Jonas Lie
Der Dreimaster »Zukunft«
Jonas Lie

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Neuntes Kapitel.

Auf der anderen Seite des Ladentisches.

Als sich Morten am nächsten Tage in dem kleinen, freundlichen Erkerstübchen schon früh ankleidete, lag Andreas Heggelund an der andern Wand noch in tiefem Schlafe. In der feuerroten Morgensonne, die nach und nach über die Mastbäume auf den beiden Jachten, welche draußen an der Landungsbrücke befestigt waren, fortglitt, erhob sich vor dem Fenster dicht hinter dem Garten die bis zum Gipfel grünbekleidete Felswand.

Auf dem Handelsplatze war in der Morgenfrühe noch niemand auf. Weiter auf dem hellen, durch den Wiederschein der belaubten Felswand bis auf den Grund metallgrünen Fjord ruderten einige Fischerboote mit blinkenden Rudern. In der Mitte lag eine Jacht mit schlaffen Segeln, die den Morgenwind vergebens erwartete und sich jetzt von der Mannschaft hinausbugsieren ließ.

Zu Mortens Verwunderung lagen die Kleider des jungen Heggelund überall im Zimmer unordentlich umher. Die Uhr hing noch in der Weste und der eine Stiefel stand neben Mortens Bett, während der andere sich gegen die Thür lehnte, als ob er vom Fuße gewaltsam dorthin geschleudert wäre. Nachdem er alles auf einen Stuhl gepackt und die Uhr auf den kleinen Tisch neben dem Bette gelegt hatte, begab sich Morten hinab. Die Erklärung der Hausfrau, daß er eigentlich Stuwitz anginge, und noch anderes von den Eindrücken des gestrigen Tages bestimmten ihn, sich diesem vorzustellen, sobald nur der Kramladen geöffnet würde. – Er hatte überlegt, daß ihm vieles hätte erspart bleiben können, wenn er von der Landungsbrücke aus sofort den Weg verfolgt hätte, der ihm am wenigsten gefiel.

Nach einigem Umherirren fand er die Hausflur und verfolgte den Weg durch den Garten. An der Stelle, wo er einen in seinen eigenen Augen so unglücklichen Eintritt gehabt hatte, nickte Morten bedeutungsvoll; er war überzeugt, das junge Fräulein hätte ihn hier einen Augenblick angesehn, als ob sie ihre Hände an dem Bauernburschen beschmutzt hätte. Darauf eilte er nach dem Kramladen hinab, wo, wie er wußte, sein Platz war.

Als er dorthin kam, sah er den Speicherknecht, mit dem Stuwitz sprach, im Begriff die Ladenthür zu öffnen. Morten ging gerade auf Stuwitz zu, der in einem schmierigen Rocke dastand, die Perücke in der einen Hand und in der anderen ein blaugewürfeltes Taschentuch, mit dem er sich den Schweiß abtrocknete; denn er hatte sich an einer großen Tonne abgemüht, die sie zusammen bis auf das Pflaster vor der Thür gerollt hatten.

Morten nahm den Hut ab und verbeugte sich vor dem alten Stuwitz, wie er es gelernt hatte.

»Guten Tag! Was willst du?« sagte dieser barsch, während das blinde Auge mit dem weißen Fleck in der Pupille zitterte.

»Ich bin Morten von der Insel Skorpen und soll hier als Ladendiener eintreten.«

»Ach – so!« – sagte er in einem eigentümlich veränderten Tone. »Ich glaubte, du hieltest dich oben bei der Herrschaft auf; hier unten ist es so einfach, will ich dir sagen.«

Morten fühlte, daß das sich freundlich stellende Gesicht und die sanfte Stimme nichts Gutes bedeuteten. Er konnte nur durch sein Thun zeigen, daß er nach seinem Beifall streben würde und fragte bescheiden:

»Soll die Thrantonne in den Laden hinein?«

»Es ist keine Thrantonne; es ist Sirup,« – lautete die kurze Antwort. Aber Morten fuhr unverzagt fort:

»Soll die Sirupstonne hinein?«

»Hm, – ja!«

»Darf ich es thun?«

»Ei nun, ja –; aber dann mußt du erst deine neue Jacke ausziehen; hier unten sind wir nicht so fein.«

Morten that es, – und war so mit einem glücklichen Sprung mitten in die Tagesarbeit gekommen; denn da es Sonnabend war und viele Leute erschienen, ging es im Laden nach und nach geschäftig genug zu.

