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Brunst

Im Reiche der Finsternis dampfen Vulkane der Dämonen: schwarze Scharen von Söhnen der Brunst brechen empor – und Seuchen der Wollust beschatten die Welt.

Hütet euch vor den Horden, die Göttliches zerren in Kot und Gosse!

Göttlich nenn' ich das Fünkchen der Liebe, das von Mann zu Weib zuckt; aber die Brut der Gosse verzerrt es in Brunst.

Im Schlamm der Erde schleicht das Gewürm, in Gassen der Finsternis zappelt Geziefer genug: – doch es bleibe, wo es ist, und werde deutlich benannt und gebrandmarkt: Gewürm und Geziefer!

Wehe dem Schuft, der hündische Unscham schamlos heraufholt in menschlich Wort und Werk!

So lange Feuer durch meine Faust rollt, solang' meine Rechte Runen gräbt – nenn' ich heilig die Liebe, doch hündisch die Brunst.

Meister der Menschheit!

Sinnlichkeit und Liebe

Ein Liebender weiß, welche gänzlich untheoretischen Entzückungen ihm die Gestalt der Liebenden einflößt. Alles an ihr ist magisch; er schaut es nicht genau, er schaut es in Verzauberung. Die harmlosesten Blumen oder Nippsachen sehen anders aus, sobald sie in den Bereich der Geliebten gelangen, von ihr berührt, geordnet, geliebt werden. Nicht das Schauen ist auch hier das Bezaubernde, vielmehr stellt sich zwischen Liebendem und seiner Geliebten gleichsam ein magnetisches Verhältnis her, wobei dann Blick, Kuß, Wort, Händedruck alle Sinne in einen andren Zustand versetzen. Dichten heißt sehen? Ja, aber der Liebende wird hinzufügen: »Dichten heißt liebend sehen.«

So hat das Weibliche von Walthers Hildegunde bis zum Milchmädchen des Schotten Burns erregend und erweckend gewirkt. »Es war mir nie in den Sinn gekommen, ein Dichter zu werden, bis zu dem Augenblick, wo ich mich verliebte, und dann wurden der Reim und das Lied die unmittelbare Sprache meines Herzens« (Burns).

Ebensolche Beziehungen stellen sich dem liebenden, begeisterungsfähigen, warmherzigen Menschen zur ganzen Natur her; er nennt sie Geliebte, Freundin, Schwester, Mutter; er ergeht sich in Wanderungen und erzählt gern von landschaftlichen Schönheiten. Es hat dies weder mit Traumbildern noch mit Schicksalserschütterungen etwas zu tun; beide schlummern inzwischen, Mächte der Tiefen, nächtliche Welten; er gibt sich einfach der Freude an den äußeren Klängen und Farben hin, den Kostümen eines Faschingstrubels, der Betrachtung des neuen Kleides, das die Weiblichkeit Urteil erbittend vorführt, dem Einband eines Buches, einem Bilderbuch, einer Steinsammlung usw. Es ist Reiz der Sinnendinge, Freude an den Formen der Schöpfung. Seelisch ist der Zustand eine Art Neugier.

Hier sind wir dem Maler am nächsten. Aber während der Maler nun seinerseits vordringt zu den Massen, Beleuchtungen, Verkürzungen und dies alles in Fläche bringt, steigt der Dichter in die Tiefe und bringt seelische Zugabe, sei es Humor, sei es sinnige Idee. Auch hier noch folgt der Malerpoet (Böcklin, Thoma) und unterstellt sein Bild – im Unterschied von Max Liebermanns Impressionismus – einer ernsten oder heitren Idee. Aber die Ausdrucksmittel der Malerei sind: Zusammenfassung in eine Fläche, mit einem Blick überschaubar; hier, beim Dichter, Einfassung in Worte, die sich nacheinander vermitteln, gleichsam eine Marschreihe bilden und durch das Ohr eindringen, im Innern dann den Gesamteindruck herstellend.

