Jonas Lie
Der Dreimaster »Zukunft«
Jonas Lie

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Zwölftes Kapitel.

In Bergen.

Mühlenwad in Bergen, zu dem Morten Jonsen gekommen war, hatte einen bedeutenden Handel nach dem Nordland nebst ausgedehnten Verbindungen mit dem Auslande, wohin er seine Fischwaren verschiffte. Mancher Nordländer von Helgeland bis hinauf nach Finmarken stand mit Mühlenwads »Stube unten an der deutschen Brücke« in Schuldverhältnissen. In den beiden Fischfangszeiten ankerten die vielen Jachten, die dort Handel trieben, womöglich in dem Hafen dicht davor. Dann herrschte dort an der Brücke, wo man die Fische auf die Wage brachte, die größte Geschäftigkeit, während den ganzen Tag lang ein Gewimmel von Nordfahrern die Comptoire füllte. Man lieferte seine Waren, bezahlte etwas »auf das Alte« ab und erhielt den Rest nach gewöhnlichem Handelsgebrauch ausbezahlt.

Der alte Mühlenwad wohnte selbst in der Obergasse in einem weißangestrichenen, spitzgiebligen Hause nach dem alten deutschen Stile, das zwischen seinen Nachbarn in der Hausreihe wie ein Soldat im Gliede eingeklemmt dastand. Er war auch selbst in jeder Beziehung ein Mann der alten Schule und gehörte zu den deutschen Familien, die besonders die Deutsche Kirche besuchten; dazu ein nach allen Seiten streng religiöser Mann – Geld- und Geschäftsmann vom Kopf bis zu den Füßen –, und nach seinem Bewußtsein stand der liebe Gott auch wesentlich als der oberste und genaueste Geschäftsmann der Welt da. Der Gott, der in seinem Konto eine Rolle spielte, war übrigens ebenso kleinlich und geizig wie er selbst, und hielt zornig auf sein Recht, indem er nichts vom Tisch- und Abendgebet abließ und am siebenten Tage Vormittagspredigt sowie Bibellektüre im Hause verlangte.

Mit seinem breitkrempigen Hute, dem braunen Tuchrocke und dem braunen, dicken Stock mit dem goldenen Knopfe – immer gegen denselben Pfosten gelehnt – war er eine der eigentümlichen Figuren der alten Börse. Daß sein Name gut wie Gold war, das wußten alle, und ebenso, daß er gegen all die neuen Erfindungen war, die in dem jüngeren Handelsstand aufzutauchen begannen, und nicht am wenigsten gegen das Gerücht von einer neuen Börse, von deren Gründung sich der Gedanke zu regen begann. Von einer Gattin, die früh gestorben war und es nicht allzu gut gehabt hatte, über der sich aber auf dem Kirchhofe ein großes Denkmal erhob, hatte er einen Sohn Namens Wollert, dessen einzige Freiheit die Schulzeit gewesen, dessen Schrecken noch immer der Vater war, und der jetzt, nach einem kurzen Aufenthalt in Hamburg als ein vollständiger Laffe zurückgekehrt war, – in welcher Eigenschaft er der Aufmerksamkeit des Vaters stets in der sinnreichsten Weise zu entgehen wußte. Aber dann mußte er auch mitunter, wenn er zufälligerweise dabei ergriffen wurde, ein jämmerliches Standrecht über sich ergehen lassen, bei dem der braune Stock des Vaters seine Rolle spielte, und darauf auf dem Comptoir oder zu Hause in der Schlafkammer eingesperrt sitzen. Nach einer solchen Scene pflegte der alte Mühlenwad stets zu Bett zu gehen und, wie es im Hause hieß, über seinen entarteten Sohn zu trauern.

In dieser freudenlosen Heimat lebte er, bewacht von seinen beiden alten, unverheirateten Tanten – Mühlenwads Schwestern – die stets mit im Kriegsrate über seine Aufführung saßen. Einige Freiheit genoß er nur im Sommer, wenn die Familie auf ihrem kleinen Landsitze in Kongshaven lebte, und er auf dem Comptoir in der Stadt bleiben sollte.

