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Der Verkünder

Habal habalim, vek' hôl habal!
Schelomo, Kohelet.

Auf den Zinnen der Türme der Stadt Jebus Der obere Stadtteil Jerusalems, die Burg auf dem Berge Zion, einst Sitz der Jebussiter. wachen die Krieger von Juda und heften ihre Blicke auf die Hügel.

Am Fuße der Wälle dehnen sich in der Stadt die asmonäischen Bauten, die Königsgrotten, die Weingärten voller Bienenstöcke, die Richtstätten, die Vorstadt der Zauberer, die hügeligen Straßen, die nach Ir-David führen.

Es ist Nacht.

Neben dem Zwinger wilder Tiere leuchten die Gerichtshallen, unter der Herrschaft Sauls erbaut, viereckig und weiß an den Straßenecken gleich Gräbern. In der Nähe der Silosgruben spiegeln sich in den Bethesdateichen die niedrigen Herbergen mit feigenbaumbesetzten Straßen, der Karawanen von Elam und Phönizien harrend.

Gen Osten, unter den Sykomorenalleen, liegen die Wohnungen der Fürsten von Judäa; an den Enden der inneren Straßen stehen Gruppen von Palmbäumen und wiegen ihre breiten Fächer über den Zisternen, den Tränken der Elefanten.

Nach dem Hebrontal zu, an dem Wege, der vom Jordan kommt, qualmen die Ziegelschornsteine der Waffenschmiede, der Goldschmiede und Bereiter von Wohlgerüchen. Weiterhin stufen sich die Häuser der Reichen in Israel terrassenförmig auf, von Vignen umgürtet, mit Bädern, die an kühle Obstgärten stoßen. Im Norden dehnt sich das Stadtviertel der Weber, wo die Dromedare, von asiatischen Kaufleuten gelenkt, mit Sefittimholz, Purpur und köstlichem Leinen beladen, von selbst ihre Knie beugen.

Dort leben die fremden Kaufleute, die ihre Idole begleitet haben. Sie unterhalten den üppigen Wohlstand von Magdala, Naim, Schunem und bewohnen den Süden der Stadt. Sie verkaufen die schwerflüssigen Goldweine, die Sklaven, die sich auf die Kunst der Körperpflege verstehen, den bittren Saft der Alraunbeeren vom Karmel, welche die Gaukelbilder der Gelüste schaffen, die Kampferholzkästchen, um Geschenke darin zu verschließen, den Balsam von Gilead, die Affen, welche die Verblüffung Israels, aber auch die Belustigung seiner Jungfrauen bilden, durch Tadmors Flotten von den Ufern des Indus herbeigebracht. Sie verkaufen die feinen Gewürze und Glaswaren von Akko, die Gegenstände aus gedrechseltem Sandelholz, die Kriegsgefangenen, Perlen und Blumenessenzen für Bäder, das Bedollah zum Einbalsamieren der Toten, die Steinpasten zum Polieren der Nägel, die seltnen Gemüse, die scheuen Pferde Irans, die mit weltlichen Sprüchen bestickten Gürtel, die asiatischen Vögel mit Saphirgefieder, die bezauberten Schlangen von Susa, die Lustbetten und die großen Metallspiegel, in Ebenholzzweige gefaßt.

Jenseits der Wälle, von Gräbern und Gräben umgeben, dehnt sich ungeheuer die Stadt Davids. Zwölfhundert Kriegswagen schirmen ihre zwölf Tore. Jeruschalajim leuchtet unter dem Dunkel des Himmels mit seinen tausend Wasserleitungsbögen, dem Gewirr seiner Ringstraßen und ragt mit den ehernen Kuppeln seiner Bauten bis in die Wolken.

Auf den öffentlichen Plätzen leuchten die Helme der Nachtwachen. Hier und dort brennen noch die Feuer der Karawansereien, der Wohnungen von Zauberinnen und Sklavenmärkte. Dann versinkt alles in Finsternis. Der heilige Odem der Propheten weht im Wind durch die Trümmer der kanaanitischen Mauern, und es schlummert in der Weihe der Jahrhunderte, von den nahen Bächen umrauscht, die Burg Gottes, Zion die Auserwählte.

Am Horizont auf den Höhen von Millo Millo ist die Zitadelle der Stadt Davids. taucht aus leuchtenden Nebeln ein seltsamer Palast mit seinen hängenden Gärten, seinen Galerien, seinen priesterlichen Gemächern mit Decken von kostbarem Holz, seinen ölbaumumrauschten Pavillons, seinen basaltenen Gestüten zur Aufzucht der Kriegshengste, seinen Türmen mit kupfernen Kuppeln. So ragt es verworren ob den Tälern von Bethsaida unter dem Schweigen der Sterne.

Dort wird ein Fest gefeiert. Die schlanken äthiopischen Sklavinnen in ihren silbernen Gewändern schwenken Weihrauchfässer über den Marmorstufen, die von den Gärten Ethams bis zum Gipfel des Mauerbezirks führen; die Eunuchen tragen Weinkrüge und Rosen, und zwischen den Bäumen fachen die Stummen glühende Kohlen für die Räucheraltäre an.

An den Decken der Vorhallen lüften Zwerge in flatternden Safrangewändern, die Gamaddim, hin und wieder die alten Wandteppiche. Dann zuckt auf den dreihundert goldenen Schilden, die zwischen medianitischen Streitäxten an die Zedern geheftet sind, der Schein der Lampen, der Wunder, der Lichtfluten.

Auf den Terrassen vor den Säulenhallen zügeln Reiter mit feurigen Lanzen, kriegerische Nomaden von den Ufern des Toten Meeres, ihre schweren gomorrhischen Streitrosse mit dem kostbaren, edelsteingeschmückten Zaumzeug, die sich stolz in dem Gefunkel bäumen ...