Durch Gesicht, Gehör und Gefühl dringt Schönheit in unser Inneres ein. Der Hunger nach Schönheit ist für jede tiefere Natur gleichbedeutend mit dem Bedürfnis nach Liebe, Freundschaft, Wärme. Schönheit ohne Idee und Seele ist nach wenig Minuten langweilig. Darum trat in Zeiten, wo der Gehalt der schönen Formen ermattete, das unschöne Charakteristische auf den Plan und siegte. Siegte, nicht weil es »unschön« war, sondern weil es bedeutend, suggestiv, fesselnd durch seinen Gehalt wirkte. Hier liegt für alle naturalistischen, den Idealismus ablösenden Sturmfluten die Erklärung. Ich denke zu gut von der Menschheit, um ihr Freude am Häßlichen als solchem zuzutrauen. Ueberhaupt ist wohl immer in Sünden und Irrungen irgendein Moment der Romantik, mittels dessen die Leidenschaft in den entkräfteten Menschen eindrang. Wie oft spielen sinnenhafte Nebenreize in die abstraktesten Betrachtungen bestimmend herein, ohne daß es dem Urteilenden oder Handelnden zum Bewußtsein kommt! Wie oft werfen Liebe oder Haß jedes gesunde Urteil über den Haufen!

So muß den Faktoren der Sinnenwelt und der Sinne in uns selber eine Bewegungsfreiheit zugestanden werden, ob wir wollen oder nicht, ob zum Heil oder Unheil. Selbst die bestgeschulte ordnende Kraft kann da nicht immer das einzige Wort sprechen. Und soll sie es denn? Es ist gut, daß sie nicht das einzige Wort spricht: dies Wort wäre blutlos.

Menschen, die sich – bei allem Gleichmaß ihrer Kräfte – nicht bis zu einem gewissen Grade innig freuen oder ehrlich erzürnen können, verlieren die Natürlichkeit und taugen nichts. Durch alle diese Wellen und Wellchen kann darum doch das Schiff seinen sehr sicheren und festen Kurs innehalten.

Wege nach Weimar

Vignette

Weib und Würde

Ich legte neulich den Roman eines jungen Schriftstellers aus der Sand. Lange kämpfte etwas in mir, kämpfte mit einem Unbehagen. Was war dies Etwas? Das Herz? Der Geschmack? Oder ganz einfach das Gefühl für Reinlichkeit?

Die Erzählung hatte mich weder besonders gefesselt noch zu besonderer Stellungnahme genötigt. Aber diese Behandlung der Geschlechtsfrage!

Es ist nicht der einzige Fall dieser Art: es wimmelt um uns von jungen und jüngsten Schriftstellern, denen das Gefühl für geschlechtliche Zucht und Würde mangelt. Es kommt in diesen Menschen des Trieblebens auch gar nicht mehr zu Kämpfen zwischen Trieb und Geist, zwischen Sinnlichkeit und Seelenwürde. Jedes Weibchen, das ihnen über den Weg läuft, wird unter dem Gesichtspunkt der geschlechtlichen Möglichkeiten betrachtet. Die Phantasie dieser Burschen ist verseucht durch und durch, so verseucht, daß sie den Mann, der nicht so wie sie denkt und tut, als sinnlich armselig oder gar krankhaft zu verhöhnen geneigt sind, wie es auch der obige Libertinist in seinem Roman tut. Eine schweigende Ohrfeige wäre die passende Antwort. Die Hand ballt sich zur Faust, wenn uns mitten in dieser eisenhaltigen Luft der Gegenwart solche Brunst über den Weg läuft.

