Julius Lips
Zelte in der Wildnis
Julius Lips

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Drittes Kapitel

Die Pelze werden verkauft

Während dieser Tage war der Vater meist tief in seine eigenen Gedanken versunken, und wenn er ausging, hielt er sich stets in der Nähe des Company-Hauses auf. Dort lagen die Indianer von morgens bis abends auf dem hölzernen Vorbau in der Sonne. Schweigsam rauchend betrachteten sie die Pelzbündel, die ihre Stammesgenossen in den Laden trugen und schätzten mit ihren Blicken Größe und Inhalt der Pakete fachmännisch ab. 36

Mehr und mehr Indianer begannen das große Verkaufsgeschäft der Pelze einzuleiten, der Hauptzweck ihres Hierseins war erreicht. Der Augenblick war gekommen, wo sie die Belohnung für die schwere Arbeit des Winters erhielten. Je mehr Pelze sie erbeuteten, je kostbarer die einzelnen Stücke waren, um so mehr Vorräte konnten sie erstehen und um so mehr Kleidungsstücke, Werkzeuge und Geräte konnten sie im Herbst mit auf die Jagdgründe zurücknehmen. Außerdem ging es um die Ehre, denn ein erfolgreicher Jäger genoß die Wertschätzung aller seiner Gefährten und wurde vom ganzen Stamm als großer Mann betrachtet. Armut und Reichtum sind den Indianern unbekannt. Als freie Söhne der Wildnis fühlen alle einander gleich, und das einzige Standesbewußtsein, das sie kennen, besteht darin, ein guter Jäger zu sein. Schon aus diesem Grunde war die Größe, Anzahl und Beschaffenheit der Pelzbündel ihnen so wichtig, sie waren die sichtbaren Beweise für das Können und die Fähigkeiten eines Mannes.

»Vater!« rief Pirre und kam atemlos ins Zelt gelaufen (»Nota!« sagte er in seiner Sprache), »Saiko hat schon alle seine Pelze verkauft, alle! Sie sagen es in den Zelten, und sie singen davon auf dem See. Kakwa hat schon seinen Häuptlingsmantel angezogen!«

Pirre war fischen gewesen mit dem Bär als einzigem Passagier in seinem Kanu. Auf dem See hatte er eine Gruppe anderer junger Indianer getroffen, die einander die Neuigkeit vorsangen, so wie sie es bei jedem wichtigen Ereignis zu tun liebten:

»Saiko hat seine Pelze verkauft
an diesem klaren Junitag.
Biber und Otter und Nerz und Luchs
nahm er aus seinen Bündeln,
als er sie Mr. Angus verkaufte,
Stück für Stück!
Im See sind Hechte,
die ich angeln will,
auch Lachse, und die sind fett. 37
Aber ich fische nur,
doch Saiko verkaufte die Pelze
an diesem klaren Junitag.
Biber und Otter, Nerz und Luchs,
Muskrat und Marder
hat Saiko aus seinen Bündeln genommen,
die vom Wald kommen!«

Dergleichen hatte man auf dem See gesungen, stundenlang. Auf den Jagdgründen konnte man das nicht im Freien tun, da mußte man vorsichtig sein, denn geheime Lauscher wohnten dort in den Zweigen der Bäume, auf den Biberdämmen und in den hohlen Stämmen – denen durfte ein Jäger seine Geheimnisse nicht anvertrauen. In den Wäldern sang man nur abends im Zelt mit leiser Stimme, wenn das Feuer brannte und der nächtliche Himmel voll seltsamer Träume hing, die bereit waren, zu den Schläfern herabzusteigen.

Das war eine wichtige Neuigkeit! Wenn Saiko, der größte Jäger, der Company schon alle seine Pelze verkauft hatte, dann wurde es Zeit für alle anderen achtbaren Indianer, zu zeigen, was die männlichen Mitglieder ihrer Familie während des Winters fertiggebracht hatten. Die Augen des Vaters und seiner Söhne trafen sich in einem Blick tiefen männlichen Einverständnisses. Michael erhob sich aus seiner Ecke. Er war der Älteste. Und plötzlich machte der Vater ein Zeichen mit der Hand. Taumelnd vor Freude schloß Pirre sich den beiden Männern der Familie an. Ohne daß weitere Worte notwendig gewesen wären, verließen sie das Zelt.

