Jonas Lie
Der Dreimaster »Zukunft«
Jonas Lie

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.

Die Rückkehr.

Auf der Rückreise hatte Morten Jonsen noch vorläufig mancherlei zu besorgen. Es waren Vorbereitungen und Wareneinkäufe nötig. Ehe er sich in der Heimat niederließ, mußte er noch mehrere Gegenden besuchen.

Ein Geschäft bei Heggelund hatte er nicht, denn mit Stuwitz wünschte er nicht in Handelsverbindungen zu treten. Aber als er dort in die Nähe gekommen war, stieg der Wunsch, Edel wiederzusehen, doch heftig in ihm auf. Die Gründe, weshalb er nicht dorthin reisen solle, die ihm bisher so klar vor der Seele gestanden hatten, und deren wichtigster der war, daß es ihn mit Schmerz erfüllte, noch in derselben untergeordneten Stellung, in der er damals das Haus verlassen, wieder zu erscheinen, – traten immer mehr vor dem versuchenden Gedanken zurück, in ihre Nähe zu kommen. Während er mit sich selbst kämpfte, stieg nach und nach noch etwas anderes in seiner Seele auf, das entscheidend wurde. Er empfand ein beklemmendes Gefühl bei dem Gedanken, ihr gegenüber zu treten. Wie würde sie ihn ansehen, wie ihn grüßen? Vielleicht würde ihre Miene sagen, daß er in einem wahnwitzigen Traum gelebt hätte – kurz, er fühlte zuletzt, daß er um der Hoffnung willen, in der er lebte, dorthin müßte. Jetzt schien es ihm fast, als ob er nur hinaufreiste, um die ganze Seifenblase platzen zu sehen.

Unter allerlei Vorwänden vor sich selbst, zögerte er ängstlich den ganzen Tag, sodaß er erst des Abends nach Schlafenszeit ankam.

Jungfer Dyring befand sich auf ihrer gewöhnlichen späten Wanderung; sie hätte bald das Licht fallen lassen, als sie im Gange unerwartet Morten traf, der eben seine Reisekleider aufhängte.

Bei einem einsamen Licht in dem großen Zimmer, von dem er sich so viele lebhafte Erinnerungen bewahrt hatte, gab sie ihm eine wehmütige Schilderung der gegenwärtigen Verhältnisse.

Stuwitz in dem kleinen roten Hause unten am Strande war jetzt Herr des Geschäftes; – er hatte selbst Hypotheken darauf gehabt. Er war noch immer der Alte und lebte in seiner geizigen Weise nach wie vor weiter, mit dem Hunde und dem Knechte des Nachts auf dem Flur schlafend, denn er glaubte sich noch immer von Dieben bedroht. Neulich hatte er sogar Heggelund, ohne erst zu fragen, eines seiner Wirtschaftsgebäude, welches seiner Behauptung nach ihm gehörte, zum Warenlager fortgenommen.

»Ja, es sieht übel aus,« – schloß sie, indem sie sich einem Ausbruch von Kummer überließ – »und die bedauernswerte Edel, – sie ist jetzt ein armes Mädchen! – Gottlob, daß die Schwester so gut verheiratet ist, denn sie hätte nicht die Kräfte gehabt, es zu tragen.«

In ihrer neugefalteten Nachtmütze saß sie sauber und zierlich wie immer da; aber sie hatte ein tiefes Verlangen, ihr bedrücktes Herz auszuschütten und strich dabei unwillkürlich über Krausen und Falten.

»Können Sie sich, Jungfer Dyring« – sagte Morten mit einer eigentümlich ernsten Betonung – »des letzten Abends erinnern, als wir zusammen in diesem Zimmer saßen – und Sie mich auf die Zukunft verwiesen?«

Das Gesicht der Jungfer Dyring sah nicht aus, als ob sie große Hoffnung aus diesen Worten schöpfte.

