Jack London
Die Insel Berande
Jack London

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Kampf zwischen den Geschlechtern

Die unerschöpfliche Energie und gute Laune Satans waren beispiellos. Immer schienen seine Zähne Arbeit zu suchen, und in Ermangelung schwarzer Beine machte er sich an die Kokosnüsse, die innerhalb des Grundstücks von den Palmen fielen, hielt den Garten von eindringenden Hühnern frei und versetzte die Vorarbeiter, die etwas zu berichten hatten, in Schrecken. Er konnte die Quälereien seiner Jugend nicht vergessen: sie hatten seinem Bewußtsein einen unauslöschlichen Haß gegen die Schwarzen eingeätzt. Ein solcher Schrecken wurde er für den ganzen Ort, daß Scheldon zuletzt gezwungen war, ihn im Wohnzimmer einzuschließen, sobald er fremden Eingeborenen aus irgendeinem Grunde den Zutritt zum Grundstück gewähren mußte. Das aber verletzte Satans Gefühle und fachte seinen Zorn so an, daß selbst die Hausboys sich vor ihm hüten mußten, wenn er wieder losgelassen war.

Christian Young segelte mit der Minerva ab und nahm eine, Gott weiß wann abzuliefernde Einladung an Tommy Jones mit, das nächste Mal, wenn er vorbeikäme, in Berande vorzusprechen.

»Was für Pläne haben Sie, wenn Sie nach Sidney kommen?« fragte Scheldon an diesem Abend beim Essen.

»Das ist das erste, was ich davon höre, daß ich nach Sidney gehe«, erwiderte Joan. »Ich vermute, Sie haben durch den Buschtelegraphen Nachricht erhalten, daß dieser dritte Assistent und Exmatrose in Tulagi die Absicht hat, mich als unerwünschten Einwanderer abzuschieben.«

»O nein, durchaus nicht, versichere ich Ihnen«, stammelte Scheldon unbeholfen, aus Furcht, sie verletzt zu haben, obgleich er nicht wußte, wieso. »Ich fragte nur so. Sehen Sie, der Verlust Ihres Schoners und – – und alles sonst –, Sie verstehen – ich dachte, daß, wenn – wenn – nun, kurz, bis Sie sich mit Ihren Freunden in Verbindung gesetzt haben, könnten meine Agenten in Sidney Ihnen ja ein Darlehen geben – vorübergehend natürlich – kurz, ich würde mich nur freuen, und – – Sie wissen, die eigentliche – –«

Aber plötzlich brach er ab und betrachtete sie gereizt und besorgt.

»Was ist denn?« fragte er mit einer gewissen Erregung. »Was habe ich nun wieder getan?«

Joans Augen funkelten kampflustig. Ihre Lippen kräuselten sich spöttisch.

»Durchaus nichts Unerwartetes«, sagte sie ruhig. »Sie haben mich in Ihrer gewohnten selbstgefälligen, überlegenen Art einfach übergangen. Natürlich ist meine Erklärung, daß ich gar nicht die Absicht habe, nach Sidney zu gehen, für Sie ganz bedeutungslos. Nach Sidney soll ich nur, weil Sie es in Ihrer höheren Weisheit so beschlossen haben.«

Sie machte eine Pause und betrachtete ihn neugierig, als wenn er irgendein fremdartiges Geschöpf gewesen wäre.

»Natürlich bin ich Ihnen dankbar, weil Sie mir Ihre Hilfe anbieten, aber selbst das ist kein Pflaster für verletzten Stolz. Im übrigen ist es nicht mehr, als jeder Weiße vom andern erwarten kann. Schiffbrüchigen Seeleuten hilft man stets weiter. Nur dieser eine Seemann braucht keine Hilfe. Außerdem geht dieser Seemann gar nicht nach Sidney, also besten Dank.«

»Aber was gedenken Sie denn zu tun?«

»Ich will einen Ort ausfindig machen, wo ich der Schande entgehen kann, vom starken Geschlecht unter Zwang und Vormundschaft gehalten zu werden.«

»Halt, jetzt gehen Sie wohl etwas zu weit.« Scheldon lachte, aber der offensichtliche Zwang, den er sich antat, strafte ihn Lügen. »Sie wissen selbst, wie unmöglich die Situation ist.«

