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Die Gemütsmacht der Frau - die vergessene Königin unserer Zeit

Die Gemütsmacht der Frau – die vergessene Königin unserer Zeit

Auch unsere Frauenwelt hat heute nicht die nötige Strahlenkraft einer reich entwickelten Elektrizität des Innenlebens, auch sie durchbrechen und bezwingen nicht die Ätherschwingungen unseres vernüchternden Zeitgeistes! Auch die Frauen leiden unter Zersetzung und Vernüchterung, ja, treten teilweise gerade hinein in Wettbewerb mit den hastenden Männern und vernichten so selber ihre beste Eigenart und Eigenkraft: die Kräfte mild-innigen Gemütes!

Im »Türmer«, III. Jahrgang

 

Nicht verachten, sondern lieben! Dies laßt eure Losung sein draußen in einer Welt, die unter Haß und Ängsten leidet! Und wo man eure Hilfe nicht will – unbitter vorübergehen!

Oberlin

 

Wir müssen wieder, in durchaus edler Natürlichkeit und ohne Sektiererei, stille Kreise von Gralsuchern formen, in denen die heilige Flamme genährt und schonend durch den Sturm der Zeit getragen wird. Das ist gar keine behagliche Arbeit; das verlangt vielmehr gesammelte Kraft. Und es verlangt stete Selbsterziehung. Aber es ist zugleich sehr beglückend, an einem heilig gehüteten Seelenfeuer Herz und Hände wärmen zu dürfen. Und es ist eine Ehre: denn es ist priesterliche Tätigkeit.

Besonders eignet sich dieses Wirken für das weibliche Gemüt. Waren es nicht immer Priesterinnen, die in den Tempeln des Altertums das heilige Feuer hüten durften? In ihren feinsten Herzenstiefen müßte sich jedes Mädchen, jede Frau dieses Kreises als Priesterin der Edelmenschlichkeit empfinden. Am Pfingstfeuer reiner Liebe hat sie ihre Seelenflamme entzündet. Wenn sie beglücken, wenn sie wärmen und leuchten darf, sich selber ausstrahlend, wandelt sie als lebendige Priesterin durch die kalte Welt der Gegenwart. Von selber sammeln sich dann in ihrem Lichtbezirke suchende Seelen. Und sie finden miteinander von selber die Formen, wie sie sich zu einer kleinen Lebensgemeinschaft gestalten wollen.

Neuland

 

Das Christentum ist weder natur- noch frauenfeindlich. Unter den ersten Jüngern waren Frauen; im Idyll von Bethanien, am Kreuz, am Ostermorgen waren mitfühlende Frauen in das Drama verflochten. In der Apostelgeschichte desgleichen. Das berühmte dreizehnte Kapitel des ersten Korintherbriefes handelt allerdings nicht von der modernen freien Liebe, sondern von einer heroischen, unsentimentalen und unlüsternen Liebe zur Menschheit. So gingen die Christen als eine Gruppe der Gesunden und Stolzen durch die Fäulnis der Mittelmeerkultur.

Neue Ideale

 

Mutter, ich will doppelt so gut zu allen Menschen sein als bisher, will unaussprechlich gut sein! Wir Frauen haben gar edel Handwerk in so wüsten Zeitläuften. Nicht auch noch hassen oder übelnehmen, sondern beten, stark und innig, für alle, so wir liebhaben!

Worte der Elisabeth aus dem Schauspiel »Luther auf der Wartburg«

Nicht zu Gesellschaft!

Brief an eine Dame

Meine gnädigste Frau, meine gütigste Fee!

Klingt's nicht, als ob's eine Bitte sei?
Soll aber nur – ich bin so frei –
Auf Ihre Einladung zum Tee
Ein ganz bescheidenes Körbchen sein.
Ein Körbchen – aber kaum zu sehn!
Von spielenden Blättern und blühenden Schlehn
Tu' ich so viel Gerank hinein
Und hülle manierlich,
Zärtlich und zierlich
Gar noch den Henkel in Blumen und Kraut –
Daß gar kein Mensch das Körbchen schaut! ...

