Friedrich Lienhard
Das Landhaus bei Eisenach
Friedrich Lienhard

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Viertes Kapitel. Studenten

Bei der Landsmannschaft »Burgundia« war ein Burschenschafter aus Jena zu Gast. Es war Semesteranfang; man saß im Hinterzimmer des »Goldenen Affen«. Regelrechte Kneipabende hatten noch nicht begonnen, da mehrere noch nicht anwesend waren. Ein Dutzend Burschen und Füchse lungerten vor den Humpen und rauchten. Im Nebelgewölke zeichneten sich einige Charakterköpfe in oft phantastischer Tracht in das blaue Gewölk hinein und verschwanden wieder unter vorüberwogendem Rauch. Trinkzurufe waren in vollem Schwung; es jagten sich die Vivat und Schmollis rund um den Tisch. Manchmal sprang einer der jungen Leute rasch und steil empor, rief mit ausgestrecktem Humpen ein donnerndes Pereat auf irgendeine Untugend oder auf eine unbeliebte Persönlichkeit in den fröhlichen Lärm hinein, leerte unter dem heiter zustimmenden Gebrüll der Kommilitonen sein Maß und setzte sich wieder.

Das Studentenleben, damals nicht mehr so roh und wild wie noch vielfach im achtzehnten Jahrhundert, war immer noch abenteuerlich genug und immer mit Übermut geneigt, toll über die Stränge zu schlagen. Schon herrschte der ernste deutsche Rock vor. Aber zu Mumpitz und Maskeraden aller Art war man immer aufgelegt. Die Landsmannschaft »Burgundia« war der wildesten eine; besonders ihr Senior hatte den Ruf eines außerordentlichen Raufers und führte Hieb- und Stoßklinge ebenso meisterhaft, wie er seinen Humpen schwang und mit ungewöhnlicher Zugkraft leerte.

Gangolf saß am oberen Ende des länglichen Tisches und hatte an diesem Abend eine Art Kürassierhelm mit mächtigem Haarbusch auf dem festen Schädel, darunter einen dunklen Samtflausch etwa nach polnischer Art, dessen Kragen weit offen stand, als wollte der vollblütige Hals das Kleid sprengen. Die anderen um ihn her trugen meist rote Mützen mit starken Schirmdeckeln, die sie oft beim Zutrinken lüfteten, um dann die Mützen wieder verwegen in den Nacken zu stülpen. Einige trugen Husarenpelzmützen oder gar den Tschako eines Landwehrbataillons. Die »Burgundia« war auf einer Exkneipe versammelt, wobei die Füchse vorherrschten, deren sich der Senior besonders annahm.

»Also, Riemann aus Jena!« rief er. »Willkommen, Vandale, auf der Durchreise! Vandalia – vivat, crescat, floreat!

Sie sprangen auf, die Studenten, und stießen brausend mit an. Und Gangolf, als er sich wieder gesetzt hatte, fuhr fort: »Wenden wir unsere Aufmerksamkeit diesem animal metaphysicum aus Jena zu! Wie steht's dort? Es sollen daselbst Reformen der Studentenschaft im Gange sein, die mir ganz und gar verdächtig sind. Sittlichkeitsapostel, was? Es wird euch ergehen, wie weiland der Sulphuria oder dem Tugendbund! Diese verweigerten das Duell, die Duckmäuser – apage Satana, zum Teufel damit! Ein freier Bursch trägt keine Schlafmütze. Sauf' eins, Riemann, scheinst mir ein honoriger Bursch! Schmollis!«

Heinrich Arminius Riemann saß schmal und schlank etwas zurückhaltend an seinem Platz, dem Redner gerade gegenüber. Er trug an diesem Abend einen Rock in den Farben der Vandalen: scharlachrot, mit schwarzem Samt ausgeschlagen, den Kragen mit einem Eichelkranz aus Gold gestickt. Das Gesicht mit dem Schnurrbärtchen wirkte noch jünglinghaft, die blonden Locken quollen unter der Mütze vor; aber der ernste und entschiedene Blick schaute fest und ruhig in die Runde. Als er getrunken, sagte er, wobei er das st und sp nach hannöverscher Art aussprach: »Gut steht's in Jena, Kommilitonen. In dieser Musenstadt bin ich jetzt erst wieder warm geworden, denn ich habe zuletzt noch als Offizier der Paderborner Landwehr Kriegspflicht getan. Anständige Männer in Jena! Obenan der Geschichtsprofessor Luden. Der hat sich einst nicht vor den Franzosen gefürchtet, obwohl ihre Spione bis in die Türen des Hörsaales standen. Da sind meine Freunde Horn und Schröder – war ein Lützower – und mein lieber Siewerssen aus dem Holsteinschen, auch Kaffenberger aus Mainz – stand im dritten Bataillon bei Lützow – und nicht zu vergessen Bocholm, gleichfalls Ritter des Eisernen Kreuzes, und dann Scheidler und der Sohn des Kastellans der Wartburg – übrigens fällt mir auf, daß Schattenmann aus Eisenach noch nicht unter euch sitzt – – kurz, famose Burschen! Ein gut teutscher Geist in allem! Die sind nun seit einiger Zeit daran, eine Burschenschaft zu gründen, die alles wahrhaft und wehrhaft Studentische zusammenfaßt.«

