Friedrich Lienhard
Das Landhaus bei Eisenach
Friedrich Lienhard

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Vierzehntes Kapitel. Das Wartburgfest.

Als nun der große Tag gekommen war, sah man in den Gassen und Gäßchen der Wartburgstadt, paarweise und in Gruppen, Scharen der Musensöhne einherziehen und sich nach und nach auf dem Marktplatz sammeln. Sie waren, nach echter Turnerweise, zu Fuß, mit dem Ränzel auf dem Rücken, oder auch zu Wagen und zu Pferd von allen Enden Deutschlands herbeigeeilt und, soweit sie nicht im Rautenkranz wohnten, von den Bürgern gastfreundlich aufgenommen worden. Die ganze Stadt stand im Zeichen dieser jugendfrohen Begrüßung. Es waren an die 500 junge Menschen, die trotz aller Festbegeisterung in keiner Weise Ruhe, Ordnung und Anstand störten. Besonders mit dem Eisenacher Landsturm und dem an diesem Tage anwesenden preußischen Militär herrschte die erwünschteste Eintracht und gegenseitiges freundliches Benehmen, wie der Landesdirektor Philipp Wilhelm von Motz in einem Schreiben an den Großherzog rühmend hervorhob.

Der Herbstmorgen ließ sich zunächst noch ein wenig nebelig und umwölkt an. Aber als sich vom Marktplatz aus der stattliche Zug mit Fahnen und Musik in Bewegung setzte, um zu zwei und zwei den vielgewundenen Weg zur Wartburg emporzumarschieren, entwölkte sich die goldene Herbstpracht der Laubwälder; und auf der Burg brach die Sonne durch, um fortan einen reinblauen Herbstsonnentag zu beglänzen.

Überall in den Reihen der Burschen herrschte eine erhöhte, wenn nicht gar kirchlich-ernste Stimmung, der Reformationsfeier angemessen.

Voran ging der stattliche Jenaer Scheidler, aus Gotha gebürtig, Mitbegründer der Burschenschaft; er trug das Burschenschwert, das Zeichen der Wehrhaftigkeit, feierlich von vier Burschen begleitet, und war zugleich Burgwart, der im Bann der Burg für Ordnung zu sorgen hatte. Der bärtige Graf Keller aus Stetten bei Erfurt, von vier Fahnenwächtern umgeben, hielt hoch in Händen das schwarz-rot-goldene Banner mit dem goldenen Eichenkranz, das von jungen Mädchen der akademischen und gebildeten Bürgerkreise zu Jena gestickt worden war. Der größte Teil dieser studentischen Jugend war in jenen halblangen, dunklen Röcken mit weißen Kragen, die man damals die altdeutschen hieß. So wanderten die schlanken, lockigen Jünglinge, meist Arm in Arm, unter dem Festgeläut aller Glocken in langem Zuge auf die heilige Burg empor.

Auch Ulrich und Petersen schritten Arm in Arm; und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte sich in seiner Begeisterung der alte Schattenmann angeschlossen, hielt sich aber aus gesundheitlichen Gründen zurück und begnügte sich, vom Dachfenster seines Hauses aus den langen Zug mit Blicken und Segenswünschen zu begleiten.

Jena, als Hochschule des Weimarischen Landes, hatte die Mehrzahl der Burschen entsandt; auch aus Berlin, Erlangen, Göttingen, Gießen usw. kamen nicht wenige. Vor allem sind etwa 30 Burschen aus Kiel zu preisen, die den weiten Weg nicht gescheut hatten. Die vielen, von allen Seiten her eingelaufenen Briefe, Schriften und Lieder waren noch am Morgen, als alle auf dem Marktplatz angetreten waren, unter sämtliche Burschen verteilt worden. Und noch eins: einige Studenten waren in den nahen Wald hinausgelaufen, brachten von dort Eichenzweige mit, verteilten sie unter die Menge – und alle schmückten sich mit deutschem Eichenlaub. Auch viele Bürger und Bürgerinnen aus Eisenach zogen im Festzug mit empor.

Die großherzogliche Wache am Burgtor wehrte dem Massenandrang, so daß die Burschen langsam und geordnet durch die dunkle Torhalle in den Burghof einzogen, wo sie vom Klang und Spiel der bereits vorangeeilten Musikanten empfangen wurden. Auch der Rittersaal war mit grünen Eichengewinden schön geschmückt und viele Bänke für die Festgäste aufgestellt.

