Gustav Leutelt
Der Glaswald
Gustav Leutelt

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2.

Les bonnes ce-ri-ses.

Nur schwer und stockend entwanden sich die wenigen Worte den Lippen des Knaben. Er las nochmals die Inschrift unter dem großen Kupferstiche, dann schüttelte er den Kopf und stieg vom Stuhle herab.

»Mama, was ist das?«

Mehr aus der Richtung des Blickes erriet die blasse Frau, was ihr Kind wollte. Überrascht ließ sie die Feder sinken und sagte freundlich:

»Das ist französisch und heißt: Die guten Kirschen.«

Aber schon nach einer Weile kam es wieder:

»Mama, warum hast Du keine deutsche Bilder?«

Die Frau lächelte und sagte: 17

»Das ist nun einmal so. Das Bild ist die Hauptsache und nicht, was darunter steht. Es sind auch deutsche Stiche genug da.«

»Aber auf dem ist es ganz anders, als bei uns.« Und wieder nach einer Weile, während die Feder der Mutter über das Papier lief, kam es zaghaft:

»Wirst Du noch viel schreiben?«

Jetzt kam es der Frau zum Bewußtsein, was sie versäumte. Sie zog den Knaben an sich und sagte zärtlich:

»Du langweilst Dich bei Mama? Hier gibts nun freilich kein Eichhörnchen, das Dir Nüsse aus der Hand holt. Da mußt Du schon warten, bis Dir der Großvater wieder die Freude macht.«

»Der Großpapa hat sich gar nicht um mich gekümmert. Ich hab' mich ganz allein umsehen müssen.«

»So hat Dich nicht der alte Erdmann zum Siebeneichler geführt?«

»Nein. Und der Großpapa hat immer keine Zeit und der Vater erst recht nicht.«

Nach den letzten Worten des Kindes huscht es wie Wehmut über die Züge der Frau und auch, als sie sagt: »Ja weißt Du, die Männer müssen viel an ihre Geschäfte denken, damit wir 18 alle die schönen Dinge hier um uns haben können,« ist es noch wie ein Schleier über dieser sanften Zurechtweisung, so daß die Worte das Ohr des Knaben nur halb erreichen. Ihre Augen haften lange an dem Bilde des durchdringend blickenden Mannes, das über dem Schreibtische hängt. Auch als sie sich abwendet, ist es gewiß nicht der Widerschein des rotflammenden Teppichs, dem die Färbung ihrer Wangen zu danken ist. Weit eher dürfte eine niedergekämpfte Erregung der Grund gewesen sein und dafür spricht auch ihr plötzliches Erheben.

Mit wankenden mühseligen Schritten tritt sie ans Fenster und blickt in den Garten hinaus; aber sie sieht nicht das Laubgewühl draußen und die sonnenscheingetigerten Wege. Nur ihr inneres Auge gewahrt einen Punkt, der nichts mit ihrer Umgebung gemein hat und es scheint, als ob auch diese vornehme Frau im Stillen eine leise Klage erhebe.

Der Falter draußen taumelte schon lange wie eine im Winde tanzende Blüte über dem Krokusbeet, bevor sein auf- und niedergehendes Gelb ihr ins Auge fiel. Eben wollte sie den Knaben herbeirufen, als der Diener eintrat und mit einer stummen Verbeugung nach dem 19 Speisezimmer lud. Noch einmal huschte ihr Blick nach dem scharfen Augenpaar drüben, dann wandte sie sich zum Gehen, ohne die Beantwortung der gewohnten Frage abzuwarten, ob die Herren bereits verständigt seien. Wie sie dabei den Knaben an sich zog und mit der Rechten seine Wange hielt, das hätte scheinen können, als suche sie einen Halt an dem Kinde, und nicht vielleicht ihres mühsamen Schreitens wegen.