»Jetzt, Jungfer Dyring, will ich Ihnen eins anvertrauen,« – fuhr er nach einer kleinen Pause fort. – »Alles, was ich jetzt vorhabe und was mich beschäftigt, geschieht nur im Hinblick auf das Ziel, einmal Edel zu gewinnen.«

Jungfer Dyring sah den jungen Mann überrascht an. Ihr etwas langsamer Gedankengang gebrauchte Zeit, um sich zu sammeln, und sie betrachtete ihn dabei mit einem wechselnden Ausdruck. Seine männliche Erscheinung konnte wohl Vertrauen einflößen. Ihre Miene sprach auch dieses Urteil aus, indem sie auf ihren eigenen Gedanken weiter eingehend sagte: »Ja, – wir müssen uns auf die Zukunft verlassen.«

Ihre Ansicht gab die alte Vertraute auf ihre Weise dadurch zu erkennen, daß sie ihm das beste Gastzimmer des Hauses anwies, welches Morten nach langer Weigerung endlich annahm, weil er einsah, daß er ihr dadurch eine Freude bereite.

Morten Jonsen war am folgenden Morgen früh auf und fand sich sorgsam gekleidet unten im Wohnzimmer ein, noch ehe ein Mitglied der Familie daselbst erschienen war. Er war bleich und kalter Schweiß war auf seiner Stirn, während Jungfer Dyring dann und wann eine Bemerkung fallen ließ und die Vorbereitungen zum Frühstück traf. Absichtlich hatte sie von seiner Ankunft nichts gesagt, da sie wünschte, dieselbe sollte eine Überraschung sein.

Die Thür öffnete sich und Edel schritt schnell in das Zimmer hinein. Sie hatte ihn, als er grüßte, nicht sogleich gesehen, und rief, plötzlich stehen bleibend, überrascht aus:

»Morten! – – Seien Sie uns bei Ihrer Rückkehr willkommen!« – fügte sie etwas gesammelter hinzu. Aber ein plötzlicher Freudenstrahl war doch in ihren Augen und er ließ sich ebensowenig wie die Röte, die noch ihr Gesicht übergoß, zurückdrängen.

Unter der gegenseitigen Verwirrung fielen einige Worte, deren sich keines von ihnen später mehr erinnerte, und dann zog sich das Gespräch, bis Heggelund kam, ganz förmlich hin, unter den gewöhnlichen leichten Fragen über seine Reise, sowie über die allgemeinen Verhältnisse.

Aber Jungfer Dyring bemerkte, daß keiner von ihnen während des Frühstücks etwas aß. Sie hatte so ihre eigenen Gedanken.

Er fühlte sich freundlich aufgenommen, obgleich bei der Erinnerung an seinen Brief sowohl Edel als auch ihr Vater nach und nach wieder einen zurückhaltenderen Ton angenommen hatte. Zugleich fiel es ihm auf, daß sich keiner von ihnen auch nur mit einem einzigen Worte nach seinen Plänen erkundigte, während Heggelund doch freundlich voraussetzte, daß er jetzt eine Zeit lang bei ihnen bleiben werde.

Heggelund war unter dem Mißgeschick, das ihn getroffen hatte, sichtlich älter und gebeugter geworden, Edel aber schien sich für seine Pflege völlig aufzuopfern. Er war kränklich und kam einige Tage nicht von dem Comptoir herab, das ihm zugleich als Schlafzimmer diente. Dann saß Edel dort oben so ziemlich den ganzen Tag und las ihm vor oder leistete ihm Gesellschaft, indem sie seine finstere trübsinnige Gemütsstimmung zu zerstreuen suchte.

Unter diesem einförmigen Leben hatte Edel oft das drückende Gefühl gehabt, als ob sie ein Vogel in einem Käfig wäre. Die Sehnsucht, in die Welt hinauszukommen, regte sich oft stark in ihr; aber dann suchte sie sich doch immer damit zu trösten, daß sie noch ein Werk daheim auszurichten habe. Nachdem Morten Jonsen geschrieben, er würde nach dem Nordlande zurückkehren, wurde sie von dergleichen Gedanken nicht mehr heimgesucht; – das Leben in der Heimat hatte plötzlich wieder Fülle und Interesse für sie erhalten.

