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Das Haus des Glückes

Zwei schöne Menschenkinder trafen sich zu der Jahresstunde, die dem wunderbaren Herbstabend vorangeht, zu der Stunde, wo die Schwermut, gleich dem Abendstern nach einem stürmischen Tage, über reichen Wäldern aufgeht und alle vornehmen Seelen mit tausend magischen Tinten erleuchtet.

Ehemals – o ferne Erinnerungen – erschienen diese Seelen vom ersten Tage an in angeborener Reinheit, und in der Zeit der Sehnsucht erfüllte sie eine schmachtende Leidenschaft für die Dinge des Himmels. Sie waren wie ewige Kinder, bestimmt zu sterben, wie die Vögel von dannen fliegen, und die morgendliche Lilie wäre die einzige Blume auf ihren keuschen Gräbern gewesen.

Aber sie waren zum Leben vorherbestimmt – und das Menschenlos kam mit seinen Kämpfen und Überraschungen.

So wuchsen beide in der gleichen Umgebung auf, ohne sich je zu treffen, getrennt durch den Zufall des Wohnsitzes und der Gegend. Im Laufe ihres Daseins empfingen sie unter allen Himmelsstrichen den Gruß der höflichen Dutzendmenschen mit den lachenden Augen, dem klugen Benehmen, der landläufigen Bewunderung, den erborgten Urteilen, den unnützen Beschäftigungen, den abgezirkelten Nichtigkeiten, den lüsternen Herzen, den abgekarteten Kunstgriffen, den verläumderischen Lobeserhebungen – deren höchst distingierte Gegenwart einen Geruch von dürrem Holze verbreitet.

Ach! denn beide hatten so wie wir das Licht am traurigen Busen der abendländischen Völker erblickt, die unter der Vorgabe, endlich das geregelte Reich der Gerechtigkeit auf Erden zu gründen, sich geflissentlich von allen metaphysischen Instinkten loslösen, die allein den wirklichen Menschen ausmachen, und lieber »frei« dem Willen einer verzweifelten Vernunft durch die Zufälle und Erscheinungen folgen, um jede »Entdeckung« mit einer noch dumpferen Verhärtung ihres Herzens zu bezahlen ...

Angesichts dieses allgemeinen modernen Trachtens wäre es – wenigstens in den Augen der Weltkinder – wohl das menschlich Klügste, sich von unbestimmter Neugier durchs Leben treiben zu lassen, von den Jahren nichts als die geistigen oder körperlichen sinnlichen Genüsse anzunehmen und keiner Leidenschaft zu frönen als dem bequemsten Eklektizismus.

Aber Paula von Luçanges und der Herzog Valleran von Villethéars empfanden schon von Jugend auf ein lebhaftes Erstaunen, einer Rasse anzugehören, in der die Abnahme jedes Glaubens, jeder selbstlosen Begeisterung, jeder edlen oder heiligen Liebe allgemein zu werden droht.

Kein Zeitvertreib konnte ihnen das demütigende Mißbehagen hierüber nehmen, das sie schon fast als Kinder empfanden, ohne es sich übrigens je anmerken zu lassen; denn davor bewahrte sie eine gewisse, sehr sanfte Barmherzigkeit, von der ihr Wesen ganz durchdrungen war. Die schlanke Paula, schön wie eine christliche Hypathia, gehörte zu den Weltdamen mit Vestalenherzen, die besser als die Sand, die Sappho und Sévigné, ja selbst als die Staël vor der Schriftstellereitelkeit bewahrt bleiben und den jungfräulichen Schimmer ihres Geistes für einen einzigen Auserwählten aufsparen. Er unterschied sich äußerlich von dem Durchschnitt der vornehmen Welt nur hin und wieder durch einen gewissen kurzen, sehr durchdringenden und ein wenig starren Blick, der selbst auf die banalste Sorglosigkeit seiner Umgebung einen undefinierbaren, befreienden oder beunruhigenden Eindruck machte.