Über ihnen, in Höhe der Baumwipfel, ragt der geheimnisvolle »Saal der Zauber«, ein Werk der Chaldäer, wo ein Wald von Aloefackeln in den Händen von tausend Jaspisstatuen brennt, der hohe Festsaal mit den mystischen Säulengängen, der allen Winden des Raumes ausgesetzt ist, mit seinen dreieckigen Tiefen in den Himmel hinein. Die beiden Seiten des Winkels öffneten sich gegenüber Moriah Der Tempelberg. auf die Stadt, die im Schatten des Tempels liegt, der leuchtenden Krone Zions.

In der Tiefe des Saales, auf einem Thron von Zypressenholz, den die Flügelspitzen von vier goldnen Cherubim tragen, sitzt König Salomon in erhabene Träume versunken und scheint den fernen Gesängen der Leviten zu lauschen. Die Nebiim singen auf dem Berge des Ärgernisses die Psalmen des Sefer, welche die Schöpfung der Welt künden.

Auf dem Diadem des Königs, zwischen den Binden der Gerechtigkeit, leuchtet der Stern mit den sechs Strahlen, das Zeichen der Macht und des Lichtes. Der Prediger trägt das hohepriesterliche Brustschild, weil er die Sühnopfer darbringen kann, das Gewand der Leviten, weil er der Hohepriester ist, und auf seinen friedebringenden Füßen kreuzen sich die bronzenen Schlingen der Kriegssandalen, weil er Krieger ist.

Er feiert das Osterfest zum Andenken an seine Väter, die Moses aus Misraïm, dem Hause der Knechtschaft, geführt hat, den Jahrestag des großen Abends, da sie, den wütenden Kriegswagen und Heeren zum Trotz, in das Gelobte Land entwichen; den Jahrestag des schicksalsvollen Mondaufganges, da Jehova, der Seiende, Roß und Reiter in den Fluten des Roten Meeres ertränkte.

Ja, der König feiert das Osterfest! ... Seine Rechte stützt sich auf die greise Schulter des Mittlers Helcias, des Deuters der Zeichen, des Dieners der verborgenen Gewalten.

Helcias, der Sohn Schellüms und der Holda, gleicht der Wüste, welche noch dürrer ist, wenn es Manna geregnet hat. Er hat die Prüfungen bestanden und sie gesegnet, wie die Zeder des Libanon die Axt, die sie schlägt, mit Duft begabt; aber er trägt über seinen großen Augenhöhlen das Zeichen vollbrachten Werkes: die Zeit hat ihm die Augenbrauen geraubt, welche den Sterblichen nur verliehen sind, damit der Schweiß, der von ihrer Stirn rinnen soll, ihnen nicht in die Augen trieft und sie blendet.

Das Wasser der Reinigung fällt glänzend in die goldenen Becken. Die königlichen Gefangenen, mit Ringen und Armbändern von Bernstein beladen, und die Saras, die Fürstinnen der Wohlgerüche, verbrennen, auf Kissen kniend, mit Sabbatgebärden das Myrrhenpulver und rote Sandelholz, die arabischen Wohlgerüche, die männlichen Weihrauchkörner auf Schalen, die mit Edelsteinen von Tarsis belegt sind Tarsis oder Tarschisch, das Land der Tyrsener, im weiteren Sinne alle fernen und fremden Länder im Süden und Westen, auch das Goldland Ophir..

Zu beiden Seiten des Throns stehen die Sars des Heeres, stets des Ruhmes Davids eingedenk, und sehen bisweilen die Herrebs der Alten Israels blinken, die in den Schlachten die Arche Zebaoths trugen – die Bundeslade –, darinnen die beiden Gesetzestafeln unter der Schriftrolle der Thora Das geschriebene Gesetz. liegen, welche Bar-Jochebed, der erhabene Moscheh, der Erlöser, mit eigner Hand geschrieben Moses, der Sohn der Jochebed..

Die Estrade umringend, schwingen scharlachgekleidete Neger große Straußenfächer, mit Sardern geziert, an langen goldenen Rohren und rufen ganz leise ihren Gott Beelzebub, den Herrn der Fliegen, an.

Auf den Stufen hocken wilde Panther, in ihren Ketten springend, und wachen über den schweren Dreifuß von Onyx, das Werk Adonirams und seiner Goldschmiede, darinnen das Zepter des Orients ruht. Kein Mensch vermöchte die geheimnisvollen Hunde des Königs durch Liebkosungen zu bestechen noch durch Spenden zu besänftigen.

Zwischen den seitlichen Standbildern, unter den siebenarmigen Leuchtern, liegen die Blumen und Früchte des Hermon gehäuft in den Porphyrschalen. Der Tisch ist beladen mit Geschenken der Königin Makedeia, der Zauberin, die aus dem lybischen Saba kam, um dem König von Judäa Gleichnisse zu sagen. Er biegt sich unter der Last der kostbaren Becher, der Pannags von Samaria, der bitteren Kräuter, der Gazellen, Pfauen, Adamsäpfel, Schaubrote, Vögel und Schenkkannen voll kanaanitischen Weines.

Auf einem Sitze von Zedernholz, zu Füßen der leuchtenden Cherubim des Throns, sitzt, umgeben von seinen rauhen Gibborim, gebeugt, bleich und ohne zu trinken, der Sar der Leibwache, Zenaja, der alte Besieger des Rebellen Adonia, des Bruders des Herrn Sohn Davids, gleich Absalom nach der Krone strebend., den Abischag von Sunem bevorzugte; – der große Feldhauptmann, der Mörder des Sar Simei, des Joab und des Ebjathar, des alten Oberpriesters, der lebende Herreb des Königs, der die bezeichneten Opfer schlägt, selbst wenn sie mit flehenden Händen die Hörner des Altars ergreifen. Joab, der Feldherr Davids, als Salomo das Bluturteil an ihm vollstrecken ließ, faßte die »Hörner« des Altars an, um sich zu retten.