Die Frauen sahen ihnen noch lange nach. Michael und Pirre hatten ihrem Vater als Männer zur Seite gestanden und die Arbeit von Erwachsenen vollbracht, deshalb begleiteten sie ihn nun auch auf dem Wege, der nur Männern ziemt.

Entgegen seiner sonstigen Art sagte Pirre nicht ein einziges Wort. Zum ersten Male in seinem Leben wurde er mitgenommen, um mit Michael und dem Vater an der großen Handlung teilzunehmen. Indem sie ihm das 38 erlaubten, erkannten sie ihn als gleichberechtigt an. Vielleicht geschah es auch, weil Michael nicht so kräftig war, wie es zu wünschen gewesen wäre – es konnte aber auch sein, daß der Vater sich im Winter von seinen Fähigkeiten hatte überzeugen lassen. Er wußte das nicht so genau, und sie sprachen nicht mit ihm darüber. Die Indianer beobachten viel, aber sie sagen wenig.

Selbst wenn ich noch keinen Bären habe schießen können . . ., dachte Pirre. Nur die erwachsenen Männer der Familie gingen zu diesem Geschäft in den Laden der Company. Und noch voriges Jahr hatte er mit den Frauen im Zelt zurückbleiben müssen!

Leider begegneten sie kaum jemanden auf der Straße. Pirre hatte so sehr gehofft, daß P'tithomme ihn jetzt sehen könnte, der verglichen mit ihm selbst nichts weiter als ein Kind war, besonders, wo sein Vater nicht einmal in die Wälder jagen ging! Saiko würde wohl staunen, wenn er erführe, daß Pirre mitgenommen worden war, und was würden Jäger, wie Tommy Moar und Johnny Conolly, sagen, von Leuten, wie Kakwa und »Klein-Langzahn«, Estelles Freund, gar nicht zu reden!

Auf der Holzterrasse hockten ungefähr zwanzig Indianer. Von jeder Familie schien zumindest ein Beobachter hier zu sein. Obwohl sie sich so still verhielten wie Schneehasen, dachten alle über Saikos Handelsgeschäft mit Mr. Angus nach.

Vater Minnegouche verweilte anstandshalber einige Minuten bei ihnen, um Grüße auszutauschen und über allerlei zu reden, nur beileibe nicht über die Pelze, denn es wäre unfein gewesen, sie auch nur zu erwähnen. Seine Söhne standen stumm dabei. Aber Pirre und Michael wußten genau so gut wie der Vater, wer von den hier Anwesenden ein guter und wer ein schlechter Jäger war. Sie kannten die treuen »Company-Indianer«, die gleich ihnen die Sitte ihrer Vorväter aufrechterhielten und mit keinem anderen weißen Mann als Mister Angus Geschäfte machten. Aber da waren auch ein paar unsichere Kunden, die sich mit den weißen Abenteurern 39 abgaben, die sich am Rande der Wälder herumtrieben, wo sie den Indianern höhere Preise als die Company versprachen, sie mit Geschenken verlockten und oft mitsamt den Pelzen und Versprechungen über Nacht verschwanden. Noch geringer geachtet war die Gruppe indianischer Tagediebe, die gar keine Pelze zu verkaufen hatten, weil sie ein Parasitenleben in den Zelten von Freunden oder Verwandten führten. Gerade diese waren es aber, die zur Zeit des Pelzgeschäfts das eingehendste Interesse an der Jagdausbeute anderer zeigten und nie müde wurden, unverlangte Ratschläge zu erteilen.

Pirre öffnete die mit Maschendraht überzogene Tür und ließ erst den Vater, dann Michael eintreten. Ehe er ihnen folgte, sah er sich noch einmal nach den faulenzenden Indianern um, die draußen in der Sonne bei den schwarzen Fliegen blieben.

