Jack London
Die Insel Berande
Jack London

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Sie will Pflanzer werden

Scheldon erholte sich zusehends. Das Fieber hatte ausgetobt, und er brauchte nichts zu tun, als Kräfte zu sammeln. Joan hatte den Koch in die Mache genommen, und zum ersten Male war die Küche in Berande, wie Scheldon bemerkte, die Küche eines Weißen. Eigenhändig bereitete Joan die Speisen für den Kranken, und das und ihre Heiterkeit brachten ihn soweit, daß er nach zwei Tagen, wenn auch noch unsicher, auf der Veranda herumgehen konnte. Die Situation erschien ihm seltsam, noch seltsamer aber die Tatsache, daß sie dem Mädchen offenbar natürlich erschien. Sie hatte sich hier eingenistet und den Haushalt übernommen, als ob er ihr Vater oder Bruder, oder als ob sie ein Mann gleich ihm wäre.

»Es ist herrlich«, versicherte sie ihm. »Es ist wie eine Seite aus einem Roman. Da komme ich vom Meere und finde einen kranken Mann ganz allein mit zweihundert Sklaven . . .«

»Rekruten«, verbesserte er. »Kontraktarbeiter. Sie haben nur drei Jahre zu dienen und schließen ihren Kontrakt als freie Männer.«

»Ja, ja,« rief sie hastig, »also einen kranken Mann allein mit zweihundert Rekruten auf einer Kannibaleninsel –. Es sind doch Kannibalen, nicht wahr? Oder ist das nur Gerede?«

»Gerede!« lächelte er. »Es ist schon ein bißchen mehr. Die meisten von meinen Leuten sind aus dem Busch, und alle Buschleute sind Menschenfresser.«

»Aber doch nicht, wenn sie Rekruten geworden sind? Die Leute, die Sie hier haben, würden es doch nicht tun.«

»Wenn sie Gelegenheit dazu fänden, würden sie Sie fressen.«

»Ist das nur Theorie, oder wissen Sie das wirklich?« fragte sie.

»Ich weiß es.«

»Woher? Was bringt Sie zu diesem Glauben? Ihre eigenen Leute hier?«

»Ja, meine eigenen Leute hier, selbst die Hausboys, der Koch, der in diesem Augenblick dank Ihnen noch schmackhafte Brötchen bäckt. Es ist keine drei Monate her, da machten sich elf von ihnen mit einem Boot davon. Fuhren nach Malaita. Neun davon waren Malaitaner, zwei Buschleute aus San Christoval. Sie waren Narren, die aus Christoval. Und das wären auch zwei Malaitaner, die sich einem Boot mit neun Mann aus Christoval anvertrauen wollten.«

»Und?« fragte sie gespannt. »Was geschah dann?«

»Die neun von Malaita fraßen die beiden von Christoval, bis auf die Köpfe, die zu wertvoll zum Fressen sind. Die verstauten sie bis zu ihrer Landung achtern im Boot. Und jetzt befinden sich die beiden Köpfe in irgendeinem Buschdorf im Innern von Langa-Langa.«

Sie klatschte in die Hände, und ihre Augen strahlten. »Es sind wirklich und wahrhaftig Menschenfresser! Und das im zwanzigsten Jahrhundert! Und da dachte ich, Romantik und Abenteuer seien ausgestorben!«

Er blickte sie leise belustigt an.

»Was ist jetzt los?« fragte sie.

»Ach, nichts, ich finde es nur nicht im geringsten romantisch, von einer Bande schmutziger Nigger gefressen zu werden.«

»Nein, das natürlich nicht,« gab sie zu, »aber unter ihnen zu leben, zweihundert von ihnen zu gebieten und zu verhüten, daß man von ihnen gefressen wird – das ist, wenn nicht romantisch, so doch sicher das herrlichste aller Abenteuer. Und Abenteuer und Romantik sind nicht zu trennen, wie Sie wissen.«

»Dann müßte es also das herrlichste aller Abenteuer sein, in den Magen eines Niggers zu wandern«, erwiderte er.

