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Dunkle Erinnerungen

Ich bin, sagte er mir, der letzte Gäle, der letzte Sproß einer Keltenfamilie, hart wie unsere Felsen. Ich gehöre zu jenem Schiffsvolke, zur erlauchten Blüte Armorikas, zum Stamme seltsamer Krieger, deren Taten in der Geschichte wie Juwelen glänzen.

Einer meiner Vorfahren, den der langweilige Umgang mit seinesgleichen verdroß, verließ schon in jungen Jahren das väterliche Schloß und verbannte sich aus Europa, das Herz voll Verachtung und Vergessen. Er nahm an einer asiatischen Expedition teil und focht an der Seite des Bailif von Suffren Pierre de Saint-Tropez, französischer Vizeadmiral, gestorben 1783.. In Indien zeichnete er sich bald durch geheimnisvolle Handstreiche aus, die er allein in den toten Städten ausführte.

Diese Städte liegen unter weißen, verlassenen Himmeln, zusammengesunken im Schoße schauerlicher Wälder. Farnkräuter, Gras, trockene Äste bedecken und versperren die einst belebten Wege, aus denen der Wagenlärm, das Waffenklirren und die Lieder auf ewig verstummt sind.

Kein Lufthauch, kein Blätterrauschen, kein Springbrunnen belebt die schauerliche Stille dieser Landstriche. Die Bengalis Vogelart (Prachtfinken). selbst halten sich fern von den alten Ebenholzbäumen, auf denen sie sonst überall nisten. Zwischen den Trümmern drängen sich an den freien Plätzen riesige und ungeheuerliche Blumen mit düsteren Kelchen, in denen die Geister der Sonne brennen, gestreift mit Himmelsblau, gesprenkelt mit Feuer, geädert mit Zinnober, wie die strahlenden Überbleibsel unzähliger verschwundener Pfauen. Eine heiße Luft voll tödlicher Düfte brütet über den stummen Trümmern, wie ein Dunst aus Räucherpfannen bei Totenfeiern, ein blauer, berauschender, quälender Schweiß von Düften.

Die waghalsigen Geier, die Pilger der Hochebenen des Kabul, verweilen in diesen Gegenden, die sie von dem Wipfel einer schwarzen Dattelpalme betrachten, und klammern sich plötzlich an die Lianen in jähem Todeskampf.

Hier und dort stehen gebrochene Bögen, unförmige Statuen und Steine mit Inschriften, zerstörter noch als die von Sardes, Palmyra und Chorsabad. Etliche schmückten die einst in den Himmel ragenden Stadttore. Kaum kann das Auge noch die verwischte Handschrift entziffern und wiederherstellen, jene stolzen Devise eines einst freien Volkes:

»... Auch Gott gilt nicht höher!«

Nichts stört das Schweigen außer dem Kriechen der Klapperschlangen, die sich um die gestürzten Säulenschäfte winden oder sich zischend auf dem rötlichen Moose zusammenrollen. Und bisweilen, an Gewitterabenden, wenn der ferne Schrei der Raubvögel dem Donnerschlag schwermütig antwortet, erbebt die Stille.

Unter den Ruinen ziehen sich unterirdische Gänge, deren Zugänge verschüttet sind. Dort schlafen seit Jahrtausenden die ersten Könige jener seltsamen Länder, die Könige jener später herrenlosen Völker, deren Name verschollen ist. Nach den Riten frommer Gebräuche wurden sie in diesen Gewölben beigesetzt mit ihren Schätzen.

Keine Lampe erleuchtet die Grüfte.

Niemand entsinnt sich, daß der Schritt eines Gefangenen des Lebens und Wollens den Schlummer ihrer Echos je gestört hat.

Nur die Fackel der Brahmanen – jener nach dem Nirvana durstenden Gespenster, jener stummen Zeugen des allgemeinen Keimens und Werdens – zittert unverhofft in Stunden der Buße oder der Versenkung in Gott auf der obersten Stufe der zerstörten Treppen und läßt seine Flamme, vom Rauche verdunkelt, bis in die Tiefe der Höhlen dringen.

Dann glänzen die plötzlich beschienenen Reliquien mit wunderbarer Pracht auf! ... Die kostbaren Ketten, die sich um die Gebeine schlingen, scheinen sie mit jähen Blitzen zu durchfurchen. Die königliche Asche, mit Edelsteinen bestäubt, funkelt wie der Staub einer Straße, die vor dem Einbruch der Nacht ein letzter Sonnenstrahl rötet.

Die Maharadschas lassen durch erlesene Leute die Säume der heiligen Wälder bewachen und namentlich die Zugänge zu den Lichtungen, wo das Gewirr dieser Trümmer beginnt. Auch die Ufer, die Fluten und eingestürzten Brücken der Flüsse, die sie durchfließen, sind verboten. Schweigsame Sipoys mit Hyänenherzen, unbestechlich und erbarmungslos, umschweifen unaufhörlich auf allen Seiten diese mörderischen Landstriche.

