Gustav Leutelt
Der Glaswald
Gustav Leutelt

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3.

Der Pfad verliert sich im Grün, das seine Spur deckt und über ihm zusammenwühlt wie zitternde, grüne Wölklein. Wo ihn drüben die Schatten zwischen sich nehmen, lockt er mit allen Künsten der Andeutung, um die Neugier zu reizen. Und die Geheimnisse seiner grünen Dämmerungen rufen Sehnsüchte in den Herzen der Kinder hervor nach niegesehenen, phantastischen Waldwundern.

Von den Dreien will aber nur der größere Junge jener Lockung folgen; das Mädchen ist noch ängstlich und hält den anderen Knaben zurück. Als auch das Höhnen nichts fruchten will, wendet sich ersterer kurz um und schreitet pfeifend dem Waldausgange zu.

Durch dessen Lücke blickt eine ganze Stufenleiter von Höhen herein. Sie zeigt Wälder, Matten und Straßenzüge, die gegen Häusergruppen hinführen. Die unterste Stufe aber ist nur ein großes, graues Dach, das vor dem Waldeingange aufragt. Seine mächtige Schindelfläche deckt die Scheune des Siebeneichler-Bauers, 25 dessen Kinder eben ihren kleinen Gast aus dem Herrenhaus in den Wald geführt haben.

Die Kleine ruft dem Davoneilenden nach:

»Komm her, wir wollen Schule halten!«

Der große Junge aber lacht nur und gibt über die Achsel zurück:

»Ich mag nicht und hol' mir was andres.«

Nach einer Weile kommt er mit Holz und einigen verrosteten Nägeln von der Scheune her und fängt zu schnitzen an, daß die Späne fliegen.

Die beiden anderen Kinder sehen anfangs zu und der feine Junge putzt immer wieder die Splitter von seiner Jacke, die der Große gegen ihn zu schnellen beliebt.

Das Mädchen sagt endlich:

»Wenn er so ist, mag er bleiben. Komm nur!«

Damit zieht sie den Gefährten gegen eine Steinplatte, die unter das grüne Bogengewölbe einer Buche zu schlüpfen scheint und läßt sich dort nieder. Sie streicht ihr Schürzchen glatt und schränkt in Schülerhaltung die Arme auf dem Rücken. Robert will es ihr gleich tun und sich neben sie setzen, wird aber zurechtgewiesen:

»Du mußt ja den Lehrer machen.«

Der zu dieser Würde Erhobene hat anscheinend nicht den rechten Begriff von seinen Pflichten, 26 da er nur den Hauslehrer kennt und dieser mit ihm am gleichen Tische sitzt.

»So frag' doch einmal!« ruft die Kleine.

Der Knabe sinnt; es will ihm aber nichts einfallen. Da weist ihn die Kleine auf den Schülersitz.

»Ich werd' Dir's zeigen.«

In aufrechter Haltung bemüht sie sich, strenge zu scheinen, und hebt den rechten Zeigefinger.

»Wer hat Himmel und Erde erschaffen?«

Der Schüler besteht glänzend und die Schöpfungsgeschichte hebt an, von den Kindern in ihre Tagabschnitte zerlegt zu werden. Alles geht gut und nur wegen des zweiten und vierten Tages will es zu einer Meinungsverschiedenheit kommen, da der Knabe Sonne, Mond und Sterne über den Gewässern zu früh leuchten machen will. Aber die kleine Lehrerin ist unerbittlich und Robert muß sich fügen. Es findet dann ein etwas bunter Stundenwechsel statt und die Wissensgebiete überhasten einander; aber als der Knabe seine Lehrzeit überstanden hat und zum Schulgebieter aufrückt, läuft bereits alles glatt. Leider lassen es die Kleinen nur beim bloßen Abfragen bewenden und gehen dem 27 lehrenden Vortrag in gefühlsmäßigem Unvermögen aus dem Wege.

Währenddem hat der große Junge ein Rädlein geschnitzt und hängt es bei dem schmalen Wasserlauf drüben ein; aber so rasch es auch in dem hinschießenden Kristall fluddert, seine Arbeit befriedigt ihn nicht.

Als das Schwesterchen von ihm ging, war er mit dem Messer lässiger geworden und der erste mißglückte Lehrversuch des Kleinen machte sogar seine Schultern hüpfen vor verhaltenem Lachen. Er merkte erst wieder auf die Arbeit, als das Schnittholz sich von seinem Blute zu röten begann und schlenkerte den verwundeten Finger einigemal her und hin. Dann aber förderte es und als er das Werk in Gang gebracht hatte, mochte er von der Buche her auf eine Teilnahme gerechnet haben. Aber die Spielenden waren zu eifrig bei der Sache und wurden nicht aufmerksam. Schon wollte der Junge ärgerlich werden; doch nach kurzem Sinnen erhellten seine Züge sich wieder und er murmelte:

»Ihr werdet schon kommen.«

Er holte aus der Scheune staubbedeckte Glasscherben herbei und bastelte im Nu kleine 28 Hämmerchen zurecht, die vom Rädlein in Bewegung gesetzt, taktmäßig auf jenen klimperten.

