Gustav Leutelt
Der Glaswald
Gustav Leutelt

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13.

Es gibt Tage eigenen Lichtes, an denen das Grün satter von Blatt und Halm leuchtet, der Wald deutlicher in eine kristallklare Luft ragt und selbst die Schwingen der Vögel erglänzen. Weite Ferne täuscht engste Nähe vor und im Himmelsblau hängt kein Wölklein, das nicht der 132 Mutter Erde nahe scheint. Mühelos schreitet man und die Brust hebt sich wie befreit vom Drucke des Alltags. Aber am nächsten Morgen sehen die fernen Waldberge wie Schemen aus dem Dunst und die Himmelsdecke ist einförmig grau.

Dann hebt es sich flaumhaft weich aus den verschleierten Wipfelhorizonten und bald schleifen graue Nebelfahnen über die Kämme. Wie die eilen und die Gegend hineinfressen in ihr stumpfes Grau! Den Dunstschleiern folgt der Wolkenstrom. Noch träuft es nicht aus ihm, aber es ist, als stünden die Gewächse alle in Erwartung der kommenden Tropfensaat und rührten sich nicht.

Den jungen Mann aber treibt die Wetterbangnis vorwärts. Eben hatte er in der Wegbiegung gesehen, wie eine große, schwarze Wolke sich an den Wittigberg lehnte und er hastete, unter die schützenden Wipfel zu kommen.

Da hob in der Luft schon ein Zucken an und die ersten einzelnen Tropfen sprenkelten den Wegstaub. Der grauen, niedergehenden Striche vor dem Wanderer wurden mehr, das vereinzelte Ticken ging in zusammenhängendes Klatschen über und bald glänzte die Hand am Reisestecken vor Nässe. 133

So kam das Dach des Einkehrhauses eben recht zwischen den Bäumen hervor und der Giebel mit dem Hirschgeweih grüßte so einladend herüber, daß der Mann seine Schritte noch mehr beschleunigte.

In das Frohgefühl, dem Regen entgangen zu sein, mischte sich bei seinem Eintritt auch das Behagen an einem Raume, der nichts mit der Öde vieler Gastzimmer gemein hatte. Vom Habicht der hohen Baumhorste bis zum Höhlendachs unter den Wurzeln waren fast die gesamten heimischen Waldbewohner an den Wänden zu erblicken. Die Tiere schienen mit ihren Glasaugen alle freundlich nach dem Kommenden zu sehen und der Kreuzschnabel flatterte ihm unter währendem Gib-Gib-Rufen bis an die Drähte des Käfigs entgegen.

Die Erfrischung war bald eingenommen; aber draußen klatschte der Regen noch immer wütend an die Scheiben. Und dann hob der Wind an; mit unsicheren Stößen zuerst, die sich bald zum Sturme steigerten.

Robert trat ans Fenster. Dessen Scheiben waren wellig geworden von den niedergehenden Rinnsalen und die Bäume und die Holzschober vor dem Hause blickten verzerrt durch sie herein und fingen an, ganz unwahrscheinlich auszusehen. 134

Da mußte er den Dingen der Außenwelt mit dem Gehör nachgehen. Wenn er fühlte, wie das Haus zu zittern begann, ahnte er, daß ein Hauptstoß heranziehe. Dann klirrten eine Zeitlang die Scheiben und er hörte das Gebälk des Daches stöhnen. Durch alles hindurch aber drang ein heller, pfeifender Ton, der dann mit einemmal zur Tiefe sank.

Stunde um Stunde verging so mit dem Lauschen und es war ganz gleich, ob einmal der Sturm stärker tobte, oder das Trommeln an den Scheiben lauter klang. Und die Stunden lasteten immer drückender.

Der alte Förster hatte auf die Frage des Gastes hin seinen langen Bart befühlt und gemeint:

»Es wird noch mehr regnen; die Haare kleben und das ist allemal ein schlimmes Zeichen.«

Das war am Morgen gewesen und jetzt kam er wieder in die Stube und sagte, daß die Wittig Hochwasser führe.

»Steigt es so fort,« setzte er hinzu, »so werden die Leute unten eine schlimme Nacht kriegen.«

Der junge Mann erschrak. Daheim war man mit der Anschüttung des Dammes noch nicht fertig. Wenn das Hochwasser auch dort einsetzte, so gab es gewiß ein Unglück. 135

Er mußte heim trotz des Sturmes und der Güsse.

Der alte Forstmann lieh ihm einen Mantel, dann ging es hinaus ins Unwetter und bald war er unter den Bäumen des Waldes.

