Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Hausfrau

Heil der Hausfrau! Heil der Heimchen und Gnomen gütiger Herrin!

Das Kleine veredelnd, herrscht sie im Hause: Königin ist sie im Lande der Liebe.

Sie hat in der Tiefe der Truhe immer ein Restchen Glück: das hält sie bereit für ein hungrig Herz.

Gern laufen die Kinder wie Küken heran und füllen mit Freuden das gastliche Haus: ist doch die Gütige selber ein sonniges Kind.

Ihr Haus ist traulich und dennoch ein Tempel: den Gast am Herde durchglüht mit der Wärme der Herrin die Würde der Priesterin.

Ihr Schlüsselbund schimmert am Gürtel als schönster Schmuck: er tönt wie Glöckchens beglückender Ton im Turm, wenn schamhaft die Not sich nahet.

Doch scheu im Bogen umschleichen die Falschen und Faulen den Bau der Pflicht: sie gibt nicht töricht; sie gönnt dem Tagedieb kein Gehör.

Ihr herzlich Werk ist heilen, helfen und hegen, ob sie nun Schönheit spendet in Spiel und Sang oder in schlichtem Sprechen Seele verströmt: ob sie im Dampf der Küche schafft oder im Schatten der Linde das Kind auf den Schoß nimmt.

Heil dem Hausherrn, dem sie am Abend den Arm um den Hals legt und das holdeste Glück gibt!

Heil dem Gatten, dem sie im Tode die Lider schließt und erkaltete Lippen ein letztes Mal küßt – und nur wenig weint.

Denn sie weiß es in ruhiger Treue: »Uns trennt kein Tod.«

 

Da ich nun die Hütte baute
Dir und mir, geliebte Frau,
Laß uns auch dem deutschen Volke
Schaffen einen Seelenbau!

Gleichwie Zelle zu der Zelle
Langsam sich zum Bau gesellt,
So erschufen wir aus harten
Wanderjahren unsre Welt.

Du, geübt am Krankenlager.
Ich, erprobt auf rauhem Gang –
Liebes Weib, so wird sich fügen
Auch noch einst der Reichsgesang!

Mein Weib, begreifst du der Ehe Sinn?
Wir sind einander verschrieben,
um uns zu üben – worin?
Im Lieben!

Mein Weib, und wer es gut bestand.
Was darf er pflücken?
Liebend darf er das ganze Land
Beglücken.

 

Mein Weibkamerad, mir innig verbunden,
Wir haben aus manchen blühenden Wunden,
Nicht wahr, Kraft und Honig gesogen:
Aber am tiefsten sind wir uns doch gewogen,
Weil wir im innersten Seelenkern
Den Bund geschlossen mit Gott dem Herrn.
Ihm will ich, wenn wir hinüberschweben,
Dich unverdorben wiedergeben.

Meister der Menschheit

Du bist beschlossen in meinem Herzen!
Verloren ist das Schlüsselein,
Du mußt immer darinnen sein!«
Du Liedchen, innig wie ein Gebet!
Wenn aber der Schlüssel verloren geht,
Indes eins drin, das andre draußen steht?

Das lag mir heute schwer im Sinn.
Bin heilfroh, daß ich darinnen bin
In deines Herzens trautseliger Ruh',
Ein Du-und-Ich, ein Ich-und-Du!
Und wärst du am andren Ende der Welt.
So wär' unser Herz halt weit wie die Welt:
Weil's dich und mich beisammen hält!

Meister der Menschheit

Über Karfreitagsaue wandeln wir zwei,
Funkelndmelodische Klänge sind innig dabei,
Klänge von überstandenem Weh der Welt,
Als wir noch einsam gingen, noch ungesellt.
Jetzt in Akkorde veredelt, erhaben und mild –
Unsrer Seelen nach außen gespiegeltes Bild.
Meister der Menschheit

 

Neckischer Spaziergang

Vor einigen Jahren hielt ich vor versammelten Heimchen – so will ich einmal kurzweg die jungen Damen der Töchterheime nennen – im Erholungssaale zu Weimar einen Vortrag. Das Pult war ziemlich hoch; man mußte ordentlich klettern, um hinauf zu gelangen. Aber von oben hatte man eine reizende Aussicht: man schaute in einige vierhundert oder fünfhundert junge Mädchengesichter.