So verhüllten beide unter den tadellosen Formen, die gut erzogenen Menschen die Sitte auferlegt, das geniale Vermögen des Nachsinnens, mit dem ihr Schöpfer ihre einsamen Geister begabt hatte. Und so entzog sich dieses seltsame junge Menschenpaar den tausend Zerstreuungen, welche die elegante Jugend gemeiniglich so liebt, von Tag zu Tag mehr, – soweit die despotischen Pflichten ihres Standes es zuließen.

Verloren sie die goldenen Tage ihres Lenzes nicht in zu gedankenschweren und ohne Zweifel unfruchtbaren Reflexionen, z. B. über jene nebelhaften Probleme, die man für belanglos, langweilig oder unlösbar hält und zu denen es sie doch dank einer seltsamen Eigentümlichkeit ihres Geistes gebieterisch hinzog?

Vielleicht.

Das neuste Ideal, der fortschreitende Wohlstand, immer im Verhältnis zu Land und Zeit, der auf jeder neuen Stufe neue Begierden erweckt und sich so als unendlich illusorisch erweist – aber dann ist es auch ein verhängnisvoller Wahn, unser höchstes Ziel in ihm zu suchen – fand in ihrem Geiste nur eine wirklich absolute Gleichgültigkeit. Das hochmütige Gefängnis eines solchen Ziels konnte in der Tat ihrer beider Bewußtsein nicht einen Augenblick verwirren oder bestechen; war es doch ganz erfüllt von Licht und Demut und seines Ursprungs eingedenk. Und die dürftigen Realitäten, in die sich gewöhnlich die faszinierenden Gaukelbilder auflösen, mit Hilfe deren das alte Opium der Wissenschaft die Augen des Heutigen ausdörrt, all diese »Eroberungen des modernen Menschen« erschienen ihnen weit weniger nützlich als tödlich beunruhigend angesichts der fast affenartigen Verarmung des metaphysischen Sinnes, mit der sie bezahlt werden, und der seelischen Verknöcherung, die sie zur Folge haben. Durchdrungen von einem Atavismus, der in Wirklichkeit mit Gott anfing, hätten sie sich gewiß noch im Verhungern geweigert, dem Beispiel zum Trotz, die heiligen Rechte ihrer bewußten Erstgeburt gegen alle giftigen Linsengerichte zu vertauschen, mit denen eine vergängliche Zeitgemäßheit ihre Entkräftung hätte bestechen mögen. Und was diese Zukunft betraf, deren dauernden und erhabenen Schimmer eine Kirche von starrköpfigen Rhetorikern prophezeite, so zauderten diese jungen Seelen, so eingebildet zu werden, daß sie vergaßen, ein wie wenig sicherer Bau diese Welt ist (was uns ja auch die Geologie mit ihren sechsundzwanzig Umwälzungen beharrlich ins Ohr brüllt, ganz abgesehen von den bedrohlichen Offenbarungen der modernen Astronomie) – so daß sie also nicht eine Minute auf den Einfall kamen, daß man sich je dauernd auf ihr niederlassen könnte.

Kurz, all das Verstandesgeklingel der Wissenschaft, all das Spielzeug des Mannesalters der Menschheit, all die verzweifelten Sprünge der unüberzeugbaren Metaphysiker, all der Hypnotismus des Fortschritts, – so prachtvoll natürlich, durch die Vorsehung eines offenbarten Gottes erleuchtet, und ohne ihn von einer so verletzenden Eitelkeit – nein, das alles erschien ihnen im ganzen weder so ernst noch so nützlich wie der einfache, angeborene Aufblick der Menschen gen Himmel.