Trotzdem dann gerade die geschäftige Zeit der Fischablieferung war und es folglich auf dem Comptoir genug zu thun gab, fühlte er sich in dieser Zeit doch leichter und von der heimlichen Beaufsichtigung befreiter. Seine Tanten blieben dann abwechselnd jede eine Woche in der Stadt, um die Mahlzeiten für die Nordländer zu besorgen. Dieselbe Tante präsidierte des Sonntags, wenn diesen eine Gesellschaft gegeben wurde, stets auf dem hohen gelbledernen Sessel, während der Rotwein, der gerade nicht der beste war, zur Zwetschensuppe und zum Braten serviert wurde. In dieser Zeit ließ sich doch wieder etwas Luft schöpfen.

Mußte er sonst des Sonntags seinen Vater und die Tanten regelmäßig nach der Deutschen Kirche begleiten und den größten Teil der Festtage in der Stube sitzen, so wußte er des Abends, wenn sich die Alten niedergelegt hatten, das Versäumte mit seinen Kameraden nachzuholen. In einer Winternacht fand die eine der Tanten, als sie mit dem Lichte in der Hand überall nachsah, sein Zimmer leer und eine Leiter unter dem Fenster stehen. Als er spät in der Nacht nach Hause zurückkehrte und das Licht anzündete, saß der Kriegsrat schon in Nachtmützen da. Sein Entsetzen war groß; aber sein rascher Blick entdeckte bald, daß der eigentliche Exekutor, »der Alte«, nicht zugegen war, und er ergriff seine Maßregeln danach. Er sagte laut, indem er wieder hinaufstieg, als ob er sich aus dem Fenster stürzen wollte:

»Jetzt könnt ihr sehn, daß ich mir das Leben nehme!«

Das Ende vom Liede war, daß ihm seine erschreckten Tanten von dem Tage an ohne Wissen des Alten zu einer »passenden Freiheit« verhalfen, und ihm das hinreichende Taschengeld gaben, um sie zu genießen.

Der junge Wollert hatte jedoch Geld in der Tasche gehabt, ehe ihm die Tanten dazu verhalfen. Dieses lieh er von seinem Onkel Daniel, der Rentier war und einsam in einem Hause unten im Garten wohnte. Sein Geiz gab zu vielen Stadtgeschichten Stoff und es war bekannt, daß er sich kaum das trockene Brot gönnte. Er glaubte von seinem Bruder, dem Kaufmann, einst um sein Erbteil betrogen zu sein und haßte ihn gründlich. So oft der Neffe sich gegen ihn darüber aufhielt, wie schlecht er es zu Hause hätte, stimmte er ihm immer bei und einmal, als jener sich darüber beklagte, daß er nie Geld erhielte, erbot er sich zu einigen Darlehen, bis er mündig würde und sein mütterliches Erbe beanspruchen könnte. Wollert stellte seinem Onkel jedesmal kleine Verschreibungen zu vierundzwanzig Prozent Zinsen aus und hatte demnach seine eigene Bank. Er mußte sich jedoch zugleich verpflichten aufzupassen, wer dem Rentier die Johannisbeeren im Garten stähle oder ihm die Scheiben einwürfe, denn die Straßenjungen machten ihm viel zu schaffen. Wenn dieser des Abends im blauen Rocke und mit dem baumwollenen Regenschirm in der Hand durch die Gartenthür auf die Straße hinaustrat, verfolgten sie ihn gern mit allerlei Spitznamen.

Anfangs hatte Morten es bei Mühlenwads schwierig gehabt und auf mancherlei Weise merken müssen, daß Stuwitzens Arm auch bis hierher reichte.

Unter seinen großen kaufmännischen Geschäften nach dem Nordland hinauf hatte Mühlenwad unter anderm auch Heggelunds ganzen Handel. Er hegte die größte Achtung vor Stuwitz, den er seit einer Reihe von Jahren als den eigentlichen Geschäftsleiter kennen gelernt hatte, und nahm infolge der Winke desselben Morten Jonsen mit Voreingenommenheit als einen bloßen Günstling Heggelunds und zugleich als eine Art Projektmacher auf. Die Empfehlung eines so großen Kunden mußte berücksichtigt werden; – aber »der Bursche selbst war natürlich keine Pfeife Tabak wert«. Und wenn sich bei Mühlenwad erst eine Idee festgesetzt hatte, so gehörte etwas dazu, sie wieder auszurotten.