Aber auch dort träufte es schon durchs Gezweige und in den Lücken spannen sich graue Regenfaden herab gegen den Waldgrund. Hinter jedem Windstoß zuckte prasselnder Tropfenfall auf und wenn das Gießen sich steigerte, ging es wie graue Schleier zwischen den Stämmen nieder. Auch an denen rann bereits das Regenwasser herab und in den Mulden des Pfades gab es Kettenreihen von Tümpeln, auf denen eine dichte Decke brauner Fichtennadeln schwamm.

Aus dem zahmen, weißschäumenden Bande des Baches aber war ein wütendes, donnerndes, wasserstaubsprühendes Ungeheuer geworden, dessen braune Wellen die allerseltsamsten Sprünge versuchten. Die Fluten zerschnitten die Luft mit ihrem Gezisch und dies füllte mit dem Donnern und Dröhnen aus dem Schoß der Katarakte das Waldtal ganz. Wohl zeigte das Schwanken der Wipfel, daß ein Rauschen aus ihnen hervorgehe, aber es wurde ganz von dem Gehader der Wasser übertönt. 136

Robert war mit seinen Gedanken daheim und das Toben in der Natur und die Befürchtungen, die er daran knüpfte, zwangen ihn immer in die gleiche Richtung. Hartnäckig wurde er in die Vorstellung hineingedrängt, daß der Damm des Weihers gebrochen und namenloses Unglück geschehen sei. Als er die Höhe des Gebirges erstiegen hatte, der Sturm dort oben fessellos über ihn raste und er sich wacker stemmen mußte, fand er im Gefühl der eigenen Kraft wieder zu ruhigerem Denken zurück:

»Gewiß wird der Vater die Lage beherrscht und Vorkehrungen getroffen haben.

Der Streik im Vorjahre – war er nicht auch seiner Meister geworden?

Aber wird er auch gegen die Elemente siegen?

Und der Großvater? – Er mit seiner Erfahrung dürfte rechtzeitig gewarnt haben . . .

Wenn das nur genützt hat.«

Solcherart waren die Gedankenreihen, die sich bei dem jungen Manne immer wieder einstellten. Schon zielten die Wege nach abwärts, aber sie waren strömende Bäche geworden, ihre Pflasterung lag bloß und hinderte das Gehen. Zudem stieg bereits die Graudämmerung aus den Tälern und verschwisterte sich mit dem Waldesdunkel. 137

Er mußte eilen.

Am Himmel war keine dunkle Wolke, sondern ein gleichförmiges Grau. Es regnete nicht mehr so heftig, aber die Berge sandten ihre Wasser noch alle Rinnsale entlang zur Tiefe.

Von jedem überschrittenen Rücken hatte er nach der Heimat gespäht, aber die war stets in Regenschleiern versunken gewesen. Jetzt erst vermochte er deren Talränder zu erkennen, während die Furche dazwischen noch ein Dunstsee verblieb.

Da eilte er noch mehr, um zur Gewißheit zu kommen.

Die Dämmerung wob auch schon um die Höhen und die Wipfel dort schienen sich zusammen zu drängen, als die Wasser des Stauweihers zum erstenmal zwischen den Stämmen heraufblickten. Aber nicht die gewohnte Spiegelfläche erglänzte, sondern ein schmutzigbraunes Etwas trieb seine Wellen dem Wanderer entgegen, als er endlich anlangte. Klatschend zerschellten am Ufer die windgepeitschten Wasser, die aus dem jenseitigen Nebeldunst hervorzukommen schienen. Es war ein Bild der Schwermut, das vor dem Manne lag, aber er begrüßte es mit freudigem Aufatmen.

»Gottlob, der Damm ist nicht gebrochen!« 138

Der Hastende mußte weit ausholen und die Fluten oben am Hang umgehen, bevor er zu der Aufschüttung kam.

Am Damm hörte er Leute miteinander sprechen und trat unter sie.

»Gerade ist der Herr Vater fortgegangen, weil der Regen nicht mehr so schlimm ist,« rief ihm ein Arbeiter entgegen. »Wie die Teufel haben wir schaffen müssen, um das Wasser im Zaum zu halten.«

Robert sah Bretter und Balken herumliegen, die man zur Dichtung des Dammes herbeigeschafft hatte und fragte nach den Geschehnissen des Tages.