»Das hat zwar meinen Beifall, aber auch meine Bedenken,« klang es aus Gangolfs Ecke. »Lieber hör' ich von Jenas Bierstaat, vom Großherzogtum Lichtenhain. Ich fürchte, ihr vernünftelt zu viel, ihr Jenaer Burschen. Gedeihen denn dort keine Zoten mehr oder kecke Redensarten, so daß man etliche von euch zu Professoren der Zotologie zu ernennen vermag?«

»Nein,« versetzte Riemann zögernd, »die mag's ja auch wohl noch geben; aber man sieht sie als veraltet an. Da ist zum Exempel Graf Strachwitz aus Schlesien, der vordem in Halle war, ein echter Junker, näselt ein wenig und spricht das st und sp wie Siewerssen und ich, obwohl er gar nicht aus dem Norden ist, wirkt also geziert und manieriert. Der hat immer eine Menge unsaubere Witze zur Hand. Na, laß ihn man! Auch bei den Kurländern kannst du dergleichen finden. Doch Himmel noch mal, Gangolf, meinst du, Bruder, daß man darum solange im Feld gefochten hat und das Eiserne Kreuz in Ehren trägt?«

Er selber trug das Eiserne Kreuz nicht ohne Stolz deutlich auf seinem Studentenrock.

»Was wollt ihr denn nun eigentlich mit eurer Burschenschaft?«

»Die Sache geht von meinen Freunden Dürre und Maßmann aus,« fuhr Riemann fort. »Die brachten den Gedanken von Halle her, wo sie aus Berlin durchreisten. Dort haben sie schon mit der Teutonia darüber geplaudert. Einigung der deutschen Studentenwelt – das ist ihr Lieblingsgedanke. Seht mal, Kommilitonen, wir haben draußen im Feld einmütig gegen Napoleon gestanden, alle Gaue miteinander – sollten wir nun nicht auch nach dem Kriege einmütig zusammenhalten, statt in Raufereien widereinander zu stehen? Freilich hören auch jetzt noch wegen lächerlicher Kleinigkeiten Duelle innerhalb der Burschenschaft nicht ganz auf, etwa zwischen Mecklenburgern und Thüringern, oder zwischen den alten Sachsen und Franken. Da hatte neulich Netto, der frühere Sachsensenior, innerhalb etlicher Monate schon das achte Duell. Oder da ist der große, starke Schröder, der nach meines Freundes Horn Abgang an die Spitze der Vandalen trat – na, der hält die Russen im Zaum – wißt ihr, die Kurländer und Liv- und Estländer. Sind übrigens feine Gesellen darunter. Aber schließlich: Sachsen und Mecklenburger und Thüringer und so weiter – sind sie nicht alle Deutsche? Da müssen wir Burschen in der Einheit vorangehen. Ernst Moritz Arndt hat es schon seherisch vorausgesagt: ›Was ist des Deutschen Vaterland?‹ – Auf, ihr Burschen und Füchse, singt mit, wer das Lied kann!«

»Los! Das Lied steigt!« kommandierte Gangolf. Und sofort erdröhnte mit kräftigen Stimmen Arndts Vaterlandslied mit dem Kehrreim: »O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein!« und: »Das ganze Deutschland soll es sein!«

So hatte durch Riemanns Worte auch in der »Burgundia« ein patriotischer Funke Feuer gefangen. Und als die Sangeslust geweckt war, schloß sich fast unmittelbar hinterher, nach angeregtem Gespräch', ein anderes Arndtsches Lied kraftvoll an: »Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte!«