Als einzigen im Laden Anwesenden erblickten sie den alten Kakwa in seinem Häuptlingsmantel. Die Federn standen steif auf seinem Kopfputz, und die reiche Perlenstickerei ließ seine Lederärmel schwer herunterhängen. Er waltete seines Amtes als Dolmetscher für die katholischen Indianer, deren Französisch nicht zu einer Unterhaltung ausreichte. Aber das war eine reine Förmlichkeit, denn Mr. Angus sprach das Montagnais-Naskapi fast wie ein Eingeborener.

Sie begrüßten einander, und Pirre sah ganz deutlich das Erstaunen in Kakwas Blick, als er seine Gegenwart bemerkte.

»Die drei Minnegouches«, sagte der alte Hans Dampf in allen Gassen auch gleich in anzüglichem Tone und setzte den Besuchern auseinander, daß Mr. Angus gerade dabei sei, das Geschäft mit einem der Englisch sprechenden Indianer abzuschließen, wobei Tommy Moar als Dolmetscher tätig war. Das Hauptgeschäft wurde niemals im vorderen Ladenraum vollzogen.

»Nun, seitdem Saiko verkauft hat«, sagte Kakwa, »kommen sie alle. Er hat achtzehn Biber gehabt, alle von feinster Qualität, alle viele Piaster wert.« 40

»Achtzehn?« wagte Pirre zu fragen, der sich angesichts der Zahlen des weißen Mannes nicht ganz sicher fühlte.

»Hände von zwei Männern, weniger zwei Finger«, erklärte Kakwa, und zeigte ihm die Anzahl mit seinen eigenen Händen.

»Wie viele Quapists?« fragte der Vater, indem er das Indianerwort für Dollar statt des französischen benutzte.

»Oh, eine ganze Menge –«, antwortete Kakwa unverbindlich. Er selbst fühlte sich nicht ganz behaglich, wenn es ans Addieren und Subtrahieren ging. So fuhr er schnell fort:

». . . und die Nerze, die er hatte, außer den feinen Füchsen und Luchsen!«

Pirres Gedanken wanderten in anderer Richtung.

»P'tithomme hat Birkenrinde gesammelt, nicht?« fragte er, »und Bibergeil und Ahornzucker, nicht? Wann fängt er denn eigentlich einmal an, ein Tier zu jagen?«

Aber Kakwa in seinem Häuptlingsmantel sah sich jeder Antwort enthoben, denn die hintere Tür hatte sich geöffnet, und Mr. Angus trat ein, begleitet von einem protestantischen Indianer und von Tommy Moar, der seinen Kollegen Kakwa mit kühlem Blick betrachtete. Er trug keine zeremonielle Kleidung, denn er war ja selber ein Jäger und brauchte keine künstlichen Mittel, um sich wichtig zu machen.

Ehe Tommy und sein Gefährte den Laden verließen, erhielt der Indianer noch ein Geschenk von Mr. Angus: einen wohlgefüllten ledernen Tabaksbeutel und eine neue Pfeife als Zeichen der Freundschaft – denn die Indianer pflegen bei feierlichen Gelegenheiten zu rauchen – und auch als Zeichen der Freigebigkeit des weißen Mannes. Ohne weitere Fragen oder unnötige Bemerkungen, so wie die Indianer es am liebsten haben, hob Mr. Angus die Klappe des Ladentisches, und nun folgten ihm der Vater, Kakwa, Michael und Pirre in den hinteren Raum. Sie gingen an den Lagern vorüber, wo 41 hohe Jagdstiefel von der Decke baumelten und Schmalzfässer, Mehl- und Zuckersäcke den Gang verengten. Pirre war noch niemals hier gewesen. Verstummt und schüchtern folgte er den vorangehenden Männern.

Das Zimmer, in das sie eintraten, war lang, eng und von einer Reihe Fenster erhellt, durch die der See blickte, als ob er als Zeuge anwesend sein wollte. Auf dem Fußboden lag die Jagdbeute des Winters sauber aufgeschichtet. Die Pelzbündel aller Familien erwarteten hier ihre Besitzer. Sie sahen ziemlich gleichmäßig aus und waren etwa dreißig Zentimeter hoch, sechzig Zentimeter lang, dreißig Zentimeter breit und etwa fünfundzwanzig Pfund schwer. Alle Bündel waren mit Riemen aus Karibuleder zusammengeschnürt, deren Anordnung bis zu der Form der Knoten ganz genau der uralten Überlieferung entsprach.