Während Stuwitz, die ganze Zeit über stark in Anspruch genommen, bald nach dem Speicher am Strande oder an Bord einer der Jachten eilte, die eben Ladung erhielten, bald wieder im Comptoirzimmer war oder mit den Leuten Geschäfte abschloß, – hatten außer Morten noch zwei Handlungsdiener volle Arbeit am Ladentische; später kam auch noch Andreas Heggelund und leistete Beistand. Um all die verschiedenen Dinge, mit denen die Bauern erschienen, von Fischen und Fladenbroten, neuen Booten und Häuten an, bis auf Kleinigkeiten wie Beeren in Tienen hinab, mußte weitläufig gefeilscht werden, und die Bezahlung geschah darauf in Waren aus dem Laden. »Alten Bekannten,« d. h. einzelnen Auserwählten, von dem ersten Diener zu einem Imbiß im Nebenzimmer eingeladen, wurden einige Gläser von einer besseren Sorte als jener Mischung vorgesetzt, die man als Wein verkaufte, und deren Zubereitung stets von Stuwitz selbst ausging. Aber Morten sah bald, daß dies aus ganz anderen Rücksichten geschah, als aus den freundschaftlichen Worten und namentlich aus den Grüßen an die Familie zu Hause zu entnehmen war, und erinnerte sich mit einem eigentümlichen Gefühl, daß sein Vater von Sörströmmen mehrmals mit ähnlichen Grüßen nach Hause gekommen war.

Morten hatte den Preis gewisser, vielverlangter Waren bald erfahren und erweiterte seine Kenntnis stündlich mehr. Er fühlte sich ganz stolz in seiner neuen Stellung hinter dem Ladentisch, besonders wenn er Bekannten aus dem Volke ein neues Paket zuschnürte, mit der Hand tief in die Rosinen hinein faßte oder mit der Schaufel in die Zuckerschublade hinabfuhr; – auch sorgte er für genauestes Gleichgewicht an der Wagschale. Man mutete ihm zu, den Preis zu ermäßigen, und er erklärte seinerseits mit großem Ernste, es wäre ihnen absolut unmöglich, billiger zu verkaufen. Nach einem Ausdruck, den er von dem ersten Ladendiener aufschnappte, und der ihm höchst kaufmännisch klang, wagte er sogar für einige Brustnadeln und Ringe in einem Glaskästchen, welche ihm selbst, als sie aus der Baumwolle hervorblitzten, ebenso prächtig vorkamen wie dem bewundernden Mädchen jenseits des Ladentisches, zu »garantieren«. Dagegen sagte er nichts über die hübschen blauen englischen Angeln, deren Zerbrechlichkeit er aus eigener Erfahrung draußen auf dem Fischgrunde kannte, sondern suchte ihnen schweigend nur die soliden weißen zu zeigen.

Das Frühstück war ihnen hinabgesandt worden; um zwölf Uhr mußten die Ladendiener einander ablösen, um in einem Eckzimmer des Hauptgebäudes, welches von den übrigen Räumen, worin die Gäste jetzt erst beim Frühstück saßen, getrennt war, in aller Geschwindigkeit zu speisen. Aber selbst diese kurze Unterbrechung kam Morten zu lang vor, und hätte er sich nicht geschämt, so würde er gern auf das Mittagsbrot verzichtet haben, um unten stehen bleiben zu können.