Die vier in Eisenach anwesenden Professoren der Jenaer Akademie, Geheimrat Schweizer, Hofrat Oken, Hofrat Fries und Hofrat Kieser, hatten sich schon zuvor auf die Wartburg begeben und warteten nun im Saal an den ihnen angewiesenen Ehrenplätzen auf den in ernster Stimmung einziehenden Festzug. An dem schlichten Rednerpult wurden die Banner aufgestellt, und bald brauste der Festgesang »Ein' feste Burg ist unser Gott«, von Dürres Tenor mächtig geleitet, durch den vollen Saal. Dann schritt der stud. theol. Heinrich Arminius Riemann aus Ratzeburg, mit dem Eisernen Kreuz geschmückt, auf den Rednerstuhl. Zuerst bescheiden und fast schüchtern die Festversammlung begrüßend, wuchs Riemann mit seiner Rede gewaltig, pries das Wiedergeburtsfest des freien Gedankens und das Errettungsfest des Vaterlandes aus schmählichem Sklavenjoch und nannte als Zweck der Zusammenkunft, daß »wir gemeinschaftlich das Bild der Vergangenheit uns vor die Seele rufen, um aus ihr Kraft zu schöpfen für die lebendige Tat der Gegenwart; daß wir gemeinschaftlich uns beraten über unser Tun und Treiben, unsere Ansichten austauschen, das Burschenleben in seiner Reinheit uns anschaulicher zu machen suchen; und endlich, daß wir unserem Volke zeigen wollen, was es von seiner Jugend zu hoffen hat, welcher Geist sie beseelt, wie Eintracht und Brudersinn von uns geehrt werden, wie wir ringen und streben, den Geist der Zeit zu verstehen, der mit Flammenzügen in den Taten der jüngsten Vergangenheit sich uns kund tut.« Dann ging der Theologe zu Luthers Werk über und auf den Sieg von Leipzig. »Zum vierten Male, meine versammelten Brüder, werden heute die Flammenfeuer gen Himmel lodern, uns zu erinnern an das Geschehene und zu mahnen an die Zukunft. Vier lange Jahre sind seit jener Schlacht verflossen; das deutsche Volk hat schöne Hoffnungen gefaßt, sie sind alle vereitelt; alles ist anders gekommen, als wir erwartet haben; viel Großes und Herrliches, was geschehen konnte und mußte, ist unterblieben; mit manchem heiligen und edlen Gefühl ist Spott und Hohn getrieben worden. Von allen Fürsten Deutschlands hat nur einer sein gegebenes Wort eingelöst: der, in dessen freiem Lande wir dieses Fest begehen; über solchen Ausgang sind viele wackere Männer kleinmütig geworden, meinen, es sei nichts mit der viel gepriesenen Herrlichkeit des teutschen Volkes und ziehen sich zurück vom öffentlichen Leben, das uns so schön zu erblühen versprach, und suchen in stiller Beschäftigung mit der Wissenschaft Entschädigung dafür... Nun frage ich euch, die ihr hier versammelt seid in der Blüte eurer Jugend, mit all den Hochgefühlen, welche die junge frische Lebenskraft gibt, euch, die ihr dereinst des Volkes Lehrer, Vertreter und Richter sein werdet, euch, die ihr zum Teil schon mit den Waffen in der Hand, alle aber im Geist und mit dem Willen für des Vaterlandes Heil gekämpft habt, ich frage euch, ob ihr solcher Gesinnung beistimmt? Nein! Nun und nimmermehr! In den Zeiten der Not haben wir Gottes Willen erkannt und sind ihm gefolgt. An dem, was wir erkannt haben, wollen wir aber auch nun halten, so lange ein Tropfen Blutes in unseren Adern rinnt. Der Geist, der uns hier zusammenführt, der Geist der Wahrheit und Gerechtigkeit soll uns leiten durch unser ganzes Leben, daß wir, alle Brüder, alle Söhne eines und desselben Vaterlandes, eine eherne Mauer bilden gegen jegliche innere und äußere Feinde des Vaterlandes, daß uns in offener Schlacht der brüllende Tod nicht schrecken soll, daß uns nicht blenden soll der Glanz des Herrscherthrones, zu reden das starke, freie Wort, wenn es Wahrheit und Recht gilt!«