Morten erhielt eine Art untergeordneter Zwischenstellung, nach der er wenig getrachtet hatte; halb half er dem »Brückengesell« und halb gehörte er dem Comptoir an. Seine meiste Zeit brachte er am »Wippbaum« (Krahn) unten an der Landungsbrücke unter schwerer Arbeit zu. Aber durch seine Raschheit und die Ordnung, die in alles kam, was er unter den Händen hatte, gewann er doch nach und nach Mühlenwads widerstrebende Anerkennung. In der Zeit der Fischablieferung, in der es darauf ankam, die Fische zu sortieren, bewies er ein Verständnis von der Sache, die außerordentlich überraschte; – es war die Frucht seiner gründlichen Erfahrung in diesen Dingen. Mühlenwad, der gut den Nutzen einsah, den er daraus ziehen konnte, forderte ihn auf, sein Brückenvorsteher oder erster Gesell zu werden. Morten sprach seinen Dank für das Anerbieten aus, erwiderte aber zu Mühlenwads Verdruß: Nein, – er wünsche jetzt einmal den Weg durch das Comptoir zu gehen. Und da es nicht nach Mühlenwads Kopf ging, war Morten Jonsen wieder in Ungnade.

Dieser hatte gegen Ende seines Aufenthaltes bei Heggelund von dem Sohn des Pfarrers die Anfangsgründe der deutschen Sprache gelernt, und unter Anleitung eines deutschen Ladendieners, mit dem er umging, hatte er sich von seiner Ankunft in Bergen an mit dieser Sprache in seinen Freistunden und besonders des Sonntags beschäftigt. Nach Verlauf von anderthalb Jahren war er so weit gekommen, daß er die Sprache sowohl lesen als auch schreiben konnte. – Morten wollte vorwärts.

Wollert Mühlenwad, der im Grunde ein gutherziges und gutmütiges Menschenkind war und jetzt ein höchst tolles Leben führte, hatte ihm die ungebundene Freiheit in einem allzuglänzenden Lichte gezeigt. Er sprach oft mit Morten Jonsen und schien sich ihm sogar ganz besonders anzuschließen; vielleicht war es dessen Glück, daß der junge Mann ihn damals nicht fein und gebildet genug fand, um ihn bei seinen Freunden einzuführen. Des Sonntags konnte er öfters stundenlang in Mortens kleinem Zimmer unten an der Brücke sitzen und unaufhörlich schwatzen.

Einmal sah er, daß dieser dasaß und deutsch schrieb, und hörte zu seiner Verwunderung, daß er diese Sprache gelernt hätte, sowie auch, daß er etwas von der Buchhalterei verstände. Der junge Herr Wollert haßte das Comptoir und alles, was dazu gehörte, so stark, wie Morten Jonsen es liebte. Es dauerte deshalb nicht lange, bis er diesem vorschlug ihm seine deutschen Korrespondenzen aufzusetzen, welche Wollert dann nur abzuschreiben und »dem Alten« vorzulegen brauchte. Morten fühlte, daß es eigentlich nicht ganz recht war, beruhigte aber sein Gewissen dadurch, daß er die angebotene Entschädigung für die Arbeit, welche den ganzen Sonntag in Anspruch nehmen würde, ablehnte.

Infolge dieser Arbeiten lebte Wollert flott und lustig und erntete zugleich die große Anerkennung seines Vaters, indem er zu den Tanten äußerte, die Sachen wären wie von einem alten erfahrenen Kaufmann geschrieben und zugleich kurz und bestimmt, – »es könnte aus dem Wollert doch noch etwas werden!« An seinem Geburtstage erhielt er eine goldene Uhr und durfte die Brille, die er sonst nur heimlich aufsetzte, von nun an offen tragen, bediente sich ihrer jedoch jetzt seltener.

Da trat eines Tages eine schlimme Überraschung ein. Wollert übergab seinem Vater einen ganzen Haufen Briefe zur Unterschrift. Unter ihnen lagen zwei von einer andern schönen und sicheren Hand geschriebene, welche Wollert in der Eile fortzunehmen vergessen hatte.

Als der Alte auf den ersten derselben, einen langen, wohlstilisierten Brief, stieß, sah Wollert, der auf der anderen Seite des Pultes saß und wartete, weil die Papiere nachher noch kopiert und eingetragen werden sollten, daß etwas Schlimmes im Anzuge war.