Darauf erhielt er den Befehl, die Jacht von der Landungsbrücke aus anzurufen, um sich mit einem Auftrage von Stuwitz für den Steuermann derselben an Bord zu begeben. Als er nun hinten im Boote mit dem Steuerruder in der Hand dastand, während der Mann ihn ruderte und nachher ehrfurchtsvoll zurück ruderte, um dem »Ladendiener« das Besteigen der Schiffstreppe zu erleichtern, empfand er womöglich noch tiefer, wie viel weiter er doch vorwärts gekommen wäre. Er nahm es mit einer eigentümlichen Miene hin, wie jemand, der viel zu thun hat und dem es an Zeit zu unnützen Geplauder fehlt, dankte aber dem Manne doch für den Dienst, wie er früher zu thun pflegte.

Der Zufall wollte, daß der von seiner neuen Beschäftigung fast fieberhaft in Anspruch genommene Morten noch an demselben Tage auch einen ernsten Vorgeschmack von der Kehrseite seines neuen Lebens bekommen sollte. Ein armer Bauer, der wegen langwieriger Krankheit sehr zurückgekommen war, stellte sich Stuwitz vor und bat, ihm aus Rücksicht auf ihre langjährigen guten Handelsverhältnisse einen Centner Mehl zu kreditieren. Er war in der Woche schon einmal dagewesen und hatte vergebens gebeten. Jetzt hatte er seine Frau mitgebracht, die nicht weniger kümmerlich und elend aussah als er selbst. Sie hätten, sagte der Mann mit einer fast unhörbaren Stimme, jetzt nicht mehr eine Handvoll Mehl für ihre sieben Kinder im Hause. Stuwitz verwies sie kurz und barsch an die Armenkasse. Aber Morten wurde von dem Anblick ganz ergriffen. Er entsann sich, was seine Mutter von der traurigen Zeit erzählt hatte, als der Vater lange krank gelegen und Stuwitz ihnen gleichfalls den Kredit verweigert hatte. Schon wollte er in aller Stille die Schnur unter der Weste zerreißen, um dem Manne das einzige Geldstück zu geben, das er von Hause mitgebracht hatte, nämlich ein Achtschillingstück mit einem Loche in der Mitte, eines jener Stücke, »die Blut stillen können,« und auch sonst Glück bringen, als Andreas Heggelund, vor Erregung bleich, über den Ladentisch sprang und sie aufforderte, ihn nach dem Hauptgebäude zu begleiten. Stuwitz drehte ihm den Rücken zu, sah ihm aber unendlich höhnisch nach. Eine Stunde später kamen die beiden an dem Laden vorüber, mit verschiedenen Bündeln in den Händen, und wie es schien, über alle Erwartung gut versehen.

Am Nachmittag kam Andreas Heggelund wieder nach dem Laden hinab und verlangte Pulver, da wegen der Abreise des Amtsrichters von der Batterie an der Flaggenstange salutiert werden sollte. Er that dies stets persönlich und wollte Morten jetzt mit sich haben. Dieser hatte indessen schon so viel von den Verhältnissen im Hause kennen gelernt, daß er Andreas Heggelund nicht länger durch dick und dünn folgen dürfe, so freundlich und gutherzig ihm dieser auch vorkam. Und um die Wahrheit zu sagen, verspürte er auch die größte Unlust, den Laden auch nur auf eine Minute zu verlassen. Eifrig beschäftigt blieb er darin, bis der letzte Mann abgefertigt und der Laden endlich geschlossen wurde.

Endlich am späten hellen Abend war die Landungsbrücke wieder leer von Leuten und Booten, – das letzte von ihnen ruderte gerade fort –; die großen Schlüssel in den Ladenthüren wurden umgedreht und der Hausknecht brachte nur noch hier und da etwas in Ordnung.

