Gustav Leutelt
Der Glaswald
Gustav Leutelt

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6.

Der alte Rauner, der Wald spricht: Tauch in meine Dämmerung; sie ruhigt, hör' auf die Wipfel; sie künden Leben, trink meinen Atem; er gesundet dich, ruh' aus auf meiner Scholle; sie ist Heimatboden.

Der Wald spricht es zu den Menschen; die hören auf anderes.

Und die Dinge im Walde?

Noch hält das Wipfelgedränge sein Schild über dem Schatten der Tiefe. Licht und Sonnenwärme mögen nur oben bleiben über den Wipfeln; das Dunkel kümmern diese Sehnsüchte tausender Kreaturen nicht. Es ruht und fühlt sich sicher unter den Stämmen; denn es glaubt deren Zeit noch nicht gekommen. Nach Jahren erst naht wohl der Tag, an dem die hohen Beschützer fallen. Und es ruht in Selbstgenügen weiter.

Aber draußen am Waldrande haben die Zitterpappeln das Klopfen schon gehört und stiften die Hängebirke an, einmal von ihrem Stein aus nachzusehen.

Die Birke ist schläfrig und die Pappelblätter können lange flirren, bevor sie bereit ist. Erst 58 als der Windstoß ihre grünüberrieselten Behänge durchschüttelt, läßt sie sich herbei, dem Waldrandgesindel eine Auskunft zu geben.

»Bretter und Balken und Zimmerleute.«

Die Pappeln schütteln sich verwundert.

»Bauen . . .?«

Sie haben darauf sehr viel zu tun und das Schwanken, Wedeln, Zittern, Beugen und Wiederaufrichten ihrer Arme will kein Ende nehmen.

»Was soll das werden?«

Und am Abend steht am Rande der Brachwiese etwas wie ein Häuschen und dessen frische Bretter leuchten bis weit in den Wald hinein, so daß auch die ältesten Zottelfichten aufmerksam werden. Aber wie die nächste Abendsonne kommt, blitzt sie gar aus den Scheiben eines Fensters gewaltig herüber. Und wie ihr Leuchten an den Stämmen aufspringt, will auch das Dunkel der Tiefe unruhig werden und erschrickt zum erstenmal.

Dann gehen so einige Tage hin und es geschieht nichts. Aber einmal kommt nach dem Abendläuten eine Schar Männer herauf mit Rückentragen, an denen Sägen, Äxte und ganze Bündel Eisenkeile hängen. Die Leute ziehen ins Bretterhäuschen ein und bald steigt aus dessen Ofenrohr, das Kaminesstelle vertritt, ein leichter 59 Rauch. Dann ist drüben noch ein Ab- und Zugehen bis in die Dunkelheit hinein.

Die Pappeln sind außer sich und es hätte des Nachtwindes gar nicht bedurft, um sie wach zu halten. Sie wissen nur nicht, ob es auch den Großen hinten mitzuteilen sei. Diesen Trotzigen trauen sie nicht, flüstern es aber der Buche zu, deren Äste darauf gar seltsam durch die Nacht stöhnen.

Am Morgen kommt der Bauer mit den fremden Leuten in den Wald und zeigt mit ausgestrecktem Arm immer gegen eine Richtung. Dorthin geht dann Einer und schlägt mit blankem Beil Späne aus der Rinde, so daß eine Reihe lichter Wunden sich weit zwischen die Stämme hineinzieht.

Als der Bauer dann wieder gegangen ist, weist ein grauhaariger Alter jedem seinen Platz an. Ihrer Zwei gehen immer an die Arbeit, schauen erst nach den Wipfeln empor und ratschlagen dann.

