Jonas Lie
Der Dreimaster »Zukunft«
Jonas Lie

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Elftes Kapitel.

Die Abreise.

In den Jahren, die Morten bei Heggelunds zugebracht, hatte er nicht wenig erlebt. Durch den Umgang mit Andreas und das Gesellschaftsleben im Hause, in das er nach und nach hineingezogen wurde, da ihn Heggelund gern sah, hatte er – und zwar nicht bloß äußerlich – manches von der Bildung, die dort in der Luft lag, eingesogen. Viele seiner alten Begriffe hatten eine Veränderung erhalten, und anstatt der beklommenen Unsicherheit, an der er anfangs litt, so oft er den Fuß in das Herrenhaus setzte, hatte sein Auftreten jetzt eine gewisse Anmut gewonnen, die von seinem unbefangenen, natürlichen Wesen herrührte. War er auch in allem nur immer noch der arme Mann, dem Heggelund allein vorwärts half – er ging noch nicht einmal in allen Stücken seinem jetzigen Stande angemessen gekleidet – so war trotzdem ein gewisses Selbstgefühl über ihn gekommen, das nicht verfehlte, einen guten Eindruck zu machen.

Morten erhielt ein geringes festes Gehalt, von dem er beständig die Hälfte seinen Eltern sandte. Er war jetzt mit den Jachten schon oft in Bergen gewesen und hatte dabei einen Einblick in vieles erhalten, was seine Meinung, welche er schon in der Heimat heimlich über Stuwitz hegte, bestätigte; – er war jetzt vollständig davon überzeugt, daß dieser Heggelund betrog.

Eine Zeitlang versuchte er auch, Heggelund die nötigen Aufschlüsse zu geben. Die eigentümlich ablehnende, wenn auch freundliche Weise, mit der Heggelund es aufnahm, lehrte Morten jedoch sich künftig in diesen Sachen passiv und still zu verhalten. Nur war und blieb es ihm ein Rätsel, weshalb der Prinzipal eigentlich nicht sehen wollte. Innerlich kochte er vor Ärger.

Von diesen Fahrten nach Bergen kamen nun wiederholentlich verschiedene weniger angenehme Nachrichten über Morten mit nach Hause; sie wurden so lange ringsumher geflüstert, bis sie auch der Herrschaft zu Ohren kamen. Es wurde erzählt, wie er mit seinen Kameraden nicht bloß ein lustiges, sondern auch ein ausschweifendes Leben führte, und wie er dabei zugleich viel Geld verschwendete. Die Wahrheit war, daß Morten sich viel Liebe und Achtung erworben hatte, weshalb ihn viele zu sich einluden, und wirklich war Morten bei solchen geselligen Zusammenkünften immer einer der Lustigsten. In der ersten Zeit war er sogar einmal mit einem blauen Auge an Bord gekommen – und dieses blaue Auge wurde jetzt gegen ihm als Beweis ins Feld geführt.

Morten wußte nichts von dem allen; nur bemerkte er mehrmals nach der Rückkehr in den Augen der Frau eine große Kälte. Endlich nahm Jungfer Dyring ihn vor und erzählte ihm umständlich, wie es zusammenhing. Sie war von seiner Unschuld fest überzeugt und hatte sich alle Mühe gegeben, ihn bei der Frau zu verteidigen. – Aber jetzt war sie dahinter gekommen, daß sich die Gerüchte von Stuwitzens Lieblingsschiffer herschrieben, vor dem sie ihn warnen wollte.

Als sie auf die Ausschweifungen – mit diesem Worte wurde allgemein um sich geworfen – anspielte, wurde Morten etwas rot; als sie aber von dem verschwendeten Gelde redete, verließ er sie plötzlich mit einem Gesichte, über das sie erschrak – und begab sich sofort zu Herrn Heggelund auf das Comptoir.

Sein Ton war bescheiden, hatte aber doch etwas Eigentümliches an sich, was keine Unterbrechung zuließ. Er zog sein kleines Taschenbuch heraus, worin er nach kaufmännischer Weise immer seine kleinen Ausgaben notierte, und zählte darauf mit seinem treuen Gedächtnis umständlich die Namen aller auf, die ihn bei den letzten Fahrten eingeladen hatten. Nur ein Schuft wäre im Hause, schloß er mit etwas erhobener Stimme, und dieser hieße Stuwitz; – in diesem Augenblicke hatte er den Schiffer vergessen –; und jetzt, nachdem er seine Meinung ausgesprochen hätte, könnte ihn Heggelund entlassen, wenn er es für gut fände.