Morten hatte eine sehr wehmütige Ahnung von den veränderten Verhältnissen am Orte. Es herrschte dieselbe geschäftige Regsamkeit wie früher, denn unten am Speicher und im Laden ging alles in dem alten Gange weiter; er sah Stuwitz und die Ladendiener in die Warenlager hineingehen und wieder herauskommen, und am Hafen war alles in Thätigkeit. Aber oben am Hauptgebäude war es jetzt wie ausgestorben, und nur einige Dienstmädchen, sowie dieser oder jener Bettler, waren dann und wann im Hofe zu sehen. Im Hauswesen hatten auffallende Einschränkungen stattgefunden, und die Ladendiener standen jetzt in Stuwitzens Brot.

Beim Mittagsessen saßen um einen ganz kleinen Tisch Heggelund, Edel, der alte Onkel Tobias, Jungfer Dyring und er – ein großer Unterschied gegen früher.

Onkel Tobias war durch Mortens Ankunft augenscheinlich angenehm berührt; aber er schien sich absichtlich aller Äußerungen über die Angelegenheiten des Hauses zu enthalten. Er wurde aufgeräumt und lachte in seiner halb versteckten Weise, als Morten nach Tische, da sie allein waren, an seinen Lehnstuhl trat und scherzend seine Pfeife ebenso anzündete, wie er es am ersten Abend nach seiner Ankunft im Hause gethan hatte.

Onkel Tobias erinnerte sich dessen recht gut und verlangte eine Nachricht, was Morten vorhätte und mit welchen Plänen er sich trüge; was derselbe ihm denn auch in aller Kürze erzählte.

»Flink, mein Junge, – flink, mein Junge!« – sagte Onkel Tobias, indem er ihm seine stets erloschene Pfeife hinhielt, um neues Feuer zu bekommen.

Eine Weile saß er, in seine eigenen Betrachtungen versunken, still da und bemerkte dann etwas unerwartet:

»Hm! – Edel ist ein schönes Mädchen, Morten Jonsen.«

Dies konnte Morten nicht in Abrede stellen, allein er unterließ doch, auf die Sache näher einzugehen.

Nachmittags erzählte ihm Jungfer Dyring vom Tode der Frau Heggelund im Winter vor zwei Jahren.

»Ja,« – sagte sie mit einem schweren Seufzer – »sie erfuhr, was ihr das Leben nahm.«

»Es war zu Neujahr, und die Hausfrau war damals wohler, als sie lange gewesen. Eines Tages stand sie in dem grünen Zimmer vor dem Comptoir und nahm Tischzeug aus dem Wäschschranke; – es sollten binnen kurzem Fremde ankommen. Stuwitz saß mit ihrem Manne drinnen bei den Rechnungen, wie sie immer zu dieser Jahreszeit zu thun pflegten. Ich ging unten hin und her und hörte, daß sehr laut gesprochen wurde; namentlich klang Heggelunds Stimme sehr erregt; aber auch Stuwitz antwortete kurz und barsch. Da hat die Ärmste klar genug gehört, wie die Sache stand; denn damals wurde auf den Handelsplatz eine Hypothek aufgenommen.

»Nach Stuwitzens Aufbruch war sie eine lange Zeit bei Heggelund auf dem Comptoir, und der arme Mann hielt sich dann den ganzen Tag im Geschäftslokale eingeschlossen.

»Die Frau sah seltsam blaß aus, als sie mich nachmittags zu sich beschied. Sie hatte bis dahin ganz allein auf dem Sofa im Kabinette gesessen, und ich hatte sie mehrmals darin gesehen, da ich vielerlei mit ihr zu besprechen hatte, sie aber nicht zu stören gewagt. Als ich jetzt erschien, begann sie mir ausführliche Auskunft über die Wäsche und das Tafelgedeck und alles feinere, was sie stets selbst besorgte, sowie die nötigen Befehle hinsichtlich eines kranken Dorfarmen zu erteilen, deren sie sich ja, wie Sie wissen, stets persönlich annahm.«

In tiefer Rührung mußte Jungfer Dyring hier einen Augenblick ihre Erzählung unterbrechen, bis sie etwas gefaßter fortfuhr:

»Darauf übergab sie mir das große Schlüsselbund, das sie immer am Gürtel trug. ›Sie müssen es übernehmen, Jungfer Dyring,‹ sagte sie, ›denn ich bin krank, ich muß mich niederlegen; weiß Gott, ob ich wieder aufstehe.‹

»Ich wandte nichts ein, denn es lag eine so große Feierlichkeit in ihrem Wesen. Sie sah so ruhig und stolz aus, wie bei manchen Gelegenheiten; aber in ihren Augen und über ihr Gesicht lag, während sie mir diese Aufträge gab, etwas gebreitet, das mich die ganze Nacht vor Kummer nicht schlafen ließ. Ehe sie nach oben ging, um sich niederzulegen, blickte sie einen Augenblick schweigend im Zimmer umher. – Dann lag sie vier Tage da, ohne ein Wort zu sprechen.

»Am letzten Morgen deutete sie auf den Schlüssel zu dem Schranke, in dem die Laken lagen, in welche sie gehüllt zu werden wünschte, und schenkte mir ihre goldene Uhr, die auf dem Nachttische lag. Dann rief sie mehrmals die Namen ›Edel‹ und ›Hansine‹. Als die Hausleute hinauf sollten, um Abschied zu nehmen, flüsterte sie, indem sie wie sie zu thun pflegte eine gebieterische Bewegung mit der Hand machte, daß sie Stuwitz nicht sehen wollte. Mit ihrem weißen Haar lag sie wie eine Königin auf dem Paradebette gegen ihre Kissen gelehnt da, während die Leute und die alten Armen leise durch das Zimmer schritten. Der Probst Müller war bei ihr, und da durfte Heggelund ihre Hand fassen. Sie hatte gehört, daß er hinter dem Bettvorhange weinte.

»Ich stützte sie, während sie ihren letzten Seufzer ausstieß, und« – schloß die Jungfer Dyring in tiefer Rührung – »sie hätte wohl eine Königin sein können; solch eine Ehre war es, sie zur Hausmutter zu haben, und gegen die, zu denen sie einmal Vertrauen gefaßt hatte, war ihr Herz treu wie Gold.«

Morten bewegte das tief. Er dachte an all die Trauer, die über dieses früher so fröhliche Haus hereingebrochen war, und an Edel, die alles auf ihren ungewohnten Schultern hatte tragen müssen.

Ihr Aussehen hatte in den verflossenen Jahren entschieden gewonnen, und zwar nicht bloß in Morten Jonsens parteiischen Augen. Das üppige, reiche Haar und die dunklen Augen verliehen ihrer vielleicht etwas bräunlichen Gesichtsfarbe eine eigene Schönheit, und die Art und Weise, wie sie ihren Kopf trug, gab ihrer Haltung eine eigentümliche Anmut. Das Unglück und ein bewegtes inneres Leben hatten ihr Gesicht beseelt und ihm ein für ein junges Mädchen ungewöhnliches Gepräge von Bedeutung und Charakter verliehen. Vielleicht lag darin – als Erbteil von der Mutter – ein etwas zu starker Wille.

Morten Jonsen trat offenbar nicht als der sich seiner Überlegenheit bewußte Freier auf, wie er vor ihrer erbitterten Phantasie dagestanden hatte, und dem sie mit ihrem ganzen verletzten Stolze begegnet wäre. Daß er gerade jetzt ihre Nähe aufgesucht hatte, widersprach allem, was sie sich über ihn vorgestellt hatte, und ihre im Geheimen leidenschaftliche Natur hatte ein reumütiges Verlangen, das Unrecht, welches sie ihm in ihrem Innern zugefügt hatte, gleichsam abzubitten.

Das etwas Kühle, das sich gleich nach dem Wiedersehen über Edels Wesen gebreitet hatte, ging in den folgenden Tagen nach und nach in ein offeneres, natürlicheres Verhalten über. Sie gehörte nun einmal zu den Naturen, die eine Ringmauer um sich haben und deshalb immer etwas zurückhaltend sind.

Allerdings waren auch gewisse Dinge im Wege.