»Er wird dorthin fallen.«

»Wird er nicht in der Buche hängen bleiben?«

»Nein, die ist zu schwach dazu.«

So gehen die Gespräche und dann setzen sie die Säge an den Stamm. Ein Mißklang, tönt 60 das Kreischen des Werkzeuges hervor, dann setzt es auch herüben und drüben ein und geht rascher hier und gelassener dort. Tausendfache Schreie dringen aus dem wimmernden Holz und ein Beben läuft die Riesenstämme hinan bis zu den Wipfeln. Die können es gar nicht fassen, was die Menschen da unten wollen und schütteln noch immer ungläubig ihre Äste, so daß ein Schneien vergilbter Nadeln aus denen anhebt.

»Gottlob, nun halten sie ein da unten!«

Aber schon sitzt ein unbarmherziger Eisenkeil in der Wunde und dringt unter den fallenden Hieben tiefer und tiefer ins Lebensmark des Baumes. Ein einziger gewaltiger Wehruf übertönt noch das Bersten und Brechen und unter betäubendem Prasseln stürzt er aus seiner Höhe nieder. Der Waldgrund erzittert, die Vögel stürmen aus den Wipfeln hervor, aber die Menschen stehen gleichmütig neben dem Gefällten und nur der eine von den Männern haut mit seiner scharfen Axt noch ein Kreuz in den Baumstumpf.

* * *

Die Kinder hatten es zitternd erlebt, wie eine liebe Waldstelle um die andere verwüstet wurde und auch der Bauer blickte recht unstät, 61 wenn sein Auge eine der gewohnten Baumgruppen suchte und nicht mehr fand. Zudem gab es Ärger mit den Arbeitern, die mehr Lohn verlangten und durch genügsamere Böhmerwäldler ersetzt werden mußten.

Heute war ein Sonntag und der Schlag ruhte. Eine trostlose Gesellschaft von Baumstümpfen ragte aus ihm zwischen hingewürfelten Steinblöcken empor, von denen bereits die dörrenden Moospolster herabkrümelten. Nur hie und da stand noch ein verschonter Buchenkrüppel oder der weiße Schaft einer Birke dazwischen und die Stöße der Klötze hauchten ihren Harzgeruch in den Wind. Wie ihr Splint in der Sonnenwärme barst, ging ein beständiges, leises Knistern durch die entrindeten Leiber und alle Ameisen hatten völlig zu tun, die neuentstandenen Sprünge abzusuchen.

Robert saß mit der Gefährtin an der Stelle, wo sie Schule gespielt hatten; aber das Bogengewölbe der Buche war nicht mehr über ihnen. Drüben auf dem Klotzhaufen hüpfte ein Rotschwänzleinpaar, das zwischen den zerstückten Baumleibern sein kurzfristiges Sommernest gebaut hatte. Die Vöglein fühlten sich als Hausherren, 62 knixten von den obersten Stammlagen her nach den Kindern und waren erschrecklich neugierig.

Witt, witt, klang es herüber.

»Es ist, als wollten sie mit uns reden,« sagte das Mädchen.

»Sie machen uns bloß was vor, daß wir ihr Nest nicht finden sollen.«

»Denkst du?«

»Der Großpapa sagt es immer, wenn sie in unserem Garten so tun.«

»Wo mag das Nest sein?«

»Wahrscheinlich im Klotzhaufen. – Aber sieh nur!«

Die Vöglein schwangen sich mit einemmal empor; doch schon war es zu spät. Ein braunes, schlangengleiches Etwas schoß ihnen nach und fiel mit einem zappelnden Tierchen zu Boden.

»Das Wiesel!« riefen die Kinder zugleich und eilten nach vorn.

Der kleine Räuber stutzte einen Augenblick. Dadurch gelang es seiner Beute, von ihm loszukommen und sich unter heftigem Geflatter zwischen die Füße der Ankommenden zu retten.

Das Vögelchen versuchte umsonst, sich aufzurichten und schlug den Boden beständig mit den Flügeln; aber als das Mädchen es aufhob, blieb 63 das Tierchen, wie in sein Schicksal ergeben, auf dem Rücken liegen und nur das aufgesperrte Schnäbelchen zeigte neben dem wogenden Brüstlein die Angst des Geschöpfes an. Das eine Füßchen hing zerbrochen herab.