Nämlich: ich habe Sie herzlich gern,
Sie und den gütigen Eheherrn,
Die strahlenden Lockenköpfchen auch,
Herzlich gern – doch der sinnige Brauch,
Daß sich unsterbliche Seelen setzen
Mund vor Mund und den Magen letzen
Und sich mit Anmut, Mann und Frau,
Unterhalten mit viel Gekau
Und viel Geschluck von Tee und Wein – – –

Freundin: Nein!
Sie schreiben zwar, ich sei »so allein«,
Ich müßt' »ein bißchen gesellig« sein –
»Allein«? Wer sagt das? Ich »allein«?!
Schon summt es dahinten und wispert heran,
Umhaucht, umflügelt den Schreibersmann –
Schatten und Schemen, die sich entfalten
Aus wogendem Rauch zu klaren Gestalten,
Seltsam gewandet, reich und arm
Und groß und klein –
Köstlicher, warmlebendiger Schwarm!
Das staut und beeilt sich,
Drängt sich und keilt sich,
Schauen erstaunt in Ihr Briefchen hinein
Und lösen sich wieder und werden nicht matt
Zu fragen, wer das geschrieben hat,
Wer – so – was – schreibt: ich sei allein!?
Verriet' ich es Gottfried, Johannes und Till
Und andern Gesellen – so würd' es bei mir
Ein banges Weilchen freilich still:
Die Schar wär' plötzlich nimmer hier!
Aber wo anders! O gnädige Frau,
Verriegeln Sie Pforten und Pförtchen genau:
Ein Dutzend Geister, eingebannt
Vordem wie surrende Flügler und Bienen
In meine Stube – kommt nun zu Ihnen!
Schwirren und huschen mit Spuk und Gekrach
Ins allerfriedlichste Rosengemach
Und hauchen in Ihre Träume hinein:
»Er allein – allein – allein?!«
Eine Wolfsschluchtmusik, eine Zornmelodie,
Die Ampel erlischt – da erwachen Sie,
Und noch ins Wachen graust hinein
Der Geisterkanon: »Er allein?!«

Drum bitt' ich dringend, herzgütige Fee,
Nicht zu Gesellschaft und nicht zu Tee!
Doch darf ich morgen in Park und Au
Spazierengehn mit der Freundin und Frau
Und ihren scherzenden
Dichter umherzenden,
Leuchtenden, springenden,
Dreitönig singenden,
Blauäugig lieblichen Kinderlein –

So will ich in Demut dankbar sein.

Lebensfrucht

Die vergessene Königin

Da setzte sie sich an sein Bett und sagte: »Ich bin dir nachgefolgt sieben Jahre, bin bei Sonne und Mond und bei den vier Winden gewesen und habe nach dir gefragt und habe dir geholfen gegen den Lindwurm. Willst du mich denn ganz vergessen?« Der Königssohn aber schlief ...

Grimms Märchen

 

Wäre Weimar ohne seine Frauen denkbar?

Wo wäre dichterische Großtat geschehen ohne die erregende Einwirkung der Frau?

Und wie vergessen ist heute die Königsmacht edlen Frauentums!

Nicht nur Dichter, Künstler, Erzieher und dergleichen – nein, jede Mutter und Hausfrau in ihrem kleinen Bezirk, jeder tätige Mann in seinem größeren Umkreis, wenn seine innere Flamme hell ist, muß ein erobernder Feldherr sein, ausgesandt vom ewigen Licht, ein Stückchen oder ein Stück Finsternis heimzuerobern der Helligkeit des reinen Geistes. Darf ich an ein dichterisch Goethewort erinnern? »Licht, wie es mit der Finsternis Farbe wirkt, ist ein schönes Symbol der Seele, welche mit der Materie den Körper bildend belebt. So wie der Purpurglanz der Abendwolke schwindet und das Grau des Stoffes zurückbleibt, so ist das Sterben des Menschen. Es ist ein Entweichen, ein Erblassen des Seelenlichts, das aus dem Stoffe weicht« (Gespräch mit Riemer, 1808).