Ding, dang, ding, dang. Er stimmte sie durch untergelegte Steine höher und tiefer. Ding, dang, dong; das zittert so hin zwischen den Stämmen.

Ding, dang – knack –, das Hämmerchen ist gebrochen. Tut nichts; der Schaden wird gutgemacht. Dann streckt er sich wieder auf das Moos daneben, mit dem Rücken nach den Spielern gewendet. Oh, er weiß, daß die jetzt kommen werden.

Ding, dang, dong. Das lockt sie schon. Und jetzt will er sich nicht kümmern.

Der Junge täuschte sich nicht. Schon das erste, leise Klirren hatte man drüben in der Buchenschule gehört und just der Lehrer war unaufmerksam geworden. Wohl hielten die Augen der Schülerin ihn noch ein Weilchen fest, aber als zum Ding auch noch das Dang kam, schoben sich immer größere Pausen in den Schulbetrieb, und als gar drei Gläser zu läuten anhoben, gab auch das Mädchen sein Spiel verloren.

»Geh nur; Du gibst ja so nicht mehr acht!« meinte sie gekränkt. 29

Der Knabe war zu feinfühlend, um daraufhin seine Gefährtin zu verlassen.

»Komm mit!« bat er und griff nach ihrer Hand; aber die Kleine schüttelte den Kopf und sagte:

»Ach, das Zeug hab' ich schon so oft gesehen.«

Darauf ging er doch; nicht ohne noch einigemal umzublicken und trat staunend vor das kleine Gewerk, dessen Hämmerchen durcheinander arbeiteten, wie die eilfertigen Stricknadeln der Haushälterin daheim. Aber nahe dabei wollte es nicht so hübsch klingen wie vorher und Robert trat wieder zurück. Der große Junge hatte sich scheinbar nicht um ihn gekümmert. Er mochte wohl einen Ausbruch der Überraschung erwartet haben und als dieser ausblieb, wendete er sich verdutzt und fragte:

»Hast Du schon so was gesehn?«

Robert verneinte und nahm darauf die Erklärungen des großen Buben willig entgegen; aber es war ihm doch mehr um das hübsche Getön, als um die Kenntnis der Werkeinrichtung zu tun. Der Große merkte dies auch und verdoppelte seine Bemühungen, ihn für die Sache zu gewinnen. Pochwerke und Sägemühlen wolle er noch bauen 30 und weiter oben einen Teich; aber alles ganz ordentlich und nicht so, wie er es jetzt geschwind zusammengebastelt habe.

Bei den Geschwistern schien ein Wetteifern um die Gunst des feinen Knaben stattzufinden. Sicher aber hätte den alten Herrn die Tatsache besonders erfreut, daß auch ein »Bengel« dem Mädchen hier oben Schach bieten konnte. Vorerst aber war die Kleine noch im Vorteil gegen ihren Bruder, wie das öftere Zurückblicken des Umworbenen merken ließ.

Unter der Buche war es still geblieben und der Platz dort leer; aber jetzt kehrte das Mädchen mit einer Handvoll Löwenzahnstengel dorthin zurück und begann sie zu bearbeiten. Bald tönte es aus dem Schattenwinkel her, erst einzeln, dann zu zweien und so vielfach, als die kleine Künstlerin eben von den Instrumenten in ihrem breitgezogenen Mündchen unterbrachte. Nur einen geringschätzenden Blick warf der Bruder zu ihrem Treiben hinüber, dann erläuterte er vor dem unruhig gewordenen Zuhörer, wie aus einem alten Ofenrohr eine prachtvolle Turbine herzustellen sei und ging sogleich nach der Stelle, wo er sie anzubringen dachte. Er stand aber darauf allein vor dem kleinen Wassersturz; denn Robert 31 war reuig zu der Gefährtin zurückgekehrt und nahm Unterricht im Pfupenblasen.

»Du mußt sie erst zusammendrücken«, rief das lachende Mädchen, als sich der Lehrling unter tonlosem Blasen abmühte. Dann gelang es auch ihm, aus den hohlen Stengeln jene gräßlichen Töne zu locken, die ein Gemisch aus Blöken und Grunzen darstellen. Aber die Kinder waren es zufrieden und rupften nur gelegentlich ein Stück von den saftigen Röhrchen los, wenn der Ton nicht hoch genug schien.

Zwischenhinein geht es drüben: Ding, dang und dong; doch mitunter kommen helle Drosseltöne obenaus und mit dem einsetzenden Windchen brandet allerlei Tongewoge empor, wird seitab geweht und vergeht wieder.

Und wie beide Kinder endlich des Spieles müde werden und sich von den Händen jene Flecken wischen, die vom Milchsaft der mißhandelten Gewächse herrühren, will in den Lüften noch ein heimliches Singen anheben; aber wie die Beiden eben aufhorchen, fliegt auch das bereits vorüber und erstirbt in der Weite. 32

 


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