Jack London
Die Insel Berande
Jack London

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Herr Morgan und Herr Raff

Scheldon war auf der Plantage und beaufsichtigte den Bau einer Brücke, als der Schoner Malakula einlief und ankerte. Joan beobachtete das Einholen der Segel und das Einschwingen des Bootes mit seemännischem Interesse und begrüßte die beiden Männer, die an Land kamen. Während einer der Hausboys lief, um Scheldon zu holen, bewirtete sie die Besucher mit Whisky-Soda und plauderte mit ihnen.

Joans Anwesenheit schien die Männer verlegen und befangen zu machen, und sie merkte, wie beide sie mit heimlicher Neugier betrachteten. Sie fühlte, daß sie sich Gedanken über sie machten, und zum ersten Male kam ihr die eigentümliche Stellung, die sie auf Berande einnahm, klar zum Bewußtsein. Andererseits gaben auch die Männer ihr zu denken. Es waren weder Händler noch Seeleute von einer ihr bekannten Art, und sie redeten nicht wie gebildete Menschen, wenn auch nichts Verletzendes in ihrem Benehmen lag, und sie die äußeren Formen gesellschaftlicher Höflichkeit wahrten. Zweifellos waren es Geschäftsleute, aber was für Geschäfte konnten sie nach den Salomons und namentlich nach Berande führen? Der ältere, Morgan, war ein hochgewachsener, wettergebräunter Mann mit Schnurrbart, tiefer Baßstimme und einer Sprache, die ganz aus der Kehle zu kommen schien; der andere, Raff, war klein und verweichlicht, mit nervösen Händen und Augen von einem wässrigen, verwaschenen Grau; er sprach mit einem leichten, nicht festzustellenden Akzent, der irgendwie an London erinnerte, aber doch kein Cockney war, wie sie es kannte. Was sie auch sein mochten, so waren sie nach Joans Meinung Selfmademen, und es schauderte sie bei dem Gedanken, mit ihnen Geschäfte zu machen. Dann mußten sie erbarmungslos sein. Als Scheldon kam, beobachtete sie ihn scharf und erriet, daß er nicht sonderlich erfreut über den Besuch war. Aber sprechen mußte er sie, und zwar so dringend, daß er die beiden nach einer kurzen, oberflächlichen Unterhaltung über allgemeine Dinge in sein dumpfes Arbeitszimmer führte. Im Laufe des Nachmittags fragte Joan Lalaperu, wohin die weißen Männer gegangen wären.

»Mein Wort«, erklärte Lalaperu. »Viel gehen herum, viel sehen. Sehen Bäume; sehen Grund gehören Bäume; sehen alle fella Brücken; sehen Koprahäuser; sehen Grasland; sehen Fluß; sehen Walboot – mein Wort, viel groß fella sehen zuviel.«

»Was fella Männer die zwei fella?« forschte sie.

»Groß fella Herren bei weißen Männern«, war seine ganze Erklärung.

Aber Joan folgerte, daß die Leute von Bedeutung in den Salomons sein mußten, und daß die Besichtigung der Plantage und die Prüfung der Abschlüsse ein schlimmes Anzeichen sein mußten.

Beim Essen fiel kein Wort, das ihr Aufschluß gegeben hätte. Die Unterhaltung drehte sich lediglich um allgemeine Dinge; aber Joan bemerkte unwillkürlich den unruhigen, zerstreuten Ausdruck, der sich hin und wieder in Scheldons Augen zeigte. Nach dem Kaffee ließ sie die Männer allein, und noch um Mitternacht konnte sie in ihrem Grashause das leise Gemurmel ihrer Gespräche hören und ihre Zigarren glimmen sehen. Als sie am nächsten Morgen aufstand, erfuhr sie, daß die Männer schon zu einem neuen Rundgang durch die Plantage aufgebrochen waren.

»Was du denken?« fragte sie Viaburi.

»Scheldon Herr er fertig, kurze Zeit klein bißchen«, lautete die Antwort.

»Was du denken?« fragte sie Ornfiri.

»Scheldon Herr groß fella gehen nach Sydney. Ja mich denken so. Er fertig mit Berande.«

Der ganze Tag verging mit der Besichtigung der Plantage und den Besprechungen, und den ganzen Tag schickte der Kapitän der Malakula dringende Aufforderungen an Land, daß die beiden Männer sich beeilen möchten. Aber erst gegen Sonnenuntergang gingen sie an den Strand hinunter, und selbst dort wurden die letzten Besprechungen noch fast eine Stunde weitergeführt. Scheldon stritt mit ihnen – das konnte sie deutlich sehen –, und seine beiden Besucher gaben nicht nach.

»Was gibt's?« fragte sie leichthin, als Scheldon sich zum Essen niedersetzte.

Er sah sie an und lächelte, aber es war ein sehr mattes, nachdenkliches Lächeln.