»Das arme Ding!« – »Wie sein Herzlein schlägt!« waren die ersten Worte.

Das Wiesel schaute von dem Klotzhaufen so dreist herüber, als ob seine Beute ihm nicht entgehen könne. Erst als der Knabe Miene machte, ein Stück Holz nach ihm zu schleudern, verschwand es. Das andere Vögelchen aber schwirrte über den Kindern her und hin und lockte so ängstlich, daß beiden die Tränen in die Augen traten.

»Hör' nur, wie traurig es ruft.«

Den Kindern preßte es die Brust zusammen. Nie hatten sie geahnt, daß aus dem kleinen, runden Pünktlein des Vogelauges so viel Qual sprechen könne, als sie jetzt gewahrten. Weinend sagte der Knabe endlich:

»Ob ihm nicht doch zu helfen ist?«

Hilfe war nahe.

Von rückwärts kam jetzt ein Durcheinander von Meisen- und Finkengezwitscher an das Ohr der Kinder. Und zwischen die mit ihm näher 64 stapfenden Schritte schoben sich Geräusche, wie sie hüpfende Vogelfüße auf Käfigsprossen hervorbringen.

»Der alte Vogel-Ulbrich,« rief das Mädchen freudig. »Den fragen wir.«

»Nun?« sagte der bloß, als die Kinder vor ihm standen.

Die Beiden berichteten.

Der Alte stellte die Bauer mit den Lockvögeln behutsam hin und besah den Verunglückten.

»Ein Wistling,« meinte er dann und zog die Stirn in Falten. »Das wird schwer halten, den 'rauf zu bringen. Wenn ihr ihm fleißig Fliegen fangen wollt, daß er nicht verhungert, können wir es probieren.«

Die Kinder versprachen alles.

Der Mann schälte die Rinde eines Birkenzweiges ab und schabte von den Baumstümpfen Harz daraus. Dann unterwies er den Knaben, wie er den Verband anlegen müsse und nahm das Vöglein so zwischen seine großen Hände, daß nur das gebrochene Beinchen hervorsah.

Die Augen des Knaben leuchteten vor barmherzigem Eifer. Zärtlich behutsam legte er die geschmeidige Rinde um das gebrochene Glied 65 und band sie fest, so daß der Alte seine Freude an ihm hatte und meinte:

»Du hast eine geschickte Hand, mein Junge. Du solltest auf den Doktor studieren.«

Das Vöglein hatte nur einigemal bange gepiept; aber als der Mann seine Hände öffnete, wollte es sich doch erheben.

»Ja, da müssen wir ihm noch die Flügel binden,« wendete der Mann sich an das Mädchen. »Das kannst du besorgen.«

»Nein, nicht so querüber. Du mußt ihm nur die Flügelspitzen zusammenbinden. Und dann leg' ihn zu Hause in eine Watteschachtel; aber schau gut drauf, daß die Katze nicht dazu kommt.«

»Lebt er in ein paar Tagen noch, dann bring ihn zu mir und ich werde nachsehen.«

Nach diesen Worten nahm er seine Vögel wieder auf, nickte den Kindern zu und ging. Aber er wendete sich darauf noch einmal und rief scherzend zurück:

»Überleg dir's mit dem Doktorwerden, Junge! Es muß ja nicht gerade ein Vogeldoktor sein und du hast das Geschick dazu.« 66

Die Kinder sahen einander glücklich an. Zum erstenmal waren sie vor ein Leid gestellt worden und hatten sich darin bewährt.

Welche Frucht die Erbarmnis ihrer jungen Herzen auch in der Folge zeitigen mochte; eines ist in ihr Gemüt gedrungen: die Süße des Helfens war ihnen erschlossen worden.

 


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