In der Rede des blassen jungen Mannes lag eine gefährliche Entschiedenheit, die Heggelund, welcher während der ganzen Rede erstaunt dagesessen, ohne ihn zu unterbrechen, Achtung abnötigte. Als er zu Ende war, versicherte ihm Heggelund in herzlicher und fast väterlicher Weise, das unbedingte Vertrauen, welches er immer zu ihm gehegt hätte, wäre durch nichts erschüttert worden. »Aber« – schloß er – »es ist an der Zeit, daß Sie von Stuwitz fortkommen, und noch in diesem Herbst sollen Sie nach Bergen.« Gewisse Zuckungen in Mortens Gesicht deuteten an, daß seine scheinbare Ruhe bei dieser freundlichen Ansprache weniger felsenfest zu bleiben begann. Sichtlich suchte er in seiner heftigen Erregung nach den passenden Worten. Heggelund that jedoch, als ob er es nicht bemerkte, sondern wiederholte nur, als Morten sich verneigend ging, es wäre an der Zeit, ihn nach Bergen zu schicken.

Zum Glück war Stuwitz an diesem Tage nicht zu Hause, sonst hätte Morten sich wohl zu diesem hinab verirrt, anstatt zu Heggelund hinaufzugehen.

Diese Geschichte verschaffte ihm in vieler Hinsicht wieder gutes Wetter im Hause. Frau Heggelunds Unwille über alles, was dem jungen Menschen nachgesagt wurde, war nicht gering gewesen. Sie fragte aber in den nächsten Tagen mehrmals freundlich nach seinen Eltern, und Jungfer Dyring mußte seine Ausrüstung zu der Reise nach Bergen genau untersuchen. Das Gesicht der Jungfer leuchtete wie ein sonniger Tag nach vorübergegangenem Gewitter.

Auf Edel machte diese Sache einen starken Eindruck. Sie konnte sich des Kummers über seinen Fehler nicht erwehren. – Andreas hatte trotz all seiner Liebenswürdigkeit doch auch gar viele Fehler gehabt. Nun aber wurden sie in der letzten Zeit mit den Jachten aus Bergen in einer solchen Menge überbracht, daß ihr Instinkt unwillkürlich die Übertreibung erriet und Partei für ihn ergriff. Unter ihrem ruhigen Wesen war doch ein nicht geringer Teil der heftigen Gefühle ihrer Mutter für und wider die Menschen verborgen. Die Möglichkeit eines tieferen Gefühles für den von ihrem Vater in das Haus aufgenommenen Bauernburschen lag selbstverständlich ihrem Denken ganz fern. Als sie nun von ihrem Vater erfuhr, wie entschlossen Morten seine ganze Stellung auf das Spiel gesetzt hatte, begriff sie vollkommen das Männliche in dieser Handlungsweise.

In der Zeit vor Mortens Abreise nach Bergen fand ein Ereignis statt, das den Gedanken bei ihm erweckte, Heggelund müßte unter einer schweren Sorge leiden.

Als er eines Tages durch den Gang schritt, der an Heggelunds Comptoir vorüberführte, sah er die Thür halb angelehnt, als ob jemand hineingegangen wäre und sie zu schließen vergessen hätte. Drinnen saß Heggelund am Pulte; – aber ein so betrübtes Gesicht hatte Morten in seinem ganzen Leben nicht gesehen. Er lehnte sich mit einem verzweifelten Ausdruck gegen Edel, die neben ihm stand und ihm die Stirn strich und die Hand hielt. Morten ging vorüber, als ob es weiter nichts wäre, aber Edel blickte in demselben Augenblicke empor und fing seinen Blick auf; bei dieser Überraschung machte sich in ihrer Miene ein Zeichen des Erschreckens bemerkbar. Kurz darauf hörte er, daß die Thür geschlossen wurde.

Es war Morten zu Mute, als hätte er einen Schimmer von den wirklichen Verhältnissen des Hauses gesehen. Es verbarg also diesen oder jenen Kummer; und nun begann er einen Ausdruck in Edels Gesicht zu verstehen, den er schon öfter bemerkt hatte, – denselben, der ihn bereits damals im Boote so stark beschäftigt hatte.

Als sie an demselben Tage im Garten spazieren ging, sichtlich noch immer mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, während ihre Schwester Hansine neben ihr plauderte, und als er später ihr schönes düstres Haupt hinter dem Fenster über ihr Nähzeug herabgebeugt sah, war er von allem, was er wußte, tief ergriffen, obgleich er im Grunde nichts wußte. Nun wurde es ihm klar, daß er die ganze Familie, bis auf die Frau hinab, unsäglich lieb hätte.