Neben ihm steht, die Stirn von der Fackel eines Standbilds erleuchtet, stumm, die Hände über den verschränkten Armen geballt, als harrte er eines dunklen Augenblicks, der Erbe Israels, der unstaatsmännische Sohn Naëmas, der ammonitischen Fürstentochter, der verderbliche Rehabeam, der nur über Juda herrschen soll. Nach Salomos Tode zerfiel das Reich. Nur zwei Stämme blieben bei Rehabeam, zehn Stämme fielen Jerobeam zu.

Fern, auf den Teppichen des Thrones, sind zwei blutjunge Jungfrauen von Millo hingestreckt, zwei Schoschannas, die in den unterirdischen Gewölben des Tempels den Grundstein beweihräuchern müssen, den Eben-Schetija, den die Wasser der Sintflut nicht berührten. Zwischen ihnen sitzt, in schwarzen, goldgeblümten Purpur gekleidet, der Königssohn Hajem, der Jüngling mit der olivenfarbenen Haut, der Baalkide mit den geflochtenen Haaren, der rätselhafte Sprößling, den die Königin des Südens dem schönen Weisen, dem König der Juden, bei ihrer Heimkehr nach Libyen gesandt hatte, samt einer Schar Elefanten, die Hölzer, Stoffe, Würzen, Wohlgerüche und glänzende Steine trugen. Mit ganz leiser Stimme singt Hajem ein unbekanntes Lied! Und wenn seine Zähne zwischen seinen roten Lippen hervorschimmern, so gleichen sie auf ein Haar denen der bleichen Gemahlin des Sir-Hasirim, die da weiß sind wie eine Herde Schafe, die aus der Schwemme kommt.

Um den Tisch steht, wie Pilger essend, die glänzende Schar der Sophetim, der Patriarchen der Weisheit. Hinter ihnen leuchten die Goldschmiede des Goldes von Ophir, die Kaufleute der zwanzig Städte des Schabul, die Gesandten des unzufriedenen Idumäa, die Gesandten Zors und der Rat der Lehrer des Saddok.

Alle Stämme, alle Berge Israels haben ihre Reichtümer hergesandt. Die Granaten vom Berge Sanir, die Rosinenkuchen von Zypern, die Ligustertrauben von Gilead, die Datteln und Alraunbeeren von Engaddi quellen über die Ränder der Gießbecken.

Drunten an den Stufen der Terrasse, zu der die Blätter von Etham emporsteigen, steht inmitten einer Gruppe von Kriegern vom Land Ezion-Geber, mit ihnen lachend und den Wein des Hebron trinkend, ein hoher Jüngling in duftender Lederrüstung, als Sar der Reiter gekleidet, mit weibischem Antlitz, und streckt sprechend die Hand nach dem Himmelskreis aus. Er ist der Günstling des Palastes von Millo, der Feind und künftige Zerstückler des Gottesreiches, der schlaue Jerobeam, der über Israel herrschen wird und der jetzt schon, ohne sich durch das Fest zerstreuen zu lassen, über die Grenzen von Ephraim Kunde einzieht.

Doch siehe, da nahen die Sängerinnen der verbotenen Lieder, die Beschwörerinnen der Liebe, unversehrt wie die Lilien ihres Busens, bleich in ihrem Juwelenschmuck, beim Klange der Kynnors, der Becken und Zimbeln. Plötzlich verstummen die Lieder der Sängerinnen vom Stamme Isaschars samt den Harfen.

Mit dunklen Stoffen bekleidet, die Perlenschnur um die Stirn, lehnen sich die Nebenfrauen mit Gebärden der Hingebung auf die Purpurbetten, und wenn sie den Duft ihrer Beschamsäckchen einatmen, klingen die silbernen Glöcklein, die am Saum ihrer Syndonen hängen.

Fernab tanzen, dreitausend an der Zahl, die nephthalischen Zauberinnen mit rostroten Haarflechten, die Jungfrauen Palästinas, die Hebräerinnen, bleich wie die Narzissen von Saron, die heiligen Buhlerinnen von Babylon, die goldenen Schwimmerinnen des Euphrat, die Sulamiths, gebräunter als die Zelte des Cedar, die Thebanerinnen mit weichen Linien und dunkelroter Hautfarbe, – einst Gefährtinnen der verstorbenen Gattin des Magierkönigs, der Tochter des Pharao Psusennes – endlich die Idumäerinnen, die Töchter der Wollust, lebendige Blumen der wilden Landschaft mit den schillernden Nebeln, die nachts kaum das Sternenlicht durchdringt – alle tanzen und schwenken tyrische Schleier, Herrebim, Reptile und Girlanden vor dem prächtigen Auserwählten Judäas, dem Geliebten des Herrn.

Aber die dritte Seite des Saales geht auf die Nacht. Sie taucht ins Dunkel mit ihren verödeten Terrassen über dem Tal Josaphat.

Und siehe, die Schulter des Mittlers hat unter der Hand des Königs gebebt; denn die Schatten der einsamen Plattform werden von Augenblick zu Augenblick feierlicher. Sie verdichten und bewegen sich wie unter dem Wirken eines plötzlichen Zaubers.

Beim Anblick der wirbelnden Vorzeichen der Schrecken wendet der Großmeister sein marmorbleiches Antlitz den entsetzten Weibern und erblaßten Kriegern zu und ruft aus:

»Priester, erneuert die siebenfache Flamme der goldenen Leuchter! Entzündet die siebenarmigen Leuchter der Unheilsbeschwörungen. Eitle Dünste werden sogleich auftauchen und alsbald wieder verschwinden, wenn man sie nicht befragt. Wehrt euch, ihr Töchter Zions, mit den Wolken eurer Weihrauchfässer, daß ihr nicht besessen werdet von den Geistern der ewigen Grenzen! Frohlockt, ehe die Stunde euch an den Busen der Erde zurückruft!«

Spricht's. Und das Fest nimmt seinen Fortlauf. Man trotzt den Zaubern Assurs. Haben dessen schwarze Magier ihren König Nebukadnezar denn vor der Stunde zu retten vermocht, ihn, der den Koloß auf tönernen Füßen erschaut hatte, der, von der Verdammnis der Elohim getroffen, sieben Jahre lang im Fell eines Tieres, fern von seiner Üppigkeit, durch die Wälder der Sintflut schweifte, die das ungeheure Scheunaar der vier Ströme einschließen?