Es gibt zwei verschiedene Arten für dichterische Naturen, zur Weiblichkeit ein Verhältnis zu finden – und nicht nur für dichterische Naturen, für den wachsenden, lebenstiefen Mann überhaupt. Die erste Art ist das diesseitige Zugreifen, Begehren, Besitzen. Sie ist im Haushalt der Natur eine unvergleichliche Kraft; sie weckt in ihrem Gefolge eine Fülle von anderen Kräften, ein Gewoge von Sturm und Stille, von Mutterliebe und Vatersorge, von Austausch vielfältigster Lebensbetätigung. Wieviel fröhliche und traurige Lieder haben die Minne besungen!

Aber auf einer gewissen Lebensstufe, wo der bejahende Wille zum gewöhnlichen Leben abnimmt, wo der vordem naiv in die Welt ziehende und hie und da zugreifende Jüngling stutzt, Enttäuschungen erlebt und endlich zum Nachdenken kommt wie ein Junge, dem öfters auf die begehrlichen Finger geklopft worden – beginnt nach etlicher Tiefstimmung ganz sachte eine feinere Form von Liebe zu reifen. Die Art, wie jetzt der Dichter überhaupt in die Umwelt schaut, ist eine neue vergeistigte, verinnerlichte Widerspiegelung. Goethe hat das in »Iphigenie« und »Tasso« zart und klar geprägt, unter der führenden Hand der Frau von Stein. Sie war es, die ihn aus dem ersten Lebensalter, das ich oben kennzeichnete, hinüberführte in eine höhere Vollendung. »Seit ich in deiner Liebe ein Ruhen und Bleiben habe, ist mir die Welt so klar, so lieb.« – »Durch dich habe ich einen Maßstab für alle Frauen, ja für alle Menschen, durch deine Liebe einen Maßstab für alles Schicksal. Nicht daß sie mir die übrige Welt verdunkelt, sie macht mir vielmehr die übrige Welt klar; ich sehe recht deutlich, wie die Menschen sind, was sie sinnen, wünschen, treiben und genießen.« – »Ja, liebe Lotte, es wird mir erst deutlich, wie du meine eigne Hälfte bist und bleibst. Ich bin kein einzelnes selbständiges Wesen, alle meine Schwächen habe ich an dich angelehnt, meine weichen Seiten durch dich beschützt, meine Lücken durch dich ausgefüllt.«

Wie Dante durch Beatricens verklärenden Geist, so wurde Goethe durch diese verklärt aufgefaßte Frauengestalt in eine reifere Sphäre des Menschtums hinübergeleitet. Im Keime lag das natürlich in ihm: es bedurfte bloß des elektrischen Sonnenstrahls von ihr, und sein belebtes Inneres begann zu sprießen. Ein formenfröhlicher Künstler und empfänglicher Dichter blieb er nach wie vor, aber das geistige und das vergeistigende Auge in ihm war nun feinsichtiger geworden, und nicht nur sein Auge: seine ganze Natur, sein Stil, seine Lebensführung.