»Ich glaube, Sie haben nicht die geringste Romantik im Leibe«, rief sie. »Sie sind genau so blöd und schwerfällig und langweilig wie die Geschäftsleute daheim. Ich weiß nicht, warum Sie überhaupt hier sind. Sie hätten lieber zu Hause bleiben sollen als Bankbeamter oder – oder –.«

»Als Krämergehilfe, besten Dank.«

»Ja, so was. Was, um Himmels willen, tun Sie hier am Ende der Welt?«

»Ich versuche mir mein Brot zu verdienen, in der Welt vorwärtszukommen.«

»Den steinigen Weg muß der jüngere Sohn wandeln, ehe er sich selbst Herd und Sattel verdient«, zitierte sie. »Nun, wenn das nicht romantisch ist, dann gibt es überhaupt keine Romantik. Denken Sie an all die jüngeren Söhne draußen, die sich in unzähligen Abenteuern Sättel und Herde gewinnen. Und einer davon sind Sie, und ich auch.«

»Ich – ja, verzeihen Sie –«, sagte er gedehnt.

»Nun ja, ich bin eine jüngere Tochter, und ich habe weder Herd noch Sattel – ich habe niemand und nichts, und ich bin gerade so weit wie Sie.«

»Dann ist Ihr Fall, wie ich zugebe, ein wenig romantisch«, gestand er. Unwillkürlich mußte er an die letzte Nacht denken, die sie in der Hängematte auf der Veranda unter dem Moskitonetz geschlafen hatte, während ihre Tahitianerleibwache in Rufweite in der entgegengesetzten Ecke der Veranda gelegen hatte. Er war zu schwach gewesen, um sich zu widersetzen, aber jetzt beschloß er, daß sie sein Bett drinnen haben sollte, während er mit der Hängematte vorlieb nahm.

»Sehen Sie, mein ganzes Leben habe ich von Romantik gelesen und geträumt«, sagte sie. »Aber ich hätte nie geglaubt, daß ich sie je selbst erleben sollte. Es kam alles so unerwartet. Vor zwei Jahren dachte ich, daß mir nichts übrig bliebe, als – –« sie stockte und machte eine Gebärde des Abscheus – »nun, das einzige, was mir übrig zu bleiben schien, war heiraten.«

»Und da zogen Sie eine Kannibaleninsel und einen Patronengürtel vor?« fragte er.

»An die Kannibaleninsel dachte ich nicht, aber der Patronengürtel erwies sich als äußerst praktisch.«

»Sie würden doch nicht wagen, den Revolver zu gebrauchen, wenn es sein müßte. Oder – –« er bemerkte einen Schimmer in ihren Augen, »–oder, wenn Sie ihn doch gebrauchen sollten, etwa – nun, etwa zu treffen.«

Sie stand plötzlich auf und schickte sich an, ins Haus zu gehen. Er wußte, daß sie den Revolver holen wollte. »Lassen Sie«, sagte er. »Hier ist meiner. Was wollen Sie damit?«

»Den Block von Ihrer Flaggenleine herunterschießen.« Er lächelte ungläubig.

»Ich kenne die Waffe nicht«, sagte sie unsicher.

»Sie geht sehr leicht, und Sie brauchen nicht darunter zu halten. Nehmen Sie gestrichenes Korn!«

»Ja, ja«, sagte sie ungeduldig. »Ich kenne automatische Pistolen, sie klemmen sich, wenn sie heiß werden – ich kenne nur Ihre nicht.«

Sie betrachtete die Waffe einen Augenblick.

»Sie ist gespannt. Ist eine Patrone im Magazin?«

Sie schoß, und der Block blieb heil.

