Jonas Lie
Der Dreimaster »Zukunft«
Jonas Lie

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Einleitung.

In Nordland und Finnmarken führt zwar nicht wie auf den Faröern ein Geschlecht den Namen »Meertreibholz,« welcher das bezeichnet, was von der See »angetrieben« ist, allein der Begriff gehört doch vollkommen der nordischen Landschaftspoesie an: – Namen wie »Treibholzwik«, »Schiffsholzwick« u. a. geben einen hinreichenden Beweis dafür. Und, wenn man will, ist er ein Gemeingut des ganzen Nordens, in dessen historischem Leben er manch einen tiefen Schicksalszug bildet, wie die dunklen Sagen von König Skjold, der in einer Kornschwinge nach Dänemark fuhr, von Kraaka, der nach Spangereid kam, und von Leif, der unterwegs die Säulen seines Hochsitzes nach Island treiben ließ, ja selbst heutzutage noch wirksam ist, indem das Meer durch seine Tausende von Schiffen Norwegen aus allen Landen das Treibholz des Zeitgeistes zuführt.

Als Leif die Säulen seines Hochsitzers über Bord warf, war es sicher nicht ausschließlich eine religiöse Handlung. Mit der bedächtigen Umsicht des ersten Besitzergreifers wollte er den Weg des ihm zur Feuerung und zu seinen hölzernen Geräten unentbehrlichen Treibholzes beobachten, um darüber ins Klare zu kommen, wo er auf der isländischen Küste mit Rücksicht hierauf seinen Wohnsitz am richtigsten aufschlagen müßte, und diese Stelle wurde Reykjavig (»Treibholzwik«).

Wie der warme Golfstrom Wracktrümmer und Treibholz nach Norden mit fortführt, so haben auch die Strömungen in den menschlichen Verhältnissen während der letzten Jahrhunderte die Küsten des Nordlands und Finmarkens mit den verschiedensten wrackähnlichen Existenzen aus dem Leben im Süden überschwemmt. Diese Gegenden bildeten eine Zeit lang die Verbannungsstätte des dänisch-norwegischen Staates, sein Sibirien für allerlei Verbrecher. Damals war der Versuch, die Bevölkerung auf diese Weise zu vermehren, eine ganz gute Staatsökonomie. Jungen Leuten aus dem Süden, die sich der schweren Soldatenpflicht entziehen wollten, haben diese Gegenden noch bis zum heutigen Tage als Freistätte gedient. Ein einfältiger Kandidat der Theologie konnte bei der Prüfung kein schlimmeres Prädikat erhalten, als daß er für tauglich zur Verwaltung eines kleinen Pfarramtes in den nördlichen Provinzen erklärt wurde. Wenn ein Gentleman aus einem oder dem andern Grunde unten im Süden unmöglich geworden war, versetzte ihn die Macht der Verhältnisse gern nach Norden, zum Beispiel als Hauslehrer bei einem dortigen Amtsrichter, Pfarrer oder Kaufmann. – Und gewiß hat mancher begabte Mann den Rest eines gebrochenen Lebens auf einer entlegenen, einsamen Stätte in den nördlichen Provinzen unbemerkt hingebracht. Mehrere derselben waren seltsame originale Gestalten und namentlich der Flasche sehr zugeneigt. Meistenteils war ihre frühere Geschichte unbekannt oder doch nur der Gegenstand von Vermutungen.

Infolge dieser ganzen Anschwemmung von Menschen, von schlechten Geistlichen, durchgebrannten Kassenbeamten, die sich wegen verschiedener Defekte nicht verantworten konnten, von Ehrenmännern, die eine Unterschrift gefälscht hatten und sich vor dem Zuchthause verbargen, von fremden Abenteurern, darunter französische Emigranten aus der Hugenottenzeit; von schiffbrüchigen, gestrandeten Seeleuten vieler Nationen, darunter bisweilen auch Frauenzimmer, – giebt es jetzt unter dem nordischen Volke viele fremde Gesichtstypen und Namen, die oft einen wunderbar fremden Klang haben. Sie heirateten oft in Bauernfamilien hinein, und ihre Kinder versanken bald vollständig in die Vergessenheit des niederen Volkslebens.