»Famos, Freunde, daß ihr diese Lieder könnt! Großartig gesungen, Füchse!« rief Riemann. »Wir haben in Jena einen Gesangverein gegründet, einen Sängerchor, der nur aus Burschen besteht. Den solltet ihr hören! So ein Ständchen in mondhellen Nächten mit Liedern von Arndt, Schenkendorf oder Körner – na, da staunen die Philister, wenn Dürre mit seinem herrlichen Tenor alles überstrahlt! Übrigens Körner – erhebt euch, Burschen und Füchse! Einen Trunk der Wehmut zu des edlen Sängers Andenken!« Und als sie getrunken hatten, fuhr er fort: »Ich habe an Körners Bestattung bei Wöbbelin teilgenommen. Freunde, die Sache, um die es sich hier handelt, geht viel tiefer und weiter, als ihr alle ahnt. Es fing an gegen die fremden Unterdrücker, dann aber galt unser Kampf der Wiederaufrichtung der teutschen Einheit, der Schaffung freier Verfassungen, der Verbannung aller Ausländerei, der Rückkehr zur alten teutschen Biederkeit und Sittenreinheit!«

Gangolf hatte mit wachsendem Unmut Riemanns Schwung und Ethos auf sich wirken lassen. Er fühlte, daß ihm die Führung entglitt und von dem Gast aus Jena übernommen wurde. Und dieser Gast brachte eine neue, ihm unbequeme Note in diese zwanglose kameradschaftliche Zusammenkunft.

»Sittenreinheit?« rief er jetzt herüber, »Hallo, Riemann, seit wann ist Sittlichkeit ein Burschenideal? Mir scheint, du gerätst in einen Predigtton, Theologe Riemann! Wir sind auf einer Studentenkneipe, nicht in der Kirche. Siehst du, da regt sich mein Freiheitsgeist, mein Widerspruch: ihr wollt uns da eine Kette umlegen, uns an Händ' und Füßen schnüren! Biederkeit, Frömmigkeit, Keuschheit – zum Teufel noch einmal, ihr seid von den dortigen Professoren angesteckt, von Frieß oder Oken oder Luden, und wie sie alle heißen mögen, die Philister! Da sind die frommen Turner um Jahn in eurer Nähe. Frisch, frei, fröhlich, fromm? Laßt mir das Wort ›fromm‹ fort! Sauft, Füchse!«

Der Gast redete nach einigem Stutzen weiter und hatte das Ohr der Füchse, die er mit seinem entschiedenen Ernst ansteckte. Gangolf schwieg oder knurrte nur und paffte Rauchwolken hinaus, immer ungemütlicher in seiner Stimmung. Eine Frage Riemanns nach Schattenmann gab den Ausschlag.

»Schattenmann? Ist noch nicht da,« bemerkte der Senior kurz. »Überhaupt: wir sind zwar euch Vandalen Freunde, aber eure Theorien und Reformen lehnen wir ab. Punktum! Pereat Diabolus

Er stieß mit seinen nächsten Nachbarn an und begann mit ihnen, unbekümmert um Riemann, absichtlich ein zotiges Gespräch. So zersplitterte die Unterhaltung. Gangolf leerte jetzt Humpen über Humpen mit dem Vollbehagen eines durstigen Gepäckträgers, der ein schweres Tagewerk hinter sich hat, dröhnte das leere Trinkgefäß auf den Tisch und rief nach dem Kellner. »Es ist frisch angestochen, Füchse! Rin in das kühle Gesöff!« Er glühte über das ganze feiste Gesicht, das durch eine Reihe von Schmissen gezeichnet war, und sein abenteuerlicher Helm saß auf dem Ohr. »Ein rechter Bursch soll kein Duckmäuser sein. Nach wie vor sollen Nachttöpfe auf die Köpfe der Philister sausen! Der Schläger ist des freien Burschen Szepter. Meint ihr, der Keuschheitsapostel Schattenmann hat schon ein Mädel berührt und verführt? Dabei hat er das drallste Dienstmädel im Hause. Aber man muß die Handgriffe verstehen. Sie gehen alle in die Falle, alle Weiber miteinander! In diesem Naturtrieb will keine einzige von ihnen Reformen! Hahaha!«

Ein Bursch, der in der Nähe saß, ging auf den zotigen Übermut ein und rief herüber: »Holla, Gangolf, und wenn aus deiner Liebesfreude ein kleiner Gangolf entspringt?«

Einige wieherten laut, aber Gangolf war jetzt in seinem Element.

»Kind? Wird geleugnet! Das Mädel schleicht nach Hause, aufs Dorf oder wo es herkommt, bleibt schamhaft in der Kammer, und man macht dort nicht viel Wesens davon. Im Gegenteil, so was verbessert die Rasse! Ist's nicht so um Jena herum? Jeder dritte Bub, der sich da herumtreibt und durch kleine Handreichungen nützlich macht, hat einen Burschen zum Vater. Was, ihr glaubt's nicht? Fragt mal Riemann!«

Dieser saß ernst und verstimmt. »Willst du damit sagen, Senior, daß auch ich Vater von so 'nem Rudel verwilderter unehelicher Jungen bin?« Seine Stimme klang fest und scharf.