Bei dem Abendbrote verriet nicht eine einzige Miene Edels, daß etwas vorgefallen war. Nachdem sie Onkel Tobias nach oben begleitet hatte, trat sie jedoch in dem halbdunkeln Flure an ihn heran und legte den Finger einen Augenblick auf seinen Arm. Sie sah ihm ernst ins Gesicht und sagte halb leise, sie verließe sich darauf, daß er nie mitteilte, was er heute gesehen, – »es gäbe etwas, worüber ihr Vater so betrübt wäre«.

»Nie! Fräulein Edel!« – erwiderte er, aber dieses »nie« wurde in einer solchen Weise ausgesprochen, daß Edel seiner sofort völlig sicher war. Obgleich mehrere Jahre jünger, sah sie ihn einen Augenblick überrascht, wie ein unbegreiflich großes Kind an, das nicht recht weiß, was es sagt. Sie begriff, daß er in voller Naivetät sein ergebenes Herz der ganzen Familie hatte zu Füßen legen wollen, erhielt aber dabei zugleich den Eindruck, daß sie selbst es in der Hand hielte. Sie sagte einige Worte und ging in die Stube hinein; in ihrem stillen Gemüt dachte sie jedoch, sie wäre vielleicht etwas dreist gewesen.

Seitdem war Edel ungewöhnlich freundlich und aufmerksam gegen Morten; er ahnte nicht den wahren Grund, wollte aber lieber, daß alles beim Alten bliebe, denn er fühlte unwillkürlich, daß die Entfernung zwischen ihnen größer würde. Er konnte nicht unterlassen früh und spät an sie zu denken und wurde über seine bevorstehende Abreise traurig anstatt fröhlich.

Es war der letzte Abend, ehe Morten am nächsten Morgen früh mit der Jacht nach Bergen abreisen sollte. Er hatte von der ganzen Familie Abschied genommen, die sich zu gewöhnlicher Zeit in ihre Schlafzimmer zurückzog. Er war jetzt allein im Zimmer. Es war ziemlich spät und der letzte Strahl der Mitternachtssonne fiel glanzlos und ohne Wärme auf die Wand.

Er blieb neben Edels Nähtisch sitzen und saß in seine Träumereien versunken lange da – als er plötzlich die Stimme der Jungfer Dyring hinter sich vernahm. Ihr Polizeiinstinkt brach wie gewöhnlich hervor, wenn man es am wenigsten erwartete. Etwas ironisch, aber doch freundlich sagte sie:

»Sie sitzen also hier, um Abschied zu nehmen, Jonsen?«

Er fühlte sich auf frischer That ertappt und hatte auch wohl das Bedürfnis, sich auszusprechen. Er blickte deshalb nieder und erwiderte nur:

»Ja, – Jungfer Dyring!«

»Sie müssen zusehen, solche Grillen zu vergessen, Jonsen, – sie führen doch zu nichts.«

»Ich kann nicht, Jungfer Dyring!«

Da begann der Jungfer Dyring ihr Liebling herzlich leid zu thun; sie sah ein, daß dies nicht bloße Narrenspossen waren. Sie mußte ihn trösten und sagte:

»Ja, ja, Morten Jonsen, – niemand weiß, was die Zukunft bringen kann!«

»Die Zukunft –« wiederholte Morten langsam wie in Gedanken – und dann eilten dieselben heimwärts zu der Holzwand bei den Eltern, an der er zuerst hatte lesen lernen! – »Sie steht in Gottes Hand,« sprach er dann unwillkürlich seiner Mutter nach. Es fehlte nicht viel, so hätte er Thränen vergossen, während seine Freundin bei ihm stand.

Aber Jungfer Dyring hatte keine Lust in dieser Nacht zu schlafen und ging erst nach oben, als die Jacht in heller Morgendämmerung einige Stunden später den Sund hinabschwebte. Zu ihrer Verwunderung sah sie auch Edel oben am Comptoirfenster stehen.

»Sie hier, Fräulein Edel?«

»Ja, ich konnte nicht schlafen,« erwiderte sie – und dann trennten sie sich, nachdem sie noch kurze Zeit zusammengestanden.


In demselben Jahre ging das Gerücht, Heggelund hätte auf seinem Grundbesitz ein sehr großes Kapital hypothekarisch aufgenommen. Es erregte Verwunderung und großes Gerede. Einzelne wagten sogar die Solidität seines als so bedeutend verschrieenen Vermögens in Zweifel zu ziehen.



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