Und Riemann schloß mit den inbrünstigen Gebetsworten: »Ewiger, allgütiger Gott, der du dein treues Volk erweckt hast aus der Finsternis, der du es erleuchtet hast und ihm den Weg geöffnet zu deiner reinen Erkenntnis, der du dein gebeugtes und zertretenes Volk aus den Fesseln der Zwingherrschaft und Knechtschaft erhoben hast zur Freiheit: höre das Flehen deiner Kinder, die hier im Staube sich vor dir beugen; laß unser Gebet dir wohlgefällig sein! Sieh gnädig herab auf unser teutsches Vaterland, laß es gedeihen in Freiheit und Gerechtigkeit, zu deiner Ehre, zu deinem Ruhme! Laß es gedeihen in Einigkeit und Treue, daß noch späte Enkel den Tag preisen, wo du uns der Freiheit Türe geöffnet hast. Laß gesegnet sein diesen Tag, daß er stets wiederkehre zur Freude deines einigen, dankbaren und freien Volkes! Amen!«

Dann folgte, von der ganzen Gemeinde gesungen, das Lied »Nun danket alle Gott«. Hofrat Fries war während desselben von einigen seiner Schüler gebeten worden, eine Ansprache an die Burschen zu richten; und als der Choral verklungen war, bestieg er mit elastischem Schritte das Rednerpult und rief feurige Worte in die Versammlung: »Ihr teutschen Burschen! Aufgefordert von euch, zu sprechen, gebe ich euch keine Rede, keine Lehre, nur ein Wort des Gefühls, ein Wort, ein treues Wort im Namen eurer freien Lehrer ausgesprochen! Sei uns gegrüßt, du helles Morgenrot eines schöneren Tages, der über unser schönes Vaterland heraufkommt! Sei uns gegrüßt, du geisteswarmer, jünglingsfrischer Lebensatem, von dem ich durchhaucht fühle mein Volk! Ihr teutschen Burschen! Laßt euch den Freundschaftsbund eurer Jugend, den Jugendbundesstaat, ein Bild werden des vaterländischen Staates, dessen Dienst ihr bald euer ganzes Leben weihen wollt. Haltet fromm bei Tapferkeit, Ehre und Gerechtigkeit, wie euch so schön gesagt wurde in schöner Rede, die ihr eben vernommen habt. Ihr teutschen Burschen! Lasset uns aus dem Freundschaftsbund eurer Jugend den Geist kommen in das Leben unseres Volkes, denn jünglingsfrisch soll uns erwachsen teutscher Gemeingeist, für Vaterland, Freiheit und Gerechtigkeit! So bleibe euch und uns der Wahlspruch: EinGott, einteutsches Schwert, einteutscher Geist für Ehre und Gerechtigkeit!«

Und dann, als der Vorsänger Dürre über die Versammlung den Segen gesprochen hatte, nahm man nach kurzer Pause an den drei Reihen Tischen zum Festessen Platz. Es war eine einzigartige Tischgesellschaft versammelt, von dem heiligen Geist großzügiger Vaterlandsliebe durchglüht; und neben den gemeinsamen Liedern zuckten immer wieder kurze knappe Trinksprüche flammend empor: »Dem Manne Gottes, Doktor Martin Luther!« – »Dem edlen Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, dem Schirmherrn dieses Tages!« – »Den Siegern von Leipzig!« – »Den Freiwilligen von 1813, euch deutschen Burschen zum Vorbild!« –

So verklang in herrlicher Feststimmung dieser Feiertag auf der festlich belebten, menschenvollen Wartburg.

Auf eine Einladung des General-Superintendenten Nebe zog dann die Festversammlung nach vollendetem Mahl den Berg hinunter in das Gotteshaus, wobei sich der Landsturm von Eisenach anschloß. Nach diesem Festakt, der dem Tag vollends eine kirchliche Weihe gab, übte wieder das jugendliche Freiluft-Turnspiel sein Recht aus. Man zerstreute sich zu diesen Übungen der Kraft und Gesundheit auf den Marktplatz. Und erst am Abend, gleichsam als heiteres Nachspiel, beschlossen Landsturm und Studenten gemeinsam auf den Wartenberg zu ziehen (der im Volksmund auch Watenberg genannt wird) und unter Gesang und Reden – wobei der Student Roediger flammende Worte fand – die Verbrennung mißliebiger Bücher ins Werk zu setzen. Ihr Flammenschein sollte freilich weithin unangenehmes Aufsehen erregen und manches andre politische Feuer entfachen ...


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