»Gar nichts will ich damit sagen, als daß ein freier Bursch auf eure sittlichen Grundsätze pfeift. Jawohl, pfeift! Wie das Korn reif wird, so reift auch die Jungfrau und will befruchtet werden, wie das Land vom Regen. Ich halt's mit der Natur, aber nicht mit blassen Theorien!«

»Wieso?« fragte ein blanker blutjunger Fuchs trotzig und herausfordernd. »Sind wir denn Tiere – oder sind wir geistbegabte Menschen von Zucht und Gewissen? Wozu besuchst du denn alsdann die Universität? Wozu hörst du Philosophie und Moral, wenn du nur Triebmensch bist?«

»Sieh mal an, der kleine Benjamin wird dreister Philosoph und Moralist!« rief Gangolf nicht ohne scharfen Unterton. »Steig' mal rinn in die Kanne! Ex!«

Der junge Fuchs trank befehlsgemäß. Er hatte verbissen vor seinem Krug gesessen, nachdem er vorher Riemann gespannt zugehört hatte.

»Heil Ehre, Freiheit, Vaterland!« rief er, als er den Krug geleert hatte. »Das ist die Losung der Burschenschaft. Was hast du dagegen einzuwenden, Gangolf?«

»Vaterland? Gar nichts! Freiheit? Noch weniger! Auch gegen Ehre nichts, wenn man den Burschen einen besonderen Ehrenkodex einräumt.«

»Zu saufen bis zur Besinnungslosigkeit? Zu buhlen und jungfräuliche Mädchen zu schänden?«

»Was ist denn auf einmal in dich gefahren, du kleiner Satan? Soll ich dir dein Gesichtchen auf dem Fechtboden zerhacken, Knirps?«

»Erzähl' von der Burschenschaft, Riemann!« riefen einige, um von der peinlichen Zwiesprache abzulenken. »Sollen wir uns mit der Sache befassen?«

»Das will ich euch ganz genau sagen, Füchse!« sprang Gangolf sofort ein. »Seht ihr, da sind so ein paar Lützower, die noch den napoleonischen Krieg in den Rippen haben, die nun ihre Vaterlandsideale ins bürgerliche Alltagsleben umsetzen wollen – also den Schwung von damals auf Flaschen ziehen. Versteht ihr? Dahinter steht der teutsche Moralist Jahn mit seiner Turnerschaft. Habt ihr den alten Waldteufel Jahn einmal gesehen? Na, Kinners, ich sage euch, Bart über der Brust, Kahlkopf, teutonische große Worte im Munde, spricht kein Fremdwort, turnt bei Wind und Wetter im Freien, ein wahrer Sioux-Indianer, dem alle Stuben zu eng sind. So von außen wie ein Donnerwetterskerl. Aber im Innern ein Sittsamkeitsapostel, der von Biedermännertum trieft. Eigentlich engstirnig teutsch und fromm eingestellt. Ein philisterhafter Teekessel, der mit seinen Anhängern nur Wasser schluckt –«

Riemann sprang jäh empor.

»Ich muß mir's ernstlich verbitten, daß du aus diesem biederen und bedeutenden Manne eine Fratze machst, Gangolf! Ich habe die Ehre, Jahn persönlich zu kennen und zu achten. Er wird in deinem Munde zum Zerrbild!«

Und er setzte sich wieder und leerte seinen Humpen aus. Man schwieg verdutzt, auch Gangolf. Riemann war ein guter Fechter, das wußten alle. Nicht ohne Spannung erwartete man, daß sich die Sache zu einer Forderung zuspitzen würde.

Doch Gangolf lachte gemütlich. »Einen deiner Freunde will ich natürlich nicht beleidigen. Ich sage nur, wie Jahn mir erscheint. Du kannst uns ja aus deinem besseren Wissen ein freundlicheres Bild entwerfen.«

»Mindestens haben Jahn und seine Schar noch Ideale!« rief nun der junge Fuchs von vorhin. »Wo keine Ideale mehr sind, wie sie uns Schiller und Fichte gelehrt haben, da ist kein höheres Leben mehr möglich, sondern nur Tiermenschlichkeit. Dabei bleib' ich!«