Die Tänzerinnen von Mahanaim schwenken ihre blühenden Palmen, die Becher funkeln, die Weiber von Naphtali verschränken ihre blitzenden Wurfspieße und lassen ihre Halsbänder von Schlangen zischen; die Fackeln werfen blutigen Schein auf ihre Haare. Liebesrufe und götzendienerische Lieder klingen dem Friedensfürsten entgegen ... Plötzlich lassen die Hauptleute der Sodomitischen Reiterei siebenmal ihre Posaunen ertönen, und die mit Ysop bekränzten Rhoims, die Kohenen des höchsten Opfers, erscheinen in langen, weißen Gewändern, dem Osterlamm voranschreitend.

Da ergreift das Feuer der Trunkenheit die glänzende Menge. Sie verflucht das grause Steinbild, das die Voreltern bei Sonnenaufgang zum Frondienst der Pharaonen rief, als sie aus dem Rosengranit der Pyramiden – trotz dem Verbot der heiligen Schriften, trotz dem Verbot des Levitikus – die Bilder von Ibissen, Sphinxen, Phönixen und Einhörnern meißelten, die dem Allerheiligsten ein Greuel sind, oder in harten Hieroglyphen die Großtaten und schändlichen Namen (zahlreich und vergänglich wie der Sand) der Dynastien verewigten, der vergessenen Töchter Menes des Finsteren! Sie verflucht die Zwiebeln, die sie als Lohn erhielten, und die gesäuerten Brote von Memphis. Trotz des Bündnisses mit dem König Necho werden die Wunden im Jubel wieder aufgerissen.

Die heiligen Zimbeln aus dem Tempelschatz werden gerührt, die Siegeszimbeln der alten Schwester Aarons, da sie in ihren weißen Haaren, vom Zorne Gottes trunken, vor dem Heere tanzte am Meeresstrand. Händevoll Rosen werfen die Gamaddim den abgeschworenen Idolen ins Antlitz. Die Eunuchen spielen lächerliche Drohungen gegen die Ägypter aus; ein Murren der Freude und Freiheit, gleich dem fernen Murren des Donners, steigt in die Wolken hinauf aus Jeruschalajim.

Doch der große Eingeweihte hat abermals das Haupt erhoben und die Art der Schatten aufmerksamer betrachtet. Er ist ängstlich geworden. Die Flamme der siebenarmigen Leuchter, die in Abständen vor der Plattform brennen, hat sich gegen die Versammlung gekehrt; die sieben feurigen Zungen haben sich rückwärts gebeugt auf ihren goldenen Stengeln und zischen mit langen Zungen wie Geißelhiebe.

Die Schlangen der Nephthalinnen haben sich gelöst und zwischen ihren Haaren verkrochen. Die Panther kauern um den gefürchteten Greis und blicken ihn unruhig und knurrend an. Er aber sucht den Sinn dieser Vorzeichen zu ergründen. Er kreuzt die Priesterbinden über den Falten seines hyazinthenen Pallah und beratschlagt. Umsonst hat er mit einem Blick die geheimnisvolle Therapim befragt; die wahrsagenden Blättchen sind mit lauterem Goldklang zersprungen. Nach dem Talmud Goldblättchen, die mit Zauberformeln beschrieben waren, ursprünglich wohl Hausgötzen des alten aramäischen Götzendienstes.

Die strahlende Hand des Königs ruht noch immer auf des Mittlers Schulter. Helcias' Augen begegnen ihr; er sieht den Ring, das Juwel des Bundes, auf dem der Ur-Schlüssel glänzt, der Kreuzschlüssel, das Bild des in vier Straßen zerteilten Abgrundes. Die mächtige Pantach ist von der Form des Ringes eingefaßt. Sie ist eingekerkert in den Blitz des Ringes, das Abbild des Weltkreises. Solomons Seele, ein göttlicher Keim, verschmilzt mit dem Widerschein dieses Siegeszeichen, darin sich der Sternenglanz läutert. Der Schlüssel ist der Ausdruck eines Teils seiner Gedanken, eine Summe von Kräften, die er im Kampfe der Prüfungen gewonnen, auf daß er unmittelbarer einwirke auf die geheimen Gewalten der Welt. Dieser Talisman des Sternenkreuzes ist von einer Kraft durchdrungen, welche die Gewalt der Elemente zu meistern vermag. In Myriaden auf Erden zerstreut, drückt dieses Zeichen in seinem geistigen Schwergewicht den Wert des Menschen, die prophetische Weisheit der Zahlen, die Majestät der Kronen, die Schönheit der Schmerzen aus. Es ist das Wahrzeichen der Autorität, womit der Geist ein Ding oder einen Menschen heimlich begabt. Es entscheidet, erlöst, wirft auf die Knie und erleuchtet ... Selbst die Entheiliger beugen sich vor ihm. Wer ihm widersteht, ist sein Sklave. Wer es leichtfertig mißachtet, leidet immerdar an dieser Verachtung. Überall erhebt es sich, von den Weltkindern ungekannt, doch unausweichlich.

Das Kreuz ist die Form des Menschen, wenn er die Arme nach seinem Wunsche ausstreckt oder sich in sein Schicksal ergibt. Ja, es ist selbst das Symbol der Liebe, ohne das jede Handlung unfruchtbar bleibt. Denn an der Erhebung des Herzens erweist sich jede vorherbestimmte Natur. Wenn die Stirn allein das Dasein des Menschen enthält, ist dieser Mensch nur über dem Kopfe erleuchtet; dann zieht sein neidischer Schatten, der senkrecht unter ihn fällt, ihn an den Füßen hinauf ins Unsichtbare, derart, daß die unzüchtige Erniedrigung seiner Sinne nur das strikte Gegenstück zum eisigen Hochmut seines Geistes ist. Darum sagt der Herr: Ich kenne die Gedanken der Weisen, und ich weiß, wie weit sie eitel sind.