»Der Abstand ist sehr groß«, sagte er in der Absicht, ihren Ärger zu mildern. Aber sie biß sich auf die Lippen und schoß wieder. Die Kugel schlug auf und prallte mit einem scharfen Ton ab. Der eiserne Block schwang hin und her. Immer wieder schoß sie, bis der Ladestreifen seine acht Patronen hergegeben hatte. Sechsmal hatte sie getroffen. Der Block schwankte immer noch an der Gaffel, war aber vollkommen zerschossen. Scheldon war überrascht. Besser hätten selbst er und Hughie Drummond es nicht machen können. Hatte er sonst Frauen ein Gewehr oder einen Revolver abfeuern sehen, so hatten sie meistens geschrien, die Augen geschlossen und aufs Geratewohl abgedrückt. »Das war wirklich gut geschossen – für eine Frau«, sagte er. »Sie haben nur zweimal vorbeigeschossen, und dabei war es eine fremde Waffe.«

»Aber ich kann mir die beiden Fehlschüsse nicht erklären«, klagte sie. »Die Pistole arbeitete wunderbar. Geben Sie mir noch einen Ladestreifen, und diesmal werden alle acht Schüsse sicher treffen.«

»Ich zweifle nicht. Jetzt muß ich aber einen neuen Block haben. Viaburi! Hier du fella, holen ein fella Block vom Lager.«

»Ich wette, daß Sie bei acht Schüssen nicht acht Treffer machen«, forderte sie ihn heraus.

»Sie brauchen nicht zu fürchten, daß ich die Wette annehme«, lautete seine Antwort. »Wer hat Sie schießen gelehrt?«

»Ach, zuerst mein Vater, dann Von und seine Cowboys. Das war ein Schütze! Mein Vater, meine ich, obgleich Von auch glänzend schoß.«

Scheldon zerbrach sich den Kopf, wer Von sein mochte, und dachte, ob es wohl Von gewesen, der sie vor zwei Jahren zu dem Glauben gebracht hatte, daß ihr nichts anderes übrig bliebe als die Ehe.

»Aus welchem Teil der Vereinigten Staaten stammen Sie?« fragte er. »Aus Chicago oder Wyoming? Oder woher sonst? Sie haben mir ja noch nichts über sich erzählt. Alles, was ich weiß, ist, daß Sie Joan Lackland heißen.«

»Sie müssen weiter nach Westen gehen, wenn Sie meinen Geburtsort finden wollen.«

»So! Also warten Sie! Nevada?«

Sie schüttelte den Kopf.

Kalifornien?«

»Noch weiter westlich.«

»Das ist doch nicht möglich, wenn ich meine Geographie nicht ganz vergessen habe.«

»Nicht Geographie – Politik!« lachte sie. »Denken Sie an die Annexionen.«

»Philippinen!« rief er triumphierend.

»Nein, Hawai. Dort bin ich geboren. Ein herrliches Land! Ach, ich habe schon beinahe Heimweh. Nicht, daß ich nie fortgewesen wäre. Als der große Krach kam, war ich in Newyork. Aber es ist doch das schönste Fleckchen Erde – Hawai meine ich.«

»Aber was in aller Welt tun Sie denn in dieser gottverlassenen Gegend?« fragte er. »Nur Narren kommen hierher«, fügte er bitter hinzu.

»Neilson war doch wohl kein Narr«, meinte sie. »Wenn ich recht verstanden habe, hat er drei Millionen hier verdient.«

»Das ist leider nur zu wahr und der Grund, daß ich hier bin.«

»Und auch, daß ich hier bin«, sagte sie. »Vater hörte von ihm in den Marquesas, und deshalb fuhren wir her. Aber mein armer Vater kam nicht bis hierher.«

»Er – Ihr Vater starb?« stammelte er.