Ich erzählte der holden Versammlung, wie ich einmal ins Land der Troubadours gereist bin, in die Provence, wie ich den liebenswürdigen greisen Dichter Frederic Mistral besucht, wie es mich weitergetrieben nach den Pyrenäen und zuletzt nach dem seltsamen Berg Montserrat bei Barcelona in Spanien. Nun sprach ich vom Sinnbild des heiligen Gral:

»Im fernen Land, unnahbar euren Schritten, Liegt eine Burg, die Montsalvat genannt« – –

Lohengrins Gesang tönte an. Ich deutete den tieferen Sinn des heiligen Zeichens und las dann den dritten Akt meines Wartburg -Dramas »Heinrich von Ofterdingen« vor, wo man sich über den Gral auseinandersetzt. »In uns selber, in jedem reinen Kerzen, muß des Grales Leuchtkraft glühen...« So sprach ich zu dieser versammelten Anmut ...

Später einmal, durch die Straßen Weimars ins Freie wandernd, sann ich über die Eigentümlichkeit dieser dichterisch verklärten Stätte nach und sagte zu meiner mich begleitenden lieben Lebensgefährtin: »Sieh, es ist doch sehr sinnig, daß sich gerade in der Stadt Goethes, des immer liebenden, so viel jugendliche Weiblichkeit zu sammeln pflegt. Ist dieser geheimnisvolle, unbewußte Zug nach Weimar nicht eine allerliebste Wanderung? In Weimar wohnen ausklingende Menschen – pensionierte Beamte, Offiziere und dergleichen – unmittelbar neben werdenden Menschen: neben dieser zwitschernden Jugend. Zu welcher von beiden Gattungen gehören eigentlich wir Zwei?«

»Zu beiden«, erwiderte die Immer-Junge. »Ist nicht Weisheit und Liebe in schönem Bunde dein Ideal? Weisheit ist mehr bei den Alten, Liebe auch schon bei den Jungen – und wer ein echter Mensch ist, der hat beides, so daß man es gar nicht trennen kann, das junge Herz und den reifen Kopf.«

So etwa mag die Vortreffliche mit etwas anderen Worten gesagt haben; sie philosophiert sonst nicht gern, sondern lebt, liebt, sorgt als rechte Haus- und Herzensfrau.

»Gesetzt, hier wohnt nun aber Einer, der nur an Liebe wächst, doch nicht an Weisheit!?«

Wir waren an ein reizendes Häuschen gekommen, an ein geradezu zauberhaft umsponnenes einsames Häuschen mitten in entzückenden Gärten, die mit Obst, Stauden, Blumen, Gemüsen überfüllt waren. Es ist ein paar hundert Ellen hinter der Wohnung des Schulrats Scheidemantel, am Rande der Stadt. Zwei Feldwege treffen sich dort in diesem dreieckigen wunderlichen Baugebilde mit seinen grünen Läden, seinem märchenhaft kleinen Zaun und ein paar Blumenstöcken in den Fenstern. Es ist ein Waldhäuschen aus Grimms Märchen. Pressen nicht die drei Männlein im Walde ihre drolligen Gesichter an die Scheiben? Wohnen hier die sieben Zwerge? Steht da irgendwo Schneewittchen am Waschtrog?

»Hier wohnt Franz Labsal«, erklärte ich meiner Frau.