Abendbrot aß er mit den beiden andern Ladendienern und mußte mit dem jüngsten in einem Zimmer schlafen. Aber diesmal war Morten mit seinem Tagewerk ganz anders zufrieden. Er hatte seinen höchsten Wunsch in der Welt, Ladendiener zu werden, erreicht, aber sich doch nicht gedacht, daß es auch nur halb so unterhaltend wäre. Lange konnte er nicht einschlafen, weil er an den Laden dachte und sich nach dem Montag sehnte, an dem alles von neuem beginnen sollte.


Am Sonntage schliefen alle im Hause wie die Siebenschläfer. Außer einigen Knechten, die mit naßgekämmten Haaren und in ihrem Sonntagsstaate, mit einer oder zwei Uhrketten über der Weste und der Sonntagspfeife im Munde erschienen, waren nur wenige auf, bevor das Kirchenboot an der Landungsbrücke zur Abfahrt in Bereitschaft gesetzt wurde; – eine Sache, mit der man sich nicht übereilte, weil der Pfarrer, wenn nötig, gern eine Zeit lang auf Heggelunds wartete. Einige Stunden vorher hatte Morten gleichwohl Edel Heggelund mit ihrer einige Jahre älteren Freundin, der Tochter des Amtsrichters, die zum Besuch zurückgeblieben war, im Garten gesehen und bemerkt, daß Andreas in Hemdsärmeln oben aus dem Dachfenster sehr angelegentlich nach ihnen blickte.

Das Frühstück wurde am Sonntag wie das Mittagsbrot mit der Familie zusammen oben im Wohnhause eingenommen; da aber bei der ersten Mahlzeit jeder nach Belieben kam und ging, so geschah es diesmal, daß Morten mit seinen Schlafkameraden allein aß. Er hörte Andreas Heggelund in dem Nebenzimmer mit den jungen Damen zusammen lachen und hoffte ziemlich kleinlaut, daß sie nicht hereinkommen würden; weshalb er in fieberischer Eile sein Mahl beendete.

Einige Zeit später ging die Familie Heggelund nebst den beiden Ladendienern nach dem Hausboote hinab, wo fünf Leute in ihren Kirchenkleidern an den Rudern saßen, die Jacken neben sich auf die Ruderbänke gelegt; nach ihnen stiegen noch einige vom Gesinde hinein, die auf der Landungsbrücke gewartet hatten. Als das flaggengeschmückte Boot von der Landungsbrücke abstieß, sah er, daß Edel Heggelund und ihre Freundin ihre Sonnenschirme vor sich hielten – vermutlich um Herrn Andreas, der dicht neben ihnen saß, sich etwas fern zu halten.

Der alte Stuwitz erschien ebenfalls in seiner Weise sonntäglich gekleidet in einem im Hause selbst verfertigten Rocke, der beinahe bis an die Schäfte seiner schmierledernen Stiefel reichte, nebst einem gekräuselten Vorhemde, das nicht sitzen wollte und nachdem es unter der dicken Halsbinde verschwunden war, oben in spitzen Vatermördern, die schief bis zu den Ohren hinaufgingen, wieder zum Vorschein kam. In seinem altmodischen Filzhute mit niedrigem Kopfe, die Hände in den Jackentaschen, aus deren einer ein blaugewürfeltes baumwollenes Taschentuch heraushing, hatte er seinen gewöhnlichen einsamen Sonntagsspaziergang angetreten und sah halb sonntäglich und halb mürrisch aus. Von dem Ausfluge zurückgekehrt, pflegte er, wie der Ladendiener erzählte, gern allein nach den Speichern am Strande hinabzugehen, und dann war es am besten ihm nicht nahe zu kommen, denn dann war er immer mürrisch.

Morten war fast ganz allein zu Hause geblieben, und konnte jetzt ungenierter in den Zimmern umhergehen und sich umsehen. Dort kam er in ein Gespräch mit der Jungfer Dyring, der alten Haushälterin, welcher er einen Gruß von seinen Eltern brachte, und wurde schließlich so befreundet mit ihr, daß sie ihm ein Extrafrühstück aus der Speisekammer vorsetzte, »da es vielleicht lange dauern könnte, ehe sie aus der Kirche kämen, und junge Leute was zu essen haben müßten.« Dies war, wovon Morten allerdings keine Ahnung hatte, sonst nicht der gewöhnliche Ton der Alten.

