Jonas Lie
Der Dreimaster »Zukunft«
Jonas Lie

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Siebentes Kapitel.

Die Brustnadel.

Marina war nun schon eine Frau mittleren Alters und ihr Haar begann zu ergrauen. Aber obschon von den langen Jahren draußen auf der Schär gebräunt und nicht mehr schlank, würde sich ein Fremder doch über ihre hübschen Züge und das etwas Ungewöhnliche in ihrer Figur gewundert und gedacht haben, sie müsse in ihrer Jugend doch sehr schön gewesen sein. Jon war bejahrt und vielleicht auch durch unglücklichen Einfluß der warmen Zipfelmütze schon recht kahlköpfig geworden. Das kräftige Gesicht mit den grauen Augen war so gefurcht und wetterzerrissen wie die braunen Langschären, um welche die See spült und der Wind braust, seine breitschultrige Gestalt aber gebeugt und sein Gang so schleppend, wie das Leben eines nordländischen Küstenbewohners, der beständig im Boote sitzt, es wohl mit sich bringt.

Eines Tages, als Marina mit den Kindern fort war und in dem prächtigen Sommerwetter Heu auf der Insel erntete, kramte Jon in dem großen Koffer, mit Marinas Hochzeitsputz, in dessen Ecke er auch einiges Silbergeld liegen hatte. Als er auf dem Boden nach einem Silberstücke suchte, das sich zwischen den Kleidern verschoben hatte, fand er zu seinem Erstaunen in ihrer Hochzeitshaube ein zusammengelegtes Papier und in diesem eine goldene Brustnadel. Gegen das Licht gehalten, las er die Buchstaben T. S., und es stieg der Gedanke in ihm auf, daß sie nur Thor Stuwitzens Namen bezeichnen könnten, der sich ja, ehe sie sich verheirateten, so verliebt in sie gestellt hatte.

Durch die offene Thür schien die Vormittagssonne warm hinein und beleuchtete hell vom Namen Marinas die Anfangsbuchstaben auf dem rotblumigen Koffer, während Jon, allein zu Hause, in tiefen Gedanken auf dem Rande des Koffers saß, die Brustnadel vor sich in der Hand haltend. So saß er eine Stunde und noch eine Stunde da. Seine Miene wurde immer finstrer, und sein Gesicht nahm zuletzt einen steinernen Ausdruck an. Er entsann sich des harten Kampfes in der Jugend, um endlich zusammenzukommen; er gedachte, wie fest er sich auf sie, wie auf den lieben Gott, verlassen hatte, und des geheimen Festes draußen auf dem Fjord nach der Trauung, als sie die Geschenke versenkten: – und nun, nach so vielen Jahren, doch eine Lüge!

Jon saß den Tag über auf dem Rande des Koffers und fühlte, wie ein Teil der Herrlichkeit seines Lebens dahinschwand; er besaß ihr Herz also doch nicht ganz und aufrichtig. Einen Augenblick hatte er im Sinne, sie geradezu zu fragen, wie sich die Sache verhielte; aber nach einigem Nachsinnen schwand ihm der Mut, und er wickelte den Schmuck zuletzt wieder in das alte Papier und legte ihn auf seinen Platz unter der Hochzeitshaube.

Den ganzen Herbst über war er düster und wortkarg, und Marina wunderte sich in der Stille oft darüber, was in ihm vorginge.

Mitten im Winter reiste Jon Zachariasen zu dem Kaufmann in Sörströmmen, um ihre getrockneten Fische zu verkaufen und zum Weihnachtsfeste einzukaufen. Jon war es schwer um das Herz; denn bei seinen jetzigen düstren Anschauungen hatte er wenig Aussicht, daß es ihm diesmal gelingen werde, die teuere Ausrüstung zu dem Winterfischfang im Februar zu erlangen. Seit jenem Tage, da er auf Marinas Hochzeitskoffer gesessen, vermochte er nicht mehr alles so leicht wie früher zu nehmen. – Unter den fünf Männern im Boote befand sich Morten. Jon war wie gewöhnlich »Hövedsmann«, d. h. Befehlshaber.