Ohne die geringste Schwierigkeit erkannten die Minnegouches ihr Eigentum. Unter den Bergen ähnlicher Bündel zogen sie ihre eigenen hervor. Mr. Angus nahm an einem großen leeren Tisch Platz und öffnete sein dickes Kontobuch. Kakwa setzte sich auf den anderen Stuhl des weißen Mannes – nichts Neues für ihn, der ein ganzes hölzernes Haus mit seiner Familie bewohnte!

Vater Minnegouche hielt sich dicht hinter Mister Angus und tat, als ob er dessen Eintragungen in das Buch folge, obgleich die Aufzeichnungen ihm unverständlich waren. Pirre kniete auf dem Fußboden, schnürte die Bündel auf und reichte jedes Fell an Michael weiter, der es dem Vater gab. Der Vater aber legte jedes einzelne Stück mit der stolzen Würde eines großen Jägers vor Mr. Angus hin. Alles in allem hatten sie sechs Bündel, und jedes daran befindliche Fell war deutlich mit Vaters Eigentumszeichen, einer halbkreisförmigen Kurve, mit Holzkohle bemalt. Jedes Bündel enthielt eine Auswahl aller wichtigsten Pelzsorten. Es war nicht üblich, etwa nur Nerz-, Marder- oder Fuchsfelle allein zu Bündeln zusammenzubinden, obwohl die Minnegouches genug Pelze hatten, um von jeder 42 einzelnen Sorte einen Sonderballen zu schnüren. Nur die weniger wertvollen Pelze, wie Bär-, Elch-, Reh- und ähnliche Häute, wurden gesondert aussortiert. Schneehasenfelle waren überhaupt kein Handelsobjekt und wurden deshalb von den Indianern für ihre eigenen Decken und Kleidungsstücke verwendet.

Alle Bälge waren umgedreht, so daß die Pelzseite innen war. Dadurch wurden die feinen Haare geschützt, und gleichzeitig konnte man an der Beschaffenheit der Häute erkennen, wie sorgfältig die Jäger das Leder gereinigt und gewalkt hatten.

Pirre nahm sechs Hermelinpelze aus dem ersten Bündel. Michael nahm sie Stück für Stück, drehte sie um und reichte sie mit der Pelzseite nach außen dem Vater hin, der sie fachmännisch schüttelte. Mr. Angus blies leicht über die seidigen Felle hin, um die Qualität und Dichte festzustellen und schichtete sie dann in das leere Regal neben seinem Stuhl, worauf er Zahlen in sein Kontobuch schrieb. Es war vollkommen still im Raum, nur das Rascheln von Kakwas Kopffedern und das Klappern seiner Perlen, wenn er sich bewegte, waren die einzigen wahrnehmbaren Geräusche.

Nach den Hermelinen kamen die Nerze an die Reihe, dann die Marder, die Ottern, die Füchse und Luchse. Außer bei Biber und Muskrat, den die Indianer Musquasch nannten, baumelten bei allen Fellen die Schwänze noch am Balg. Die Biberpelze wurden als kostbarste Ware gesondert behandelt. Schon beim Erlegen und Abziehen der Tiere war darauf geachtet worden, daß kein Stückchen Pelz verlorenginge. Selbst das Fell des Kopfes war noch am Balg gelassen worden, der eine eigenartige spitzovale Form mit drei winzigen Öffnungen an der Spitze zeigte, aus denen einst zwei scharfe Äuglein in die Welt geblickt hatten und ein geschäftiges Schnäuzchen jede Fährte in der Nähe des Biberbaues verfolgt hatte.