Der Alte saß eine lange Zeit schweigend da und starrte den Brief an, nahm ihn auf und legte ihn dann wieder mit einem Ausdruck des schmalen, scharfen Antlitzes hin, als ob ein falscher Wechsel vor ihm läge. Einen Augenblick sah er wild nach der Ecke, in welcher der dicke Stock mit der alten Mütze über dem goldenen Knopfe stand, und ein heftiges Zucken lief über seinen Körper. Aber dann las er wieder den Brief durch und nickte mit bittrem Genusse langsam bei verschiedenen Stellen, als ob er recht erkennen wollte, wie gut und klug er geschrieben war. Endlich brach er los:

»Nein, – und ich konnte mir einbilden, du hättest so schreiben können! Her mit deiner verwünschten Brille, Wollert!«

Wollert reichte sie ihm gehorsam über das Pult hin, und der Alte zerbrach sie und zertrat die Gläser unter den Füßen.

»Wer hat es dir geschrieben?«

Wollert begann mit der Ausflucht, es wären nur die beiden Briefe gewesen, aber ein Blick des Alten nach dem Stocke machte ihn endlich aufrichtig und er antwortete:

»Jonsen!«

»Jonsen! – Unser Jonsen hier? – – so – o!«

Es war ein langes »So – o«, das mancherlei Gedanken ausdrückte, und auf das zuletzt die inquirierende Frage folgte:

»Was hat er dafür genommen?«

»Er wollte nichts annehmen.«

»Dann will ich dir sagen, was er wollte,« – schrie der Alte hitzig, als ob er wieder an den Stock dächte – »er wollte, was du nicht wolltest, obgleich du der Sohn und Enkel eines rechtschaffenen Kaufmanns bist, – er wollte etwas lernen, kann ich dir sagen, und nie wirst du auch nur der kleine Finger von ihm.«

Darauf öffnete er die Thür und bat einen von denen, die dort saßen, er möchte Jonsen heraufholen.

Mühlenwad saß eine Weile überlegend da, und Wollert kam es in dem kleinen Comptoir entsetzlich schwül vor. Die Sache war, daß der Alte ungern offen heraussagen wollte, er wüßte, daß der Sohn unredlich gegen ihn gewesen wäre.

Als Morten Jonsen kam, fragte er nur, indem er auf die beiden Briefe wies:

»Sie haben diese geschrieben?«

»Ja.«

»Wo haben Sie es gelernt?«

Als es der junge Mann in aller Kürze mitgeteilt hatte, sagte Mühlenwad, der inzwischen zu einem festen Entschluß gekommen war, in einem Tone, als ob er aus einem Buche abläse:

»Sie haben von morgen an festen Platz mit vollem Gehalt auf meinem Comptoir, und wenn mein Sohn korrespondiert, hat er sich erst mit Ihnen über den Inhalt zu beraten, ehe mir die Briefe vorgelegt werden.« – Dabei nickte er ihm freundlich zu und Morten ging. Aber noch lange saß der alte Mühlenwad da und blickte ihm, nach der Thür gewendet nach; endlich sagte er fast sanft:

»Ja, könntest du doch wie dieser Bursche werden, Wollert! – In dem steckt ein Eisen, das es zu etwas bringen will; – aber dergleichen,« sagte er seufzend, »ist für einen armen Vater wohl nicht zu erwarten!«

Und Wollert ging, froh, daß er so billig fortgekommen war.

Im nächsten Jahre korrespondierte Morten Jonsen auch in französischer Sprache und begann auf Mühlenwads Comptoir eine immer hervorragendere Stellung einzunehmen. Es war bekannt, daß jetzt alle Schriftstücke durch seine Hände gehen mußten; sonst war Mühlenwad der Postsachen wegen nie ruhig.

Sein Gehalt war jetzt erhöht, und er hatte die Mittel dazu, wie andere junge Leute aus dem Handelsstande zu leben.

In Mühlenwads Schule aufgezogen, fing auch das Geld an in seinen Augen Wert zu bekommen, was eigentlich nicht in seiner Natur lag. Er hörte rings um sich die Menschen nie anders als nach ihrem Vermögen schätzen, und es gab keinen seiner Kameraden, der nicht davon träumte, einmal Matador an der Börse zu werden. – Wurde doch Mühlenwads alter, breitkrempiger Hut von den jungen Augen fast wie eine Krone verehrt.