Jungfer Dyring mit den schwarzen Hängelocken und dem von der Spitzenkappe zierlich umrahmten bleichen und strengen Antlitz war die unermüdliche Polizei des Hauses, vor der man sich allerseits fürchtete. Ihre unter den langen Augenwimpern argwöhnisch forschenden Augen wachten wie ein Raubvogel über alles, was die Ordnung im Hause wie unter den Dienern betraf; wie der Blitz war sie bei der Hand, wenn man es am wenigsten erwartete.

Frau Heggelund, welcher die strenge, saubere Jungfer Dyring unentbehrlich war, und in deren Anwesenheit diese völlig in den Hintergrund zu treten verstand, wollte nie einen Fehler an ihr entdecken und gab ihr stets, ohne Untersuchung, recht. In diesem Punkte vermochte nicht einmal Stuwitz etwas, obgleich er sonst im geheimen so gut wie allmächtig war. Übrigens war die Treppe des Hauptgebäudes ihr Kap Finisterre. Der Laden und alles, was dort vorfiel, existierte für sie nicht; und ebenso unsichtbar schien ihr der unumschränkte Beherrscher Stuwitz, wenn er oben im Wohnhause war. Man wollte beobachtet haben, daß sie sich ihn immer weit vom Leibe hielt. Niemand hatte die beiden je ein einziges Wort wechseln gehört, wohl aber bemerkte man, wie Stuwitz nach seiner Weise wenig freundschaftlich brummte, sobald sie einmal in seine Nähe kam. Wegen ihrer vielen Geschäfte im Hause hatte sie nie Zeit nach der Kirche zu fahren, und bitter fügte sie gern hinzu, einmal würde man sie doch wohl hinschaffen müssen.

Zum Glück wußte Morten vorläufig nichts von dem allen, sonst würde er schwerlich so offen und geradezu mit dieser gefährlichen Großmacht gesprochen haben. Jetzt war er ohne Ahnung in das Gehege der Bitterkeit geraten, an welchem sich andere sonst verletzten, und hinter dem sie sich selbst im Grunde wie ein einsamer Vogel fühlte. Mortens munteres, vertrauensvolles Wesen fiel wie ein plötzlicher Sonnenstrahl in einen alten, lange abgesperrten, feuchten und düstren Garten hinein, und seit dem Tage war sie immer außerordentlich von ihm eingenommen. Auch trug von vornherein wohl hierzu bei, daß, wie sie wußte, ihr Feind Stuwitz sich Mortens Aufnahme in das Haus widersetzt und dessen Eltern verfolgt hatte. Aber was für eine Laune sie auch hatte – und diese war stets mehr oder weniger grämlich – Morten machte sie immer ein freundliches Gesicht und hatte – was ihm später zu gute kam – für ihn beständig und zu rechter Zeit ein kluges, verteidigendes Wort.

Morten begab sich auch an Bord der Jacht, mit deren Steuermann er am Tage vorher bekannt geworden war, und bei dem er unten in der Kajüte eine Weile in einem außerordentlich interessanten Gespräch über die Merkwürdigkeiten auf einer Reise nach Bergen dasaß. Der starke Tabak, der ihm gespendet wurde und den er männlich zu rauchen versuchte, bewirkte jedoch, daß er etwas bleich Abschied nahm und ans Land ging, ehe noch das spannende Thema auch nur annähernd erschöpft war.

Am Nachmittag kam das Kirchenboot zurück und – wie gewöhnlich bei gutem Wetter – kamen zugleich die ganze Familie des Pfarrers und noch andere Gäste mit.