Die Großstadt ist nicht zwar die Ursache, aber eine Förderung dieser Zustände. Die jungen Literaten von heute treiben sich früh, von der Familie losgerissen, als Freibeuter im steinernen Urwald der großen Stadt herum und gehen auf Jagd und Abenteuer aus. Die Gassen- und Kneipen-Erfahrungen, die sie da sammeln, übertragen sie auf das weibliche Geschlecht überhaupt. Und so wandert denn ihre aufgewühlte Phantasie durch die Salons und Boudoirs der Menschheit. Die Frage aller Fragen ist für sie die Geschlechtsfrage: welche Frauen »zu haben« und welche nicht zu haben sind! Liebe? Ein Wort, das in solchem Munde Verzerrung wird. Vom Wesen der Liebe, die vor allen Dingen leidenschaftliche Ritterlichkeit und zarteste Fürsorge ist, hat dieses seelenlose Gesindel keine Ahnung.

Wie sang einst Herr Walther von der Vogelweide? »Durchsüßet und geblümet sind die reinen Frauen.« Und Schiller: »Ehret die Frauen: sie flechten und weben himmlische Rosen ins irdische Leben.« Heute liest man, etwa in einer Besprechung von Wedekinds »Erdgeist«: »Lulu ist das Weib: hinauf strebt der Mann, hinab zieht ihn das Weib« ... So wird verallgemeinernd das Weib verleumdet. Und diese Auffassung steht im Zeitalter Strindbergs nicht vereinzelt; sie hat sich beinahe grundsätzlich des jüngeren Geschlechtes bemächtigt. Sieht man sich aber diesen sogenannten »Kampf zwischen Mann und Weib« genauer an, was entdeckt man?

Diese angeblichen »Männer« sind Schwächlinge. Sie selbst und ihr hündischer Trieb ziehen das Weib herab. Sie selbst! Ihre Augen sind unrein und machen unrein, was sie anblinzeln. Ehedem war es das lebensprühende Vorrecht der Jugend, einem schläfrigen Zeitalter Ideale wachzurufen und in schwärmender Begeisterung für alles Große eher zu viel als zu wenig zu tun. Wir lesen vom Göttinger Hainbund, von Schillers und seiner Freunde Räuberstimmung, von Jung-Goethes Schwärmereien und Wanderungen, von den Sturmliedern der Freiheitskrieger, von der Begeisterung des Wartburgfestes. Hier aber und heute stehen wir einem Bankerott der Gefühle gegenüber. Der Seelenschwung ist verdunstet, die nüchterne Sinnlichkeit – nein, die Brunst ist geblieben. Sie zergliedern alles: sogar den Geschlechtstrieb! Sah ehedem der Jüngling im Mädchen ein Wunder, ein Geheimnis, eine Göttin: so wird er jetzt dazu erzogen, in ihr eine Dirne zu sehen.

Mit solcher Literatur wird ein Feinstes in uns vernichtet: die Ehrfurcht vor uns selbst. Daß in jedem Weib »die Dirne steckt«, ist eines jener modernen Verleumdungsworte, das den Lüsternen entschuldigen soll. Freilich nistet in uns allen Dämonisches, freilich auch ein Feigling, wie sogar Blücher bekannt hat: doch es kommt darauf an, diese Kräfte nicht über uns herrschen zu lassen. Im Menschen sind sämtliche Möglichkeiten; aber auch die Möglichkeit und der natürliche Trieb zum Kampf. Dieser Kampf besteht darin, das Göttliche zu entwickeln, das Niedere zu ducken. Und wenn ein Dichter, dieser Nachkomme des Sonnengottes Apollo, das Problem Weib und Mann anpackt, so soll er bei Gestaltung selbst der sinnlichsten Leidenschaft Menschenwürde spüren lassen. Zur Beschäftigung mit einem künstlerischen Gegenstände gehört viel Liebe, viel Sorgfalt: wie kann sich ein gesund und edelempfindender Dichterin Zustände niedrigen Geschlechtslebens einfühlen und diese Dinge, die selbst die Natur bedeckt, anschaulich ausmalen? Der größte Künstler kommt nicht um die Tatsache herum, daß uns ein Schamgefühl eingeboren ist. Das Schamgefühl – da ist der Punkt, wo sich Adel und Gemeinheit scheiden!