Sie nickte, und ihre Augen wurden feucht und weich. »Ich kann Ihnen ebensogut alles erzählen.« Sie schüttelte ihre Traurigkeit ab und hob den Kopf mit der stolzen Miene einer Frau, die einen Cowboyhut und einen langläufigen Revolver tragen kann. »Ich bin in Hilo geboren. Das ist auf der Insel Hawai – der größten und schönsten der ganzen Gruppe. Ich wurde erzogen wie die meisten Mädchen in Hawai. Sie leben stets im Freien und können reiten und schwimmen, ehe sie wissen, was sechs mal sechs macht. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum erstenmal ein Pferd bestieg und wann ich schwimmen lernte. Aber es war jedenfalls vor dem ABC. Vater besaß Viehranchs auf Hawai und Maui, und für die dortigen Verhältnisse waren sie groß. Hokuna allein war zweihunderttausend Morgen groß. Es lag zwischen Mauna Kea und Mauna Loa, und dort lernte ich Ziegen und Büffel schießen. Auf Molokai gibt es großes geflecktes Rotwild. Von war der Manager von Hokuna. Er hatte zwei Töchter, etwa in meinem Alter, und ich verbrachte stets die heiße Jahreszeit dort und blieb einmal ein ganzes Jahr. Wir drei waren die reinen Indianer. Nicht, daß wir geradezu wild aufwuchsen, aber wir waren wild. Wir hatten aber eine Erzieherin, wissen Sie, und Unterricht in Sprachen, Nähen und Kochen. Aber ich fürchte, daß man uns nur durch die Aussicht auf Reiten und Viehtreiben zum Arbeiten bringen konnte.

»Von war Soldat gewesen, Vater war alter Seemann, und beide hielten streng auf Disziplin. Aber sie waren letzten Endes zwei Männer, und weder die beiden Mädchen noch ich hatten eine Mutter. Unsere Väter verzogen uns schrecklich. Sie hatten keine Frauen und behandelten uns, wenn unsere Arbeit getan war, als Kameraden. Alles im Haushalt mußten wir doppelt so gut lernen wie die Dienerschaft, um eines Tages selbst wirtschaften zu können. Und wir bereiteten stets die Cocktails, was ein zu heiliges Ritual für einen Diener gewesen wäre. Ferner wurde uns nie etwas erlaubt, was wir nicht selbst schaffen konnten. Natürlich holten die Cowboys unsere Pferde ein und sattelten sie. Aber wir mußten selbst dazu imstande sein –.« »Was meinen Sie mit dem Einholen?« fragte Scheldon. »Mit dem Lasso fangen. Und das Satteln ließen uns Vater und Von gehörig üben, und dann mußten wir eine gründliche Prüfung ablegen. Ebenso ging es mit unsern Revolvern und Gewehren. Die Hausboys reinigten und ölten sie; aber wir mußten es selbst verstehen, um sie dabei überwachen zu können. Mehr als einmal wurde einer von uns im Anfang das Gewehr nur wegen eines kleinen Rostfleckchens weggenommen. Wir mußten verstehen, bei strömendem Regen, und noch dazu mit nassem Holz, ein Feuer im Freien anzumachen, was, glaube ich, das allerschönste war außer Grammatik. Wir lernten mehr von Vater und Von als von den Erzieherinnen; Vater lehrte uns Französisch und Von Deutsch. Wir lernten beide Sprachen recht gut, und zwar ausschließlich im Sattel und im Lager.

»In der kühlen Jahreszeit pflegten die Mädchen mich in Hilo zu besuchen, wo Vater zwei Häuser besaß, das eine am Strande, oder wir gingen alle drei nach unserm Grundstück in Puna hinunter, und das hieß: Kanus, Boote, Fischen und Schwimmen. Vater gehörte auch dem Königlich Hawaiischen Yachtklub an und nahm uns stets auf Regatten und andern Segelfahrten mit. Vater konnte die See nicht lassen, wissen Sie. Mit vierzehn Jahren war ich Vaters richtige Wirtschafterin, mit voller Gewalt über die Dienerschaft, und ich bin sehr stolz auf diese Zeit meines Lebens. Mit sechzehn Jahren wurden wir drei Mädchen in das sehr vornehme Seminar von Mills in Kalifornien geschickt. Wie sehnten wir uns heim! Wir befreundeten uns nicht mit den andern Mädchen, die uns kleine Kannibalen nannten, nur weil wir von den Sandwichinseln kamen, und die uns damit neckten, daß unsere Vorfahren Kapitän Cook gefressen hätten – eine geschichtliche Unwahrheit, abgesehen davon, daß unsere Vorfahren gar nicht in Hawai gelebt hatten.

