Jack London
Die Insel Berande
Jack London

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Männerrede

Der geduldigste Mensch neigt zur Ungeduld, wenn er verliebt ist; und Scheldon war verliebt. Zwanzigmal am Tage nannte er sich einen Esel und versuchte sich zu beherrschen, indem er seinen Gedanken eine andere Richtung gab; aber mehr als zwanzigmal am Tage wanderten seine Gedanken wieder zu Joan zurück. Sie stellte für ihn ein Problem dar, und er sann andauernd darüber nach, wie er sich ihr am besten nähern könnte.

Er besaß keine Übung im Courmachen, er hatte nur eine Erfahrung in dieser zarten Kunst gemacht, und bei der Gelegenheit war er mehr umworben worden, als er selbst geworben hatte; und dazu war es eine wenig einträgliche Geschichte gewesen. Jetzt war es etwas ganz anderes, und immer wieder machte er sich die Eigenart und Schwierigkeit der Situation klar. Hier handelte es sich nicht nur um ein Mädchen, das gar keinen Mann haben wollte, sondern um eines, das überhaupt kein Mädchen war, das geradezu erschrocken war bei dem Gedanken an einen Ehemann, das sich an knabenhaften Spielen ergötzte und für Abenteuer schwärmte, das gesund und normal war, und dem doch ein Ehemann nichts als ein Hindernis bedeutete. Wie sich ihr nähern? Er kannte ihre fanatische Freiheitsliebe, ihre eingefleischte Abneigung gegen jede Art von Zwang. Kein Mann konnte seine Arme um sie legen und sie gewinnen. Sie würde davonflattern wie ein erschreckter Vogel. Durch Berührung – er war sich klar, daß er das nicht durfte. Sein Händedruck mußte bleiben, wie er gewesen, der Ausdruck herzlicher Freundschaft und weiter nichts. Körperlich durfte er sich seine Empfindungen für sie nicht merken lassen. So blieb nur die Sprache. Aber wie sollte er sprechen? Sich auf ihre Liebe berufen? Aber sie liebte ihn ja gar nicht! Auf ihren Verstand? Aber sie hatte ja offenbar den Verstand eines Knaben. Zwar besaß sie alle Zartheit und Lieblichkeit einer wohlerzogenen Frau, aber ihre geistigen Vorgänge waren seiner Wahrnehmung nach geschlechtslos und knabenhaft. Und doch mußte es mit der Sprache gemacht werden, er mußte einen Anfang machen, irgendwie, irgendwann. Ihr Geist mußte mit der Idee vertraut gemacht, mußte auf das Heiraten gelenkt werden.

So ritt er durch die Plantage, mit hochgezogenen Brauen, gerunzelter Stirn, dachte über das Problem nach und stählte sich für die ersten Angriffe. Immer wieder schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf, wie er das Eis brechen könnte, aber immer wieder riß ein Glied in der Kette, und das Gespräch kam auf unerwartete, gleichgültige Dinge. Aber eines Morgens kam eine günstige Gelegenheit.

»Mein sehnlichster Wunsch ist, daß wir mit Berande Erfolg haben«, hatte Joan gerade in einer Unterhaltung gesagt, die sich auf die Verbilligung der Koprafrachten bezog.

»Darf ich Ihnen den sehnlichsten Wunsch meines Herzens sagen?« fiel er schnell ein. »Es ist etwas, wonach ich mich sehne, wovon ich träume.«

Er hielt inne und blickte sie gespannt an; aber sie dachte offenbar, daß es sich um nichts anderes als um eine vertrauliche Aussprache über allgemeine Fragen handeln könnte.

»Nun, schießen Sie los!« sagte sie, etwas ungeduldig über sein Zögern.

»Ich denke gern an den Erfolg von Berande«, sagte er. »Aber das kommt in zweiter Linie. Das ist nichts gegen meinen Herzenswunsch, nämlich, daß Sie eines Tages in einer vollkommeneren Form als nur geschäftlich an Berande beteiligt sein möchten. Das würde an dem Tage geschehen, an dem Sie bereit wären, meine Frau zu werden.«