»Das weiß ich gar nicht, mein Herr. Und wenn sie unmöglich war, nun ja, dann habe ich sie eben möglich gemacht.«

»Aber es kann doch nicht so weiter gehen, wirklich –«

»Doch! Wenn ich es bis jetzt ermöglicht habe, so werde ich es auch weiterhin ermöglichen. Ich gedenke in den Salomons zu bleiben, aber nicht auf Berande. Morgen fahre ich mit dem Boot nach Pari-Sulay. Ich habe mit Kapitän Young darüber gesprochen. Er sagt, daß es dort mindestens vierhundert Morgen gutes Brachland gibt. Da es eine Insel ist, sagt er, brauchte ich nicht zu fürchten, daß die jungen Palmen von den Wildschweinen vernichtet würden. Ich hätte nichts zu tun, als das Unkraut niederzuhalten, bis die Palmen tragfähig sind. Ich werde zunächst die Insel kaufen, dann vierzig bis fünfzig Leute anwerben und mit dem Roden und Pflanzen beginnen; und gleichzeitig werde ich mir ein Bungalow bauen, und dann sind Sie von meiner Gegenwart erlöst – nun, bitte, widersprechen Sie mir.«

»Das tue ich auch«, sagte er scharf. »Sie wollen eben meinen Standpunkt nicht anerkennen, und deshalb hat es gar keinen Zweck, daß wir weiter darüber reden. Und nun bitte ich Sie, vergessen Sie alles andere und verfügen Sie ganz über mich bei diesen – diesen Ihren Plänen. Ich verstehe etwas mehr vom Kokosnußpflanzen als Sie. Sie reden wie ein Kapitalist. Ich weiß nicht, wieviel Kapital Sie besitzen, aber ich kann mir nicht denken, daß Sie übermäßig reich sind. Und ich weiß, was es kostet, ein Stück Boden zu roden. Nehmen wir an, die Regierung verkauft Ihnen Pari-Sulay zu einem Pfund Sterling den Morgen; das Roden kostet Sie mindestens noch vier; das macht zusammen fünf, also für vierhundert Morgen rund zwanzigtausend Dollar; haben Sie die?«

Sie zeigte starkes Interesse, und er konnte sehen, daß sie den vorangegangenen Streit schon fast vergessen hatte. Mit offensichtlicher Enttäuschung gab sie zu:

»Nein, ich habe nicht ganz achttausend Dollar.«

»Noch etwas müssen Sie bedenken. Wie Sie selbst sagten, brauchen Sie wenigstens fünfzig Leute. Außer der Prämie beträgt der Lohn dreißig Dollar jährlich.«

»Ich gebe meinen Tahitianern fünfzehn Dollar monatlich«, warf sie ein.

»Die würden sich nicht für regelmäßige Plantagenarbeit eignen. Aber weiter: der Lohn für fünfzig Leute macht dreihundert Pfund jährlich, also eintausendfünfhundert Dollar. Schön. Sieben Jahre dauert es, ehe die Palmen zu tragen beginnen. Sieben mal eintausendfünfhundert macht zehntausendfünfhundert Dollar – mehr, als Sie haben, und das würde nur der Leutelohn ausmachen, und Sie behielten nichts für das Bungalow, die anderen Gebäude, die Geräte, Chinin, die Reisen nach Sidney und so weiter.«

Scheldon schüttelte ernst den Kopf. »Diesen Gedanken werden Sie aufgeben müssen.«

»Aber ich will nicht nach Sidney, ich will einfach nicht. Dann beteilige ich mich mit meinem Geld an irgendeiner Pflanzung. Ich möchte mich an Berande beteiligen.«

»Gott behüte!« rief er in so natürlichem Entsetzen, daß sie in herzliches Lachen ausbrach.