So mild und weit betrachte man die Wirkung des Weiblichen auf höhere Dichternaturen. Wie kleinlich hat man da oft über Goethe gesprochen! Man spricht von leichtfertigen »Liebesaffären«, von zerstörtem Lebensglück und dergleichen. Mit Recht wies kürzlich eine Frau diese Verkleinerer zurecht: »Versucht man, den Meister gegen solche Verdächtigungen in Schutz zu nehmen, so werden einem die Namen all der holden Wesen aufgezählt, deren Lebensglück er zerstört hat. Wenn man auch noch so wenig aus der Literaturstunde behalten hat: die elfenzarte Friederike, die neckische Lili, die liebliche, hausmütterliche Lotte vergißt man nicht. Wir glauben sie so gut zu kennen, diese liebenswürdigen Wesen. Und der sie uns so zart und anmutig schildert, der soll ein kalter Egoist gewesen sein? Ich meine, wir kennen sie nicht ganz: nur ihre verklärten Abbilder. Alle störenden Züge, alles Kleinliche, Unedle hat er weggelassen, der Große. Wir aber begeistern uns für die feinen Pastellbildchen, die er uns gezeichnet hat, der Meister; und zum Dank nehmen wir für das Bild Partei gegen den Schöpfer.«

Verklärte Abbilder – darin liegt's. Er wollte nicht ihren bürgerlichen Namen, nicht ihr Vermögen, nicht ihre körperliche Erscheinung festhalten: ihm war von überragendem Wert die seelische Wirkung, das Abbild. Das bewahrte er nach dem Ungestüm des ersten Zugreifen-Wollens in liebendem, leidendem Herzen und gab es dann, von allen Schlacken geläutert, wunderbar vergoldet der Welt wieder.

Kann ein Dichter in feinerer Weise seinen Dank aussprechen?

 

Man muß einen reichen Sommer über immer wieder Einschau halten in die viele ungekünstelte Herzlichkeit und das viele seelenstarke Sorgentragen im deutschen Hause, um ganz zu empfinden, welches Bohèmientum und welche Boudoirluft über Europa hin als moderne Errungenschaft Bücher und Bühnen besetzt hält. Wie wir dem Reichskörper eine Reichsseele zu schaffen haben, so wird es zu unseren edelsten Arbeiten gehören, die Achtung vor dem wahrhaft Weiblichen und den Wert des wahrhaft Weiblichen als gut-altes Erbteil ehrfurchtsvoll und tapfer wieder auf den Thron zu stellen.

Wir sind in den Tagen einer etwas aufgeregten Frauenbewegung. Es werden sich in der Tat manche Berufe mutigen Frauen noch erschließen lassen, – ob alle, die man heute verlangt, ist mir fraglich. Ich fürchte, selbst bei bester Eingewöhnung wird die Frau oder Jungfrau in manchem herben Beruf ihr Feinstes verlieren, ihr warmes Ich, ihre weibliche Sonderart. In Bureau- und Massenarbeit gedeiht die Kraft der Verinnerlichung nicht. Und gerade das fehlt unserem Zeitgeist. Magensorgen sind ein traurig Ding, aber Herzenssorgen und Seelenverkümmerung sind schlimmer. Und wieviel leichter ließen sich soziale Nöte tragen, überwinden und verklären dazu, wenn jene stärkste Kraft des alten Königs Midas: die Kraft des Vergoldens, reicher unter uns verbreitet wäre! Und wer soll sie verbreiten, wenn nicht die Verkörperung des Liebesgedankens, die gemütsstarke Frau?

Die Frau – und der Dichter, der Erzieher der Erwachsenen. Das Wort, der Sänger solle mit dem König gehen, da sie beide auf der Menschheit Höhen stehen, bedarf einer zarten Ergänzung. Gewiß sei der Poet ein Held und König; aber der wahre Held sei auch gütig. Wahre Größe ist gütig, wahre Ritterlichkeit ist gütig. Wenn ich stark bin, darf ich aus meinem Überfluß spenden und verschenken. Und das Köstliche beim Austeilen von Liebe und Güte ist es ja, daß der Geber davon nur immer reicher wird. Der Dichter muß nicht minder mit edlem Frauentum und anregendem Mädchen- und Kindersinn Hand in Hand gehen.

Edles Frauentum, das über Triebe und Beschwernisse derart zu siegen wußte, daß die Seele nur immer reicher und stärker aus Kämpfen sich ein Lichtgewand wob, ist eine Volkskraft, ist ein volkswirtschaftlicher Gewinn für den ganzen Umkreis. Es kommt aus ihrem warmen Hauch und aus ihren zarten Händen ein magnetischer Strom von Wohltun und Beruhigung.