Drei Jahre war ich in Mills Seminar, einschließlich der Reisen nach Hause natürlich, und zwei Jahre in Newyork, und dann machte Vater mit einer Zuckerplantage auf Maui Bankrott. Die Berichte der Ingenieure waren falsch gewesen. Vater hatte eine Eisenbahn gebaut, die man ›Lacklands Narrheit‹ nannte –, sie hätte sich schließlich trotz allem gelohnt, trug aber jetzt mit zu dem Bankrott bei. Und es wäre doch nichts geschehen, wenn nicht gerade die große Panik in Wall-Street gekommen wäre. Mein lieber, guter Vater! Er schrieb mir nichts davon. Aber ich las von dem Krach in der Zeitung und reiste sofort nach Hause. Früher hatten mir die Leute in den Ohren gelegen, daß Heiraten das höchste Ziel im Leben für ein Mädchen sei, und daß es damit heiße, von der Romantik Abschied nehmen. Jetzt, mit Vaters Fehlschlag, fing für mich die Romantik erst richtig an.«

»Wann war das?« fragte Scheldon.

»Voriges Jahr – das Jahr der großen Panik.«

»Warten Sie –«, Scheldon sann mit ernster Miene nach. »Sechzehn plus fünf plus eins macht zweiundzwanzig. Sie sind Siebenundachtzig geboren?«

»Ja – aber das ist nicht nett von Ihnen.«

»Es tut mir wirklich leid, aber die Rechnung lag so auf der Hand.«

»Können Sie mir nicht etwas Angenehmes sagen? Oder sind die Engländer so?« Ihre grauen Augen flackerten, und ihre Lippen bebten einen Augenblick. »Ich habe die Engländer überhaupt nie gemocht. Der letzte, den ich kannte, war ein Aufseher. Vater mußte ihn entlassen.«

»Das beweist wenig.«

»Aber dieser Engländer machte eine Menge Schwierigkeiten. Aber bitte, machen Sie sich nicht über mich lustig.«

»Ich werde es versuchen.«

»Oh, was das betrifft –.« Sie warf den Kopf zurück und öffnete den Mund, um den Satz zu vollenden, änderte dann aber ihre Absicht. »Ich werde weiter erzählen. Vater hatte tatsächlich nichts übrig behalten und beschloß, wieder zur See zu gehen. Er hatte sie immer geliebt, und ich glaube fast, er freute sich, daß es so gekommen war. Er war wieder ein Knabe, von morgens bis abends mit Vorbereitungen und Plänen beschäftigt. Die halbe Nacht saß er mit mir auf und besprach alles mit mir, als ich ihm erst gezeigt hatte, daß ich wirklich entschlossen war, mitzumachen. Er hatte, wie Sie wissen, in der Südsee angefangen – mit Perlen und Muschelschalen – und glaubte auch jetzt fest, dort irgendwie wieder ein Vermögen machen zu können. In der Hauptsache dachte er daran, Kokospalmen zu pflanzen, daneben wollte er Handel und vielleicht Perlenfischerei betreiben, bis die Plantage ertragfähig war. Er vertauschte seine Yacht gegen einen Schoner, die Miélé, und wir fuhren los. Ich sorgte für ihn und lernte Navigation. Er war sein eigener Schiffer. Wir hatten einen dänischen Steuermann, Herrn Erikson, und eine Mannschaft aus Japanern und Hawaiiern. Zunächst fuhren wir die Inseln am Äquator ab, aber Vater war tief enttäuscht. Alles hatte sich verändert. Sie waren von den Großmächten annektiert oder aufgeteilt worden, große Handelsgesellschaften hatten ihren Einzug gehalten und Land, Handelsrechte, Fischereigerechtsame, alles verschlungen.

