlen.

»Ich vergaß zu erzählen, daß Ihr Händler auf Ugi ermordet ist«, sagte er zu Scheldon. »Fünf große Kanus kamen von Port Adams herunter. Sie landeten nachts und überfielen Oskar im Schlaf. Was sie nicht mitnehmen konnten, verbrannten sie. Die Flibberty-Gibbet erhielt Nachricht in der Mbolipassage und fuhr nach Ugi herunter. Ich war gerade in Mboli, als die Nachricht eintraf.«

»Ich fürchte, ich muß Ugi aufgeben«, bemerkte Scheldon.

»Das ist der zweite Händler, der dort in einem Jahre ermordet wurde«, stimmte Young ihm bei. »Es müssen wenigstens zwei Weiße dort sein. Diese Malaitakanus unternehmen stets derartige Raubzüge, und Sie wissen ja, was für ein Pack die Port-Adams-Leute sind. Ich habe Ihnen einen Hund mitgebracht. Tommy Jones schickt ihn von der Nealinsel. Er sagt, er hätte ihn Ihnen versprochen. Es ist ein erstklassiger Niggerjäger. Er war noch keine zwei Minuten an Bord, als er schon meine ganze Mannschaft in die Wanten gehetzt hatte. Tommy nennt ihn Satan.«

»Ich habe mich immer schon gewundert, warum Sie keine Hunde hier haben«, sagte Joan zu Scheldon.

»Es ist so schwer, sie zu halten. Sie werden stets von den Krokodilen gefressen.«

»Jack Hanley ist vor zwei Monaten in der Marovolagune ermordet worden«, verkündete Young mit seiner sanften Stimme. »Die Apostel brachte die Nachricht.«

»Wo liegt die Marovolagune?« fragte Joan.

»In Neu-Georgien, einige hundert Meilen westlich. Gerade gegenüber von Bougainville.«

»Seine eigenen Hausboys taten es,« fuhr Young fort, »aber die Eingeborenen von Marovo hatten sie angestiftet. Seine Santa-Cruz-Bootsmannschaft entkam nach Choiseul, und später segelte Mather mit der Lily nach Marovo hinüber. Er steckte ein Dorf in Brand und holte Hanleys Kopf. Er fand ihn in einer Hütte, wo die Nigger ihn dörrten. Das sind alle meine Neuigkeiten, abgesehen davon, daß eine Menge neue Lee-Enfield-Gewehre auf dem östlichen Teil von Ysabel im Umlauf sind; niemand weiß, wie die Eingeborenen sie bekommen haben. Die Regierung müßte die Angelegenheit untersuchen. Ach ja – ein Kriegsschiff ist im Archipel. Die Cambrian. Sie hat auf Bina drei Dörfer niedergebrannt – wegen der Minota, Sie wissen – und den Busch beschossen. Dann ging das Schiff nach Sio, um dort Ordnung zu schaffen.«

Sie sprachen von anderen Dingen, und als Young aufstand, um sich an Bord zu begeben, fragte Joan:

»Wie können Sie so gut allein fertig werden, Herr Young?«

Seine großen, fast mädchenhaften Augen ruhten einen Augenblick auf ihr; dann antwortete er mit seiner ruhigsten und sanftesten Stimme:

»Ach, ich komme ganz gut mit ihnen aus; natürlich gibt es hin und wieder Schwierigkeiten, aber darauf muß man gefaßt sein. Man darf sie nie auf den Gedanken kommen lassen, daß man sich fürchtet. Ich habe mich manchmal gefürchtet, es mir aber nie merken lassen.«