»Erst war es nicht so arg,« erhielt er zur Antwort. »Aber dann kam das Wasser mit Macht und die Schleusen waren für den Andrang zu klein. Der Herr Vater hat drüben neben dem Damm eine Notschleuse in den Berg hauen lassen; aber lange hätte es nicht so weitergehen dürfen, sonst hätte auch das nicht geholfen.«

»Hoffentlich ist die Gefahr jetzt vorüber.«

»Das ist zu wünschen,« meinte ein anderer. »Wenn nur um Mitternacht das Wetter nicht wieder umschlägt.«

»Meinst du?« sagte der erste Arbeiter. »Dann könnte es schlimm werden.« 139

Robert ging. In den Schleifereien am Hange war Feierabendstimmung. Durch die Scheiben konnte er sehen, wie die Treibriemen lose überhingen, die Stühle auf den Schleifkästen standen und die Spindeln im Fensterwinkel lehnten. Nach allen Aufregungen des Tages wirkte dies friedliche Bild beruhigend auf ihn und auch der angegriffen aussehende Vater daheim schien erleichtert. Nur der alte Herr kam düster und verschlossen ins Speisezimmer und als ihm Robert »Gute Nacht!« sagte, entgegnete er wider seine sonstige Gewohnheit weich und leise:

»Schlaf nur, mein Junge! Ich werde heute wohl kein Auge zumachen.« Und auf den fragenden Blick des jungen Mannes hin setzte er, schon halb abgewendet, hinzu:

»Wir sind noch nicht darüber hinaus. Ich kenne unsre Wettertücken zu gut.«

Auf seinem Zimmer öffnete Robert das Fenster und hielt Ausschau. Oben floß unbeirrt der graue Wolkenstrom und kein Eiland von Helle schwamm in ihm. Vom geringen Regen aber war kein Plätschern zu hören; dafür dröhnte die Stimme des Baches laut durch die Nacht und rief zu den Bergen empor, auf daß sie ihre Wasser alle herabsenden sollen. Und das willige 140 Element beeilte sich, mit Springen und Gleiten der Lockung zu folgen. Überallher rauschte und brauste es und das Tosen war in der Dunkelheit noch beängstigender.

Ihm schien, als komme es durch die Nacht zu ihm wie ein wehmütiges Geflüster, das er nicht zu deuten vermochte. Aber dann klang eine liebe Stimme darein und zwei treue Augen tauchten auf und jener Zug um den Mund, den er so liebte.

Und er ließ sich von diesen Liebesboten hinwegführen ins Land der Träume und vergaß darüber, das Fenster zu schließen.

Nach Stunden weckte ihn der Wind, der deshalb bis nach seinem Lager her stieß; doch war der Schlaftrunkene kaum imstande, das Schließen der Flügel zu besorgen.

Aber nun war er auf einmal in einer Dämmerung voll Nebel und Wasser und Gischt und der Sturm nahm seinen Hilferuf hinweg, und die Wogen rissen ihn hinab in die Tiefe. Da erwachte er schweißgebadet von neuem und hatte Mühe, sich zurecht zu finden und zu überzeugen, daß er nur geträumt.

Als darauf der Tag graute, schien es, als würden Hände voll Sand gegen das Fenster 141 geschleudert; doch war es nur der Regen, der wider die Scheiben peitschte.

Robert dachte an die Befürchtung jenes Arbeiters und die trübe Ahnung des Großvaters. Beide Männer schienen von einem mitternächtigen Umschlagen des Wetters Böses zu erwarten.

Er kleidete sich hastig an.

Der alte Herr fieberte und klagte über Brustschmerz. Seine hohen Jahre hatten der gestrigen Anstrengung doch nicht standgehalten. Er schien auch besorgt um den Sohn, der schon wieder mit Arbeitern nach dem Damme unterwegs war.

Draußen waren die Wassergeister von neuem mächtig geworden und immer wilder haderte das Tosen des Baches mit dem Gerausch der Wälder, die fast nachtschwarz dahinstanden. Auch in den Kronen der Wegbäume hockte noch das Dunkel und über der Gegend des Weihers schien es sich besonders zu dichten. Das Band des Bergweges konnte man nur eine Strecke weit erkennen und es verlor sich zwischen den kleinen Schleifmühlen des Steilhanges. Alle Fenster waren dunkel; nur vom Giebel des obersten Häuschens her blickte ein schwaches Lichtlein.

Waren die Stätten verlassen? 142

Atemlos langte er am Damme an und vernahm sogleich die energische Stimme des Vaters, um den sich die Arbeiter drängten. Man war dabei, die Böschung mit Brettern zu dichten und Robert trat an die Seite des Befehlenden.

Ob er helfen könne.

Fast schmerzhaft preßte der Mann die Hand des Sohnes.

»Schlimm!« kam es zurück. »Die neue Anschüttung ist durchweicht; es tritt Sickerwasser aus. Wir tun, was wir können.«

Es war leider nur zu wahr. Da und dort schlängelten sich lehmbraune Wasserfäden aus der Böschung hervor und die Dammkrone begann einzusinken.