An der Tafel nahm der kleine Rat Storm in seiner hübschen Uniform einen hervorragenden Platz ein, da ihn Frau Heggelund als Dekoration benutzte. Neben dem Rat saß seine Freundin Edel, immer bereit ihm alles, was er brauchte, zu reichen. Stuwitz spielte dagegen zu Mortens nicht geringer Verwunderung hier eine völlig untergeordnete Rolle. Er hatte bei Tische einen der untersten Plätze eingenommen, redete die ganze Zeit lang so gut wie kein Wort und erhob sich, verbeugte sich und ging, ehe die Mahlzeit beendet war. Und Morten sah, daß er sich so mit geringer Veränderung während des ganzen ersten Jahres seines Aufenthaltes im Hause benahm. Später führte derselbe seine eigene Wirtschaft.

Bei der Tafel herrschte an diesem Tage teilweise eine etwas kühle Stimmung.

Herr Andreas, der sich immer gegen den Anstand verging, mußte sich unterwegs wahrscheinlich verschiedene Male versündigt haben. Die Tochter des Amtsrichters, eine blasse, stattliche junge Dame, saß anfangs mit einigen Rosen auf den Wangen da, die offenbar nicht von der Freude herrührten, und die Hausfrau bewahrte die ganze Zeit über eine außerordentlich feierliche Kirchenmiene. Sie bemerkte, ohne daß das übrige Gespräch dazu Veranlassung gab, der Pfarrer hätte sie alle durch eine so erbauliche Predigt höchst erfreut; während derselben hätte sie an eine gewisse Person gedacht, auf welche die darin erwähnten Schwachheiten leider paßten. »Möchte Gott geben, daß er sie sich nur zu Herzen nähme,« seufzte sie mit einem Ausdruck, als ob dies doch höchst unwahrscheinlich wäre.

Von dem untern Tischende ließ sich eine Art bekräftigendes Brummen vernehmen. Es ging von Stuwitz aus, der eben vom Tische aufstand und fortging. Er war allerdings nicht in der Kirche gewesen, haßte aber den jungen Herrn, dem diese Worte galten, allzu gründlich, um dem Wunsche, das seinige hinzuzufügen, widerstehen zu können.

»Ja, Gott wolle es geben, liebe Tante,« – sagte Andreas, der im Hause dreist mitsprechen konnte, indem er nichts weniger als freundlich nach der Thür hinblickte, aus der Stuwitz soeben verschwunden war; – »aber das alte Thrantier ist sicherlich zu alt, um von neuem erzogen zu werden; auch will es ja nie nach der Kirche!« – Er that, als ob er in aller Unschuld glaubte, seine Tante hätte auf Stuwitz gezielt.

Aber später erhielt er von der Hausfrau eine ernstliche Zurechtweisung und darauf von seinem Onkel einen Zehnthalerschein.

Am Abend sprach Edel auch mit Morten einige Worte. Sie fragte, ob er sich unten im Laden gefiele und weshalb er sie nicht nach der Kirche begleitet hätte?

Auf die erste Frage antwortete Morten ja, und auf die zweite, daß ihn niemand gefragt hätte, ob er mitkommen wolle. Sie blickte ihn etwas ungewiß an, als ob sie überlegte, was er mit dem letzten meinte, und fragte dann plötzlich, indem sie sich teilnehmend näherte:

»Sie erwarteten wohl nicht Ihre Eltern bei der Kirche?«

»Nein, – dann hätte ich um Erlaubnis gebeten.«

Das junge Mädchen verließ ihn schwach lächelnd, um Onkel Tobias nach oben zu begleiten. Oben im Zimmer sagte sie gleichsam als Antwort auf das, was ihre Gedanken die Treppe hinauf beschäftigt hatte:

»Der junge Ladendiener muß von sich sehr eingenommen sein.«

Morten seinerseits meinte, sie hätte einen schönen Ausdruck in den Augen gehabt, als sie nach seinen Eltern fragte, aber dann wäre ihre Miene wieder fast abstoßend geworden, – sie wäre gewiß hochmütig wie die Mutter.



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