Vor der Abfahrt hatten sie die Netze heraufgezogen und einen großen Hakenfisch gefangen, der einen Dorsch, welcher auf die Angel gebissen, vollkommen verschlungen hatte. Das, hatte Groß-Lars einmal gesagt, bedeute schlechtes Wetter, und die Wahrheit dieser Worte sollte sich bald zeigen. Aus den Klüften des Gebirges brausten am Vormittage heftige Windstöße hervor, einer immer stärker als der andere, so daß sie gezwungen wurden, die Segel fast ganz zu reffen.

Was die Fahrt an diesem Tage bedenklich machte, war, daß der Sturm, der vom Lande wehte, immer mehr nach Osten ging. Wollten sie nicht weit in das Meer hinaus und in den sichern Tod getrieben werden, so mußten sie, trotz der schweren See, mit einer Seite immer unter Wasser, möglichst zu kreuzen suchen. Dicht am Lande vorwärts zu kommen, war unmöglich.

Das erste nicht leichte Opfer, welches gefordert wurde, war, daß jeder die Hälfte seiner Fische über Bord werfen mußte.

In der Kälte überzog der Wellenschaum das Boot mit einer immer dickeren Eisrinde, so daß es schwerer zu regieren war. Noch eine Gefahr zeigte sich, indem sie eine Zeitlang in einen dichten Frostnebel gerieten, der sie über die Richtung im Ungewissen ließ. Jon gab deshalb das Kreuzen auf und ließ das Boot mit halbem Winde vorwärts treiben, da er meinte, sie könnten auf diese Weise vielleicht die »Vogelinsel« erreichen, oder doch jedenfalls aus dem Nebel herauskommen; und letzteres gelang ihnen auch. Aber die See ging hoch, und der Oststurm war jetzt so eisig kalt, daß sich annehmen ließ, das Boot werde sich, der Eisrinde wegen, die Nacht über nicht auf dem Wasser halten können. Morten, der wahre Luchsaugen hatte, behauptete, er hätte zweimal in gerader Richtung einen fernen, weißen Schaum gesehen, und kurz darauf glaubten die anderen dasselbe zu sehen. Vielleicht war es die Vogelinsel. Aber im stillen meinte Jon, zehnmal wahrscheinlicher wäre es eine Brandung, die um ein paar Schären koche.

Mit einemmale sprang der Sturm unter heftigen Schauern nach Nordwesten um, so daß sich das Meer schwer nach dem Lande zu wälzte. Zuweilen trat dichtes Schneegestöber ein; die Wellen schlugen oft in das Boot, der Schöpfer wurde beständig gebraucht, und der Mann am Vordersteven hatte nasse Arbeit. Jetzt hatten sie wenigstens erkannt, wo sie sich befanden, und der Kurs wurde nach den Tenholmen gerichtet, einer weit im Meere hinaus liegenden Schär, mit einer kleinen Handelsstelle während der Fischzeit, die Heggelund zugehörte.

Vor den Untiefen, die Morten gesehen hatte, und über denen sich unaufhörlich Schaumsäulen erhoben mit Rauchwolken gleich rauchenden Schornsteinen, erblickten sie ein gekentertes Boot mit drei Männern auf dem Kiel, die um Hilfe winkten. Ihre Rufe konnten gegen den Sturm nicht gehört werden. Der Mann im Vorderteil legte ein Seil bereit und warf es, als eine schwere Welle sie dicht vorbeitrieb, zu ihnen hinüber. Leider wurde es nur von dem Hintersten der Männer ergriffen, der denn auch an Bord gezogen wurde, während die beiden anderen Gefahr liefen, in die Untiefe geschwemmt zu werden.

Da drehte Jon das Steuer auf die Seite und kommandierte: »Kehrt!« zum Entsetzen seiner Begleiter, die aber mit dem Segel den Wendungen des Steuerruders folgen mußten. Es schien nicht geraten, den Vordersteven gegen die Wellen zu richten. Das Boot wendete, und die Wellen schlugen über dasselbe. Als Jon es wieder genügend über Wasser gebracht hatte, ließ er es abfallen. Seine Absicht war, obgleich er große Gefahr dabei lief, sein schweres, eisbedecktes Boot gerade über das umgestürzte zu lenken.

