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Vorwort

Dieser Band bringt die Erzählung eines französischen Schriftstellers, der, wie der Prophet in seinem Lande, in seiner Heimat auch heute noch nicht nach seinem Verdienst gewürdigt wird und im Ausland, auch in Deutschland, noch kaum bekannt wurde. Es geht ihm, wie so manchem, dessen Begabung dahin geht, neue Ideen, neue Gedankenketten anzurühren und auszusprechen, der aber den eigenen Reichtum in Anregungen ausstreut und vergeudet, ohne ihn in festgeschlossenen Werken zu kapitalisieren.

Philippe Auguste Mathias Comte de Villiers de l'Isle-Adam entstammte einem uralten, aber verarmten Adelsgeschlecht. Die Stammburg seiner Familie liegt – heute eine Ruine – im Oisetal, unfern von Paris. Sie wurde in den Stürmen der großen Revolution zerstört. Der Urahne des Geschlechts, Villiers de l'Isle-Adam, war der berühmte Großmeister des Johanniterordens (gestorben 1534). Der Dichter war der letzte Sproß dieses erlauchten Hauses. Er wurde am 7. November 1840 in Saint-Brieuc in der Bretagne geboren und starb, obschon er Familienvater war, im Pariser Spital, gänzlich verarmt, am 18. August 1889.

Er trug sein äußeres Elend mit dem Stolz und der Würde des geistig Reichen. Pietätvoll bewahrte er einen aus dem Ruin der Familie geretteten Eichenlehnstuhl mit dem Wappen des Geschlechts. Sein Äußeres wird als fein und aristokratisch geschildert. Und die Laune des Geschicks wollte es, daß dieser verarmte Erbe eines uralten adligen Geschlechts als Dichter dem Naturalismus seiner Zeit die Wege bahnte, um endlich eine andere große Strömung seines Jahrhunderts, den neuromantischen Mystizismus danebenzusetzen und zu formen, damit andere nach ihm, glücklichere Schöpfernaturen, einen neuen bedeutenden Stil in der Literatur aus diesen beiden Extremen bilden könnten.

Genie, Unzeitgemäßheit, Größenwahn und Ausschweifung gatten sich seltsam im Charakterbilde dieses feudalen Bohêmiens, der, von der französischen Kritik heute durchgehend anerkannt, sein Leben lang nur mit Achselzucken behandelt wurde. Das Beste, was er geschrieben hat, seine » Contes Cruels« (1883) und » Nouveaux Contes Cruels« (1886) entstanden unter den drückendsten äußeren Verhältnissen; er schrieb sie teils auf dem Fußboden einer vom Gerichtsvollzieher ausgeräumten Dachstube ... Und das Beste, was er hätte schreiben können, blieb ungeschrieben ... Sein Dramolet » La Révolte« (1870) enthält bereits in nuce das ganze Noraproblem Ibsens: es fand einen kurzen Eintagsruhm im Odéontheater, um dann wieder in Vergessenheit zu sinken.

Eine seiner eigenartigsten Schöpfungen ist der Roman » L'Eve future« (jetzt auch deutsch als »Eva der Zukunft«, München 1908), worin er die faustische Vermessenheit der Wissenschaft in Gestalt des »Hexenmeisters« Edison verspottet, der einem jungen englischen Lord ein automatisch-elektrisches Mädchen, Hadaly, mit täuschender Naturwahrheit fabriziert – eine Schwester des Goetheschen Homunculus –, die dieser aber schließlich um eines lebenden Weibes willen verläßt.

Dann wieder versenkt sich Villiers in seinen Novellen – besonders in seiner wunderbaren Novelle »Akedysseril« (1867), die an Flauberts schönheitsglühende Prosa gemahnt – sehnsüchtig in die Wunder vergangener Kulturen, wie so viele Romantiker und »Unzeitgemäße« vor und nach ihm. Er wird zum religiösen Mystiker, der den Glauben der schlichten Gemüter gegen Materialismus und Nützlichkeitskult in Schutz nimmt und dem Aufklärungsphilister bitterböse Hiebe versetzt, wie in seiner Satire » Tribulat Bonhomme« (1887), zu der in unserer Sammlung die letzte Novelle ein beißendes Gegenstück bildet.

Villiers hatte von dem großen Amerikaner Edgar Allan Poe gelernt. Er hat die paradoxe, geistreiche Phantasie dieses Meisters nach einer Seite, dem blutigen Hohn, der Verbindung von Grauen und Komik, noch weiter ausgebildet und mit beißender Ironie die Alltäglichkeit und den »gesunden Menschenverstand des technischen Jahrhunderts« verspottet und daneben wieder seltsam phantastisch-mystische und weiche Novellen geschrieben. So wurde er, neben Barbry d'Audevilly, die Brücke, die von Lamartine, von Victor Hugo und A. de Vigny zu den modernen Neuromantikern, zu Mallarmé, zu Paul Verlaine und vor allem zu Maeterlinck führt.

Auf den letzteren hat Villiers den größten Einfluß ausgeübt. Es ist verständlich, daß Maeterlinck, als er, der junge Genfer Advokat, aus seiner flandrischen Heimat in das Pariser Bohême- und Literaturtreiben hineingeriet, gerade diesem Dichter sich wesensverwandt fühlen mußte.

Wie stark der flandrische Poet im Banne Villiers steht, zeigt allein schon die Feststellung, daß sein weltberühmtes Drama » Monna Vanna« unstreitig von Villiers » La Révolte« inspiriert war, und ebenso finden wir in einer Novelle, wie »Die Unbekannte« (Seite 217), bereits die Theorie zu Maeterlincks ältester Dramentechnik, jenen »Dialog zweiten Grades«, von der tauben Heldin dieser Novelle ausgesprochen.

Und in einer Vorrede, die Maeterlinck zu einer vor einigen Jahren in der Zeitschrift »Arena« veröffentlichten Novelle Villiers geschrieben hat, legt er folgendes Bekenntnis nieder:

»Die allein kennen das Maß dessen, um das sie trauern müssen, die das Glück hatten, ihn in seinen letzten Lebensjahren von seinen Plänen sprechen zu hören. Allabendlich in einem banalen und geräuschvollen Bierrestaurant im Montmartre-Viertel, das für mich gleichsam eine heilige Stätte geblieben ist, habe ich zum erstenmal die schönsten Träume meines Lebens an eine lebendige Wirklichkeit anknüpfen können. Allabendlich entrollte er vor unseren bezauberten Blicken ein neues, märchenhaftes Werk, das unvergleichlich größer war als alles, was er je verwirklicht hat. Ist er darin nicht wie alle Dichter, deren beste Werke nie geschrieben wurden? Aber bei ihm kamen die Werke, die nicht geboren werden können, doch wenigstens an das Licht des Wortes, um uns einen Augenblick zu blenden, ehe sie in die Nacht zurücksanken, gleich als ob die allzugroße Gewalt oder einfach die königliche Hochherzigkeit seines Traumes ihn veranlaßt hätte, laut zu träumen.«

K.


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