Das Evangelium nennt die Liebe das Höchste; wir dürfen das nicht so eng fassen, als wäre nur eine farblose Liebe zu »Gott« oder »Kirche« gemeint. Bist du im Gesamtzustande liebevollen und hoheitvollen Verklärens deiner kleineren oder größeren Welt, so spiegelt sich das in allem wieder, im Schmücken und Ordnen deines Heims, wie in deinem Schaffen für Staat, Volk und Zeitgeist. So sehr auch entartete Liebe sich verhäßlichen, ja verteufeln kann, so wahrhaft über alle Vernunft hinaus kann Liebe steigen. Aber andererseits – und das ist eine Art Trost – steht selbst entartete Liebe, sofern sie Leidenschaft ist, dem Himmelreich hohen Menschentums immer noch näher als dürre und erstorbene Alltäglichkeit. Wahre Leidenschaft verbrennt sich rasch; der treibende Wille dahinter aber, wenn er nicht ganz von Dämonen zerrüttet ist, kann sich ebenso stürmisch auf edle Dinge werfen, wie wir das an manchem Augustinus erlebt haben, der erst nach unrein wilder Jugend seine Kräfte sammelte auf den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht. Christus hat nicht umsonst das tiefe und weite Wort gesprochen: »Ihr ist viel vergeben, denn sie hat viel geliebt.« Wo Liebe ist, da ist Wachstum möglich; wo gar keine Liebe und gar kein Wille mehr treibt und glimmt – da freilich ist der Tod.

Liebt unsere Zeit mächtig genug? Kaum. Sie ist lüstern, sie ist erotisch, sie krankt an Entartungen; auch ist sie gelegentlich sentimental, zweifelnd, spöttelnd. Aber zur echten Lyrik und zur echten Tragik gehören echte Liebe und echte Leidenschaft. Mag die Liebe sündigen, sie wird ihre Wildheit büßen – aber sie sei gesegnet, wenn sie mit Kämpfen des Willens und des Gewissens verbunden bleibt, wenn sie stolz bleibt, wenn sie noch weinen und beten kann!

Wenn jemals, so bedürfen wir heute der Mithilfe echten Frauentums. Es müßte wie ein Abendrot Herzensgüte ausgeschüttet werden in die graue Luft eines freudlosen Zeitgeistes; es müßte wie ein Abendglöckchen reines Herzenslachen diese schwere Luft wieder in Schwingungen versetzen. Dann wäre auch für die schwerste Frage, für die wirtschaftliche Frage, eine bessere Gesamtstimmung geschaffen: wir würden uns freundlicher und bereitwilliger zu verstehen suchen.

Als in den Tagen der Königin Luise Deutschland in Not war, da gab manch eine Frau »Gold für Eisen«. Deutschlands Kultur ist in Not wie damals: heute gilt es, das Gold der Gemütskraft hinauszugeben für das Eisen der Zeit, das sich unter euren Händen wieder in Gold verwandeln wird.

 

Nietzsche und Schopenhauer haben herb und ätzend über Frauen gesprochen. Beide waren Bewunderer Goethes. Sie sind hierin diesem Frauenkenner und Frauenschilderer mit seinem seherischen Tiefblick nicht nachgefolgt. Es ist mit der Stellung zu den Frauen ähnlich wie mit der Stellung zu Pflanzen und zur Natur überhaupt. Jene beiden Denker fanden auch zur Natur kein unmittelbares Verhältnis; ihre Sinne waren zu sehr, wie einmal F.A. Lange allgemein sagt, »Abstraktionsapparate«. Dem mehr denkenden als schauenden Schiller erging es, obwohl in ganz anderem Sinne, ähnlich. Er hat uns in seinen Dichtungen zu geistige und einseitige Frauen geschildert, während der naturnahe, sinnenschärfere Shakespeare hierin Meister war. Aber Schillers tieflauteres ethisches Gemüt sprach allezeit hoch und würdig von der Frau, so etwa wie Goethe im gereiften »Tasso«, wo im zweiten Aufzug die bekannte schöne Umschreibung des »Erlaubt ist, was sich ziemt« unserer herzlichen Zustimmung sicher ist.