Ungewohnt, wie sie es war, das Urteil der Welt über sich ergehen zu lassen, fühlte sich das junge Mädchen schmerzlich von dem Gedanken berührt, was er wohl im stillen über all die veränderten Verhältnisse in ihrem Hause denken möchte. Ein natürliches Benehmen oder ein richtig angebrachtes Wort von seiner Seite hätte sie davon befreit; aber dazu war Morten nicht unbefangen genug. Was sie beide am meisten anging, kam deshalb nie zur Sprache. Morten Jonsen merkte, daß sie absichtlich die Erwähnung seiner Lebenspläne unterließ, und selbst wollte er sie nicht zum Gegenstande des Gespräches machen.

Und doch dauerte es nicht lange, bis diese beiden, die täglich nur eine etwas gesuchte allgemeine Unterhaltung führten, über ihre gegenseitigen Gefühle im klaren waren.

Zur Frühstückszeit kamen sie täglich eine gute Zeit vor den andern in das Eßzimmer hinab, und es traf sich so, daß sich die beiden oft im Wohnzimmer zu Zeiten, wenn kein anderer zugegen war, begegneten. Natürlich geschah es von beiden Seiten ganz zufällig, und sie war stets mit Arbeiten beschäftigt; aber der Gedanke allein zu sein, hatte für beide etwas Berauschendes.

Eines Nachmittags war sie ausgegangen, um nach Elias Rost, der erkrankt war, zu sehen, und Morten hatte versprochen, sie abzuholen. Sie wanderten im schönen Mondschein, der Gebirge und Sund versilberte. Aber auf dem ganzen Wege hatte niemand von ihnen ein einziges Wort gesprochen. Als sie sich auf dem Gange trennten, sagte er plötzlich:

»Es dauert nun nicht mehr lange, dann muß ich hinaus und das Glück versuchen – Fräulein Edel!«

Auf Heggelunds Einladung hatte sich Morten eine Woche im Hause aufgehalten und mußte jetzt seine Geschäftsreise antreten.

Sonst hatte er jeden Abend lange wach gelegen und überdacht, was am Tage geschehen war; aber die letzten Nächte wachte er aus einem andern Grunde. Er fühlte sich mächtig versucht, ihr seine Liebe auszusprechen, und hatte es einmal sogar so gut wie beschlossen. Aber da erhoben sich nach und nach Gedanken, die in diesen Tagen auf unbegreifliche Weise eingeschlafen waren: – sein alter Stolz der Familie gegenüber, zu der er als armer Fischerknabe gekommen war. In stets hellerem Lichte sah er das Demütigende in einem solchen Schritte, so lange er sich nicht erst in den Augen der Welt das Recht dazu durch eine errungene Lebensstellung erkämpft hatte. Was würde Heggelund dazu sagen? Und Edel, – was würde sie selbst über einen solchen besitzlosen Freier denken, der auf teilweise nebelhafte Aussichten hinwies, an die niemand glaubte?

Schließlich wurde es ihm klar: sollte jemand eine solche Stellung in der Welt einnehmen, – so müßte dessen Name jedenfalls nicht Morten Jonsen sein.

Am Morgen erklärte er bestimmter, als Edel gedacht hätte, daß er noch vor Mittag abzureisen beabsichtige.

Am Vormittage saßen sie allein im Wohnzimmer; das Gespräch wurde nur mit Unterbrechungen geführt und Morten berührte zum erstenmale seine Pläne.

Seine Stimme klang so eigentümlich, daß Edel fast bebend da saß und nähte.

Sie hatte einsilbig geantwortet. Um doch etwas zu sagen, fragte sie mit einemmale an eine seiner Äußerungen anknüpfend:

»Aber weshalb verließen Sie denn Bergen?«

»Weil ich, Fräulein Edel,« – versetzte er, als ob er endlich seinem Herzen Luft machen wollte – »es nicht aushalten konnte, länger entfernt zu leben von – von –«

Errötend beugte das junge Mädchen sein Antlitz dicht auf das Nähzeug herab, denn es erwartete dasselbe, was ihm auf den Lippen schwebte, nämlich das kleine Wort »Ihnen«. Unwillkürlich beugte sie sich herab wie jedes Weib, sobald es den entscheidenden Schuß von Amors Bogen wahrnimmt.