Jon wählte den Augenblick meisterhaft. In dem Moment, da sein eigenes Boot stieg und das andere in dem Wellenthale sank, fuhr Jons »Femböring« quer über den Kiel des letztern, von dem die Verunglückten an Bord gezogen wurden, je ein Mann auf jeder Bordseite. Darauf wurde die Fahrt nach den Tenholmen fortgesetzt, wo sie irgendwo am Ufer die Nacht zuzubringen hofften. Der eine der Geretteten war fast ohne Lebenszeichen, während die beiden anderen völlig ermattet auf dem Boden des Bootes lagen. Vor der engen Einfahrt waren, wie gewöhnlich an solchen Stellen, einige kleine Schären mit Vogelwehren; aber während des Sturmes saßen die Vögel wie eine lebendige Decke auf allen Klippen. In der Finsternis suchte Jon vergebens nach der Einfahrt; überall traf er auf weiße Sturzwellen, und der Sturm, der wieder kalt von Osten kam, nahm von neuem zu.

Einige Stunden lang hatte er so vor den Klippen auf Tod und Leben gekreuzt. Mit Eis überzogen und dem Versinken nahe, wie das Boot jetzt war, schien ihm eine Wahl länger nicht möglich. Sie überließen sich Gottes Gnade und fuhren geradeaus drauf zu.

Das Boot fiel ab, das Segel wurde ausgespannt, und wie im Fluge ging es durch die Brandung hindurch, die man bald wie einen Wasserfall brausen und donnern hörte. Kurz darauf lief das Boot auf dem Rücken einer ungeheueren Welle auf den Strand, gegen den es mit solcher Gewalt stieß, daß der Mast unten brach. Glücklich warf Jon den Anker, wand ein Tau fest um den Stamm des Stevens und sprang, während die Welle sich wieder zurückzog, an das Land, indem er mit der einen Hand das Tau festhielt und mit der anderen Morten um den Leib gefaßt hatte. Als die gewaltige »Socht« überstanden war, waren bereits alle Männer vor dem Boote am Strande und zogen es so weit an das Land, daß sie vor der nächsten Welle so ziemlich gesichert waren.

Daß sie sich nicht auf einem der Tenholme befanden, sondern nur auf einer der davor liegenden kleinen Schären, davon überzeugten sie sich bald; – hin und wieder glaubten sie von dem Handelsorte Licht schimmern zu sehen.

Über das Riff brauste der Sturm so gewaltig, daß ein Mann im Winde nicht aufrecht zu stehen vermochte, und der Wellenschaum die ganze Zeit darüber forttrieb. Endlich gelang es ihnen nach vielen Anstrengungen den Femböring umzukehren, so daß er sich wie ein Haus über ihnen wölbte; vor der Öffnung hatten sie das Segel zeltartig befestigt. Sie erwärmten sich dadurch, daß sie dicht nebeneinander lagen, während der eine der Verunglückten, in dessen steifem Körper kein Lebenszeichen mehr zu bemerken war, hinausgelegt wurde.

Morten redete irre, und um ihn besser zu wärmen, legte sich Jon nach außen dicht an das Segel. Am Anfange der Nacht hatte er trotz seiner Müdigkeit unruhige Gedanken und hörte besorgt, wie das Unwetter beständig zunahm. Hätten sie nicht Land erreicht, so hätten sie untergehen müssen; aber hier auf dem Riffe waren sie dem Erfrieren ausgesetzt. Mit Bitterkeit dachte er daran, wie schwer Gott es doch einem armen Mann machen könnte, und was für ein trauriger Weihnachtsabend es für Marina werden würde, selbst wenn er zurückkehrte; denn es würde im Hause knapp zugehen und der Knabe vielleicht krank werden. Als er so unruhig dalag, hob er das Segel ein wenig auf, um in die Nacht hinauszublicken; hell funkelte, bei dem kalten Oststurm, das in diesen nördlichen Gegenden dem Winterhimmel so eigentümliche flackernde Sternenlicht. Seine Augen richteten sich auf einen einzelnen, gelben Stern, der so groß und hell die anderen überstrahlte. Morten phantasierte und sprach halblaut unaufhörlich einige Verse aus einem Gesangbuche, die Marina den Kindern an einem Weihnachtsfeste gelehrt hatte, und Jon sprach sie im stillen nach. Es gewährte ihm einigen Trost, so liegend in das helle Licht zu blicken. Kurz darauf entsank das Segel seiner schlaffen Hand, und er schlief ein.