»Willst du genau erfahren, was sich ziemt,
So frage nur bei edlen Frauen an,
Denn ihnen ist am meisten dran gelegen,
Daß alles wohl sich zieme, was geschieht.
Die Schicklichkeit umgibt mit einer Mauer
Das zarte, leicht verletzliche Geschlecht.
Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie,
Und wo die Frechheit herrscht, da sind sie nichts.
Und wirst du die Geschlechter beide fragen,
Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.«

Die Stellung zur Frau ist ein Gradmesser der Ungetrübtheit unseres Seelenspiegels. Ist seine Fläche oder Wölbung blank und glatt, so fällt auch das Weltbild samt Sternen und Bergen, Blumen und Frauen mit so zarten Konturen hinein, wie eine Landschaft in einen ruhigen Teich. Magst du üble Erfahrungen mit mancher garstigen, kränklich-verstimmten oder unedlen Frau gemacht haben – die Gesamtheit deines Urteils darf das nicht beeinflussen.

Wir wollen noch eins nicht vergessen: der Körper der Frau ist im Entwicklungsplan der Erde stärker in Anspruch genommen als der leichter schreitende Mann. Viel Frauenlaune gilt es hieraus zu verstehen. Wenn sich mancher Jüngling sachlich und nüchtern klarlegte, daß das Weib, also auch seine Mutter, unter Lebensgefahr und zahllosen Schmerzen und Sorgen die Erhaltung des Menschengeschlechts im Gange hält, er würde ernster und minder lüstern über Frauen sprechen oder an ihnen handeln.

 

Und wenn mich nun eine Frau fragen würde: Gewiß, wir wollen ja mitarbeiten, aber wo ist unser Feld? – so stehe ich nicht an, weitherzig zu antworten: Wo immer ihr es euch schafft. Solange nur euer Gemüt und eure Weiblichkeit nicht nur »nicht Not leiden« – denn das wäre schon ein Stillestehn und also Rückgang –, sondern sich recht betätigen als Ergänzung des männlichen Kampfes, da gilt das tapfere Wort: »Alles ist euer!«

Jede hat irgendwie einen Kreis, den sie ausbauen kann – sie fange mit sich selber an! Sie sei selber in wirrer Zeit eine harmonische Erscheinung für die drei oder vier Menschen ihres Umkreises! Hier ist freilich der Mann besser dran: er hat mehr Einsiedlerkraft. Die Frau bedarf des Austausches, des Empfangens und Gebens meist mehr als der Mann. Dafür hat sie um so mehr Kräfte der Geduld, wenn sie zuletzt entsagen muß.

Freilich sind auch hier große Wertunterschiede zwischen den einzelnen Frauen. Wie manche Weiblichkeit muß auf kümmerlichem Erdreich vorzeitig verblühen – wie eine Pflanze um uns her, in deren Gesetze wir erbarmungslos nach unübersehbarem Weltplan eingebaut sind. Sie alle, diese verkümmerten Pflanzen, möchte man trösten, in alle Fernen hin und nach tausend Seiten zugleich, wenn man dessen die Macht hätte. Aber dies Frauenleid ist nur eine der Formen, unter denen das vielfältige Leid der Erde auftritt; unsere Leiden sind wieder anderer Art.

Es geht ein Ruf durch diese Zeit, noch von wenigen gehört und von ganz wenigen klar gedeutet. Ein Ruf, der aus tiefen Wäldern kommt, wie eine Bitte um Erlösung. Horchet auf, zieht aus in den Dornröschen- und Schneewittchenwald und sucht die vergessene Königin wieder: die Gemütsmacht der Frau, die Seele der Menschheit!