»Wer ist Labsal?«

»Labsal? Du kennst Franz Labsal nicht? Nun, er ist – was ist er gleich?– er ist natürlich Musiklehrer; er spielt die Laute, macht Verse und ist immer verliebt, obwohl er nimmer jung ist. Ihm haben's Weimars Backfische angetan. Siebenmal war er verlobt – und siebenmal hat er die Verlobung seufzend wieder aufgelöst. Denn in seinem zarten, liebevollen Gemüt fürchtet er, es könnte neunundneunzig andere junge Mädchen kränken, wenn er sich gerade mit der hundertsten und nicht mit jenen verlobt. Und jemanden betrüben? Nein, das bringt er nicht fertig! Necken, scherzen – ja, das tut er seelengern. Denn er ist fast immer vergnügt. Und die Neckreime schüttelt er nur so aus dem Ärmel. Zum Beispiel neulich, als eine Schar der Heimchen hier vorüberging, schrieb er sich flink ins Notizbuch:

»Zwei und sechs und acht und zehne
Trippeln sie an mir vorbei,
Wenn ich mich verlassen wähne,
Daß ich nicht verlassen sei.
Reih' an Reihe, hold vorüber,
Wie ein reizendes Gedicht –
Ach, mir wird mein Auge trüber:
Habt mich lieb, doch neckt mich nicht!«

»Was sagten denn da die Mädchen?« fragte meine Frau, die mich fest am Arm hielt, vergnügt, daß sie nicht zu den neunundneunzig gehörte.

»Was sie sagten? Dieses etwa sagten sie:

»Necken, Labsal? Zu beglücken
Sind wir auf die Welt gesandt!
Doch zum Schauen, nicht zum Drücken,
Für den Blick, nicht für die Hand.

Willst du denn die Elfen fangen?
Und begehrt man gar das Licht?
Freue dich an unsren Wangen,
Aber, Freund, begehr' uns nicht!«

Siehst du, das sagten sie. Und eine von ihnen, die immerhin mit der Möglichkeit einer ehelichen Verbindung rechnete, fügte altklug hinzu:

»Oder willst du eine nehmen
Als dein frauliches Gemahl?
Gut, dann mußt du dich bequemen
Nicht zur Lust nur, auch zur Qual.

Denn dem spielenden Genießen
Wird das Höchste nicht zu teil –
Nur aus Kampf und Arbeit sprießen
Seligkeit und Seelenheil.«

»Ein kluges Geschöpf, dieses Heimchen«, meinte meine Frau und lächelte ob des Reimtalents unsrer Weimarer Jugend.

»Nicht wahr? Ja, das mein' ich auch. Aber siehst du, Labsal ist ja nicht ganz allein: er hat bekanntlich seine herzige, zärtlich den Sohn liebende Mutter bei sich im Hause wohnen. Er wohnt nämlich oben, sie wohnt unten. Sie plättet und näht – horch, hört man in dem Hause da nicht eine Frauenstimme? –, sie hat das angenehmste Runzelgesicht von der Welt. Und unter uns: sie ist manchmal eifersüchtig, sie schmollt dann ein wenig mit dem flatternden Sonderling. Da versetzte er ihr neulich aus dem Stegreif folgenden Reim:

»Mütterchen, sei nicht verdrießlich.
Daß ich immerdar verliebt bin!
Ist es etwa mehr ersprießlich,
Wenn ich mürrisch und betrübt bin?

Zöpfchen und Matrosenkragen
Sind mir nun 'mal herzerquicklich.
Aber will ich's fröhlich sagen.
Schiltst du gleich, das sei nicht schicklich.

Ihr fünfhundertsechsundsechzig
Mägdlein aus den Töchterheimen!
Ach, nach etwas Liebe lechz' ich –
Doch begnüge mich mit Reimen.

