Gustav Leutelt
Der Glaswald
Gustav Leutelt

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7.

Alles im Zimmer hatte es eilig: das winzige Pendelchen der Alabasteruhr am Schreibtisch; das Schattengewimmel im Sonnenfelde des Fußbodens, von den schwankenden Zweigen draußen herrührend; der letzte Rauch der Zigarre, die eben in ihrer Schale verlöschen wollte, und nicht zum wenigsten die Feder, die über den ausgelieferten Briefbogen hinhetzte.

Nur die kräftigen Schritte, die sich der Tür näherten, schienen keine Eile zu haben, wirkten aber trotzdem beflügelnd auf den Schreibenden. Auch als der alte Herr eingetreten war und sich dem Sohne zuwendete, hielt der rastlose Griffel nicht inne. 67

Das Räuspern des alten Herrn verfing zunächst nicht; die Feder fegte weiter und nur die Lippen des Schreibenden öffneten sich:

»Bitte, Papa, einen Augenblick – Postschluß.«

Und wie zur Bekräftigung hob die Standuhr aus und zehn helle Glöckchenschläge hasteten in nervös machender Schnelligkeit aus ihr hervor.

Es konnte Mitleid sein, was in dem Augenblick unter den buschigen Brauen hervorleuchtete; doch die gekräuselten Lippen stimmten nicht dazu und als der alte Herr sich darauf am Schreibtische niederließ und die Beine übereinander schlug, war sein ganzes Gehaben ein stummer Widerspruch gegen die Ruhelosigkeit des Übereifrigen.

Der erbetene Augenblick zog sich beträchtlich in die Länge und der Wartende wurde bereits ungeduldig; aber dann versank er plötzlich in Gedanken und blickte scharf vor sich, als wolle er einer Sache bis auf den Grund sehen. Auch als die Linke des Schreibenden nach dem Taster der Klingel suchte und der wirbelnde, kurze Glockenton jemand aus der Schreibstube herbeirief, blieb er in sein Grübeln versunken.

»Du wolltest, Papa?« kam es dann über den Tisch her. 68

Der alte Herr hob den Kopf und setzte sich zurecht.

»Was ist das mit Fitz und Compagnie?«

»Die Gesellschaft hat ihnen jenen Teil der Holzlieferung zugewiesen, der aus unserer Gegend herausgeholt werden soll.«

Das hatte gleichgültig geklungen; aber es war doch erst ein scharfer Blick zu dem Alten hinübergeflogen.

»Ich hoffe, daß du nichts bei dieser Überweisung dabei hast.«

»Wieso, Papa?«

»Weil Fitz und Compagnie anrüchige Leute sind.«

»Soviel ich weiß, sind sie noch nie mit dem Strafgesetz in Widerspruch geraten.«

»Aber bedenklich gestreift haben sie es schon, und wären sie nicht aalglatt und gerieben . . .«

»Was geht das uns an, Papa?«

»Laß das! Gestern teilte mir ein alter Freund mit, du seiest geschäftlich jenen Schwindlern verpflichtet.«

»Ich halte die Firma derzeit für sicher.«

Die Augen unter den buschigen Brauen hefteten sich mit einem harten Ausdruck auf den Sohn. 69

»Oh, ich kenne dich zu gut, um nicht zu wissen, daß du mit deinem eingelegten Kapital sicher gegangen sein wirst. Aber Fitz und Konsorten haben nun leider das Holzgeschäft in der Gegend und der Siebeneichler-Bauer ist auf deinen Rat hin dabei beteiligt.«

»Und?«

»Und der Bauer ist den Schuften nicht gewachsen, was dir sehr wohl bekannt ist.«

»Er wird sich wohl hüten.«

»Sei still! Er wird schon durch mich gewarnt werden.«

»Aber wozu das alles, Papa?«

»Wozu?« Der alte Mann richtete sich hoch auf. »Ich habe zugestimmt, als du Grund und Boden dort oben kaufen wolltest; hüte dich aber, Herr Sohn, durch Schliche von Fitz und Compagnie diesen Zweck erreichen zu wollen. Dann fahre ich dir wahrhaftig dazwischen, daß es eine Art haben soll.«