Wenn wir wieder gesegnet sind von ihren königlichen Kräften, so wird sich das wie ein Wetterumschwung auf alles und alle durchdringend verbreiten, bis in den kleinsten Haushalt hinein. Wie nach langem, drückendem Regen die Morgenluft eines wiederum einziehenden Sommertages so beherrschend wirkt, daß uns seine Reinheit schon in aller Frühe beim Aufstehen wonnig durchströmt.

Thüringer Tagebuch

 

Es war im Sommer 1750, als Klopstock einer Einladung seines Verehrers Bodmer an den Züricher See folgte. Die Reise begann mit einer Fahrt nach Magdeburg; der treue Gleim holte den Dichter in einem vierspännigen Wagen ab und entführte ihn zunächst in einen Magdeburger Freundeskreis. Dort drängten sich einflußreiche Männer und besonders auch Frauen um den jungen Dichter; er las aus dem »Messias« vor; er wurde nach den damals noch geltenden freieren und herzlichen Sitten mit Küssen belohnt und sah manche dankbare Träne in den Augen seiner ergriffenen Zuhörerinnen. Vor Rührung vermochte er selber die berühmte Ode an seine geliebte Fanny nicht vorzulesen; Gleim las sie endlich, und der junge Liebende verbarg sich derweil hinter den Reifröcken und Sonnenschirmen. Man fragte, wer »Fanny« sei, man wollte Genaueres über die Beglückte wissen, die aus einem einfachen Fräulein Schmidt zu einer unsterblichen Literaturgestalt geworden war. Der kleine Klopstock strömte über von dem Lobe der stattlichen Geliebten, die gegen ihren dichtenden Vetter bekanntlich kühl blieb. Und so voll war nachher des Jünglings Herz, daß er keinen Schlaf fand: er ging im mondscheinhellen Garten noch lange umher und dachte betend an Fanny.

Betend hat er dort in Bachmanns Garten an Fanny gedacht. Er selbst erzählt uns dies alles in einem Brief an Fanny vom 10. Juli 1750. Man nannte jenen an der Elbe gelegenen Garten »die glückliche Insel«; und in der Tat auf einer glücklichen Insel bewegte sich das Denken und Dichten dieses ersten weitwirkenden, weitverehrten Sängers, den Deutschland nach langer Literaturkälte wieder lieben konnte. Sein Dichten war Gebet, Andacht, Verehrung – auch Schwärmerei und Überschwang –, auf alle Fälle aber stürmisch mitfortreißende Gemütswucht.

Welche Gemütspoesie steckt da oft zwischen vielem Veralteten, z.B. im Zuruf an seine Freundin: »Wo bist du, Freundin?«

Dich sucht, Beste, mein einsames,
Mein fühlend Herz, in dunkler Zukunft,
Durch Labyrinthe der Nacht hin sucht's dich!

Beachten wir den metrischen Schwung dieser antiken Strophe: »Durch Labyrinthe der Nacht hin sucht's dich!«

Diese Gemütswärme ist für die ganze Epoche bezeichnend. Noch der greise Goethe wird von der Liebe zu Ulrike von Levetzow so ergriffen, daß er krank wird und jene wehmutvolle »Trilogie der Leidenschaft« (1823) schreibt, in der eine schöne Strophe abermals dem weit vorausgegangenen jungen Klopstock die Hand reicht:

In unsres Busens Reine wogt ein Streben,
Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträtselnd sich den ewig Ungenannten:
Wir heißen's fromm sein. Solcher sel'gen Höhe
Fühl' ich mich teilhaft, wenn ich vor ihr stehe.

Betend denkt dort der Jüngling an Fanny; fromm wird hier der Greis vor Ulrike. Gemütserhöhung dort und hier!