Sie fuhr zurück, wie von einem Skorpion gestochen. Ihr Gesicht wurde weiß, nicht vor mädchenhafter Verwirrung, sondern vor Zorn, und ihre Augen blitzten. »Das jetzt – jetzt, da ich gerade fertig bin!« rief sie leidenschaftlich. Dann wurde ihre Stimme plötzlich kühl und ruhig, und sie sprach, als wenn sie mit Morgan & Raff in Guvutu über Geschäfte gesprochen hätte. »Hören Sie mir zu, Herr Scheldon. Ich habe Sie sehr gern, wenn Sie auch ein langweiliger Peter sind; aber ich will Ihnen doch ein für allemal sagen, daß ich nicht in die Salomons gekommen bin, um mich zu verheiraten. Das Unglück hätte ich mir auch zu Hause zuziehen können, ohne daß ich zehntausend Meilen bis hierher gesegelt wäre. Ich muß meinen eigenen Weg in der Welt gehen, dazu kam ich nach den Salomons. Heiraten heißt nicht, meinen ›eigenen‹ Weg gehen. Für andere Mädchen mag es richtig sein, für mich nicht. Ich danke. Und wenn ich mich mit Ihnen hersetze, um über Koprafrachten zu sprechen, möchte ich nicht zwischendurch Heiratsanträge bekommen. Außerdem – außerdem –«

Sie brach ab, und als sie fortfuhr, lag ein so bittender Klang in ihrer Stimme, daß er beinahe überzeugt war, ein roher Patron zu sein.

»Sehen Sie das nicht ein? Es verdirbt alles. Es macht die ganze Situation unmöglich – und ich freute mich so über unsere Teilhaberschaft und war so stolz darauf. Sehen Sie das nicht ein? Wenn Sie mir den Hof machen, kann ich nicht länger Ihr Partner sein. Und ich war doch so glücklich.«

Tränen der Enttäuschung traten ihr in die Augen, und sie unterdrückte ein Schluchzen.

»Ich habe Sie gewarnt«, sagte er ernst. »Solche ungewöhnlichen Situationen zwischen Mann und Frau können nicht von Dauer sein, das sagte ich Ihnen gleich anfangs.«

»O ja; mir ist völlig klar, was Sie getan haben.« Sie war wieder zornig, und der sanfte Klang in ihrer Stimme war verschwunden. »Sie waren sehr vorsichtig mit Ihrer Warnung. Sie haben sich Mühe gegeben, mich vor jedem anderen Mann in den Salomons zu warnen, nur nicht vor sich selber.«

Das war für Scheldon ein Schlag ins Gesicht. Mit Schmerz erkannte er, daß es nicht unrichtig war, was sie sagte, und doch war es seiner Überzeugung nach ungerecht. Der Triumph, der in ihren Augen aufleuchtete, als sie sah, daß sie ihn getroffen hatte, brachte ihn zum Entschluß.

»Die Sache ist durchaus nicht so einseitig, wie Sie zu glauben scheinen«, begann er. »Es ging recht gut mit Berande, ehe Sie kamen. Wenigstens war ich nicht solchen Beschimpfungen ausgesetzt, wie eben, als Sie mir Feigheit vorwarfen. Bitte, denken Sie daran, daß ich Sie nicht aufgefordert habe, nach Berande zu kommen. Und ich habe Sie nicht aufgefordert, auf Berande zu bleiben. Nur durch Ihr Bleiben haben Sie diese für Sie – unangenehme Situation herbeigeführt. Durch Ihr Bleiben wurden Sie für mich zur Versuchung, und jetzt wollen Sie mir die Schuld geben. Ich wollte ja gar nicht, daß Sie blieben. Damals liebte ich Sie noch nicht. Ich wünschte, daß Sie nach Sydney zurückgingen oder nach Hawai. Aber Sie bestanden ja darauf, zu bleiben. Sie haben sich tatsächlich –«

Er hielt inne und suchte nach einem gelinderen Ausdruck, als dem, der ihm auf der Zunge lag. Aber sie nahm ihm das Wort aus dem Munde.

»Aufgedrängt – wollen Sie sagen«, rief sie, und ihre Wangen röteten sich kampflustig. »Nur weiter, kümmern Sie sich nicht um meine Gefühle.«

»Nun gut, das werde ich auch nicht«, sagte er entschieden, da er sich klar machte, daß die Unterredung zu einem schuljungenhaften Schmähen auszuarten drohte.

»Sie haben darauf bestanden, als Mann behandelt zu werden; wären Sie konsequent, so würden Sie wie ein Mann reden und wie ein Mann auf Männerrede hören. Und hören sollen Sie! Es ist nicht Ihre Schuld, daß diese unangenehme Situation eingetreten ist. Ich mache Ihnen keine Vorwürfe – beachten Sie das! Aber aus dem Grunde sollten Sie auch mir keine Vorwürfe machen.«

Er bemerkte, wie ihr Busen sich hob und senkte, während sie mit zusammengepreßten Händen dasaß, und er mußte an sich halten, daß er sie nicht in seine Arme zog, statt in seiner wohlüberlegten Rede fortzufahren. Fast hätte er ihr gesagt, daß sie ein entzückender Knabe sei. Aber er unterdrückte alle derartigen Reden und hielt sich nur an seine sachliche Beweisführung.