So war Morten Jonsen denn auf gutem Wege ein Geschäftsmann zu werden vom Kopf bis zu den Füßen. Er trug in seinem Wesen eine gewisse Würde zur Schau, und sein Auftreten zeigte, daß er sich seiner Tüchtigkeit wohl bewußt war. Es geschah aber in so gefälliger Weise, daß es ihm gewissermaßen Achtung verlieh. Das männliche, offene Gesicht verschaffte ihm ein ganz besonderes Vertrauen. Im allgemeinen glaubte man, wie der alte Mühlenwad, daß »das Eisen es einmal zu etwas bringen würde«.

In den Häusern, in die er nach und nach Eintritt erhalten hatte, war er mit mehreren jungen Damen zusammengetroffen; aber er schien für diese Seite des Lebens noch kein rechtes Verständnis zu besitzen. Man betrachtete ihn als einen für seinen Beruf allzu begeisterten Geschäftsmann, um noch für anderes Augen zu haben. Möglicherweise lag der Grund auch in etwas anderem; denn in einsamen Stunden konnte er dasitzen und ein Bild vor sich betrachten, gegen das alle in seinen Augen zurücktreten mußten; bisweilen wurde ihm selbst bange, daß er sich darin verlieren könnte.

Edel Heggelund war ein ganzes Jahr in Drontheim gewesen, und man hatte ihr dort als der Tochter des reichen Heggelund und vielleicht auch um ihrer selbst willen sehr den Hof gemacht. Morten, der sich darüber auf höchst mühselige Weise nähere Nachrichten verschafft hatte, fühlte eine große Erleichterung, als er vernahm, daß sie nach dem Nordland zurückgekehrt wäre.

Der Grund ihrer Heimkehr war der unerwartete Tod ihrer Mutter gewesen.

Gemäß seinem Versprechen hatte er selbst bisweilen an Heggelund geschrieben und dann jedesmal eine kurze freundliche Antwort erhalten. Einmal war der Vater von Edel vertreten worden, die sehr herzlich erzählte, wie es Onkel Tobias, Andreas in Christiania und Jungfer Dyring ginge. Schließlich teilte sie ihm noch mit, was seine Eltern auf der Insel Skorpen machten. Er sah ein, daß ihr die Erlangung dieser Nachrichten viel Mühe gekostet haben mußte, da man dort weit entfernt voneinander wohnte. Und so wurde der immer von neuem gelesene Brief sein wahres Kleinod.


Morten Jonsen hatte sogar einen besonderen Grund, sich seiner Bedeutung bei Mühlenwads bewußt zu sein; dieser hatte nämlich bei einer Spekulation, zu der er den Fingerzeig gegeben hatte, mehrere Tausende verdient.

Eines Tages sah Mühlenwad auf dem Comptoir sehr feierlich aus. Er hatte die Nachricht erhalten, daß Heggelund in Nordland so gut wie zu Grunde gerichtet wäre. Der Handelsplatz wäre Stuwitz übertragen, mit dem es deshalb »das Comptoir« künftig allein zu thun hätte. Die Interessen desselben wären glücklicherweise durch Stuwitzens Fürsorge gesichert worden. »Nach der Lebensweise, die dieser Mann führte,« fügte er hinzu, »habe ich es immer geahnt. Er soll jetzt nicht viel mehr als das Haus, in dem er wohnt, das Mobiliar und ein kleines Grundstück am Fjord besitzen. Der Rest ist auf Antrag der Gläubiger an Ort und Stelle meistbietend verkauft worden; – es ist hart, dergleichen zu erleben.«

Leichenblaß stand Morten Jonsen da und hörte zu, und während der übrigen Comptoirzeit vermochte er seine Gedanken nicht auf die Arbeit zu lenken. Es war, als ob etwas ihm völlig Undenkbares doch in Wahrheit stattgefunden hätte. Ebensogut hätte man ihm erzählen können, das Gebirge wäre zusammengestürzt, wie Heggelunds Haus, in dem er Jahre lang mit der Vorstellung gelebt hatte, sein Fundament ruhe auf Reichtum. Und dann that es ihm so unendlich leid; – er hatte dort eine Heimat gehabt und fühlte die Kränkung und den Kummer, die dem Hause zu teil geworden waren, tief mit. Daß Stuwitz die Schuld hätte und der eigentliche Urheber wäre, wurde ihm immer einleuchtender. Es war ihm klar wie der Tag, daß sich dieser die ganzen Jahre hindurch bereichert, seinen Hausherrn zu Grunde gerichtet und jetzt endlich seinem Werke die Krone aufgesetzt hätte. Wäre ihm Stuwitz in diesen Tagen begegnet, er würde sich, nur der Rache Gehör gebend, unzweifelhaft an ihm vergriffen haben.