»Das waren ja endlose Verhandlungen«, fuhr sie fort. »Verhandlungen bei Sonnenuntergang, Verhandlungen bei Sonnenaufgang. Nichts als Verhandlungen den ganzen Tag. Was bedeutet das?«

»Ach, nicht viel«, er zuckte die Achseln. »Sie möchten Berande kaufen, das ist alles.«

Sie blickte ihn herausfordernd an.

»Es muß mehr gewesen sein. Sie möchten verkaufen!«

»Wirklich nicht, Fräulein Lackland. Ich versichere Ihnen, daß ich nicht daran denke, zu verkaufen.«

»Machen Sie keine Ausflüchte«, drängte sie. »Lassen Sie uns offen darüber reden. Sie befinden sich in Schwierigkeiten. Ich bin kein Narr. Erzählen Sie. Vielleicht kann ich Ihnen helfen – Ihnen einen Vorschlag machen.«

Er schwieg und schien zu überlegen, nicht ob er überhaupt erzählen, sondern wie er beginnen sollte.

»Sehen Sie, ich bin Amerikanerin«, fuhr sie fort. »Und das bedeutet ein gut Teil Geschäftssinn. Wenn ich ihn auch nicht schätze, so weiß ich doch, daß ich ihn besitze – zum mindesten habe ich etwas mehr davon als Sie. Also lassen Sie uns über die Sache reden und einen Ausweg suchen. Wie hoch belaufen sich Ihre Schulden?«

»Etwas über tausend Pfund – kleine Rechnungen, wissen Sie. Ferner laufen nächste Woche die Kontrakte für dreißig Leute ab, deren Guthaben sich durchschnittlich auf je zehn Pfund belaufen. Aber warum wollen Sie sich darüber Kopfschmerzen machen? Wirklich, Sie wissen –«

»Was ist Berande wert – augenblicklich?«

»Soviel, wie Morgan und Raff dafür geben wollen.« Ein Blick auf ihr gekränktes Gesicht brachte ihn zum Entschluß. »Hughie und ich haben achttausend Pfund hineingesteckt, außer unserer Zeit. Es ist eine gute Besitzung und mehr wert als das. Aber es vergehen noch drei Jahre, bis sie ertragsfähig ist. Deshalb hatten Hughie und ich uns auf Handel und Werben gelegt. Die Jessie und unsere Handelsstationen deckten fast die laufenden Ausgaben für Berande.«

»Und was haben Morgan und Raff Ihnen geboten?«

»Tausend Pfund bar nach Bezahlung aller Schulden.«

»Diese Spitzbuben!« rief sie aus.

»Nein, es sind ehrliche Geschäftsleute. Sie haben mir offen erklärt, daß eine Sache nicht mehr wert ist, als der eine dafür geben und der andere dafür nehmen will.«

»Und wieviel brauchen Sie, um Berande noch drei Jahre weiterzuführen?« fiel Joan hastig ein.

»Zweihundert Leute zu je sechs Pfund jährlich macht dreitausendsechshundert Pfund. Das ist die Hauptsache.«

»Mein Gott! Wie die billigen Arbeitskräfte doch ins Geld gehen! Dreitausendsechshundert Pfund oder achtzehntausend Dollar nur für einen Haufen Kannibalen! Aber die Plantage bietet doch Sicherheit. Sie können nach Sidney fahren und dort das Geld aufnehmen.«

Er schüttelte den Kopf.

»Man interessiert sich dort nicht für Plantagen hier unten. Man ist zu oft hereingefallen. Aber ich möchte den Platz nicht gern aufgeben – weniger meinetwegen, als in Erinnerung an Hughie. Es war seine Lebensaufgabe. Er war ein hartnäckiger Mensch und wollte nie eine Niederlage zugeben. Es – es ist mir selbst unangenehm, daran zu denken. Wir kamen nicht so recht vorwärts, aber wir hofften immer noch, uns mit der Jessie irgendwie durchzuarbeiten.«

»Sie waren beide zweifellos schlechte Geschäftsleute. Aber Sie brauchen die Plantage nicht an Morgan und Raff zu verkaufen. Ich werde mit dem nächsten Schiff nach Sydney fahren und mit einem Schoner wiederkommen. Für fünf- bis sechstausend Dollar werde ich wohl einen alten kaufen können.«

Er hob abwehrend die Hand, aber sie ließ sich nicht unterbrechen.

»Vielleicht glückt es mir, für die Rückfahrt eine Fracht zu bekommen. Jedenfalls wird der Schoner die Aufgabe der Jessie übernehmen. Sie können entsprechende Vorbereitungen treffen und haben dann, wenn ich zurückkomme, Arbeit für das Schiff. Ich beteilige mich jetzt, soweit es mein Geld zuläßt, an Berande – wie Sie wissen, besitze ich fünfzehnhundert Sovereigns. Wir setzen gleich einen Vertrag auf, das heißt, wenn Sie einwilligen, und ich weiß, daß Sie es tun werden.« Er blickte sie gutmütig belustigt an.