Der große, stattliche Mann am Tische schwieg, doch über seine Augenlider ging ein nervöses Zucken und die ringgeschmückte Rechte rückte unwillkürlich zur Seite, als der erregte Alte seine Faust daneben legte. 70

»Ich will meinen guten Namen behalten. Verstehst du? Noch heißen wir Schürer und Sohn. Weiter brauche ich dir nichts zu sagen.«

Er nickte kurz und verließ das Zimmer. Taktfeste Schritte waren es wieder, die sich entfernten; aber die Leute in der großen Schreibstube hatten feine Ohren und hörten aus ihnen doch das Aufzucken der Erregung heraus. Und der erste Buchhalter tauschte einen Blick mit dem Prokuristen, worauf dieser die Achseln hochzog und vielsagend nach dem Herrenzimmer hinübersah.

Drinnen sitzt der große, schöne Mann noch ruhig am Schreibtisch; aber die Entschlossenheitsfalte auf seiner Stirn vertieft sich zusehends und wie er gegen die eben gesperrte Tür schaut, will sein Blick gar einen feindseligen Ausdruck annehmen.

* * *

Die Kinder brauchten nicht zu suchen. Zwischen den Fenstern der Giebelseite hingen viele Käfige, in denen Hüpfen und Singen war. Unter dem Dachvorsprunge her drang ihnen Wachtelschlag entgegen und oben am First sonnte sich ein Lachtaubenpärchen. Des Vogel-Ulbrichs Haus war nicht zu verfehlen. 71

Der alte Mann nahm ihnen den Pflegling ab und löste die Rinde von dem Beinchen.

»Alles gut,« meinte er. »Ihr seid brav gewesen und habt den Wistling tüchtig gefüttert. In ein paar Tagen könnt ihr ihn wieder fliegen lassen.«

Die Kinder besahen unterdessen die Stube. Da waren nicht so viele Bilder an den Wänden, wie bei der Muhme Beate. Dafür hüpfte und flatterte es überall in Holz- und Drahtkäfigen und war ein Durcheinander von Vogellauten in dem Raume. Die Tierchen schienen zu ihrem Zwitschern durch ein zischendes Geräusch angeregt zu werden, das von einem der beiden Radstühle herkam. Diese waren neben dem Fenster aufgestellt und durch Öffnungen des Fußbodens führten zu ihnen lange Riemen heraus, die zugeschärfte Schleifsteine drehten.

Nur an einem der Schleifkasten saß ein Arbeiter. Er hielt und drehte die Glasflasche in seinen Händen immer in anderer Lage an den schwirrenden Stein, welche Hantierung jenes pfeifende Zischen hervorrief.

Und dann war noch ein anderes Geräusch in der Stube: kurze, hohle Hustenstöße, die von dem rotgeblümten Bett drüben herkamen. Der 72 Mann darin sah erschreckend abgezehrt aus und hatte unnatürlich rote Flecken auf den Wangen. In fast gleichen Zeiträumen stieß der Husten aus seiner eingesunkenen Brust hervor und ließ jedesmal den Kopf des Kranken aufzucken.

Der Knabe ängstigte sich. Noch hatte er an keinem Krankenbett gestanden und dessen Nöte wirkten mit Gewalt auf ihn. War es nur Mitleid gewesen, als er vor Tagen dem verwundeten Vogel helfen wollte, hier stieg zum erstenmal die Drohung vor ihm auf, die jedem Menschen über die Schultern her sieht: die Gewalt der Vernichtung. Wohl empfand er nur dunkel, daß jener Kranke bereits dem Tode verfallen sei, aber sein Kindesherz krampfte sich bei jedem quälenden Hustenstoß zusammen. Er erschauerte und blickte nach der Tür.