Auch auf dem Comptoir war er nicht mehr ganz derselbe; er machte die Arbeiten flüchtig und übereilt und verließ es oft vor der Zeit. Des Abends machte er lange einsame Spaziergänge auf dem Wege über Sandviken hinaus, und saß dann lange auf, ehe er sich schlafen legte.

Nach der ersten Trauer war ein Gedanke in ihm erwacht, der sein Blut unruhig machte, so daß der Schlaf ihn floh. Unter den veränderten Verhältnissen war jetzt vielleicht doch die Möglichkeit, Edel Heggelund zu gewinnen.

Zwischen seinem früheren und jetzigen Gedankengange war kein geringer Unterschied. Als er Heggelunds verließ, hatte er die Scheidewand namentlich in einem Mangel an Geburt und der geringen Bildung gefühlt; jetzt erblickte er sie mehr in dem Mangel an Vermögen.

Das war es, weshalb jetzt nach dem eingetroffenen Ruin des Hauses eine geringe Hoffnung in seiner Seele aufzusteigen begann.

Anfangs nur eine Phantasie, die seine Gedanken unwillkürlich beschäftigte und immer damit endete, daß er nach einigen großartigen Handelsspekulationen als der reiche Mann erschiene, Edel Heggelunds Hand verlangte und das gefallene Haus wieder aufrichtete. Aber nach und nach begann Wirklichkeit sich in diese Träume zu mischen; und war das Ende der Geschichte auch immer dasselbe, indem er gewissermaßen Edel Heggelund mit dem Hause identifizierte, so war es doch nicht der Fall mit den Plänen, die ihn dorthin führen sollten.

Auf den einsamen Wanderungen auf dem Sandvikswege stieg vor seinem inneren Auge nach und nach eine Landzunge mit einer hübschen kleinen Bucht in der Nähe seiner Heimat auf. – Er übersiedelte dorthin, reiste in Geschäften weit umher, sah Leute massenhaft dorthin strömen und den Verkehr immer lebhafter werden und führte schließlich Edel Heggelund in das schöne Haus, das er dort erbaut hatte. Jeden Abend vergrößerte er das Bild mit einem neuen Striche. Stuwitzens alter Plan, ein Geschäft auf Finnäs einzurichten, war vor seiner Erinnerung aufgetaucht. Und als er ihn sich ausmalte und durchdachte, kam er ihm allmählich immer ausführbarer und verführerischer vor. Er fühlte die Schwierigkeiten, aber auch, – und diesmal vielleicht mit etwas jugendlichem Übermute, – seine eigenen Gaben; und hinter dem Unternehmen erblickte er Edel Heggelund.

Mühlenwads Erstaunen war groß, als Morten eines Tages auf dem Comptoir seine Stelle kündigte und ohne auf seine Pläne einzugehen, erklärte, daß er im Norden ein kleines Geschäft auf seine eigene Hand anfangen wollte. Sein Diener, meinte Mühlenwad, müßte – milde gesagt – den Kopf verloren haben, und er gab sich viel Mühe, ihn davon abzubringen. Als es jedoch vergebens war, bewilligte er ihm zum Anfang einen vorsichtigen Kredit – und einige hundert Thaler besaß Morten Jonsen selbst.

Nicht weniger erstaunte Heggelund, dem Morten hiervon Mitteilung zu machen sich verpflichtet erachtete, da jener ja für seine Zukunft gesorgt hatte. Aber der Ton in dem Briefe war nicht allzu glücklich. Er hatte hauptsächlich als Grund angegeben, daß er sich nach dem Nordland zurücksehnte und dabei zugleich mit einigem Selbstgefühl das Vertrauen ausgedrückt, daß es ihm sicherlich gelingen würde, dort gute Geschäfte zu machen. Am wenigsten fiel jedoch der Schluß des Briefes auf guten Boden. Nachdem er seine tiefe Dankbarkeit ausgedrückt hatte, sprach er schließlich etwas plump die Hoffnung aus, daß es ihm einmal glücken möchte, in die Lage zu kommen, die es ihm gestattete, für das viele Gute, das er bei Heggelunds empfangen, Ersatz zu leisten.