»Sie würden kaum glauben, daß er einen Moskito totschlagen könnte, der ihn sticht«, sagte Scheldon, als Young sich entfernt hatte. »Alle Norfolker Leute, die von der Besatzung der Bounty abstammen, sind so. Aber sehen Sie diesen Young. Vor kaum drei Jahren, als er gerade die Minerva bekommen hatte, lag er vor Suu auf Malaita. Es gibt dort sehr viele Leute, die früher auf Queensland gearbeitet haben – eine rohe Bande. Sie gedachten, sich seinen Kopf zu verschaffen. Der Sohn ihres Häuptlings, des alten einäugigen Billys, war auf Lunga, wo er Arbeiter geworben hatte, an Dysenterie gestorben; das hieß, daß Suu den Kopf eines Weißen haben mußte – irgendeines Weißen, wenn es nur der Kopf eines Weißen war. Young war noch ganz unerfahren, und sie glaubten, seinen Kopf mit Leichtigkeit bekommen zu können. Durch das Versprechen, ihm Arbeiter zu geben, lockten sie sein Boot an den Strand und töteten die ganze Besatzung, und im selben Augenblick stürzten sich die Suuleute, die an Bord der Minerva waren, auf Young. Der war gerade dabei, eine Dynamitpatrone zum Fischen fertig zu machen. Er zündete die Lunte an und warf sie zwischen die Schwarzen. Man kann ihn nicht dazu kriegen, die Geschichte zu erzählen, aber die Lunte war kurz, und was am Leben blieb, sprang über Bord, während er den Anker kappte und wegfuhr. Sie haben hundert Faden Muschelgeld auf seinen Kopf gesetzt, was in englischer Münze hundert Pfund Sterling bedeutet. Und trotzdem geht er immer wieder nach Suu. Erst kürzlich war er dort, um dreißig Leute von Cape Marsh – der Plantage der Brüder Fulcurm – zurückzubringen.«

»Jedenfalls habe ich heute durch ihn einen besseren Einblick in das Leben hier erhalten«, sagte Joan. »Es ist, gelinde gesagt – recht abwechslungsreich. Die Salomons sollten auf den Karten mit roter Farbe eingezeichnet werden – und dazu noch gelb, wegen der Krankheiten.«

»Es geht nicht immer so zu in den Salomons«, erwiderte Scheldon. »Berande ist allerdings die schlimmste Plantage, und hier geschieht immer gerade das Schlimmste. Ich glaube kaum, daß sonst irgendwo eine so schwere Epidemie vorgekommen ist, wie sie bei Ihrem Eintreffen geherrscht hat. Und dazu wollte es das Schicksal, daß die Jessie auch von der Krankheit befallen wurde. Berande hat sehr viel durchgemacht. Alle alten Südseeleute schütteln den Kopf und spucken aus, wenn sie den Namen hören.«

»Berande wird aufblühen«, sagte Joan bestimmt. »Ich lache über allen Aberglauben. Sie werden sich schon durcharbeiten. Das Unglück kann nicht ewig dauern. Aber ich fürchte doch, daß das Klima im Salomonarchipel nichts für einen Weißen ist.«

»Das wird sich ändern. Warten Sie noch fünfzig Jahre, bis der Busch bis zu den Bergen hinauf abgeholzt ist. Dann werden wir das Fieber ausgerottet haben, und es wird hier viel gesünder sein. Kleine und große Ansiedlungen werden entstehen, denn es gibt hier ungeheure Strecken guten Bodens, die jetzt brach liegen.«

»Und doch wird das Klima nie für den Weißen taugen«, beharrte Joan. »Der Weiße wird nie imstande sein, hier körperliche Arbeit zu verrichten.«

»Das stimmt.«

»Und das bedeutet: Sklaverei«, meinte sie.

»Ja, wie überall in den Tropen. Die Schwarzen, die Braunen und die Gelben müssen die Arbeit unter Aufsicht der Weißen verrichten. Die Arbeit der Schwarzen ist jedoch zu unergiebig, und wir werden bald chinesische und indische Kulis einführen müssen. Die Frage ist bereits von den Pflanzern erwogen worden. Ich meinerseits habe die Schwarzen herzlich satt.«

»Dann werden die Schwarzen also aussterben?«

Scheldon zuckte die Achseln und erwiderte:

»Ja, wie die nordamerikanischen Indianer, die doch eine weit edlere Rasse waren als die Melanesier. Die Erde hat nur eine bestimmte Größe und wird langsam voll.«