Manche Nacht vereitelte der Held ihre finsteren Listen, mied ihre Hinterhalte und nasführte ihre schweifende Wachsamkeit! ... Er blies plötzlich ins Horn an verschiedenen Orten, er vereinzelte sie durch diese trügerischen Warnrufe, dann plötzlich tauchte er unter den Sternen auf in dem Walde von Blumen und schlitzte ihren Pferden den Bauch auf. Die Krieger waren entsetzt, wie beim Anblick eines bösen Geistes, wenn er so plötzlich erschien. Mit der Kraft eines Tigers schlug der Abenteurer sie nun Mann für Mann nieder, mit einem einzigen Satze, erwürgte sie erst halb in dieser kurzen Umklammerung und kam dann zu ihnen zurück, um sie mit Muße zu schlachten.

So ward der Verbannte zur Geisel, zum Schrecken und Würgengel dieser grausamen Wächter mit den erdfarbenen Gesichtern. Und er verließ sie, an große Bäume gespießt, ihren eigenen Jatagan mitten im Herzen.

Dann verlor er sich inmitten der Trümmer des Einst auf den Wegen, Kreuzwegen und Straßen dieser uralten Städte und gelangte trotz der tödlichen Düfte zum Eingang der unvergleichlichen Gräber, in denen die Gebeine der Hindukönige ruhen.

Ihre Tore waren nur von Jaspiskolossen behütet, Ungetümen oder Idolen mit unbestimmten Augäpfeln von Perlen und Smaragden, Gestalten, wie sie die Phantasie versunkener Theogonien ersann. Er drang leicht hinab, obwohl jede Stufe, die er hinabschritt, die langen Flügel dieser Götter bewegte.

Drunten im Finstern plünderte er ringsum und sammelte in der Stille tausend Wunderdinge, dem erstickenden Schwindel der finstren Jahrhunderte trotzend, deren Geister ihn umschwebten und seine Stirn mit ihren Flügeln berührten. So maßten sich Cortez in Mexiko und Pizarro in Peru die Schätze der Kaziken und Könige an, wenn auch minder beherzt.

Die Säcke mit dem Raub der Juwelen auf dem Boden der Barke, ruderte er lautlos die Flüsse hinauf und mied wohlweislich den gefährlichen Mondschein. Über seine Ruder gebeugt, schwamm er mitten durch die Stechginsterbüsche und achtete nicht der klagenden Kinderrufe der Kaimans, die rings um ihn weinten.

In wenigen Stunden erreichte er eine ferne Höhle, die er allein kannte; hier schüttete er seine Beute aus.

Seine Beutezüge wurden ruchbar. Noch heute psalmodieren die Fakirs, diese Troubadoure voll Ungeziefer, die Kunde davon bei den Festen der Nabobs zum Klang der Theorben und nennen meinen Ahnherrn nicht ohne einen alten Schauder von gehässiger Eifersucht oder ehrfurchtvollem Grauen den Grabschänder.

Einmal jedoch ließ sich der unerschrockene Ferge von den arglistigen und honigsüßen Reden des einzigen Freundes, den er je hatte, zu einem ganz besonders gefährlichen Anschlag verlocken. Durch ein seltsames Wunder entkam jener – ich meine den wohlbekannten, nur allzuberühmten Kolonel Sombre.

Dank diesem falschen Irländer ging der tapfere Abenteurer in eine Falle. Durch sein Blut geblendet, von Kugeln getroffen, von zwanzig krummen Säbeln umringt, ward er unverhofft gefangen und kam unter furchtbaren Martern um.

Die Horden des Himalaya rannten, trunken über seinen Tod, mit den wilden Sprüngen eines Siegestanzes zur Höhle. Nachdem sie die Schätze gefunden, kehrten sie nach der verfluchten Stätte zurück. Ihre Häuptlinge ließen sie in frommer Scheu in die Grabkammern zurückschaffen, wo die Manen der Könige aus finsteren Zeiten ruhen. Und die alten Juwelen glänzen dort noch, wie Blicke, die ewig leuchtend über den Völkern liegen.

Ich, der letzte Gäle, erbte nichts als die geblendeten Augen des hehren Kriegers und seine Hoffnungen. Ich wohne hier im Westen, in einer alten befestigten Stadt, an die mich die Schwermut fesselt. Gleichgültig gegen die politischen Sorgen dieser Zeit und dieses Vaterlandes wie gegen die vergänglichen Untaten seiner Vertreter, schau ich an prächtigen Herbstabenden lange zu, wie die rostigen Wipfel der Wälder entbrennen. Im Glanz des Taus schreite ich allein unter den Wölbungen dunkler Baumgänge, wie mein Ahn in den Krypten der funkelnden Gräber! Auch ich meide unwillkürlich, ich weiß nicht warum, das verhängnisvolle Mondlicht und die schlimme Nähe der Menschen. Ja, ich meide sie, wenn ich so in meinen Träumen einherschreite! ... Denn dann fühle ich, daß ich in meiner Seele den Abglanz jener unfruchtbaren Schätze der vergessenen Könige trage.


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