Immer wieder feuerte der aufrechte Mann die Arbeiter an und die karrten und stampften und schlugen ohne Unterlaß; aber immer neue braune Wogen trieb der Wind aus dem Dunst heran und die zerstörten im Nu das Geschaffene.

Robert hatte nach einer Schaufel gegriffen; aber der Vater rief ihn zu sich.

»Wir zwingen es auf die Dauer nicht,« hastete er hervor. »Eile hinunter und rufe die Freunde in Maxwald an, daß sie alle verfügbaren 143 Leute sofort zur Hilfe senden. Treibe sie aber an; es tut bitter not.«

Der junge Mann rannte; doch an der Wegbiegung ließ ein Lärm ihn zurückschauen. Da liefen die Arbeiter alle nach einer Stelle hin und der Vater stand hochaufgerichtet und zeigte mit ausgestrecktem Arm nach der gleichen Richtung.

Den Stockenden wollte es zurückzwingen; doch er mußte vorwärts.

Mit dem Tageslicht schien der Regen sich zu verdoppeln. Die unterspülte Stelle war zur Not gedichtet worden, doch an anderen Stellen brach das Element wieder hervor. Und mit dem wachsenden Drucke der Massen wandelten die schlängelnden Wasserfäden sich in frei hervorspringende Strahle, die aller Bewältigung spotteten. Als bereits Stücke des Erdreiches abrutschten und der Boden unter den Füßen unsicher zu werden anfing, begannen die Leute ängstlich zu werden. Die fremden Bauarbeiter zogen sich zuerst vom Damme zurück und des Schürers zornige Worte hatten nur die Wirkung, daß der Aufseher die Achseln hochzog und murmelte:

»Es ist zu gefährlich, Herr.«

Die Schleifer hielten noch stand, weil ihre Hanghäuschen zunächst gefährdet schienen; aber 144 sie arbeiteten verstört und kopflos trotz energischer Befehle.

Als von der Mitte wieder ein Stück des Dammes nach außen fiel, brach sich das Wasser urplötzlich mit Gewalt Bahn und es entstand eine Rinne, so daß die wenigen verbliebenen Arbeiter in zwei Gruppen getrennt wurden. In jähem Schreck wichen sie zurück.

»Helft, Leute, helft!« aber tönte die starke, gebieterische Stimme; dann stand der Mann mit einem Sprung in der Wasserrinne. Er hatte ein großes, schweres Brett vor die Bresche geschoben und stemmte seinen starken Körper dawider. Wild schaute er über die Achsel zurück und schrie.

»So helft doch, Memmen! Schüttet an!«

Wirklich wollten einige junge Männer zuspringen; sie wurden aber von den älteren zurückgehalten. Und da barst plötzlich der Boden unter den Füßen des Mannes und er versank mit einem Ruck in die Tiefe. Nur seine Hände krallten noch einmal aus der braunen, gurgelnden Flut empor, dann war es, als wälze die Erdmasse sich mit einem weiteren Ruck nach vorwärts und in breitem Schwalle drängten die Wasser nach und stürzten donnernd gegen den Talweg hinunter. 145

Der Berg erbebte; durch die aufwirbelnde Wasserstaubwolke aber drang ein vielstimmiger, gewaltiger Wehruf des Entsetzens.

* * *

In fliegender Eile hatte Robert den Auftrag ausgeführt und hastete wieder bergan. Eitel Schaum, kam drüben der Bach heruntergejagt und die Schwalben schossen beständig durch sein Sprühen, um mitgeschwemmte Insekten zu erhaschen.

Als er gegen die Hangschleifmühlen einlenken wollte, vernahm er plötzlich hoch über denen ein gewaltiges Schreien, dem erschütternder Donner folgte. Aufblickend gewahrte er nur noch für einen Augenblick das vergessene Licht im Giebelfenster des obersten Hauses, dann war es, als schlage eine ungeheure Welle über dessen Dach empor und fege den Bau hinweg.

Der Herzschlag des Mannes stockte.

»Es ist geschehen.«

Der Selbsterhaltungstrieb zwang ihn auf den Hang empor und von dort sah er das Verhängnis niedergehen. In dem ungeheueren, einsetzenden Getöse sank Haus um Haus scheinbar lautlos zusammen. Ein wandernder Berg kam talwärts, mit Dachtrümmern, Balken und Bäumen beladen, 146 zwischen denen das Wasser hervorgischtete. Tiefer und tiefer wälzte sich die weiße Dunstwolke, die hinterdrein zog, und hüllte die Stelle des Entsetzens in ihre Schleier. Als sie sich verzog, lag vor dem niedergebrochenen jungen Manne nur eine Stätte der Vernichtung.

 


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