»Dann segelten wir nach den Marquesas. Es ist schön dort, aber die Eingeborenen sind fast ausgestorben. Vater war aufgebracht, als er hörte, daß die Franzosen einen Einfuhrzoll auf Kopra legten – er nannte es mittelalterlich – aber das Land gefiel ihm. Er verliebte sich in ein Tal von fünfzehntausend Morgen auf Nuka-Hiva, das einen vorzüglichen Ankerplatz bot, und kaufte es für zwölfhundert Chile-Dollar. Aber die französischen Steuern waren übertrieben hoch (deshalb war das Land so billig) und das schlimmste war, daß wir keine Arbeiter bekommen konnten. Die Kanaken, die es gab, wollten nicht arbeiten, und die Beamten schienen nachts aufzusitzen und sich die Köpfe darüber zu zerbrechen, welche neuen Hindernisse sie uns in den Weg legen könnten.

»Nach sechs Monaten hatte Vater genug. Es war aussichtslos. ›Wir wollen nach den Salomons gehen und es mit der englischen Regierung versuchen,‹ sagte er, ›und wenn es dort keine Möglichkeit gibt, gehen wir nach dem Bismarck-Archipel. Ich möchte wetten, daß die Admiralitätsinseln noch nicht zivilisiert sind.‹ Alle Vorbereitungen wurden getroffen, unsere Habseligkeiten an Bord verstaut und eine neue Mannschaft aus Marquesas- und Tahiti-Leuten angemustert. Wir wollten gerade nach Tahiti abfahren, wo die Miélé überholt werden sollte, als mein armer Vater krank wurde und starb.«

»Und nun standen Sie ganz allein?«

Joan nickte. »Ganz allein. Ich hatte weder Brüder noch Schwestern, und alle Verwandten Vaters waren bei einem Wolkenbruch in Kansas umgekommen. Das geschah, als er noch ein kleiner Junge war. Ich hätte zwar wieder zu Von gehen können. Dort wartete stets ein Heim auf mich. Aber was sollte ich da? Zudem fühlte ich, daß ich die Pflicht hatte, Vaters Pläne zur Ausführung zu bringen. Das war eine sehr schöne Aufgabe. Und ich wollte sie erfüllen. Und – da bin ich nun.

»Wenn Sie auf meinen Rat hören wollen, so gehen Sie nie nach Tahiti. Es ist ein reizendes Fleckchen Erde, und die Eingeborenen sind prachtvoll. Aber die Weißen! Das sind Diebe, Räuber und Lügner. Die ehrlichen Leute kann man an den Fingern einer Hand aufzählen. Daß ich eine Frau bin, erleichterte es ihnen nur. Sie raubten mich unter jedem Vorwand aus, und wenn sie logen, gebrauchten sie nicht einmal einen Vorwand. Der arme Herr Erikson wurde bestochen. Er stellte sich auf die Seite der Räuber und erkannte alle ihre Forderungen an, selbst die unverschämtesten. Von zehn Franken, die sie mir wegnahmen, bekam er drei. Eine Rechnung über fünfzehnhundert Franken, die ich bezahlen mußte, brachte ihm fünfhundert ein. Das erfuhr ich natürlich erst hinterher. Aber die Miélé war alt, die Überholung war notwendig, und mir wurden nicht dreifache, sondern siebenfache Preise berechnet.

»Wieviel Erikson dabei verdiente, werde ich wohl nie erfahren. Er wohnte an Land in einem schön möblierten Hause, das ihm die Werft mietefrei überlassen hatte. Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch und Eis wurden ihm täglich ins Haus geliefert, ohne daß er etwas zu bezahlen brauchte. Er erhielt es als einen Teil seiner Provision von den verschiedenen Lieferanten. Und dabei jammerte er mit Tränen in den Augen über die Behandlung, die ich von der Bande erfuhr. Nein, ich war nicht in die Hände von Räubern gefallen, ich war nur nach Tahiti gekommen.