»Aha, der Benjamin regt sich wieder! Zu solider Lebensführung hast du entschieden Anlage, aber es ist noch Zeit genug, wenn du im Philistertum versauerst. Vorher muß man sich frei austoben. Weder als Pennäler noch als Philister kommst du dazu, jetzt ist die einzig mögliche Zeit. Trinke, Jüngling, bis du schwarz wirst! Wer nicht das Abenteuer der Liebe und den Suff bestand, der kriegt kein Feuer ins Blut. Das sind Aufpeitschungsmittel. Wagen muß man, besonders bei den Weibern. Sie wollen erobert sein. So ist's gute teutsche Sitte. In alten Zeiten hat man sie schlankweg entführt und verführt. Laßt euch nicht von ihren Redensarten Tugend und Treue und solchen Schutzmitteln irre machen! Seht den Franzosen an: ich kann ihn zwar nicht leiden, aber in Künsten der Verführung könnten wir von ihrer flotten Frechheit lernen, wir schwerfälligen Deutschen.«

So belehrte der üble Geselle seine junge Schar. Es kam aber keine Stimmung auf. Er fühlte Widerstand. Und jetzt erhob sich der Gast aus Jena und warf kurz und zäh seine holländische Pfeife an die Wand, wo sie klirrend zerschellte.

»Nun endlich Schluß!« rief er und schaute Gangolf scharf an. »Du erinnerst mich, Senior der Burgundia, an einen Holländer namens Roos, den wir in Jena hatten. Er hatte einen schönen, starken Körper, aber in dem Körper hauste eine verfaulte Seele. Er ist inzwischen wegen Schulden aus Jena verduftet. Ich könnte dir sehr leicht einen dummen Jungen an den Kopf werfen, denn du redest dumm und unreif, und könnte mich morgen mit dir auf dem Fechtboden treffen, denn ich bin mit der Klinge noch keinem aus dem Wege gegangen, und feig hat mich auch noch niemand genannt.« Er trank seinen Pokal aus und setzte ihn donnernd auf den Tisch. »Vivat Vandalia! Aber erstens bist du betrunken, weißt also nicht mehr, was du sagst, und zweitens bin ich als Gast in eurem Kreise und glaubte, bei euch die Gesinnung der Jenaer Vandalen zu finden, worin ich mich aber bei dir, Gangolf, allerdings gründlich geirrt habe. Derselbe Ernst Moritz Arndt, den ich auf Rügen besucht habe, hat auch das Lied gedichtet: ›Wer ist ein Mann? Wer beten kann‹ – beten, Gangolf, nicht buhlen! Und in demselben Liede heißt es weiter: ›Wer ist ein Mann? Wer sterben kann‹ – sterben, ihr Burschen und Füchse, dazu waren wir jeden Tag draußen im Felde bereit. Wir können beten und können sterben; denn wir sind auf die Ewigkeit eingestellt. Arndt ist ein Frommer, kein Frömmling. Habt Dank für eure Gastfreundschaft! Und somit Gott befohlen!«

Und ehe der sprachlos staunende Senior den Mund schließen konnte, war Riemanns scharlachroter Rock aus dem Rauch verschwunden.

»Wa–wa–? Ist er schon weg?« lallte Gangolf. »Was hat er da zusammengeschwatzt? Bin ich wirklich besoffen, Füchse? Diesen Abend hat das Muttersöhnchen dort verpfuscht, der Benjamin, der keusche Josef! Und warum hat diesem Jenenser keiner von euch geantwortet, heimgezahlt, herausgegeben, Ohrfeigen angeboten? Was seid ihr denn für feige Kerle?«

»Wir haben darauf gewartet, daß du das besorgst,« erwiderte ein Bursch sehr trocken. Und die anderen murmelten und lachten.

»Ich werde die Sache vor den Seniorenkonvent bringen. So etwas muß scharf geahndet werden. Oder soll ich ihn Selber fordern? Auf, Füchse, lauft ihm nach! Haltet ihn fest, er soll mir mit der Klinge Rede stehen!«

Die Füchse ließen sich die Aufforderung des Betrunkenen nicht zweimal Sagen. Sie erhoben sich einmütig und entwichen ins Freie, froh, dieser Führung entronnen zu sein. Und Gangolf konnte nur noch eben seinen Busenfreund Kunz von Tischendorff, einen älteren Burschen, festhalten.

»Du bist der einzig Vernünftige, Kunz! Bleib'! Bleib' da bei mir, leiste mir Gesellschaft, bis ich die nötige Bettschwere im Leibe habe! Glaubst du wirklich, daß der Affe da aus Jena, der Reformator, recht hat? Habe ich zu viel getrunken?«


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