An dem kleinen Handelsorte saß in jener Nacht der »alte Stuwitz«, – wie man ihn jetzt allgemein nannte, – im Laden hinter geschlossenen Läden bei einem Talglicht in einem irdenen Leuchter und machte seine privaten Geldberechnungen. In jedem Jahre pflegte er so einige Nächte aufzusitzen, wenn er vor Weihnachten nach den Tenholmen hinauskam, um den Laden für die Winterfischzeit einzurichten. Es paßte ihm nicht so gut, dies zu Hause bei Heggelund zu thun, auch wählte er immer dazu die Nacht.

Auf der Debetseite seiner Jahresrechnung führte er in dieser Nacht die Summe auf, die er dem Gebirgsfinnen hatte auswechseln müssen.

Er saß, den Ellbogen auf dem Tische und den großen runden Kopf auf die geballte Hand gestützt, während sich die braunrote Perücke nach dem blinden Auge hinabgeschoben hatte. Es zogen gewisse Dinge an seiner Seele vorüber, und der Ton seines hin und wieder hörbaren, kurzen Gebrumms verriet, daß es düstre und unangenehme Erinnerungen waren, die ihn jedoch mehr mit Haß als mit Reue erfüllten. Seine Gedanken schweiften viele Jahre zurück, weit hinauf nach dem finmarkischen Meere, wo sie sich eine Zeitlang wie schwarze Vögel auf ein sinkendes Wrack setzten.

Stuwitz überlegte sein Verhältnis zu dem Finnen, das ihm durch dessen schroffes Auftreten zu etwas mehr als einer einfachen Geldpost geworden war; denn so lange dieser noch einiges Papiergeld im Besitz hatte, behielt er immer einen Beweis zurück, welcher, – so alt auch die sich daran knüpfende Sache war, – doch für ihn schwere und gefährliche Folgen haben konnte.

Seit einer langen Reihe von Jahren hatte sich Stuwitz, indem sein Vermögen gewachsen, beständig auf der ruhigen und sorglosen Kreditseite des Lebens gefühlt. Seine Wonne war der Gedanke, daß er in der Stille auf dem Gelde säße, während sein Prinzipal Heggelund mit seinem glänzenden Hause höchstens noch einige Jahre den Beutel besitzen werde. Stuwitz war seit so vielen Jahren Kreditor gewesen, daß er längst die entgegengesetzte Lage vergessen hatte. Einem Schuldner fehlte in seinen Augen jegliches Menschenrecht. Jetzt bei dem Streit um Finkrogen, das sicherlich eines Kampfes wert war, hatte er eine Waffe gegen sich gekehrt, die, wenn das Unglück wollte, ihn noch weit tiefer als bis auf diese verachtete Stufe hinabstürzen konnte. Unsäglich wurde er von dieser Gefahr gepeinigt, die sich schließlich seinem rechnendes Kopfe als ein so ernster Posten darstellte, daß die ganze Kreditseite dadurch aufgewogen wurde.