Nicht anders hält es Schiller in seinen Briefen und Dichtungen, sobald sich – wie dort bei den Schwestern Lengefeld, wie schon den Damen Wolzogen gegenüber – seines Wesens die Liebe bemächtigt. Aus unreinem Chaos strebt er empor in das »Ehret die Frauen! Sie flechten und weben himmlische Rosen ins irdische Leben!« In all seinem Schaffen bemerken wir den Zug, soweit es sich eben mit der dramatischen Charakteristik vereinigen läßt, edel von der Frau und würdig vom Manne sprechen. Nicht um das Weltbild zu fälschen, gestalten jene Dichter in solcher Form, sondern weil sich ihnen vermöge ihrer Geistesstruktur gerade so und nicht anders das Weltbild und die Weiblichkeit darstellen.

Was du auch gibst, stets gibst du dich ganz, du bist ewig nur eines:
Auch dein zartester Laut ist dein harmonisches Selbst.

Es ist eine Fortsetzung der Tonart, in der ein Walther von der Vogelweide vom Frauentum gesprochen hat. »Süß und geblümet sind die reinen Frauen!« Und welcher Realist will denn sagen, daß etwa »die Frauen« nicht so seien. Etwas Adliges in der Frau wirkt so auf den adligen Mann; an dieses Etwas knüpft der Sänger an, sobald sie in seinen liebenden Bereich tritt. Und so ist für diesen Blick Demoiselle Brion nicht irgendein vergänglich Pfarrerstöchterlein, sondern eine unsterbliche Seele, geformt in einen anmutigen Menschenleib, einem anderen Unsterblichen begegnend auf der kurzen Fahrt über diesen Planeten. In ihm leuchtet Poesie auf bei dieser Begegnung; er dankt ihr, indem er ihre Gestalt verklärt und in die immergrünen Haine der Dichtung einführt. So wirkte Beatrice auf Dante; so Laura auf Petrarka; so Heloise auf Abälard. Aus jener geheimnisvollen Leuchtkraft in uns trifft ein Strahl auf die vorüberwandelnde Gestalt – und plötzlich, vermöge dieser neuen Beleuchtung und Sehweise, befinden wir uns in Poesieland und sind der Materie entrückt. Wichtige Begegnungen dieser Art, nicht nur zwischen Mann und Weib, sind wie ein elektrisches Aufblitzen; der Berührte schaut für einen Augenblick Unendlichkeit in diesem Blitzlicht und wird entzückt und geblendet. Der Dichter aber hält vermöge einer besonderen Magie das Erschaute fest.

Besonders Goethe ist von weiblicher Anregung lebenslang begleitet worden. Noch Fausts Unsterbliches wird von »liebenden Flammen« emporgetragen. Das so erfaßte Weibliche zieht nicht in den Schlamm hinab, sondern ins Licht »hinan«. Selbstverständlich fehlt es bei diesen phantasievoll-sinnenfrischen Naturen nicht an »Miseleien«, Liebschaften und Leidenschaften, an Wirbeln der Sinnlichkeit, an Tändelei und Leichtsinn; aber es stand über diesem notwendigen Chaos holder und gefährlicher Erdkräfte dennoch die übersinnliche Kraft und gab letzten Endes den Ausschlag. Denn diese Männer waren keine Feministen und Sexualisten; und so schlug ihr kräftiger Geist Feuer aus dem weiblichen Gestein; das so geweckte Weibliche wirkte wieder auf den Mann zurück; und beide Polaritäten trieben sich in der Entwicklung höher hinan. »Der Mann sei mannlich, so wird die Frau fraulich sein«, hat der alte Jahn gerufen. Wie also Goethe dankbar und ritterlich bekennt: »Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan«, könnte eine echte Frau ebenso dankbar antworten: »Das Ewig-Männliche zieht uns hinan.« Denn im wohltätigen Wechselspiel der Kräfte besteht eben das Geheimnis.

Neue Ideale


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