»Nun, ich will Sie nicht länger quälen. Ich pflege meine Gegenwart wirklich nicht aufzudrängen, wo sie nicht erwünscht ist. Ja, ja, ich weiß schon, Sie suchen jetzt nach Worten, um mir klar zu machen, daß ich mich Ihnen seit meiner Landung aufgedrängt habe; Sie sind nur zu höflich, um es mir direkt zu sagen. Aber wie Sie wissen, war es mir nicht möglich, fortzugehen, und ich mußte eben bleiben. Nach Tulagi wollten Sie mich auch nicht fahren lassen. Sie haben mich also gezwungen, mich Ihnen aufzudrängen. Aber ich würde nie einen passenden Teilhaber finden. Ich werde Pari-Sulay kaufen, aber nur zehn Leute beschäftigen und langsam roden. Dann werde ich etwas Geld in eine alte Jacht stecken und mir eine Handelslizenz verschaffen. Und dann fahre ich als Werber nach Malaita.« Sie hatte Scheldons Protest erwartet und fand ihn wirklich in seinen zusammengepreßten Händen und in jeder Linie seines scharfgeschnittenen Gesichts.

»Sagen Sie nur ruhig Ihre Meinung«, forderte sie ihn auf. »Nehmen Sie keine Rücksicht auf mich. Ich gewöhne mich allmählich daran, wirklich.«

»Ich wünschte, ich wäre eine Frau, dann könnte ich Ihnen sagen, wie unnatürlich, ungesund und unmöglich das sein würde«, platzte er heraus.

Sie beobachtete ihn und sagte:

»Es ist schon besser, daß Sie ein Mann sind. Auch dann kann Sie nichts davon abhalten, mir alles zu sagen, denn ich verlange, als Mann angesehen zu werden. Ich bin nicht hergekommen, um auf den Salomons die Dame zu spielen. Vergessen Sie bitte, daß ich zufällig etwas anderes als ein Mann bin; ich wünsche, wie ein Mann zu leben.«

Innerlich ärgerte sich Scheldon. Spielte sie mit ihm? Oder steckte eine geheime, eine ungesunde Unweiblichkeit in ihr? Oder war es nur die reine, dumme, starrköpfige, sentimentale Unschuld?

»Ich habe Ihnen schon gesagt,« begann er förmlich, »daß das Arbeiterwerben auf Malaita für eine Frau unmöglich ist. Und mehr will und kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Und ich erwidere Ihnen, daß dem nicht so ist. Ich habe die Miélé als Schiffer den ganzen Weg von Tahiti hierhergeführt, wenn Sie nichts dagegen haben, und ich habe sie zwar verloren, aber daran sind Ihre Admiralitätskarten schuld. Ich bin Seemann, und das ist mehr, als man von den meisten Ihrer Salomonskapitäne sagen kann. Kapitän Young hat mir davon erzählt. Ich bin Seemann, ein besserer Seemann als Sie, wenn es darauf ankommt, und das wissen Sie. Ich kann schießen, ich bin kein Narr, ich kann selbst für mich sorgen, und ich werde mir ganz bestimmt eine Jacht kaufen, sie selbst fahren und auf Malaita werben.«

Scheldon machte eine hoffnungslose Gebärde.

»So ist's recht,« rief sie, »geben Sie mich nur auf. Aber wie Von zu sagen pflegte: ›Jetzt erst recht!‹«

»Es hat ja doch keinen Zweck, darüber zu reden. Lassen Sie uns etwas Musik hören.« Er stand auf und trat an das große Grammophon. Während er aber noch das Werk aufzog, hörte er sie sagen:

»Sie haben sicher ihr ganzes Leben noch nie etwas anderes als Zuckerpüppchen kennengelernt; darum verstehen Sie mich nicht. Komm, Satan, lassen wir ihn bei seiner alten Musik.«

Er blickte ihr verdrießlich nach und sagte nichts, bis er sah, wie sie ein Gewehr aus dem Ständer nahm, das Magazin untersuchte und zur Tür schritt.

»Wo wollen Sie hin?« fragte er geradezu.

»Es würde für Sie als Mann schrecklich – oder – unschicklich sein,« antwortete sie, »mir als Frau die Gründe sagen zu müssen, warum ich nicht Alligatoren schießen dürfte. Gute Nacht, schlafen Sie wohl!«

Er hielt das Grammophon unvermittelt an, ging ihr bis zur Tür nach und warf sich dann plötzlich auf einen Stuhl.

»Sie hoffen, daß ein Alligator mich packt, nicht wahr?« rief sie ihm von der Veranda aus zu, und als sie die Stufen hinabschritt, drang ihr spöttisches Lachen peinigend durch die breite Tür zu ihm herein.

 


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