»Sie wissen, daß ich aus Tahiti hergekommen bin, um Pflanzer zu werden. Sie kennen meine Pläne. Jetzt habe ich sie geändert, das ist alles. Ich will mich lieber an Berande beteiligen und nach drei Jahren verdienen, als auf Pari-Sulay anfangen und sieben Jahre warten müssen.«

»Und der – der Schoner –«, Scheldon hielt inne.

»Ja, was denn?«

»Sie werden mir nicht böse sein?« fragte er.

»Nein, nein, Geschäft ist Geschäft. Reden Sie weiter.«

»Sie – Sie wollen ihn selbst führen? – Als Schiffer, kurz gesagt, – und nach Malaita zum Werben fahren?«

»Gewiß! Einen Kapitän können wir uns sparen. Wir schließen einen Vertrag, der Ihnen das Gehalt eines Verwalters und mir das eines Kapitäns sichert. Das ist ganz einfach. Im übrigen: wenn Sie mich nicht zum Teilhaber wollen, so würde ich Pari-Sulay kaufen, mir ein viel kleineres Fahrzeug anschaffen und alles allein machen. Was ist das für ein Unterschied?«

»Der größte, den man sich überhaupt denken kann. Wenn Sie Pari-Sulay kauften, würden Sie ganz unabhängig sein. Sie könnten Kannibalin werden, ohne daß ich etwas dabei tun könnte. Auf Berande aber würden Sie meine Teilhaberin sein, und dann wäre ich verantwortlich. Natürlich könnte ich Ihnen als meiner Teilhaberin nicht erlauben, Kapitän eines Werberschiffes zu werden. Das ist etwas, das ich weder meiner Schwester noch meiner Frau erlauben könnte.«

»Aber ich werde ja, Gott sei Dank, nicht Ihre Frau, sondern nur Ihr Teilhaber.«

»Ach, das ist ja alles Unsinn«, fuhr er hartnäckig fort. »Stellen Sie sich doch die Situation vor: ein Mann und eine Frau, beide jung, als Teilhaber auf einer entlegenen Plantage! Es gäbe nur einen Ausweg, daß ich Sie heiratete.«

»Ich habe Ihnen einen geschäftlichen Vorschlag gemacht und keinen Heiratsantrag,« unterbrach sie ihn kühl und ärgerlich, »ich möchte nur wissen, ob es irgendwo in der Welt einen Mann gibt, der mich als Kameraden ansehen würde.«

»Aber Sie sind und bleiben doch eine Frau,« begann er, »und da gibt es eben gewisse Gesetze, gewisse Gefühle für –«

Sie sprang auf und stampfte mit dem Fuß.

»Wissen Sie, was ich jetzt am liebsten sagen möchte?«

»Ja«, lächelte er. »Am liebsten möchten Sie sagen: verwünschte Weiberröcke.«

Sie nickte. »Gerade das wollte ich sagen. Aber aus Ihrem Munde klingt es so anders, so, als ob Sie selbst davon überzeugt wären, und als ob Sie es auch in bezug auf mich so meinen. Schön! Jetzt gehe ich schlafen; aber bitte, denken Sie über meinen Vorschlag nach, und geben Sie mir morgen früh Bescheid. Es hat jetzt keinen Zweck, noch weiter darüber zu reden. Sie ärgern mich. Wissen Sie, daß Sie feige und sehr selbstsüchtig sind? Sie fürchten sich vor dem, was andere Narren sagen könnten. So triftig Ihre Gründe auch sein mögen, wenn andere Ihre Handlungsweise kritisieren, sind Ihre Gefühle verletzt. Sie denken eben mehr an Ihre eigenen Empfindungen als an die meinen. Und obendrein, da Sie nun einmal ein Feigling sind – alle Männer sind im Herzen Feiglinge –, bemänteln Sie Ihre Feigheit noch damit, daß Sie sie Ritterlichkeit nennen. Ich danke dem Himmel, daß ich nicht als Mann geboren bin! Gute Nacht! Denken Sie über die Sache nach und seien Sie kein Narr. Was Berande not tut, ist amerikanischer Schwung. Sie wissen nicht, was das heißt. Sie sind ein schlechter Geschäftsmann. Dazu sind Sie auch entkräftet, während ich mit frischen Kräften den Kampf mit dem Klima aufnehmen kann. Nehmen Sie mich zum Teilhaber, und Sie sollen sehen, wie ich die Salomons auf den Kopf stellen werde. Gestehen Sie nur, daß ich Sie schon ein bißchen aufgerüttelt habe.«

»Das will ich meinen. Das haben Sie wirklich getan. Noch nie in meinem Leben habe ich eine solche Zurechtweisung erfahren. Wenn mir jemand erzählt hätte, daß ich je in eine solche Lage kommen würde –, ja, ich gebe zu, daß Sie mir schon ganz gehörig zugesetzt haben.«

»Aber das ist noch gar nichts gegen das, was noch kommen wird«, versicherte sie ihm, als er aufstand und ihr die Hand reichte. »Gute Nacht, und bitte, bitte, geben Sie mir morgen früh einen vernünftigen Bescheid.«

 


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