In sozialer Hinsicht freilich ward es ihnen sauer, den Augenschein dieses allgemeinen Strebens nach der großen Gerechtigkeit innerlich blind zu verdammen, – den Aufschwung zu einer größeren Billigkeit als die, über die sich die Vergangenheit beklagte. Aber die Resultate der Anwendung dieser humanitären Ideen (die ja übrigens dem ewigen Christentum entlehnt sind) schienen ihnen bis heute – das war nicht zu leugnen – in seltsamem Mißverhältnis zu den bewundernswerten Absichten ihrer Vertreter zu stehen. Wie konnten sie sich in der Tat der Einsicht verschließen, daß die freisten und auf die Freiheit stolzesten und eifersüchtigsten Völker eben die sind, die, mit langen blutigen Peitschen bewehrt, ihre Sklaven am meisten quälen, ihre Armen am besten zu demütigen wissen und wo es zwischen zwei Verbrechen zu wählen gilt, stets das schlimmere vorziehen? ... Wie konnten sie nicht mühelos begreifen, daß das angebliche Reich einer rein menschlichen Gerechtigkeit bei der angeborenen Ungleichheit der Geister und ihrer verschiedenartigen Veranlagung immer nur die Tyrannei der Mittelmäßigkeit sein kann, die sich fröhlich auf die Zahl stützt, um die herabzudrücken, deren Geist allein die Wesenheit des Menschengeistes ausmacht und allein von Gottes und Rechts wegen dessen legitime Tendenzen zu bestimmen und zu lenken vermag!

Doch ohne die gegenwärtige Mode der nordischen Ideen einer Kritik zu würdigen, wandten die beiden edlen Träumer ihr Antlitz nach Kräften von der rätselhaften irdischen Vervollkommnung ab, und ihr Nachsinnen gipfelte jedesmal in dem Gedanken:

Was liegt dem wahren Glauben am eitlen Lärm dieser Schattengestalten, die morgen verschwunden sein werden, um ähnlichen Phantomen Platz zu machen? Was liegt daran, ob sie heute wie gestern und morgen die körperliche Schale einer Macht in Händen haben, deren Inhalt ihnen ewig verschlossen ist? Jeder besitzt von einer Sache nur so viel, als er davon empfindet. Wenn ein Ding schön und edel ist, kurz, göttlichen Ursprungs, und er ist von gemeiner Wesensart, d. h. von einer notwendig herabziehenden Instinktklugheit, so verfliegt die Schönheit, der Adel, die Göttlichkeit dieses Dinges bei der bloßen Berührung des Vergewaltigers, er wird von alledem nur besitzen, was sein ist: die gewollte Entweihung, – kurz, er findet in ihm wie in allen Dingen nur die Gemeinheit seines Wesens, die herzdörrende, aufgeklärte und tierische Mittelmäßigkeit seines Wesens – weiter nichts. Folglich ist kein Grund da, sich darob zu ereifern.

So wurden sie vielleicht etwas schwermütig durch das Verhängnis ihrer Zeit, aber sie vergaßen auch nicht, daß es schlimmere Zeiten gab, und sie erholten sich täglich in jenen Visionen, welche die erhabenste Kunst den keuschen und einsamen Herzen zu bieten vermag. So harrten diese beiden Verlobten der Hoffnung, den Jahren zum Trotz, aufeinander.

Dieses Mißverhältnis zwischen ihrer Natur und der ihrer meisten würdigen Landsgenossen hatten sie beim Eintritt ins Leben noch nicht bemerkt. Nein, diese metaphysischen Seelen hatten sich lange geweigert, selbst den schrecklichsten Augenschein einzugestehen; sie sahen ihn wohl auch für vorübergehend an und hatten ihm mit unendlicher Nachsicht verziehen. Ihre Blicke waren noch von einem Glanze geblendet, der älter war als ihre leiblichen Augen – wie sollten sie da auf den ersten Blick erkennen, aus welcher tiefen Hölle unsre soziale Banalität besteht? Und so ward denn ihr leichtgläubiges, zartes Gemüt, noch betaut von himmlischen Tränen, unaufhörlich überrascht und teilte tausend lügnerische oder doch so mittelmäßige »Schmerzen«, die dieses Namens unwürdig waren. Lange genügte es, vor ihnen betrübt zu scheinen – und diese unauslöschlichen Herzen wurden warm, verschwenderisch, trostspendend! ...

So strahlte ihre Barmherzigkeit, dieser göttliche Zeitvertreib der Gerechten – selbst über jenen Vergnügungsdurstigen, deren Eigentümlichkeit es ist, bei dem dunklen Gefühl des Nahens einer hohen Seele tollwütig zu werden, so unerträglich ermüdend und empörend erscheint ihnen der bloße Gedanke, daß solche noch leben könnten. Ja, beide hatten das Wohlwollen, sich von dieser Menschenart stets fern zu halten, um ihnen den Verdruß dieser Empfindung zu ersparen.