Während das Unwetter brauste, an den Fensterläden rüttelte und wild über das einstöckige Gebäude fortstürmte, saß Stuwitz, in schwere Gedanken versenkt, in dem verschlossenen Laden. Das Ungewöhnliche in dieser Nacht machte vielleicht, daß er sich mehr, als er sonst pflegte, Betrachtungen überließ. Seine Gedanken schweiften einen Augenblick in jene Zeit zurück, als er sich trotz seiner vollen fünfunddreißig Jahre mit der hübschen Marina bei Brögelmanns hatte verheiraten wollen. Noch ein Stachel aus jener Zeit! Aber den düstren Betrachtungen gegenüber, die sich um den Finnen knüpften, entschwand dieser Gedanke bald. Einen Augenblick schaute er empor, als ob er lauschte – es klang wie ferner Notruf, aber er wiederholte sich nicht, und in einer Nacht wie diese konnte auch niemand gerettet werden. Etwas später saß er in Rechnungen vertieft, die er gegen Morgen mit einer glänzenden Zahl – seinem beständig zunehmenden Geheimnis – abschloß. Wie Stuwitz stets bei dieser Beschäftigung zu thun pflegte, die im Grunde sein jährliches Weihnachtsfest war, suchte er auch diesmal vergnügt auszusehen. Er erhob sich und ging in dem kleinen Zimmer auf und ab, setzte sich aber bald wieder. Bei der Zahl zeichnete sich vor seinen Augen erst ein feines und dann immer deutlicheres Fragezeichen ab, das sich allmählich in die Zahl eingrub wie ein Wurm in eine Nuß. – Der Mann, der sich jetzt in das Bett unter dem Ladentisch legte, war nicht einmal auf seine eigene Weise glücklich. Er schlief unruhig und träumte unter den Windstößen, daß die Grundmauer des Hauses geborsten wäre, und er sich vergebens abmühte, sie aufzurichten.

Am folgenden Tage kam noch im Dunkeln Jon, dem der Bart an den Kragen gefroren war, mit einem fast leblosen Manne auf dem Rücken in das dunstige Zimmer, in dem sich schon einige andere Bootsleute befanden, die sich ebenfalls in das Fischwehr geflüchtet hatten. Die übrigen folgten mehr oder weniger erstarrt, während sie eine Leiche zwischen sich trugen, die sie draußen in den Schuppen legten. Der dritte der Geretteten war Heggelunds Neffe, der vor einigen Jahren hierher gekommen war. Er war mit allerlei Waren nach dem Wehr herausgefahren, wo er während der Zeit des Fischfanges den Handel leiten sollte. Jetzt wurde er nach seinem eigenen Schlafzimmer im Hause gebracht, wo er nach einigen Gläsern Branntwein bald in starken Schweiß geriet.

Die anderen zogen sich aus, hingen ihre Kleider über die Trockenstange am Feuer und fielen in ihrem Schlafraume bald in einen Totenschlaf. Während sich einige draußen in dem kalten Speicher mit dem halbertrunkenen Mann beschäftigten, saßen andere auf den Bänken rings in der kleinen Stube, wo man vor Wasserdunst kaum einander erkennen konnte, und aßen von den mitgebrachten Vorräten, oder rauchten aus ihren Pfeifen, gefüllt mit zerschnittenen Tabaksblättern. Gegen Abend, als der Mann ins Leben zurückgebracht war, begann ein munterer Bursche auf einer Ziehharmonika, die er zum Weihnachtsfeste gekauft hatte, zu spielen; allein die Müdigkeit machte doch bald ihr Recht geltend.

Während die Thranlampe nur matt durch den Dampf in dem warmen Laden schimmerte, wo jetzt alle in Bettstellen, die ganzen Wände entlang, den Schlaf des Gerechten schliefen, fuhr der Sturm draußen in ungeschwächter Kraft fort. Mancher hatte auch in dieser Nacht auf dem Meere einen schweren Kampf zu bestehn.

Als am nächsten Tage das Meer nach zweitägigem Sturme wieder fahrbar war, vernahm man von mancherlei Unglücksfällen.

Am Morgen sah man draußen ein Boot, das auf sonderbare Weise immer im Kreise umherfuhr. Es waren zwei Männer in einem Femböring; im Zustande der höchsten Erschöpfung saßen sie da und ruderten auf derselben Seite. Der eine derselben sank um, als man das Boot erreichte. Drei andere waren tot. Die Mannschaft hatte sich während der langen Winternacht im Sturme an den Netzen festgehalten.

In dem Kiel eines umgeschlagenen Bootes, das menschenleer weiter am Tage an die Küste trieb, steckten fünf Messer und ein abgebrochenes. Man hält sich an den Messern fest; und was geschehen war, läßt sich leicht erkennen.