Letzteres berührte, wenn auch auf verschiedene Weise, sowohl bei ihm als auch bei seiner Tochter schmerzliche Saiten.

Seiner verletzten Empfindlichkeit machte Heggelund in der ärgerlichen Bemerkung Luft, er sähe nicht den geringsten Verstand darin, daß ein mittelloser Anfänger so ohne weiteres heraufkäme und sich auf der ersten besten Landzunge niederließe.

Edel hatte ihre resignierten Träume in Bezug auf Morten Jonsen gehabt. Wie man sich erinnert, hatte das junge Mädchen schon, als er noch in ihrem Hause war, entdeckt, daß er Liebe zu ihr empfände; aber zum Bewußtsein ihrer eigenen Gefühle war sie erst bei seiner Abreise gelangt, – in jener Nacht, als sie oben auf dem Gange mit Jungfer Dyring zusammentraf. Seitdem war ihr dieses Gefühl klarer geworden, und sie hatte dasselbe so zu sagen in ihr inneres Leben aufgenommen.

Edels Instinkt ließ sie nun ahnen, daß sie bei seinem plötzlichen und auffallenden Entschlusse selbst eine Rolle spielte – und einen Augenblick war sie bei dem Gedanken vor Freude errötet. In ihrem Innern war sie schon längst darüber im klaren, daß sie – wenn die Umstände es so mit sich gebracht hätten, imstande gewesen wäre, ihm ohne Rücksicht auf ihre verschiedenen Lebensverhältnisse die Hand zu reichen. Denn sie sah ein, daß ihn nur der Gedanke an diese abgehalten habe, einen Schritt zu ihrer Erlangung zu versuchen. Aber sie war sich endlich auch darüber klar geworden, daß im Grunde ein Mangel an Zutrauen zu ihr die Scheidewand aufgerichtet habe.

Infolge der Vorfälle in ihrem Hause erschien seiner Hoffnung ihr gegenseitiges Verhältnis so verändert, daß er darauf seinen entscheidenden Entschluß gebaut hatte.

Aber durch jene Vorfälle war Edel ein armes Mädchen geworden.

Als sie in ihrer Kindheit beständig auf dem Comptoir saß, entstand schon früh der Gedanke in ihr, daß sich der Vater mit einer Sorge, die er verhehlen möchte, trüge; und so unklar ihr auch die nähere Beschaffenheit derselben war, überzeugte sie sich doch nach und nach, daß Stuwitz die Ursache dieses Seelenleides wäre. Mit den gelegten Rechnungen, die er Stuwitzen ohne jegliche Prüfung unterschrieb, entstand auch seine Schwermut; wenn sie aber bei ihm am Pulte stehen oder sich auf seinen Schoß setzen konnte, schien es ihn zu erleichtern. Aber sie merkte auch, daß sie vor der Mutter kein Wort davon erwähnen durfte.

Von einer solchen Scene, – bei der aber diesmal sein Kummer so überwältigender Art war, daß sie erschrak, – war Morten kurz vor seiner Abreise nach Bergen unerwartet Zeuge gewesen. Was ihn damals so schmerzte, war jenes erwähnte bedeutende Darlehn, welches aufgenommen werden mußte und so großes Gerede verursachte.

Stolz war nun einmal eine Heggelundische Familienschwäche. Als im Hause die Subhastation der Grundstücke stattfand und der Handelsplatz Stuwitzen zugeschlagen wurde, hatte sie aus dem Fenster auf die Volksmenge herabgeschaut, die dichtgedrängt zum Laden hingeströmt war, und gefühlt, daß ihr Haus in dieser Stunde zusammenbreche.

Der Brief erfüllte ihr Gemüt mit Bitterkeit. In einem Stücke, in dem gerade eine stolze Frau tief verletzt werden kann, nämlich im Vertrauen auf den vollgültigen Adel ihrer Liebe, fühlte sie sich persönlich unterschätzt.

So lange sie selbst die Überlegene war, ließ es sich gewissermaßen ertragen; – es war ja noch immer kein klares Verhältnis gewesen, und ihr Auftreten hatte es einst vielleicht selbst veranlaßt; aber jetzt, nachdem sie arm geworden – nicht um alles in der Welt!



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