Fräulein von Luçanges und der Herzog von Villethéars trugen also dies Dasein ein jeder für sich, bis zu dem grausamen Tage, wo sie beide fast gleichzeitig gewahr wurden, daß der erstickende Qualm, der aus dem plumpen Getriebe dieser allgemeinen Mittelmäßigkeit emporstieg, selbst ihre Nächsten, ihre Brüder, »ihresgleichen« – die meisten ihrer Fürsten und Priester angesteckt hatte ...

Ihre Seele war aufs tiefste verletzt. Eine Eiseskälte durchdrang sie und verlieh ihnen jene strenge Mattigkeit, die nur ein Gott angesichts der Verleugnung seines Jüngers überwinden kann. Gedemütigt durch das Gefühl, daß diese Überschwemmung so nahe bis zu ihnen reichte, befiel sie die Versuchung der Hoffnungslosigkeit, die ihre heiligen Herzen trübte; ja, fast hätte sie selbst das Geheimste ihres Glaubens, das Gefühl für Gott, verdüstert.

Sie gehörten beide nicht zu der Zahl jener schöpferischen Geister, die selbst dem Ärgernis der ganzen Welt Widerpart zu halten vermögen, und deren blitzender Unendlichkeitshauch auch die brüllendsten Böen zurücktreibt. Sie waren nur zwei erlesene Geister von wunderbarer Begabung – und diese Art von Prüfung beugte sie nieder wie zwei Blumen der Regen.

Sie klagten nicht. – Nur wurden ihre Seelen bald schwermütig, selbst am Opfer irre, und kein Fest konnte ihren bitteren königlichen Verdruß mehren oder mindern.

Jetzt haben sie nur noch den Durst nach Vereinsamung. Klagen? Mit welchem Recht urteilen! Wozu hilft es auch? Verlorene Zeit.

Ein Abschiedsbedürfnis läßt sie verstummen – das ist alles. Sie glauben sich das Recht des Vergessens erworben zu haben. Kaum geben sie sich die Mühe, ihre grämliche Gleichgültigkeit hin und wieder unter einem blassen Lächeln zu verschleiern.

Von einer untröstlichen Hellsichtigkeit beseelt, tragen sie ihre Einsamkeit in sich. Und da sie nicht mehr getäuscht werden können, hat die elende Komödie zwischen ihnen und der geselligen Menge ein Ende.

Und so haben sie sich denn seit dem hochzeitlichen Augenblicke, wo das Schicksal sie einander zuführte, mit einem Blick erkannt und sich geliebt, ohne daß es der Worte bedurft hätte, geliebt mit jener unwiderstehlichen Liebe, die der Schatz des Lebens ist. O, sich freiwillig verbannen in ein hochzeitliches Haus, um aus dem Schiffbruch ihrer Tage wenigstens einen Herbst, ein köstliches Glück mit wundervoll welken Farben einen wehmütigen Lichtblick zu retten! – Eifersüchtig auf ihr Geheimnis und ihrer Gedanken sicher, haben sie einander geschrieben, haben ihre Anordnungen getroffen, sind abgereist, verschwunden und wieder aufgetaucht – nicht in einem ihrer schwerfälligen Schlösser, wo sie vor Besuch nicht sicher sind ... sondern in jenem unbekannten Asyl, das sie sich erwählt und nach dem Geschmack ihrer Seelen edel ausgeschmückt haben, um hier ihre paradiesische Jahreszeit zu verbringen.

Das Haus des Glückes ragt auf einer Felsküste im Norden Frankreichs; denn schließlich ist es das Vaterland! Von den grünen Mauern eines Gartens umschlossen, liegt ein Rasenplatz mit Blumenschmuck, in dessen Mitte, zwischen Weiden und grauen Statuen, der schneeige Strahl eines Springbrunnens in ein Marmorbecken fällt.