Da der eine der Geretteten ein Verwandter des Prinzipals war, bot Stuwitz dem Jon die Gewährung eines Kredits an, er äußerte auch, daß der Prozeß möglicherweise aufgegeben werden könnte. In wie drückender Not sich auch Jon befand, er hätte schwerlich je einen Vorteil aus der Hand seines Todfeindes angenommen; jetzt aber lag – offenbar absichtlich – etwas in Stuwitzens Ton, das andeuten sollte, er hätte kaum die Rettung gewagt, wenn er nicht eine wohl berechnete Spekulation darin gesehen hätte. Jon erwiderte deshalb kurz und trocken, was er gethan, wäre jedenfalls nicht um des Geldes willen geschehen, und den Namen Dieb könnte ihm Stuwitz weder beilegen noch abnehmen; – das wäre lediglich Sache des Gerichtes. Hierauf rüstete sich Jon zur Abfahrt und segelte nach Sörströmmen, wo er gegen alle Erwartung so glücklich war, alles, was er zur Winterfischerei nötig hatte, sofort auf Kredit zu erhalten. Den Grund hiervon erfuhr Jon nicht; es war ein kleiner Brief, den der junge Andreas Heggelund, welcher das Gespräch mit Stuwitz angehört hatte, mit einem seiner Leute in Jons eigenem Boote dorthin schickte.

Erst am heiligen Abend kehrten sie nach Hause zurück, wo Marina des furchtbaren Unwetters wegen in großer Angst geschwebt hatte.

Daß Jon in Sörströmmen Kredit bekommen hatte, erregte große Freude, ebenso, als er erzählte, wie er die beiden auf dem umgeschlagenen Boote gerettet hatte. Als sie vernahm, daß er bei Stuwitz selbst gewesen, bekreuzigte sie sich. Sie ihrerseits konnte ihm mitteilen, daß Isaak Lövö jetzt gestorben wäre. Aber als ihm Marina gegen Abend, nachdem das Weihnachtslicht angezündet war, erzählte, was der Pflegevater ihr anvertraut, und die Brustnadel aus ihrer Hochzeitshaube herausnahm, zog Jon sie plötzlich auf seinen Schoß. Zu ihrer Verwunderung sah sie, daß er nasse Augen hatte. In dem sonst so bedächtigen Jon zeigte sich eine Überschwenglichkeit, die ihr einen Augenblick lang Furcht einjagte.

Was beim Vater eine so auffallende Fröhlichkeit verursacht hatte, konnte Morten nicht begreifen; aber Marina ruhte nicht eher, als bis sie alles erfahren. Jon langte darauf seine Violine hervor und spielte die einzige Polka, die er kannte, während sämtliche Kinder – Morten als das älteste zuerst – eines nach dem andern mit Marina auf einem Raume tanzte, so groß, daß sich das Paar gerade umdrehen konnte. Bald knisterte es auf dem Feuerherde, wo das Weihnachtsessen kochte, der Schmaus nahm seinen Anfang, und das Weihnachtslicht – ein einziges, das Marina selbst gegossen – wurde auf dem Tische bewundert. Es warf keinen blendenden Schein durch die kleinen, dunklen Fensterscheiben; aber die Blicke jener, welche an diesem Abend mit den Menschen das Fest zusammen feiern, sahen sicherlich den Glanz, der aus der armen, niedrigen Hütte in der Felsenkluft am Meere strahlte.


Im Februar dieses Jahres hatte der Vater Morten zum erstenmale auf den großen Fischfang mitgenommen. Sie ruderten einen Femböring zur Hälfte mit einem Brudersohn des gestorbenen Isaak Lövö und machten einen leidlichen Fang. Um die Fischgründe und Seezeichen seinem Sohne fest einzuprägen, unterläßt der Fischer nie ihm die Sagen und Volkswitze zu erzählen, die sich daran knüpfen, und einmal damit bekannt gemacht, vergißt es ein nordländischer Bursche selten. In diesem Winter kamen sie bis nach Rödö und zu den »Sieben Schwestern« in Helgeland hinab. Auf dem Rückwege befanden sie sich bei den Lofoten nicht weit von dem »Vågökallen«, der, wie man sehen kann, oben in einer Felskluft, mit dem Gesichte nach Nordosten und den Beinen quer über die Segelstange, dasitzt, so daß das Licht durch sie hindurch scheint.