Und zum Dank willst du noch schelten,
Mütterchen, und zankst mich tüchtig?
Herzensmuttel. laß mich gelten!
Oder – bist du eifersüchtig?!«

So hat Labsal seine Mutter angedichtet, worauf sie beschämt das Plätteisen ergriff und bloß noch murmelte: »Bist halt ein Hansnarr!« »Aber ein lieber!« versetzte schlagfertig Franz der Reimer und gab dem treuen alten Gesichtchen zwei Küsse, mit den Worten: »O Mutter, nimm es ohne zu höhnen hin, daß ich verliebt in alle Schönen bin –!«

»Halt ein!« lachte die Meine. »Dies Labsal-Häuschen hat ja besonderen Zauber und steckt dich an. Gewiß hat hier auch der Maler Spitzweg gewohnt.« – »In dieses alte Häuschen Weimars«, sprach ich feierlich, »hat sich die Anmut geflüchtet. Hier sitzt sie, aus der rohen Zeit des Hasses und der Sorgen verbannt, wie Aschenbrödel, wie das verzauberte Dornröschen. Geh' behutsam vorüber, sonst äugelt Franz Labsal aus dem Fenster und dichtet auch uns an. Der Geist des griechischen Dichters Anakreon sitzt bei ihm; ebenso der Geist des persischen Poeten Hafis. Sie haben schon den Dichter Wieland und den jungen Goethe umflügelt, die in diesem Häuschen ihre besten –«

»Nein, nun nicht weiter!« rief meine Gute. »Sonst wird die Goethegesellschaft bei der nächsten Tagung hier eine Tafel anbringen lassen, du Übermut!«

»Dichten ist ein Übermut, heißt's im Westöstlichen Divan«, bestätigte ich gern.

»Bloß Übermut? Nicht noch viel mehr Ernst? Du sagtest vorhin, es könne jemand an Liebe zu- und an Weisheit abnehmen. Ist das möglich? Das wäre doch recht traurig. Und ich beneide wahrlich die sogenannte Immer-Verliebtheit deines Labsal ganz und gar nicht. Siehst du, hier hangen alle Bäume voller Früchte. Es kann doch nicht immer Frühling bleiben!«

Nun ward unser scherzendes Gespräch immer ernster.

»Du hast sehr, sehr recht, mein Lieb«, sprach ich zur Trefflichen.

»Und wer zumal in dieser Zeit der großen deutschen Not nicht aus Neckerei oder Zärtlichkeit sofort in den edelsten Ernst überspringen kann, der taugt nicht viel. Pflichttreue über alles! Die Würde einer ernsten, ja frommen Lebensauffassung muß den Stamm bilden, aus dem die Rosen der Anmut wachsen. Wie heißt Schillers Aufsatz? Würde und Anmut! Beide gehören zusammen. Ach, und ein immerblauer Sommerhimmel, ein leidlos Leben, ein bloßes Reim- und Reigenspiel, wäre das auf die Dauer zu ertragen? Du weißt, was Goethe vom Regenbogen sagte: wenn er eine Viertelstunde am Himmel steht, schaut ihn kein Mensch mehr an. Und wenn einer nur neckt, nur tändelt, nur mit der Liebe spielt, statt wahr und tief und dauerhaft zu lieben – nein, Liebste, dann ist er wahrlich kein Labsal für seine Mitmenschen, auch wenn er etwa Labsal heißt. Wahre Liebe ist auch immer wahre Weisheit: denn mit zartestem Spürsinn weiß sie das geliebte Wesen zu betreuen, zu erfreuen, mit ihm zu leiden und zu arbeiten, nicht nur zu tändeln wie Freund Labsal.«

»Heißt er denn Labsal? Wohnt er denn in jenem Häuschen?«

»Sagt' ich das? Sonderbarer Einfall! Das alles kommt von dem Vortrag, den ich vor vierhundert jungen Gesichtchen gehalten habe«...

Wir waren über alledem in der stillen Allee vor unsrem Hause angelangt, über dessen Pforte das Sinnbild des Rosenkreuzes beide Seelenkräfte verbindet: Würde und Anmut –Ernst und Liebe.

Almanach des Weimar-Bundes 1920


 << zurück weiter >>