So nahe Morten Jonsen auch daran war, sprach er dieses Wort doch nicht aus. Er blieb seinem einmal gefaßten Entschlusse treu und endete den Satz mit der Erklärung:

»– vom Nordlande.«

Es entstand eine drückende Pause; Edel sprach einige gleichgültige Worte, wobei sie jedoch etwas verändert aussah. Sie hatte seine Erklärung in vollem Ernste erwartet, hatte gefühlt, daß sie erfolgen sollte – und daß er sie nur mit großer Anstrengung unterdrücke.

Als Morten in dem Boote saß, das ihn aus dem Sunde fuhr, empfand er ein hohes Glück. Er hatte die Gewißheit, geliebt zu werden, und die Pläne, die er jetzt so bald wie möglich auszuführen trachtete, hatten einen Rosenschein erhalten.

Nur wunderte es ihn doch, daß Edel seinen letzten Gruß von der Landungsbrücke, der ihr besonders gegolten, nicht bemerkt hatte.

Aber das junge Mädchen vergoß des Abends im stillen bittere Thränen. Edel hatte das kränkende, demütigende Gefühl, daß sie ihm weiter entgegengekommen wäre, als ihr Stolz zu ertragen vermochte. Denn sie sah ein, daß es doch so wäre, wie sie zuerst gedacht hatte: – er beabsichtigte erst dann seinen Antrag zu stellen, wenn er ihr in einer Lebensstellung, die ihr und ihrem Vater annehmbar erscheinen müßte, gegenübertrete. In seiner Dürftigkeit dachte er sich also sein Verhältnis zu ihr anders – und er hatte keine höhere Meinung von ihr, als daß die Sache auf sich beruhen müßte, bis seine Spekulationen geglückt wären.

»Nun gut, Morten Jonsen,« – sagte sie sich betrübt – »werde reich, werde steinreich, und du sollst eine Antwort erhalten.«

Jungfer Dyring trug unwissentlich das Ihrige dazu bei, den Stachel noch tiefer hineinzudrücken. Sie hatte eingesehen, daß nicht alles war, wie es sein sollte, und bemerkte eines Tages wie zufällig, um ihren Liebling in ein gutes Licht zu stellen:

»Sehen Sie, Fräulein, er ist ein Mann, auf den man sich verlassen kann; er will es zu einer sicheren Zukunft bringen!«

Wie Edel dieses Wort »Zukunft« – so angewandt – haßte!


Der äußere Grund, welcher Morten Jonsen zur Beschleunigung seiner Abreise bewogen hatte, bestand darin, daß er noch hoffte die Familie Nutto während ihres gewöhnlichen Sommeraufenthalts auf der Insel Skorpen treffen zu können.

Als er jetzt nach sieben bis acht Jahren an einem stillen Sommerabend an der Anlegestätte der Boote in seiner Heimat, unweit der kleinen Hütte oben in der Felskluft, landete, hatte er das sonderbare Gefühl, daß das Haus doch weit kleiner wäre, als er sich vorgestellt hatte. Das silberhelle weite Meer, die Gebirgswand drüben auf dem festen Lande, die jetzt bläulichrot in der Abendsonne dastand, und alle die übrigen Umgebungen besaßen eine mächtige Schönheit, die er mit tiefer Bewegung wiedersah. – War es doch das Gemälde aus seiner Kindheit.

Um durch seine Ankunft zu überraschen, war er mit dem Boote dicht am Ufer entlang gefahren und fragte sich, ob wohl eine kleine Schafherde, die er oben auf der Felshöhe gesehen hatte, den Seinigen gehöre.

Jetzt erblickte er seine Mutter, wie sie am Sommerabend draußen in der Hausthür mit dem Strickzeuge in der Hand und dem Garnknäuel auf dem Schoße zu sitzen pflegte. Den steilen Pfad mit wenigen Sprüngen hinauf eilend, stand er plötzlich an der Thürschwelle vor ihr. – Es dauerte einen Augenblick, bis sie ihren eigenen Augen trauend ihren Sohn umarmte – und noch länger, bis sie sich von der heftigen plötzlichen Freude wieder erholt hatte.