»Sie können nichts dafür, daß Sie so sind, wie Sie sind. Sie können nichts dafür, daß Sie für mich ein sehr begehrenswertes Weib sind. Sie haben in mir das Verlangen geweckt. Sie wollten das nicht und haben sich auch nicht darum bemüht. Ihr Wesen war es, das es veranlaßte. Und mein Wesen ist es, das nach Ihnen verlangt. Aber ich kann auch nichts dafür, daß ich so bin, wie ich bin. Ich kann mich ebensowenig zwingen, nach Ihnen zu verlangen, wie Sie sich zwingen können, für mich begehrenswert zu sein.«

»Ach, Wunsch! Verlangen! Verlangen! Verlangen!« begehrte sie auf. »Ich bin doch kein Narr. Ich habe doch auch ein bißchen Verstand. Und die ganze Geschichte ist so albern und sinnlos und – unangenehm. Ich glaube wirklich, es wäre das beste, daß ich Noah-Noah, Adamu-Adam, Lalaperu oder irgendeinen Schwarzen heiratete. Dem könnte ich Befehle erteilen und ihn von mir fernhalten, und dann würden Leute wie Sie mich in Ruhe lassen und nicht von Heirat und Verlangen reden.«

Scheldon lachte gezwungen, aber ihm war keineswegs zum Lachen zumute.

»Sie haben wirklich keine Seele«, sagte er wild.

»Weil meine Seele nicht nach einem Mann als Herrn verlangt?« parierte sie den Einwurf. »Schön, dann habe ich eben keine. Und was wollen Sie nun unternehmen?«

»Ich werde Sie fragen, warum Sie wie eine Frau aussehen, warum Sie die Gestalt einer Frau haben, die Lippen einer Frau, das wundervolle Haar einer Frau. Und ich werde antworten: weil Sie eine Frau sind, wenn die Frau auch noch in Ihnen schlummert. Eines Tages aber wird sie erwachen.«

»Das verhüte Gott!« rief sie in so plötzlichem, natürlichen Schrecken, daß er lachen mußte, und auch ihre Lippen sich zu einem ungewollten Lächeln kräuselten. »Ich habe Ihnen noch mehr zu sagen«, fuhr Scheldon fort. »Ich habe versucht, Sie vor allen anderen Männern in den Salomons zu beschützen und vor sich selbst ebenfalls. Ich persönlich dachte nicht an eine Gefahr von dieser Seite. Daher habe ich es auch unterlassen, Sie vor mir selber zu schützen. Aber mein Schutz hat überhaupt versagt. Sie gingen ihre eigenen, selbstbewußten Wege, ganz, als ob ich überhaupt nicht existierte. Sie brachten gestrandete Schoner ein, warben auf Malaita und fuhren Schoner, Sie, ein alleinstehendes, unbeschütztes Mädchen, in der Gesellschaft einiger der schlimmsten Schurken in den Salomons. Fowler! Brahms! Curtis! Und das ist das Sinnwidrige in der menschlichen Natur – ich bin ganz offen, wie Sie sehen –, daß ich Sie liebe. Ich liebe Sie um Ihrer selbst willen, so wie Sie sind.«

Mit einer Miene, die Widerwillen ausdrückte, hob sie abwehrend die Hand.

»Nein«, sagte er. »Sie haben kein Recht, mir zu verbieten, daß ich von meiner Liebe zu Ihnen spreche. Denken Sie daran: es ist Männerrede. Bei diesem Gespräch sind Sie ein Mann. Die Frau in Ihnen ist nur Zufall, eine unerhebliche Nebensache. Sie müssen zuhören, selbst wenn ich die Tatsache feststelle, daß ich Sie liebe, so sonderbar es auch sein mag.

»Ich werde Sie nicht mehr mit meiner Liebe belästigen. Es bleibt alles wie bisher. Sie sind auf Berande besser aufgehoben und sicherer als sonst irgendwo in den Salomons. Trotz der Tatsache, daß ich Sie liebe. Aber eines möchte ich gern – und das ist der letzte Punkt unseres Männergesprächs! Denken Sie von Zeit zu Zeit daran, daß es der schönste Tag meines Lebens sein würde, wenn Sie einwilligten, meine Frau zu werden. Denken Sie zuweilen daran. Sie müssen es, und jetzt wollen wir nicht mehr davon reden. Wie unter Männern. Hier meine Hand.«

Er streckte die Hand aus. Sie zögerte, dann aber ergriff sie sie herzhaft und lächelte unter Tränen.

»Ich wollte –« stammelte sie unter Tränen, »ich wollte Sie hätten mir statt dieser schwarzen Mary sonst jemand gegeben, der auf mich schwört.«

Und mit dieser rätselhaften Bemerkung wandte sie sich ab.

 


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