Der Anblick dieser Pelze erinnerte Pirre an die verschiedenen Gelegenheiten, bei denen die Tiere, denen 43 sie einst gehörten, geschossen oder in der Falle gefangen worden waren. Der kleine Musquasch da, zum Beispiel, den Mr. Angus als »nicht sehr gut« bezeichnete, stammte von dem frechen kleinen Nagetier her, das den Köder von Pirres eigener Falle abzufressen versuchte und dann zwei Tage später gefunden worden war, steif wie ein Brett gefroren. Die Silberfüchse waren in ähnlicher Weise umgekommen: das Stückchen Fischköder hatte sie angelockt, und dann hatte die Falle ihnen das Genick gebrochen. Und die Biber – die waren nicht nur die Träger der feinsten Pelze, sie lieferten auch den besten Braten, der besser schmeckte als alles andere Wild. Wie seltsam war doch der Unterschied zwischen den schrecklichen Gefahren für die ganze Familie, unter denen diese Pelze errungen worden waren, und dieser stillen Versammlung hier im Company-Hause, von wo aus sie in die Welt des weißen Mannes reisen würden. Was der weiße Mann wohl mit ihnen tat? Pirre konnte sich das nicht vorstellen. Die Häuser der Weißen waren warm, ihre Winter mild. Keiner der weißen Holzfäller, die er gesehen hatte, trug eine Parka oder Kapuzenpelzjacke wie die Indianer, und die Weißen schliefen auch nicht auf Fellbetten. Wozu brauchten sie zum Beispiel die kleinen Felle der Hermeline und Nerze, die doch zu nichts Vernünftigem gut sind?

Zwölf Biber konnten sie abliefern, eine stolze Zahl. Der Vater hob ein besonders schönes Fell in die Höhe, schüttelte es ein wenig und fragte:

»Was bekomme ich für das hier?«

Wie alle seine Stammesgenossen hatte er keine Vorstellung von den Preisen des weißen Mannes und interessierte sich nur für die Endsumme, die Mr. Angus ihm als Preis für seine gesamte Pelzernte nennen würde. Diese Summe würde genügen, um damit den Proviant für den kommenden Winter einzukaufen. Während der nächsten Wochen würde er wiederholt in den Laden kommen, um zu fragen, ob sein Reichtum es ihm ermöglichte, dieses oder jenes Werkzeug oder Kleidungsstück 44 noch außer den Lebensmitteln zu erwerben. Nein, wirklich, er interessierte sich gar nicht für Dollar, Piaster oder Quapists oder wie man das Zeug nannte. Er wollte nur, um seinen Jägerstolz zu befriedigen, bei dem einen oder anderen besonders schönen Stück wissen, was er gerade dafür einhandeln konnte.

»Sagen wir, soviel wie ein Viertel Gewehr«, antwortete Mr. Angus. Kakwa nahm diese Gelegenheit wahr, um in pompösem Französisch eine präzise Frage für seine Klienten zu stellen:

»Combien de piastres?« »Wie viele Dollar?«

»So etwa zwanzig.«

»Hände von zwei Männern!« übersetzte Kakwa in Indianersprache. Pirre war erstaunt. Er dachte plötzlich daran, daß die Riesentüte voll Pfefferminzplätzchen nur »den halben Finger einer Hand« gekostet hatte. Welch feines Geschäft hatte er doch gemacht! Der mathematische Teil des Handels überstieg seine rechnerischen Fähigkeiten. Sein Vater aber hatte deutlichere Vorstellungen.

»Nicht einundzwanzig?« fragte er eindringlich und schüttelte noch einmal sein dunkles, feingezeichnetes Biberfell.

»Wie du willst«, sagte Mr. Angus und schrieb in sein Buch unter »Konto Minnegouche«: »Ein großes Biberfell, erste Sorte, einundzwanzig Dollar.« Dieser Preis war durchaus angemessen. Er wußte auch, daß diese Männer nach dem harten Winter etwas brauchten, worauf sie stolz sein konnten. Wahrscheinlich würde Vater Minnegouche heute abend erzählen, daß ein einziges seiner Biberfelle fünfzig Dollar für ihn »gemacht« hätte, und seine Söhne würden diesen Betrag in astronomische Ziffern verwandeln.