»Erst als die Räuber anfingen, sich gegenseitig zu betrügen, erhielt ich Einblick in die Dinge. Einer der betrogenen Betrüger brachte mir in der Dunkelheit Tatsachen, Zahlen und Behauptungen. Ich wußte, daß das Gericht in Anspruch nehmen den Ruin für mich bedeutet hätte. Die Richter waren ebenso schlimm wie alle andern. Aber ich tat etwas anderes. Mitten in der Nacht ging ich in Eriksons Haus. Ich hatte meinen Revolver bei mir und zwang ihn, im Bett zu bleiben, während ich seine Sachen durchsuchte. Einige neunzehnhundert Franken nahm ich mit. Er zeigte mich nie an und kam nie wieder an Bord. Aber die andern Banditen lachten mich einfach aus. Zwei Amerikaner, die am Orte lebten, rieten mir ab, irgendwelche gerichtlichen Schritte zu unternehmen, wenn ich nicht auch noch die Miélé verlieren wollte.

»Da ließ ich mir von Neu-Seeland einen deutschen Steuermann kommen. Er besaß das Schifferpatent und war in den Schiffspapieren als Kapitän bezeichnet, aber ich verstand mehr davon als er und war in Wirklichkeit selbst der Schiffer. Ich habe zwar das Schiff verloren, aber das hatte andere Gründe. Vier Tage trieben wir in völliger Windstille. Dann packte uns der Nordwest und trieb uns an die Küste. Als wir Segel setzten, um freizukommen, offenbarte sich die elende Arbeit der Schiffsbauer auf Tahiti. Klüverbaum und alle Stags gingen über Bord. Unsere einzige Hoffnung war, daß es uns gelingen würde, zu wenden und in die Passage zwischen Florida und Ysabel zu gelangen. Als wir sie glücklich hinter uns hatten, strandeten wir in der Dämmerung auf einem Korallenriff an einer Stelle, wo die Karte als geringste Tiefe vierzehn Faden angab. Die arme, alte Miélé stieß nur einmal auf und kam dann wieder frei; aber das war schon zuviel für sie gewesen, und wir hatten gerade noch Zeit, ins Boot zu gehen, ehe sie unterging. Der deutsche Steuermann ertrank. Wir trieben die ganze Nacht vor Sturmanker, bis wir am nächsten Morgen Ihre Plantage sichteten.«

»Ich vermute, daß Sie jetzt zu Von zurückkehren werden?« fragte Scheldon.

»Keineswegs. Vater wollte nach den Salomons gehen. Ich werde mich hier nach Land umsehen und eine kleine Plantage gründen. Wissen Sie etwas gutes Land hier in der Gegend? Billig?«

»Donnerwetter! Ihr Amerikaner seid fabelhaft! Wirklich fabelhaft!« sagte Scheldon. »Mir wäre ein solches Wagnis nie in den Sinn gekommen.«

»Abenteuer«, verbesserte ihn Joan.

»Das stimmt – ein Abenteuer ist es. Und wenn Sie auf Guadalcanar oder Malaita gelandet wären, dann hätte man Sie schon längst samt ihren vornehmen Tahitianern aufgefressen.«

Joan schauderte.

»Um die Wahrheit zu gestehen,« sagte sie, »hatten wir große Angst, auf Guadalcanar zu landen. Im Seefahrts-Lexikon las ich, daß die Eingeborenen verräterisch und feindlich seien. Aber ich möchte doch gern einmal nach Malaita gehen. Gibt es dort Plantagen?«

»Keine einzige! Nicht einmal einen weißen Händler!«

»Dann werde ich einmal auf einem Werberschiff hinfahren.«

»Unmöglich!« rief Scheldon. »Dort kann eine Frau nicht allein hingehen!«

»Ich werde trotzdem hingehen«, wiederholte sie.

»Aber eine Frau mit Selbstachtung –.«

»Hüten Sie sich«, warnte sie ihn. »Eines Tages gehe ich doch, und dann wird es Ihnen leid tun, wie Sie von mir gesprochen haben.«

 


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