Sein Vater befand sich noch auf einer längeren Fahrt und wurde erst in acht Tagen zurückerwartet. Dagegen sah er ein liebliches, hübsches, siebzehnjähriges Mädchen, das ihn mit mancher verwunderten Frage im Blick und anfangs etwas verlegen begrüßte, seine jüngere Schwester Christine, die jetzt erwachsen und das vollkommene Abbild ihrer Mutter in ihrer Jugend, wenn auch etwas kleiner, war. Von seinem Bruder Eilert vernahm er, derselbe habe es bei einem Kaufmann im Norden gut und befände sich auf bestem Wege.

Am Abend blickte ihn seine Mutter mehrmals forschend an, aber er sah so glücklich und fröhlich aus, daß sie sich beruhigte.

Während sie spät am Abend allein bei einander auf den Steinfließen saßen, erzählte er ihr, daß er seine Stelle in Bergen aufgegeben hätte, – ein Ereignis, worüber sie die Hände zusammenschlug – und entwickelte ihr darauf seinen Plan, hier auf Finnäs ein neues Geschäft zu gründen. Er gedachte je eher desto lieber damit anzufangen, so lange die Finnen noch auf der Insel wären, und sie dann nach Karasuando in Schweden zu begleiten, um die beabsichtigten Handelsverbindungen anzuknüpfen. Gleich nach Ankunft eines Bootes mit allerhand leichtverkäuflichen Waren wie Kaffee, Zucker, Tabak u. s. w., welches er erwartete, wollte er in einer Weise beginnen, die nichts Auffallendes für sie haben würde; er wollte nämlich das auf dem Lande umgekehrte Boot als Laden benutzen. Die Hauptsache wäre indessen, den Kwänen und die Familie Nuttos zur Abtretung des nötigen Bodens auf Finnäs zu gewinnen.

Schweigend saß Marina da und hörte ihrem Sohne zu. Sie vermochte seine Pläne nicht zu beurteilen; aber in dem allen war ein Punkt, über den sie sich den Kopf zerbrach, nämlich, weshalb er dies alles wolle, da er in Bergen doch eine so ausgezeichnete Stelle gehabt hatte. Er las auf dem Gesicht seiner Mutter, was sie dachte, und vertraute ihr an dem stillen, halbdunklen Abend seine ganze Liebe zu Edel Heggelund an.

Jetzt verstand sie mit einemmale alles und stimmte mit vollem Herzen dem Unternehmen des Sohnes bei; nur meinte sie lächelnd, er hätte drüben zu Heggelunds wohl noch eine schönere Reise antreten können. Als der Sohn ihr seine Gründe entwickelte, antwortete sie nicht. Als Mutter teilte sie seinen Stolz; aber in Edels Seele fühlte sie, daß sie doch wohl einer andern Ansicht gewesen wäre.

Marina brauchte die ganze Nacht, um einige Klarheit über dies alles zu erlangen. Sie sah ein, daß hier anfangs ihre Hilfe von entscheidender Bedeutung sein könnte, um ihrem Sohne Eingang bei den Finnen zu verschaffen.

Schon am nächsten Nachmittag saß sie, von neuem und altem freundlich plaudernd, unten im Zelte des Mathis Nutto bei einer Tasse Kaffee von Bohnen, »die ihr Sohn selbst mit nach Hause gebracht hätte«.

Das Gespräch kam zufällig auf die Tage, in denen Lyma, die Tochter des Kwänen, und Morten so gute Freunde gewesen wären, und den Kwänen und Mathis fiel es wieder ein, wie Marina Lyma und deren Mutter – die erste Mutter des Kwänen und die Tochter des Mathis – draußen auf der Schär gerettet hatte.

An einem andern Tage erwähnte sie bei einem ähnlichen Besuche zufälligerweise, ihr Sohn hätte ein Boot mit Waren mitgebracht, mit denen er zu handeln gedächte; sie bemerkte jedoch, daß es für einen Anfänger in hiesiger Gegend gar nicht so leicht wäre, so lange Stuwitz wie ein Habicht gegen alle auf der Lauer läge.