Kaum hat der Mittler den untrüglichen, den himmlischen Stein betrachtet, so recken sich die sieben Flammen der Leuchter auf und stehen unbeweglich wie sieben brennende Schwerter.

Der Beschwörer erkennt endlich die Vorzeichen eines Wesens vom höchsten Himmel. Sein Antlitz, regungsloser als das der Idole, nimmt schweigend die Farbe der Gräber an. Er fühlt, daß der Sendbote eines unweigerlichen Befehls im Innern der Lüfte naht und die Tiefen überschreitet und vor sich hin schiebt: der Sturm seines Fluges drängt die Schatten zu Haufen. Eine Säule stürzt plötzlich auf die Plattform herab, eine geheime Flammenschrift fährt über die Trümmer ...

Helcias hat die Unerschrockenheit seiner Seele wiedererlangt. Mit einem Schauder erhabener Freude hat er das Salem Gottes, das Zeichen der Elohim, die Pantach des Todes erkannt. Asrael ist's, der da kommt.

Und die totenbleiche Menge ruft durch den Saal: »Ein Blitz!«

»Es hat im Tal eingeschlagen!«

»Ein Gewitter zieht auf.«

Die Stimmen auf dem Berg des Ärgernisses sind verstummt. Es ist die zwölfte Stunde; ein eiskalter Hauch weht allerorten durch die österliche Freude. Die Menge drängt nach den Terrassen. Das Unbehagen wird zur Qual. Der Anblick des Saales wechselt mit der Plötzlichkeit von Gesichten; ein Menschenstrudel wogt zum Throne und zahllose Stimmen schreien durcheinander:

»Erwache, Hort Israels! – Goldner Apfel! – Erhabener!«

Und die Gattinnen vom Stamme Ruben, die Gefährtinnen Bathsebas, der Königin Mutter, rufen voller Schrecken: »König, siehe, der Aussatz naht von der Wüste!«

Und die Weiber der Königin Naemi, die strahlenden Ammoniterinnen, setzen in jebusitischer Mundart hinzu: »Sohn der Liebe! Ein Zeichen deiner mächtigen Rechten wider die Gegend der Plagen!«

Bei den ersten Befehlen des Helcias hat Jerobeam sich auf ein Pferd des Königs geschwungen und ist über die Fliesen der Terrassen davongeeilt nach Ir-David.

Der Dunstkreis scheint von einer schweren Last bedrückt und der Atem stockt. Ein unbekannter Regen fällt wie an den Abenden der Sintflut in dicken eiligen Tropfen; doch über den Schatten bleibt die Nacht klar am Himmel.

Die Ärzte der Unterstadt, die lächelnd auf ihren Sitzen verharrten, sind jäh aufgesprungen und zeigen mit der Spitze ihrer Olivenstöcke auf die nephtalitischen Tänzerinnen.

»Siehe die fremden Unheilstifterinnen. Sie tragen Ansteckungen, entzündet an alter Buhlerschaft. Von diesen Weibern strömt der Tod aus! Befragt das Buch der Sophetim! Ans Kreuz mit den Aussätzigen! Sie haben die Urnen des Palastes, die alten Becher Davids vergiftet!«

Als die Zauberinnen des Landes Moab diese Anklage vernehmen, rufen sie, erkenntlich am Rabenflügel, den sie statt jeglichen Schmuckes an der Stirn und nachts auf den Schlachtfeldern statt jeden Gewandes tragen:

»Helcias! Erkläre dich wider sie vor den Großen in Israel! Möge Khemoschs Khemosch, Gott der Moabiter, dem Salomo eine Opferstätte errichtete. Sohn seinen Vater anrufen!«

Doch der Meister starrt in die Wolken, die sich über Josaphat lagern. Auch Prinz Rehabeam, der zum Magierkönig nicht »mein Vater« zu sagen wagt, blickt voller Grausen den Himmelsraum an.

»Welches neue Antlitz nimmt die Nacht an?« ruft er aus.

Die Leviten taumeln vor Schrecken in ihren heiligen Röcken und tun sich Gewalt an, die Gäste anzureden. Rufe unterbrechen sie: es sind die Goldschmiede des Goldes von Ophir, verschlagene Leute, über Aberglauben erhaben, doch schätzen sie die Weisheit des Königs.

»Hundert Talente dem, der den Herrn erweckt!«

Doch sagen sie nicht, ob es Talente Gold oder Silbers sein sollen, denn das Silber gilt unter der Herrschaft Salomos soviel wie die Steine.

Die bleichen Sängerinnen von Sidon, ein Geschenk des Königs Hiram, umarmen sich im Dunklen und sagen sich Lebewohl. Sie flüstern sich in eintönigem Rhythmus ihr Todeslied zu, darin unablässig das Wort Astarte wiederkehrt. Die Saras ringen die Arme und rufen, den Prediger anschauend:

»Sohn Davids, öffne die Augen!«

»Er verläßt uns! Er ist verloren, selbst vor dem Antlitz Adonaïs!« rufen die Ammoniterinnen bitterer als der Tod.

Und die Sars der Heerscharen:

»Jahve neigt sein Ohr dem entrüsteten Beten der Nabis, die in den Höhlen Idumäas oder auf den Bergen dich bedrohen!«

»Einen Befehl gegen die alten Rebellen, Schelomo!«

»Gedenke, daß David, der Besieger Seïrs, dir sterbend sagte, du mögest ihm graue Haare mit Blut hinunter ins Scheol bringen.«

Und die Kaufleute der zwanzig Städte:

»Josua hätte heute nacht die Wiederkehr der Sonne beschleunigt, er, der ihren Schein im Kampfe verlängerte! Er ist nicht mehr, der Hirt Israels!«

Bei diesem Namen brechen die Reiterhauptleute von Sodom in schreckliches Geschrei aus. Sie gedenken der Siege. Einen Augenblick übertönen ihre Stimmen den Aufruhr des Saales.