Als sie zur Osterzeit zurückkehrten, bemerkte Jon zu Marina, Morten hätte sich flinker als ein gewöhnlicher »Såkring«, – wie ein Bursche in dem ersten Jahr, in welchem er mit auf den Fischfang genommen wird, heißt, – aufgeführt; aber es fehlten ja noch ein paar Jahre, ehe er als echter Bootsmann, nämlich ein »Måße«, gelten konnte.

Die Geschichte, wie Jon Zachariasen bei jenem Sturme Andreas Heggelund dadurch gerettet hatte, daß er in seinem Boot gerade über den Kiel des umgeschlagenen Bootes gesegelt war, hatte sich im Laufe der Zeit vielfach verbreitet. Es war ein Wagestück, das selbst denjenigen, die schon vorher etwas ähnliches gehört haben wollten, Bewunderung abnötigte. Der kleine dicke Vogt Ravn mit der wichtigen Amtsmiene ging seitdem zwei ganze Jahre umher und »überlegte«, wie er sagte, ob er Jon für die Rettungsmedaille vorschlagen sollte. Als er sich endlich dazu entschloß, meinte er, die Geschichte wäre doch schon zu alt dazu.

In Heggelunds Familie war die Begebenheit der Gegenstand mancher Erwägungen gewesen. Sie hatte ein gewisses Aufsehen erregt, und ihre Dankbarkeit war auch eine Art Ehrensache. Ein Geldanerbieten schlug Jon Skorpen indessen aus. Da wurde beschlossen, Andreas Heggelund sollte hinreisen und Morten eine Stelle im Kramladen anbieten mit dem Versprechen, weiter für ihn zu sorgen, wenn er sich brav und geschickt zeige.

Dieses Anerbieten glaubten Marina und Jon nicht ablehnen zu dürfen. Als aber Andreas Heggelund darauf bestand, daß Morten ihn sogleich zu Heggelunds begleiten sollte, bemerkte Marina, es wäre ihr am liebsten, wenn ihm erst Zeit gelassen würde, von der Heimat Abschied zu nehmen. Die Sache war die, daß sie dem Knaben gern neue Kleider anschaffen wollte, damit er nicht, wie sie zu Jon sagte, allzu ärmlich in das feine Haus käme.

Seitdem ging es nun vierzehn Tage höchst geschäftig in dem kleinen Häuschen zu. Jons Sonntagskleider wurden für Morten umgenäht, und jedes Stück wurde in seiner neuen Gestalt von seinen kleineren Geschwistern bewundert, deren Aufmerksamkeit sich zwischen der Mutter, die schneiderte, und dem Schuhmacher teilte, der hierher berufen war und an den neuen Schuhen arbeitete. Das Leder hatte Jon schon längst zubereitet, so hoffte man, daß die Schuhe ganz ungewöhnlich wasserdicht werden würden.

Während sie nähte, überlegte Marina unaufhörlich, ob sie Morten anvertrauen sollte, wie es sich mit ihrer Geburt verhielte. Über die Ahnung, welche sie erfüllte, daß sie mit Stuwitz vielleicht eine ganze Lebensrechnung abzumachen hätte, durfte Morten in seinen neuen Verhältnissen kaum in Unwissenheit gelassen werden. Im Hintergrunde arbeitete auch unklar der Gedanke, daß der Sohn dort möglicherweise ein ganz anderes Licht in der Sache erhalten könnte, als hier von der Insel Skorpen aus zu erblicken wäre.

Nach neuer Überlegung mit Jon wurde Morten in die Sache eingeweiht. Es geschah auf einer kleinen Fahrt mit der Mutter den Tag vor der Abreise, Marina gab ihm dabei mancherlei gute Lehren, wie er sich dort zu benehmen hätte, wie er sich verneigen müßte und sich nicht setzen dürfte, wenn die Frau in der Stube wäre, und andere Verhaltungsmaßregeln, die ihm von Nutzen sein konnten.

Als sie ihn nach dem Boote hinabbegleitete, weinte sie sehr. Jon sagte weniger. Er nahm dem Sohne nur das ernstliche Versprechen ab, sich nie zu betrinken und immer, so schwer es ihm auch fiele, ein ehrlicher Kerl zu bleiben.



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