Der alte Mann gewahrte seinen Zustand und sagte trüb:

»Ja, ja, Junge, dem Adolf kann ich nicht so helfen, wie eurem Wistling, so gern ich das täte. Und der Doktor ist weit weg und kommt nicht oft. Gott helfe nur!«

Er sagte darauf noch, wie und wann sie dem Vogel die Flügel lösen sollten und die Kinder 73 wollten eben davongehen, als ein ängstlicher Ruf des Kranken sie noch einmal umschauen ließ.

Hinter dem Ofen her kam ein altes Weib und stützte den nach Atem Ringenden. Ein heftiger Husten begann den zu würgen und das vorgehaltene Tuch färbte sich mit einemmal rot.

»Schnell die Tropfen!« rief die Alte noch und der Mann sprang helfend bei. Die Kinder aber beeilten sich entsetzt, wieder ins Freie zu kommen.

Sie blieben niedergedrückt und schwiegen. Erst jetzt, nachdem die Geräusche der Stube hinter ihnen lagen, fing ihr Ohr auch wieder das Dröhnen des Wasserrades und wie dieses dann in das Bachrauschen hinein entwich, trat auch das Bild des Kranken wieder für eine Weile hinter den Vorhang der Außendinge.

Aber beim Erzählen in der Stube des Siebeneichler-Bauers war es doch gleich wieder vor den Augen der Kinder und gewann durch die Worte der Frau ein unheimliches Leben.

»Der Arme wird es nicht mehr lange machen,« sagte sie. »Er hat die Schleifersucht so arg, daß keine Hilfe mehr ist.«

»Was ist die Schleifersucht?« fragte der Knabe. 74

»So heißt die Lungensucht bei den Leuten, weil die Schleifer sie von dem Glasstaub leicht bekommen, der bei ihrer Arbeit wird,« war die Antwort.

»Und gibt es für sie keine Hilfe?«

»Hilfe schon; aber erst glauben die Leute, es sei nicht so schlimm mit ihnen und lachen wohl gar darüber. Dann ist es aber auf einmal zu spät und kein Doktor kann sie mehr gesund machen.«

»Warum ist kein solcher bei uns?« gab das Mädchen drein.

»Kind, das weiß ich nicht. Nötig wäre er wohl sehr.«

»Wenn die Leute aber alle für euch arbeiten,« fuhr die Kleine dann auf, »so müßt ihr auch sehen, daß einer kommt. Sag' doch deinem Großvater, er soll wen herbringen.«

Robert versprach dies, ohne an die Erfüllung des Wunsches zu glauben; aber das Gespräch wirkte in ihm fort, so daß er über das Scherzwort des alten Vogelfreundes hin mit aller kindlichen Ernsthaftigkeit daran dachte, selbst Arzt werden zu wollen, um dann gegen jene böse Krankheit kämpfen zu können . . .

Wie der Knabe geahnt hatte, so war es. Seine Bitte blieb unbeachtet. Dafür bohrte der 75 Entschluß, Arzt zu werden, sich immer tiefer in sein Gemüt, und als der Sohn des Vogel-Ulbrich nach einigen Wochen starb, überraschte er die Mutter mit diesem Wunsche.

Die Frau war anfangs geneigt, das kindliche Vornehmen zu belächeln; als sie aber den Zusammenhang erfragt hatte, wurde sie ernst genug und strich liebevoll über den Scheitel des Sohnes.

»Ob du dürfen wirst, mein Junge, das weiß ich nicht,« gab sie zurück. Aber sie hütete sich doch, den Knaben mutlos zu machen und empfahl ihm nur, von seinem Vorhaben den Männern noch nichts zu sagen.

So leicht der Wille des Knaben auch wog, er durfte doch in die Zeit wirken.

 


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