Auf einer entlegenen Schär in Helgeland wohnen noch immer ein paar arme Leute mit dem Wappen der alt-adeligen Familie Benkestok, – sie sind die letzten des Geschlechtes; und in mehreren Familien giebt es noch Traditionen einer abenteuerlichen Abstammung. Wer dort oben reist, kann deshalb höchst romantisch klingende Erzählungen noch aus diesem Jahrhunderte vernehmen.

Viele dieser verschwundenen Namen tauchten seitdem wieder auf, – einzelne sogar als größere Handelshäuser in Nordland und Finnmarken. Diese vielen fremdklingenden Firmen schreiben sich jedoch wesentlich von der Einwanderung, infolge der natürlichen Entwickelung der Handelsverhältnisse, namentlich aus der Zeit des bergischen und dänischen Handels in Finmarken her.


In der Zeit, als die Bergenser das Handelsmonopol für Finmarken besaßen, so wie später in den Jahren nach 1750, als dieser Handel, infolge des Mißbrauches jener, als dänisches Hoheitsrecht betrieben wurde, war namentlich Köllefjord am Nordkyn ein blühender Ort.

Als Stapelplatz für die finmarkischen Produkte, welche von bergensischen und später von dänischen Schiffen abgeholt wurden, als Hafenplatz der russischen Lodjen, welche die Küste entlang Tauschhandel trieben, und als Nothafen der fremden Schiffe auf ihren Fahrten durch das weiße Meer nach Archangel, – herrschte darin beständig viel Leben und Bewegung. Köllefjord stand damals als Handelsplatz ohne Vergleich über Bardö und dem entstehenden Vadsö.

Obgleich unaufhörlich sinkend, behielt der Ort doch auch in der darauf folgenden Periode noch Bedeutung, als die Regierung, in Erkenntnis ihres eigenen Unvermögens, die finmarkischen Handelsplätze kopenhagenschen Privatgesellschaften überließ, die sie, ähnlich wie bei dem isländischen und grönländischen Handel, als »Faktoreien« beibehielten.

Jetzt ist Köllefjord nur ein Fischerdorf mit einer rotangestrichenen Kirche, – der ältesten in Finmarken. Die Ruinen abgebrochener Gebäude längs dem schwerzugänglichen Strand erzählen die Geschichte des Ortes.

Aber in jenen Tagen herrschte an den fernsten Enden des dänisch-norwegischen Staates noch nicht viel Gesetzlichkeit; Übergriffe und Gewalttätigkeiten aller Art fanden ungestraft statt. Noch im Jahre 1790 ließ der Bevollmächtigte eines Faktors einen Finnen zur Strafe an den Beinen aufhängen, bis er unter Krämpfen starb. In der Kriegszeit von 1801-1809 und sogar noch später bis ungefähr 1814, als alle Aufsicht aufgehört hatte, machten sich nach dem Berichte alter Leute auch die Russen vieler Rohheit und mancher Übergriffe gegen die wehrlose Bevölkerung schuldig. Die Unsicherheit des Zustandes wurde noch durch die Verbrecher, welche die Festung Vardöhus nach ausgestandener Strafzeit verließen und sich jetzt ihr Brot auf eigene Hand suchen sollten, so wie durch die von der Regierung nach Finmarken Verwiesenen, vermehrt.

Damals traf die Post jährlich nur einmal ein, und sonst empfing man nur gelegentlich Nachrichten aus der Außenwelt mit den Schiffen, die in den Hafen von Köllefjord oder Vardöhus, wo der Amtmann residierte, einliefen. Die Festung Vardöhus war eine der Hauptstrafanstalten des dänisch-norwegischen Staates, deshalb lag dort damals wie jetzt eine militärische Besatzung.


 


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