Das war ein Stichwort, welches, wie sie wußte, bei ihnen, wegen ihrer alten Feindschaft mit ihm, sicherlich anschlug und zugleich auf Wahrheit beruhte, denn Stuwitz war dafür bekannt, daß er beständig gegen Konkurrenten zu Felde zog und jedes Mittel zu ihrer Vernichtung benutzte. Diesmal hatte sie ein Bündel Geschenke bei sich, die Mathis für Lyma von Morten mit nach Schweden nehmen sollte, und er selbst erhielt dabei für seine Mühe einige Pfund Tabak. Marina wurde es leicht, Menschenherzen zu gewinnen, und hier benahm sie sich überdies klug und gewandt.

Als Jon Zachariasen nach Hause kam, fand er zu seiner unendlichen Überraschung, wie sein heimgekehrter Sohn in seinem improvisierten Laden unter dem umgestülpten Boote unweit der Erdhütte des Kwänen lebhaft kaufte und verkaufte. Bereits hatten sich nicht wenige Lappländer eingefunden, um Tauschhandel zu treiben, und am Strande lagen einige Boote mit Leuten, die das Gerücht von dem festen Lande hierher geführt hatte.

Jon gab seinem Sohne nicht weiter zu verstehen, was er über den von ihm gethanen Schritt oder über sein Vorhaben im allgemeinen dächte. Aber Marina gegenüber sprach er seine Unzufriedenheit aus und erklärte, es stecke nicht viel darin, das Sichere für etwas wegzuwerfen, von dem noch niemand das Ende wüßte; »sein Sohn wäre aber jetzt erwachsen und gelehrter als sein einfacher Vater, – deshalb müßte er sich selber zu helfen wissen.« – Als sie ihm nun anvertraute, was sie über die Ursache wußte, wurde er zwar etwas milder gestimmt, meinte aber doch, wenn das feine Fräulein Morten ihn nicht in der Stellung, die er einmal hatte, nehmen wollte, so lohnte es sich nicht, Jagd auf sie zu machen. Sein stilles Herz empörte sich gegen sie, weil sie dies alles veranlaßt hatte, und er war gegen Marina öfter etwas ärgerlich, weil er fühlte, sie dächte anders. Einmal bemerkte er, »in dem allen läge doch zu viel Hochmut, als daß man rechtes Vertrauen dazu haben könnte«.

Die Preise, die Morten Nutto für Häute gegen Tauschwaren im nächsten Sommer bot, gefielen diesem in so hohem Grade, daß derselbe ihm eines Tages selbst vorschlug, ihn nach Karasuando zu begleiten, wo er Häute im Überfluß finden würde.

Morten hatte in dieser Zeit gleichwohl manche Sorge, die er seinen Eltern nicht anvertrauen mochte. Seine neue Einrichtung war noch sehr unvollkommen; bald ging ihm die eine und bald die andere Warenart aus, während doch das Geschäft regelmäßig fortgeführt werden mußte, damit die Leute nicht abgeschreckt wurden und Mißtrauen faßten. Das Kauffahrteischiff, mit dem er etwas größere Vorräte aus Drontheim erwartete, legte bei der Insel Skorpen erst im letzten Augenblicke an, als er schon verzweifelt dachte, er müßte in einigen Tagen die Leute wieder fortschicken, weil der Laden leer war.

Den Kwänen hatte er schon zu der Abtretung von Finnäs gegen eine jährliche Pacht und andere Vorteile betrogen – wenn er dazu noch die Einwilligung Mathis Nuttos und seiner Söhne erhielte.

Schon nahte der Herbst und die Lappländer zogen bereits langsam das Gebirge hinauf der Grenze zu, als eines Tages zu seiner unendlichen Erleichterung sein Bruder Eilert eintraf und die Leitung des Geschäftes auf Finnäs übernahm.

Schon den folgenden Tag war er reisefertig. Sein Felleisen hatte er mit verschiedenen Artikeln aus dem Laden, mit Spiegeln, Taschentüchern und ähnlichen Gegenständen gefüllt, die er, wenn alles gut ging, als Geschenke benutzen konnte, und am Nachmittage war er bereits über den Sund gesetzt und hatte die Reise auf dem festen Lande angetreten.



 << zurück weiter >>