Schönrederei ist vom Übel, wenn sie weichlich und süßlich den Tatsachen aus dem Wege geht. Aber es handelt sich nicht darum, von den Frauen und den wundersamen Wechselwirkungen zwischen Mann und Weib süßlich zu reden, sondern mit jener Würde, die diesem reizvollen Lebensgeheimnis geziemt.

So stehe ich denn meinerseits genau auf dem gegenteiligen Standpunkt als jene Brünstlinge, die sich für sinnenkräftig halten. »Der Mann sei mannlich, so wird die Frau fraulich sein«, hat's einmal der kräftige Jahn geformt. Der Hausvater, der Energie aussprüht, wird die Seinen in Form des Gehorsams und der Achtung mit edler Energie anstecken. Und der Mann, der ritterlich von der Frau denkt, wird jedes nicht unedle Weib zu seinem ritterlichen Standpunkt emporheben – nötigenfalls: emporzwingen. Dasselbe gilt umgekehrt von der edlen Frau und ihrer Einwirkungskraft auf den Mann.

Sage mir, wie du über die Frau denkst, und ich sage dir, wer du bist!

Die liebende Frau hat den natürlichen Drang, sich dem geliebten Manne mit Leib und Seele hinzugeben; es ist dies ein edelster Drang des Schenkens. Der Drang dieser Art würde zur Vernichtung führen, wenn nicht seelische Gegenkräfte gleichzeitig wirkten. Nicht die Moral an sich – ach, was ist das für ärmliches Zeug –. wohl aber die Gemütskräfte der Begeisterung für ein gemeinsames Lebensideal veredeln die Liebenden. Die Geliebte sorgt mit ihrem Liebenden: sie hat sein Wohl, sein Glück, sein Werden im Auge: und er seinerseits fühlt sich, wenn oft auch unbewußt. für diese vollkommen vertrauensvoll in seinem Arme ruhende geliebte Menschenseele verantwortlich. Der Geschlechtsdrang verteilt sich gleichsam auf alle Poren, auf alle Organe: er löst sich ln innigsten Gesprächen, oft in Tränen der Rührung und in Küssen der zartesten Dankbarkeit auf, weil das Weib mit allen Fasern spürt: »Da ist einer, der dich leidenschaftlich liebt, aber auch leidenschaftlich ehrt!« Das ist für das Weib in seiner Hilflosigkeit ein so erhabenes Geschenk, daß seine vertrauende Liebe ins Unendliche wächst. Es ist dann gar nicht mehr die Frage, ob Hingabe oder Nicht-Hingabe; denn alles überleuchtet zuletzt die ehrende Liebe und die liebende Ehrfurcht zweier auf Tod und Leben verbundener Kameraden...

Meister der Menschheit

Vignette

Dank an eine Frau

Wie find' ich nur den Dank, der zart genug
Für deine Wohltat, sonnigste der Frauen?
Hast du geahnt, wie schwer der Wandrer trug?

Du tratest zu mir aus der Nacht, der blauen.
Wie eine Fee zu dem Verirrten schwebt:
Ganz meinem Wunsch entrückt, aus reinster Güte
Mir Freundschaft bringend auf den Felsenpfad
Vom Jüngling zum entsagungsstarken Mann.
Sie flattert noch, der letzten Wünsche Schar,
Du aber scheuchst sie fort mit Frauen-Anmut,
Und dein Geplauder, halb ein Kinderlachen
Und halb der Hausfrau sorgliches Beraten,
Umbaut mich rings mit blumigem Gehege.
Wie find' ich nur den Dank, der zart genug?
Ich mag dir kaum die Hände dankbar küssen:
Denn deiner Seele ungebrochne Kraft
Trifft schon so wirksam den gereiften Pilger,
Daß er dich sehnend spürt in fernster Ferne,
Daß deines Körpers liebe Hülle nur
Ihm Schatten dünkt: denn deines Herzens Glanz
Durchleuchtet dich – und der ist engelschön!

Lebensfrucht


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