»Er, der voranging! – Der nach Kanaan führte! Der zweiunddreißig Könige tötete, zweihundert Städte in Brand steckte!«

»Und der, auf Gottes Befehl Weiber, Krieger, Maultiere, Greise, Gesandte, Kinder und Geiseln mit der Schärfe des Schwertes schlug!«

»Dann aber entschlief in Ephraim bei seinen Vätern, seiner Tage gesättigt und zufrieden!«

Schmerzliches Schweigen folgte diesem wuchtigen Kriegergeschrei; man hört vor dem Throne nur noch das friedliche Atmen des Prinzen Hajem, der zwischen den Schoschonnas auf Kissen entschlafen ist. Auch ihnen ist das Haupt auf die Brust gesunken und sie halten gleich ihm schwarze Ebenholzwürfel in ihren vom Schlummer überraschten Kinderhänden.

»Zerreißt eure Kleider!« schreien die Hebräerinnen entsetzt. »Asche, Sklaven! ...«

So beugt der Sturmwind die Pflanzen und flüstert ihnen Worte ohne Folgen ein.

Aber der König Salomo ist in Wahrheit weder im Saal noch in Judäa noch in den sinnlichen Welten – noch selbst auf der Welt. Seine Seele ist seit langem befreit; sie ist nicht mehr die eines Menschen; sie wohnt in unnahbaren Orten, jenseits der offenbarten Sphären. Leben – Sterben: diese Worte berühren seinen Geist nicht mehr; er ist in die Ewigkeit eingegangen. Nur durch Zufall ist der Magier da, wo er zu sein scheint. Er kennt nicht mehr Wünsche noch Schrecken, Freuden, Zorn und Schmerzen. Er sieht, er durchdringt alles. Aufgegangen in dem, was er betrachtet, bebt und strahlt er in allen Dingen. Salomo ist im Weltall nur noch, wie der Tag in einem Gebäude ...

Wo sind nun die Tänze der Stadt der Wollust? Der Zimbelschall? Der Klang der Harfen? ... Ein Hauch hat diesen Traum hinweggeblasen.

Man erstickt, man wankt auf den düsteren Teppichen, man umlagert den Thron. Benaja, der Sar der Leibwache, hat ein Zeichen gegeben: seine Gibborim kehren ihre ehernen Lanzen gegen die Menge ... Doch die unverwundbaren Panther knurren; ihre dreiunddreißig Köpfe bilden eine Hydra gleich einem Pfauenrad. Man weicht zurück, der Schrecken reißt aller Augen auf. Durch die Trunkenheit der jähen Bestürzung geblendet, haben die Festgäste nicht gemerkt, was um sie her vorgeht. Und doch lastet auf ihnen eine überirdische Gewalt.

Die Fackeln sind unmerklich verblichen; die Schwerter haben ihren Glanz verloren; die Weihrauchdüfte sind herb geworden; das Wasser der sterblichen Zeit rinnt nicht mehr in den Wasseruhren; die Geräusche zittern und hallen nicht mehr in der Luft. Siehe: tausendfältiges und doch deutlich vernehmbares Flüstern! Die brüllende Menge scheint zu murmeln. Zunehmendes Dunkel hat die Lampen, Fackeln und Lichter erstickt; man stößt aneinander in Nebelwogen. Der ganze Palast Salomos, vom First bis zum Boden, scheint in jenen Nebel gehüllt, der am Fuße des granitenen Nebo das Tote Meer bedeckt.

Und die Menschengestalten verschwinden zwischen den Standbildern.

Plötzlich erscheint auf dem finsteren Gezelte des Raumes der Zerstörer des Lebens, der Heimsucher mit den Todeshänden ... Er steht auf der Plattform vor den siebenarmigen Leuchtern; er zittert und flammt. Seine flüssigen Arme triefen von Gewittern. Seine Nordlichtaugen senken sich auf das Fest herab; sein Haar, das der Wind nicht zu zausen wagt, bedeckt seine übernatürlichen Schultern, wie die Blätter der Weiden, die über silbernen Wassern hängen, und schon bersten die Fliesen unter den eisigen Füßen des Schwermutsvollen. Durch den Trauerschleier seiner sechs Flügel, die noch bebend den Horizont decken, blinken die Sterne wie rote Punkte, wie Kohlen, die hier und dort in den Abgründen qualmen. Und augenblicklich wird das elfenbeinerne Getäfel trüb wie unter der Last von Jahrhunderten.

Die Mondsichel taucht aus den Wolken des Himmels. Ihr Schein fällt durch die verworrenen Gruppen auf das bleiche Antlitz eines Sopheten, der in seinen priesterlichen Gewändern hingestreckt liegt. Bisweilen wirft ein Karfunkel seinen bleichen Schein. Haarfluten, goldene Zimbeln, Schleier und weiße Tücher schimmern verstreut; es sind die Sängerinnen, die lautlos verstummt sind.

Und dort unten in den Tiefen der Säulenhalle heult ein Panther, die abgerissene Kette am Halse, auf den Schultern eines Standbildes schwankend; dann stürzt er herab; sein Fall hallt einen Augenblick, dann verklingt er ... Es ist das letzte Geräusch.

Alles versinkt in feierlich dunkles Stillschweigen, in traumlosen Schlummer. Unter Asraels Todesschatten verliert der Saal alle Zeitlichkeit.

Nur die ägyptischen Sphinxe an den drei Saalecken, unter den irdenen Lampen, die dem Namen des Höchsten geweiht sind, haben langsam ihre Lider erhoben und senden dem Cherub, ihre granitenen Augen rollend, ihren ewigen Blick zu.