Als alle Pelze aus den sechs Bündeln auf Mr. Angus' Regal gewandert waren, blieben nur noch drei Karibufelle übrig und ein Bärenpelz, den der Vater selbst nach einer viertägigen Jagd in Eis und Schnee geschossen hatte. 45

Pirre stand vom Fußboden auf, auch Kakwa erhob sich und alle starrten auf die weiße Seite des großen Buches, auf der links oben in der Ecke die Worte »Pelzhandel. Bar bezahlt« standen. Nur half ihnen ihre lückenhafte Kenntnis altertümlichen Französischs nicht, diese englischen Worte zu verstehen. Der Finger von Mr. Angus zeigte ihnen auch die Stelle, wo »Minnegouche und Söhne« stand. Darunter hatte er sauber ein paar kurze Erklärungen für seine Vorgesetzten in Winnipeg und London geschrieben:

»Guter Jäger. Ein Mann in den besten Jahren. Brachte dieses Jahr vierundsechzig MBr. Sohn Michael ist ein braver junger Mann, nur schwach auf der Lunge. Sohn Pirre, vierzehn Jahre alt, ist ein strebsamer Junge, der gerade zu jagen anfängt.«

MBr. war die Abkürzung für »Made Beaver«, ein uralter Ausdruck noch von den Zeiten her, als die Company ihre eigene Währung eingeführt hatte, um den Pelzhandel mit den Indianern zu vereinfachen. Ein »Made Beaver« entsprach dem vollen Wert eines Biberfelles erster Qualität und wurde damals mit einer »Bibermünze« bezahlt, die die Indianer erhielten, um ihren Winterproviant damit zu bezahlen. Heutzutage sind Bibermünzen nicht mehr im Gebrauch, der kanadische Dollar hat sie verdrängt.

Mr. Angus sagte mit einem freundlichen Blick auf Pirre:

»Dieses Jahr gibt es also einen erwachsenen Jäger mehr in der Minnegouchefamilie. Ist das dein Bärenfell?«

Pirre ließ den Kopf hängen und fühlte sich tief bedrückt. Der Vater sagte gar nichts, aber Michael erwies sich als guter Freund.

»Nächstes Jahr wird er zwei bringen«, sagte er.

Pirre würde ihm das nie vergessen. Was für ein guter Bruder er war!

»Alles in allem vierundsechzig Made Beaver«, stellte Mr. Angus fest. »Nicht einmal Saiko hat mehr geliefert.« 46 Aber Saiko war nur einer, und außerdem war er ein Krüppel.

»Damit sind alle Schulden vom letzten Jahr bezahlt«, fuhr Mr. Angus fort, »und außerdem gibt euch das noch einen netten Überschuß für den kommenden Winter.«

Ein Gewehr! dachte Pirre.

Ein wollenes Halstuch, dachte Michael, und Stiefel!

Alles, was ich nur haben will, dachte der Vater.

Ein gutes Jahr. Die werden sich freuen in Winnipeg! dachte Mr. Angus.

Ohne mich hätten sie den Handel nicht abschließen können, dachte Kakwa.

Mr. Angus fing wieder an zu schreiben:

»1 Bär, groß, erste Qualität . . . 6 Dollar.«

In seiner sauberen, tadellosen Handschrift schrieb er nun jedes einzelne von »Minnegouche und Söhnen« abgelieferte Fell auf.

»6 Hermeline . . . 12 Dollar,

4 Kreuzfüchse, erste Qualität . . .

18 Musquasch . . .

22 Nerzfelle, erste Qualität . . .

12 Biber, groß, dunkel, erste Qualität . . .«

Im Herbst, wenn Vater Minnegouche seinen Winterproviant einkaufte, würde Mr. Angus dann auf der Nebenseite unter der Überschrift »Für Waren« jedes einzelne erhaltene Stück gegen das Guthaben ausgleichen, wobei er eine wahrhaft väterliche Sorgfalt aufwandte und sich ernsthaft bemühte, diesen armen, unwissenden Kindern der Wildnis zu ihrem Recht zu verhelfen.