Zwei Seitenalleen riesiger, dunkler Bäume ziehen sich schweigsam hin. Die Feierlichkeit und Stille dieser Behausung ist hold und beunruhigend wie die Dämmerung. Wie vereinsamt sind hier alle Dinge! Ein Strahl der untergehenden Sonne auf den plötzlich purpurrot leuchtenden Fenstern der weißen Fassade, der Fall eines Blattes, das aus der Wölbung einer Allee kreisend auf den Sand fällt, das ferne Lied eines Fischers, der rasche Zug der Wolken überm Meer oder der plötzlich stärkere Duft eines feuchten Rosenbusches, den ein vereinzelter Vogel streift – und tausend andere Kleinigkeiten, wo anders unmerklich, scheinen hier wie höchst seltsame Mahner an die Kürze der Tage.

Und wenn die beiden Verbannten dessen Zeuge werden auf ihren einsamen Spaziergängen, während ein glückliches Geplauder ihre Geister durch den Zauber gegenseitiger Hingabe vereint – wie sie da zittern, sie wissen nicht warum! Nachdenklich bleiben sie stehen: der fröhliche Klang ihrer Worte ist verhallt! ... Was haben sie doch gehört? Sie allein wissen es. Sie drücken sich beide die Hand, wie von einem Todesgefühl ergriffen! Und das Antlitz der geliebten Frau lehnt schmachtend an der Schulter ihres Freundes! Zwei Tränen beben zwischen ihren Wimpern und rollen über ihre erbleichenden Wangen.

Und wenn der Abendhimmel blaut, zündet ein alter schweigsamer Diener die Lampen im Hause an.

Aber die Frau – so sind sie alle – verspätet sich gern auf dem Rasenplatz unter den Blumen, um einen schon fast entschlummernden Kelch zu küssen. Dann kehren sie zusammen ins Haus zurück.

O, dieser Duft von Ebenholz, welken Blumen und schwacher Ambra, den der holde Wohnsitz schon im Vestibül ausstrahlt! Sie haben ihn mit Liebe verschönt und schließlich in einen wahren Abglanz ihrer Träume verwandelt.

Vor den Wänden Wandteppiche, welche die Zimmer teilen, Marmorwerke mit reinen weißen Linien, Gemälde von Wäldern, und an den alten Wandtapeten Pastellbilder, deren Gesichter verstorbenen, unbekannten Freundinnen gleichen. Auf den Konsolen Kristallvasen in der Farbe von Edelsteinen und venezianische Gläser in erloschenen Tinten. Hier und dort, zwischen orientalischen Stoffen befestigt, leuchten in fahlem Glanze, mit uraltem Gold inkrustiert, veraltete Waffen und Trophäen. Dort der Ebenholzflügel, dessen Saiten wie die Gedanken nur unter schönen und göttlichen Harmonien erklingen; dann auf Wandbrettern oder offen auf der malvenfarbenen Seide der Kissen liegend, Bücher mit gelehrtem und einwiegendem Inhalt, die sie zusammen wieder und wieder lesen und deren Flügel ihren Geist zum Flug in andre Welten laden.

Und da, wie sie wohl wissen, jeder nur das besitzt, was er empfindet, und da beide nach unvergeßlichen Eindrücken suchen, so verbringen sie dort Abende, deren Zauber ihre Seelen mit dem innigen, durchdringenden Gefühl ihrer eigenen Ewigkeit bedrückt. Oft, wenn sie den Schatten der Gegenstände auf den uralten Tapeten sehen, wenden sie das Haupt ab ohne ersichtlichen Grund. Und die dunklen Skulpturen rings um irgendeinen großen Spiegel – dessen bläuliche Flut plötzlich das Flimmern eines Sterns durch die Scheiben spiegelt – und die bange Unruhe des Windes, der draußen im Garten in den Blättern wühlt, und die feierliche, unbestimmte Bangigkeit, wenn die Stunde hell und deutlich schlägt und das Geheimnis der Nacht sie umfängt – alles spricht zu ihnen in der unvordenklichen Sprache des alten Lebenstraumes, die sie dank ihrer heiligen Sammlung kaum vernehmen. Sie lassen sich die Würde ihres Wesens nicht rauben durch den Gedanken, daß ihre Wohnung nicht Anfang noch Ende hat; sie wissen die Glut ihrer Liebe mit all der Schönheit des Verborgenen und Übernatürlichen zu schüren, für das sie das Gefühl bewahrt haben.

