Jonas Lie
Der Dreimaster »Zukunft«
Jonas Lie

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Siebzehntes Kapitel.

»Alte Geschichten«.

Nach seinem Auftreten gegen Heggelund war Stuwitz ein sehr übel angesehener Mann in der Gegend. Ob er nun wirklich der öffentlichen Meinung gegenüber in eine bessere Stellung kommen wollte, oder ob er wirklich sein Gewissen durch gute Thaten zu beruhigen glaubte, oder ob beides der Fall war – kurz, er war jedenfalls in diesem Herbste nach der Gerichtsstätte gereist, um sein Testament zu errichten, nach welchem ein Teil seines Geldes nach seinem Tode als ein Legat zum Besten des Kirchspiels dienen sollte.

Am Abend wurde auf der Gerichtsstätte das Interesse von einer Begebenheit in Anspruch genommen, die von »dem alten Rat« bei Heggelunds erzählt wurde. Bei dem Untergange eines Schiffes im Norden Finmarkens, in seinen jüngeren Jahren, wäre sein Bruder, der das Schiff führte, zugleich mit seiner Frau und ihrem einzigen Kinde verunglückt. Der Rat hätte wegen dieses Fahrzeuges zu seiner Zeit viele Untersuchungen angestellt, ob auch alles richtig zugegangen wäre. In einem Schmucke, welchen der Kaufmann Morten Jonsen seiner Geliebten, dem Fräulein Heggelund geschenkt hatte, wollte er nun dieselbe Brustnadel wieder erkannt haben, die er selbst einmal der Frau seines Bruders geschenkt hatte. Merkwürdigerweise sollte diese Brustnadel wirklich in den Kleidern eines Kindes, welches einmal von einem Wrack gerettet worden war, gefunden worden sein, und dieses Kind war die Mutter Morten Jonsens.

Man kannte die Personen, und es erregte eine eigentümliche Stimmung, sie sich als die Mitspieler eines Romans zu denken. Ein Anwesender erinnerte an einige ähnliche Berichte über Verhältnisse vor mehreren Jahren; aber das Interesse für diese lag doch ferner, und das Gespräch wandte sich bald wieder zu allerlei Vermutungen zurück.

Der Probst Müller hatte die ganze Zeit lang still dagesessen und zugehört, indem er sich das Gesicht dann und wann mit dem Taschentuche abtrocknete. Mit einemmale sagte er zu Stuwitz, der an dem Gespräche nicht teilgenommen hatte, auffallend ernst:

»Ich bete stets für alle, die nicht bekennen dürfen, was sie auf dem Gewissen haben; denn so viel weiß ich: diese haben es am schlimmsten in der Welt.«

Stuwitz war erdfahl im Gesichte geworden und verschwand bald darauf.

Daß die Brustnadel wieder erkannt worden war, ging so zu. Wie Edel immer mit dem Onkel Tobias zu verkehren gewohnt war, hatte sie ihm auch am Sonntage die neue Brustnadel, die sie trug, gezeigt.

Erst etwas später sah sie wieder nach ihm hin und wurde über sein Benehmen völlig erstaunt. Er drehte die Brustnadel in der Hand hin und her, betrachtete sie unablässig und untersuchte sie auf alle Weise. Endlich schob er eine Platte beiseite und nahm eine kleine Locke Haar heraus, die sie ihm nicht gezeigt hatte. Der alte Mann schien völlig überwältigt und saß lange in Gedanken versunken da.

Es wäre, – äußerte er endlich tief bewegt, so daß er die Worte kaum hervorbringen konnte, – dieselbe Brustnadel, die er einmal der Frau seines Bruders geschenkt hätte. Die Locke wäre von dem Haar seines Bruders; er selbst hätte damals zur Erinnerung sein Namenszeichen T. St. auf die Rückseite der Platte eingraviert.

Nun kam es zur Erklärung, wobei ihm Edel erzählte, was sie von der Brustnadel erfahren hatte, und dann ließ sie den alten Mann allein, was er sichtlich wünschte.

Als sie später wieder zu ihm ging, bemerkte er in seiner abgebrochenen Weise:

»Sonderbar! – Sonderbar! – Morten Jonsen schien mich immer an meinen Bruder zu erinnern – so offen, so hell, und namentlich die Augen – und ebenso kühn und entschieden in seinem Wesen. Es hieß immer, mein Bruder hätte zum Schiffskapitän gerade den richtigen Wuchs, der mir fehlte!«

Am Abend sagte er lebhaft:

»Ich möchte gern auch auf der Hochzeit erscheinen, Edel! – Wenn ich bis dahin nur wieder gesund werde. – Und jetzt mußt du das alles deinem Bräutigam schreiben, dann werde ich einige Zeilen hinzufügen – an meine Nichte.« Er legte einen gewissen Nachdruck auf dieses Wort, mit dem er Marina bezeichnete. – »Sie oder ihr Kind soll einmal meinen Anteil an dem Legat erben« – sagte er einen Tag darauf.

Niemand wollte den alten Mann dadurch betrüben, daß man ihm erklärte, wie wenig juridische Beweise eigentlich vorlägen. Das Gespräch über »seine Verwandten« wurde überhaupt von nun an Onkel Tobias' Lieblingsthema. –

In seinen letzten Jahren wurde Stuwitz auf einer Seite lahm. Über seinen Geiz und sein menschenfeindliches Leben verlauteten aber peinliche Geschichten.

Als der Probst Müller einst an sein einsames Todesbett gerufen wurde, sah er ein, daß der Herr diesen Mann längst »eingeholt« hätte.



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