Trotz aller dieser Genauigkeiten war die Endsumme im Grunde ganz gleichgültig. Vater Minnegouche würde, genau wie alle anderen Indianer, alles bekommen, was er brauchte, selbst wenn der Wert der Waren sein Guthaben überstieg. Er würde alles mit in die Wälder zurücknehmen können, was zu einer erfolgreichen Jagd und zum Unterhalt der Familie nötig war. Die Company behandelte ihre zuverlässigen Indianer mit 47 Großzügigkeit. Und selbst wenn sie da draußen erkranken sollten oder durch Unglücksfälle ihre Pelze verlören, würden sie nie von der Company im Stich gelassen werden.

Mr. Angus öffnete den Geldschrank und händigte Vater Minnegouche einundzwanzig Eindollarscheine aus. Bargeld erfreute jeden Indianer, und sein Besitz zeigte ihm, daß er sich mit jedem anderen seines Stammes messen konnte. Zum ersten Male zeigte sich ein stolzes Lächeln auf Vaters Gesicht. Der Anblick war so ungewohnt, daß Pirre und Michael ihn mit offenem Munde anstarrten.

Als sie das Hinterzimmer verließen und in den Laden zurückkehrten, wo bereits eine neue Gruppe Indianer auf das Handelsgeschäft wartete, fühlte Pirre plötzlich zwei Dollarscheine in seiner Hand.

Er bekam Geld, wie ein Jäger, zum ersten Male in seinem Leben! Der Vater lächelte wieder und gab auch Michael ein paar Scheine. Feierlich nahm er dann von Mr. Angus die neue Pfeife und den Tabaksbeutel in Empfang. Dann trat er zum Ladentisch und nahm einen schönen schottisch karierten Wollschal von der Auslage, den er sich für Mutter in die »Packhaut des weißen Mannes«, auch Papier genannt, einwickeln ließ. Er vergaß auch nicht, an die Großmutter, an Vitaline und Estelle zu denken und suchte für sie mit großer Sorgfalt eine Weckeruhr, eine Brosche und ein Nähkästchen aus. Alle diese Schätze bezahlte er mit barem Geld, und es war ein herrliches Gefühl, dabei die bewundernden Blicke der im Laden versammelten Stammesgenossen zu fühlen.

Kakwa trat zur nächsten Familiengruppe, um ihnen seine kostbaren Dienste anzubieten, und die drei Minnegouches verließen den Laden, die Geschenkpäckchen für die Frauen in der Hand.

Auf dem Weg zum Zelt hörten sie jemanden rasch hinter sich herlaufen. Es war P'tithomme, Kakwas Sohn, der tatsächlich schon irgendwie erfahren hatte, daß Pirre bei der großen Transaktion anwesend gewesen war. 48

»Pirre!« stammelte er, ganz aufgeregt, »wie war's? Warst du wirklich beim Verkauf dabei, hinten im geheimen Zimmer?«

Pirres Blicke folgten dem Vater und Michael, die weitergingen, ohne sich um kindische Unterbrechungen zu kümmern.

»Kannst du das nicht begreifen«, sagte er ungeduldig zu P'tithomme, »wir alle drei haben gemeinsam den Handel abgeschlossen, und nun müssen wir auch zusammen nach Hause gehen. Ich habe jetzt keine Zeit für dich!« Und er lief den anderen nach.

»Sag nur schnell noch ein einziges Wort«, flehte P'tithomme und trabte neben ihm her. »Was haben sie gesagt? Wie haben sie es gemacht? O, Pirre!«

»Nicht so aufdringlich«, sagte Minnegouche der Dritte, »ein Jäger bespricht seine Angelegenheiten nicht mit Kindern. Ich könnte noch meine Dollarscheine verlieren!«

Und fort war er, um die beiden anderen Männer der Familie einzuholen. Enttäuscht sah P'tithomme ihm nach. Und plötzlich erwachte in seinem Herzen der tiefunglückliche Gedanke, daß er nicht zu einer Familie von Jägern gehörte. Übermannt von dem Bewußtsein seiner Jugend und Hilflosigkeit, verletzt und hoffnungslos allein, begann er bitterlich zu weinen. 49

 


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