Wie ein strahlender Blitz, der Ströme von dampfendem Qualme durchquert hat, steht der Schicksalsbote da; seine Nebelgestalt tritt aus der Schwere der Erdenlüfte hervor. Irdischen Augen unkenntlich, kann sein Antlitz nur vom Geiste erschaut werden. Nur das Wirken des Erzengels fühlt die Kreatur. Kein Raum könnte einen einzigen jener Geister fassen, welche das Unoffenbarte in die Zeitlichkeit hinaussandte. Ein ewiger Ausfluß der göttlichen Notwendigkeit, sind die Engel nur in der freien Erhabenheit der Himmel, wo Wirklichkeit und Geist sich vereinen. Sie sind die Gedanken Gottes, durch seine Schöpfermacht zu deutlichen Wesen geschieden. Sie verkörpern sich nur in Extasen, die sie hervorrufen, und die ein Teil ihres Selbst sind. Doch wie sich in einem ehernen Spiegel, der auf die Erde gelegt wird, die tiefen Einsamkeiten der Nacht und ihrer Sternenwetter spiegeln, so können auch die Augen der vorherbestimmten, der Heiligen und Weisen, die Engel durch die durchsichtigen Schleier der Gesichte erkennen, aber die Erde sinkt wie ein vergessener Nebel vor diesen auserwählten Augen zurück; sie strahlen nichts als die unendliche Klarheit wieder. Und darum vermag auch König Salomo in seinem heiligen Blick das Antlitz Asraels widerzuspiegeln.

Als Helcias das Nahen des Würgers empfunden hat, ist er vor Hoffnung erbebt. In sich selbst versunken, vermeint er, daß die letzte Kette, die ihn noch an das Leben knüpft, nun zerbrechen wird. Hat er in der Rangordnung der geläuterten Geister nicht just die rechtmäßige Stufe erreicht, die er erreichen konnte? Hat er nicht sein ruhmreiches Ziel und Ende erreicht und seinen künftigen Geschicken Genüge getan?

Nun also naht der Augenblick seiner Berufung zu höherem Leben. Sein Kreis ist endlich geschlossen. Neues Mühen wäre fortan unfruchtbar und würde ihn nur jenen einsamen Raubvögeln gleich machen, die, nach immer strahlenderer Erhebung begierig, umsonst mit den Flügeln schlagen in den luftleeren Höhen, die allzu ätherisch sind, um ihr Gewicht noch zu tragen. Er harrt auf den befreienden Hauch Asraels.

Er harrt!

Alles beweist ihm die Heimsuchung Gottes.

Geduldig hat er die letzten Minuten gesegneter Bängnis ertragen, die der Erlösung vorangehen. Nun wird er den Lohn seiner Schmerzen empfahen! ... Gewiß kostet er schon die höchsten Wonnen der Auserwählten! Die Hoffnung auf das baldige Entkommen verklärt ihn. Hier und dort betrachten ihn wiedererwachende Augen mit frommem Schauder. Noch eine Sekunde, und die Grenze jeder Knechtschaft ist überschritten ...

Doch wie kommt es, daß er nach dieser Sekunde nicht in der göttlichen Vision verschwunden ist? Wie kommt es, daß die verstummte Menge, kaum daß sie sich wieder belebt hat, von neuem in Schatten und Unbeweglichkeit sinkt und mit der Nacht verschmilzt? – Weil der alte Eingeweihte plötzlich den Glanz seiner Heiterkeit verloren hat. Er ist bewegt, und die seltsame Unschlüssigkeit seines Blickes verrät den Schwindel seiner Empfindungen. Ach, immer noch fühlt er sich in den Stricken des Lebens. Die göttliche Vernichtung ist noch nicht eingetreten. Schon bestürmen ihn Zweifel; schon umringen ihn, wie der Rauch einer Fackel, die unruhigen Scharen der Samaëls, der Versucher mit den trostlosen Einflüsterungen, und seine Stirn verfinsterte sich, wie ihre toten Flügel sie streifen. In eifersüchtiger Verzweiflung entsinnt er sich, daß ihn Ewigkeiten trennen von jenem Zustand erhabener Reinheit, zu dem Salomo schon in dieser Welt und durch alle Farben hindurch gelangt ist. Dieser Unterschied zwischen seiner Heiligung und der des Königs, den Gottes Odem erfüllt, erweckt neue Schrecken in ihm, deren Gewalt mit jedem Schlag seiner eisigen Schläfen zunimmt. Wie kann ihm der Schrecken dieser Augenblicke auferlegt werden, wenn er das Licht verdient hat! ...

Er lebt eine unbekannte Pause durch.

Er gleicht einem Vulkanstein, der mit furchtbarem Antrieb geschleudert, kraft eines wunderbaren Gesetzes am Kraterrand haften bleibt und sich durch seine innere Geschwindigkeit verzehrt, ohne sich aufzulösen noch zu zergehen.

Die Stunde verstreicht, unbestimmt, schwer, unfaßlich ... Er fragt sich selbst. Gewiß, im Schoße der göttlichen Gesetze herrscht Unschlüssigkeit seinetwegen. Durch das Zaudern des Himmels entsetzt, sinkt sein Verstand zurück und kreist in einem Taumel überirdischer Ängste. Ein ungeheurer Schrecken bindet die Kraft seines Denkens. So empfindet Helcias Asraels Einfluß in Gestalt dieser furchtbaren Ängste.

Der Greis gleicht in dieser Verstörtheit einem Priester, der seine toten Götter überlebt. Er kann den Kerker des Fleisches nicht verlassen und ist gebannt durch den Blick eines Wesens, das zu erfassen, die Höhe seines Geistes nicht hinreicht. Und so steht er röchelnd wie ein Opfertier. Was ihn herabstürzt von der Schwelle der Herrschaft und ihn hinabtaucht in den alten Staub der vergessenen menschlichen Empfindungen, das ist nicht die Gegenwart des Würgengels selbst, sondern die undurchdringliche Tatlosigkeit eines Wesens von solchem Ursprung.