So ziehen sie köstlich die Stunden hin, in erlesenem, tiefem Geplauder, in Umarmungen, wo ihre Körper nur noch die eines Engels sind, in bestrickender Lektüre, in geheimnisvollem Gesang; so schöpfen sie immer neue, immer lebhafter schwingende, unsterbliche Gefühle aus dieser Einsamkeit – um die sie nur eine so kleine Zahl von »ihresgleichen« beneiden würden ... Ihre Herzen glühen für das Ideal wie für die große Leidenschaft und entfalten sich wie zwei mystische Rosen von Jericho, die zufrieden sind, ihre heimischen Höhen mit Duft zu erfüllen, selbst in unbestimmter Ferne von Jerusalem – aber doch im heiligen Lande.

Frei, wie sie sind, haben sie in schlichter und streng verschwiegener Weise fast ihr ganzes gewaltiges und beträchtliches Vermögen an solche Enterbten verteilt, die sie als wirkliche Sonderlinge geduldig selbst ermittelt haben. Und ebenso haben sie als Feinde aller Emphase nie das Bedürfnis empfunden, sich gegenseitig zu »schwören«, daß sie einander nicht überleben würden. Nein, nur wissen sie sehr genau, woran sie sich zu halten haben.

Alles, was sie enttäuscht hat, völlig verachtend und der glänzenden Enttäuschung ihres früheren Lebens fern, haben sie ihrer schon vergessenen früheren Umgebung einen eisigen letzten klösterlichen Abschiedsblick zugeworfen, den die Schwermut ihrer ernsten Freude nie bereuen wird. Sie gehören zu denen, die an nichts mehr Anteil nehmen. Sie haben ein für allemal verstanden, aus welcher furchtbaren Trübsal das moderne Lachen besteht, mit welchen kläglichen Einbildungen sich die rein irdische Weisheit nährt, mit welchen Kinderklappern sich die Ohren der trivialen Menge begnügen, aus welcher verzweifelten Langeweile sich die frivole Eitelkeit der modernen Lüge zusammensetzt – und so haben sie sich gleichsam geschworen, sich an ihrem einsamen Glück genügen zu lassen.

Ja, diese erhabenen Ausnahmewesen glauben den Frieden gefunden zu haben und werden den Zauber ihrer Vereinsamung unverletzlich bewahren. Aus unerschütterlichen Gründen überzeugt, daß der einzige Daseinsgrund derer, die, kalt und irrend, nicht glücklich sein können, darin besteht, daß sie instinktiv das Glück derer, die das Glück gefunden haben, nach Kräften trüben, so war dieses himmlische Liebespaar so egoistisch, seine Schwelle gänzlich zu verschließen, um die Einfalt seiner herbstlichen Zärtlichkeit nicht zu trüben. Ungastlich, wie sie sind, werden sie das innere Leuchten ihrer Behausung noch die Anwesenheit – wer weiß – von Hausgeistern, die ihre selbstherrliche Liebe gerührt hat, nie profanieren, indem sie »bei sich« – und wäre es nur an einem verwegenen Sturmabend – irgendeinen banalen, nämlich berühmten Fremden empfangen. Unter keinem Vorwand des Schicksals werden sie die Ruhe ihrer unaussprechlichen, stets unbestimmten und folglich unveränderlichen Verzückung aufs Spiel setzen. Klüger als ihre Stammeltern im Garten Eden, werden sie nie wissen wollen, warum sie glücklich sind; sie haben nicht vergessen, was derartiger Fürwitz kostet. Im übrigen wünschen sie von anderen nichts als die Gleichgültigkeit, die sie verdient zu haben hoffen – und eine unbewußte Übereinstimmung der Welt gesteht sie ihnen gerne zu.

Kurz, unter ihrem erwählten Dache haben sie, scheint es, von Gottes Gnaden jenes so selten gewordene Privileg empfangen, sich im Unsterblichen zu sammeln; und diese prächtigen, wenn auch etwas bleichen Erwählten werden ihr spätes Glück aufmerksam – d. h. in Kenntnis der Ursache – gegen alle »sozialen« Berührungen verteidigen.


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