»Und die ungeeigneten Rassen müssen verschwinden?«

»Ja, die ungeeigneten müssen verschwinden.«

Am nächsten Morgen wurde Joan durch einen starken Lärm geweckt. Ihr erster Griff war nach dem Revolver, als sie aber Noah-Noah, der Wache hielt, draußen lachen hörte, wußte sie, daß keine Gefahr bestand, und ging hinaus, um zu sehen, was es gäbe. Kapitän Young hatte Satan an Land gebracht, und zwar gerade in dem Augenblick, als die Brückenbauabteilung am Strand vorbeigekommen war. Satan war ein großer schwarzer Hund, kurzhaarig, muskulös und mochte gut siebzig Pfund wiegen. Er liebte die Schwarzen nicht. Tommy Jones hatte ihn gut dressiert. Er hatte ihn mehrere Stunden täglich angebunden und einigen Schwarzen befohlen, daß sie ihn necken sollten. Daher hatte Satan eine schreckliche Wut auf die ganze schwarze Rasse, und einen Augenblick, nachdem er an Land gesetzt war, jagte die Brückenbauabteilung in wilder Flucht über den Zaun und kletterte in die Kokospalmen.

»Guten Morgen«, rief Scheldon ihr von der Veranda aus zu. »Was sagen Sie zu diesem Niggerjäger?«

»Wir werden ihm wohl beibringen müssen, sich an die Hausboys zu gewöhnen«, rief sie zurück.

»Und auch an Ihre Tahitianer. Paß auf, Noah! Lauf!«

Satan, der sich überzeugt hatte, daß die Schwarzen in den Palmen unerreichbar waren, ging jetzt geradeswegs auf den großen Tahitianer los. Noah aber blieb, wenn auch etwas unentschlossen, stehen, und zu allgemeiner Überraschung tanzte und hüpfte Satan mit lachenden Sehern und wedelnder Rute um ihn herum.

»Das nenne ich einen vernünftigen Hund!« meinte Joan. »Er ist vernünftiger als Sie, Herr Scheldon. Er braucht keine Belehrung, um den Unterschied zwischen einem Tahitianer und einem Schwarzen kennenzulernen. Was meinst du, Noah, warum beißt er dich nicht. Er weiß, daß du Tahitianer bist, nicht wahr?«

Noah schüttelte den Kopf und grinste.

»Er nicht savvee mich Tahitianer«, erklärte er. »Er savvee mich tragen Hosen wie weiße Männer.«

Scheldon lachte, kam herunter und begann sich mit Satan zu befreunden.

In diesem Augenblick betraten Adamu-Adam und Matauare, zwei von Joans Seeleuten, auf der entgegengesetzten Seite das Grundstück. Sie waren in Balesuna gewesen, um eine Alligatorenfalle zu bauen, und trugen statt der Hosen Lendentücher, die sich ihren kräftigen Gliedern gefällig anschmiegten. Kaum hatte Satan sie gesehen, als er sich von Scheldons Hand losriß und zum Angriff ansetzte.

»Nicht tragen Hosen«, bemerkte Noah mit einem Grinsen, das sich noch verstärkte, als Adamu-Adam die Flucht ergriff. Er erkletterte das Gerüst, das den eisernen Wassertank trug, der das vom Dache abfließende Regenwasser auffing. Satan, der hier seinen Angriff vereitelt sah, wandte sich gegen Matauare.

»Lauf, Matauare! Lauf!« rief Joan. Der aber blieb stehen und erwartete den Hund.

»Er ist der furchtloseste von allen – das besagt auch sein Name«, erklärte Joan Scheldon.

Kaltblütig beobachtete der Tahitianer den Hund, und als das blutdürstige Tier auf ihn lossprang, streckte er blitzschnell die Hand aus. Mit einem geschickten Griff packte er den Unterkiefer. Satan wurde in einem Halbkreis hintenüber geschleudert; er überschlug sich in der Luft und fiel schwer auf den Rücken. Dreimal sprang er zu, und dreimal warf ihn derselbe Griff zurück. Da gab er es auf und trabte hinter Matauare her, indem er ihn beäugte und argwöhnisch beschnüffelte.

»So ist es recht, Satan, so ist es recht,« versicherte ihm Scheldon, »das gut fella gehören zu mir.«

Aber Satan verfolgte die Bewegungen Matauares noch eine volle Stunde, ehe er sich vergewissert hatte, daß der Mann zum Hause gehörte. Dann wandte er sein Interesse den drei Hausboys zu, drängte Ornfiri in der Küche gegen den heißen Herd, riß Lalaperu, der in der Aufregung einen Verandapfosten erklimmen wollte, das Lendentuch vom Leibe, und sprang Viaburi auf das Billard nach, wo der Kampf tobte, bis Joan dem Schwarzen zu Hilfe kam.

 


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