Nicht wissend, was er tut, übt er die furchtbare Macht der Beschwörungen und vergißt, daß sie vor diesem Boten ohnmächtig sind. Doch schon ist seine Stimme nicht mehr die Eines, der stets alles erlangt, ohne je zu bitten. Seine Beschwörungen, von den siebenarmigen Leuchtern der Plattform zurückgetrieben und auf ihn zurückfallend, bevölkern und trüben die Luft mit Larven und Phantomen. Sein jetziger Zustand verkündet, daß er in Zeitaltern geboren ward, die vor seiner irdischen Geburt liegen. Er bedeckt seine Stirn mit einem Zipfel vom Mantel des Königs von Israel und ruft, seinen Willen dem düsteren Geschick überlassend:

»Ellel! Wenn der Blitz, der die Augen trifft, nur ein Licht mehr darin wird, so öffne mit deinen unvergänglichen Fingern die Lider des Königs!«

So stieß seine Mutter Holda dereinst unter den Gewölben von Endor, auf dem Dreifuß der Beschwörungen sitzend, Zauberformeln hervor, die Samuels Geist vor der Wand erscheinen ließen.

Indessen hat Salomo seine langen Lider endlich aufgeschlagen und schweigend den Geist der Täler der Zukunft betrachtet. Nicht auf das Antlitz des Königs waren die Augen des Cherubs gerichtet gleich blendenden Pfeilen, die in die Sonne fliegen: der Bote blickte Helcias an mit dem ängstlichen Schaudern einer geheimnisvollen Überraschung; es schien, als zauderte der Misraël, dem Greise zu nahen, als überlegte er zum erstenmal seit der Zeit den Befehl, der ihm ward.

Und darum bedeckte sich die Stirn des göttlichen Königs mit Wolken über dem alten Mittler, so wie tausend Jahre danach und zur nämlichen Stunde der Stern von Ephrata über dem blutgebadeten Judäa – am Tage des Kindermords.

Ohnmächtig, sich niederzuwerfen und verzweifelnd unter dem unsichtbaren, dörrenden Blicke, der sein Leben verbrennt, ohne seine Seele zu erlösen, rief der große Mittler aus: »Sohn Davids, verbirg mich vor seinen Augen!«

Und da das Schweigen des Königs zu sagen scheint: »Wohin kann der Mensch vor Asraels Gegenwart fliehen?« streckt Helcias seine Hände gegen den König und murmelt flehentlich, seine ältesten Erinnerungen sammelnd:

»Es ist eine öde Lichtung in den weiten und düsteren Wäldern am Ufer des Euphrat, darin sich während der ersten Weltennacht die Schlange verbarg.«

Der König errät den dunklen Gedanken des Greises und berührt seine Stirn mit seinem besternten Ringe.

»Geh!« sagt er.

Und Helcias verschwindet in einem Blitze.

Da steigt Salomo von seinem Throne und geht Asrael entgegen.

Sein steinbesetztes Gewand schleift über das buntscheckige Fell der kauernden Panther, über die glanzlosen Schwerter der hingestreckten Krieger. Zwischen den Gruppen der weißen früheren Weiber und der zaubergewandten Negerinnen schreitet er durch den riesigen Saal, in dem nun die Erinnerungen der vergangenen Zeiten zu schlafen scheinen. Und die hohe Gestalt des königlichen Wahrsagers, des Bräutigams im Hohlied, erscheint bläulich und blendend im bitteren Duft der Weihrauchbecken. Am Ende des Saales angelangt, betritt er den einsamen Vorplatz, auf dem mit Kinderlächeln der schweigsame Cherub steht.

Der König lehnt sich in seiner Trübsal auf den blitzzerschmetterten Säulenstumpf und blickt Asrael lange Zeit an. Der Wind ist vom Meer und Gebirge herbeigeeilt und wühlt in den weissagenden Zweigen des Ölbergs.

Und Salomo spricht:

»Unaussprechlicher Asrael! Meine Augen sind der Welt müde! Meine Seele dürstet nach dem Schatten deiner Schwingen!«

Und die Stimme des grämlichen Erzengels bebt, tausendmal melodischer als die der himmlischen Jungfrauen, im Geiste des Königs:

»Im Namen dessen, der vor dem Lichte erzeugt ward, sammle deine Seele wieder. Die Stunde des Herrn ist für dich noch nicht da.«

Und die Seele des Königs befällt der Kummer über die Fortdauer seines Exils; als Gefangener der Vernunft muß der Magier noch den Schatten zerstören, den er aufs Leben wirft, ehe er eins wird mit dem Gesetz aller Dinge. Der Stern der Schäfer schimmert im Unendlichen durch die Haare des Predigers. Schweigend senkt er seine Blicke zu den Hügeln der Tochter Zions, die zu seinen Füßen schlummert ...

»Welch herber Hauch hat dich also zu uns geführt?« fragt er.

Die Gestalt der Vision verschwindet bereits im Raume; eine verlorene Stimme dringt zu Salomo, und er vernimmt die Schreckensworte, durch die schon das göttliche Vorwissen schimmert:

»O König,« singt der schwermütige Asrael in der Tiefe der Nächte, »durch Zeit und Raum fühlte ich die fromme Hingebung deiner Gedanken, und den Befehl des Höchsten seltsam vergessend, wollt' ich dich grüßen, o Geliebter des Himmels ... Doch unter deiner friedreichen Hand barg sich noch der alte Vertraute deines Werkes, Helcias, der Mittler. Da begriff ich das Unerwartete. Nicht hier war es mein Amt, ihn von der Welt zu erlösen! Und ich begriff, daß der Allmächtige mich durch die Gnade dieses ersten Erstaunens gemahnte, daß ich jenen, gemäß dem schon vorgezeichneten Gebote – dem Gebote, dessen Ausführung meine heilige Heimsuchung verzögerte –, bei seinem wirklichen Namen rufen sollte – in den weiten und düsteren Wäldern am Ufer des Euphrat, in jener öden Lichtung, darin sich während der ersten Weltennacht die Schlange verbarg.«


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