Die Herren warteten bereits. Der große, schöne Mann ging ihnen entgegen, um seiner Frau die Hand zu küssen; aber das geschah mit so gewohnheitsmäßiger Kühle, daß es begreiflich wurde, wenn jene zurückzuckte. Auch das Kind schien mit seiner Mutter zu empfinden, da es nicht von ihrer Seite wich, als sie am Arme des Mannes ins Speisezimmer schritt. Der alte Herr hatte für die Kommenden nur einen kurzen Gruß gehabt und ging hinterdrein; aber wie er dem Ehepaar nachschaute, krausten seine Brauen sich wieder so nachdrücklich, wie während jenes Frühgesprächs mit dem Werkmeister.

Auch bei Tisch wanderten seine grauen Augen zwischen den Gatten hin und her, und in der Art, wie er die Frau immer wieder ins Gespräch zog, lag etwas väterlich Aufmunterndes; auch 20 war es deutlich, daß er die geschäftlichen Randbemerkungen seines Sohnes oft recht unwillig zur Seite schob.

»Willst Du die Muster in Augenschein nehmen?«

»Keineswegs; ich fahre dann weg – habe ja auch dem Robert das Mitfahren versprochen. Nicht wahr, Kleiner?«

Der Knabe duckte sich mit einem »Ja, Großvater!« aber ein hilfeheischender Blick glitt doch hinüber zur Mutter.

»Na nu?« die wachsamen Augen hatten jene Bitte verstanden.

»Es ist vielmehr etwas anderes,« gibt die errötende Frau drein, »was das Kind möchte.«

»Heraus damit!«

»Robert bittet, nach dem Oberdorf gehen zu dürfen.«

»So, warum denn?«

»Er will das Kind des Siebeneichler besuchen.«

»Wie heißt denn der Bengel?«

»Es ist ein Mädchen.«

»Auch noch. Er soll unter den Jungen seine Gefährten wählen.«

»Laß ihn gehen, Vater,« kam es von drüben;« es wäre gut, den Faden dorthin nicht reißen 21 zu lassen, und ein Verkehren der Kinder schiene das Geeignete dazu.«

»Wird kaum viel nützen, aber meinetwegen. – Doch, kennen Sie das Mädl, Frau Schwiegertochter?«

»Nein, aber die Köchin lobt das Kind.«

»Na, werde mich wohl selbst auch 'mal überzeugen. Haben Sie übrigens eine Ahnung, warum Egon diesen Kinderfaden spinnen will?«

»Nicht? Das hättest Du Deiner Frau nicht zu verschweigen brauchen.«

»Aber bitte, Vater! So geschäftliche Dinge.«

»Du trägst sie ja auch bis an diese Tafel, und ich glaube, daß Du zu gegebener Zeit Dein Weib nicht damit gelangweilt hättest.«

Die abwehrende Handbewegung drüben nützte nicht; der alte Herr fuhr fort:

»Egon will des Siebeneichlers Bauernwirtschaft kaufen, um auf dem Gelände eine kleine Talsperre anzulegen. Die ist natürlich nicht Selbstzweck, sondern soll die Kraft zum elektrischen Antrieb neuer, großangelegter Schleifereien geben.«

»Und die alten Mühlen?«

»Bleiben stehen, wenigstens so lange ich noch dreinzureden habe.«

Der große, schöne Mann räusperte sich. 22

»Das wäre nicht ökonomisch, Papa. Denke an die Unmenge der Motore, die benötigt würden.«

»So mach' Wohnungen daraus; wirst deren ja genug für die neuen Arbeiter brauchen.«

Die Brauen des alten Herrn hatten sich wieder gekräuselt; aber das ging vorüber, als dieser sich der Frau zuwendete:

»Vorläufig ist aber Dein Mann noch nicht so weit. Bauern haben nun einmal harte Schädel und der Siebeneichler macht keine Ausnahme. Er will nicht verkaufen, trotzdem Egon ihm schon das Doppelte des Wertes bietet.«

»Ja,« pflichtet dieser bei, »und trotzdem er ganz gut den Wald an der Lehne roden und dort eine neue Siedlung anlegen könnte. – Aber ich will und muß doch zum Ziel kommen.«

Die Frau gewahrt die Entschlossenheitsfalte auf seiner Stirn und ihre Augen beginnen ängstlich zu flackern. Sieht sie Schlimmes kommen; bedeutet jene Runzel vielleicht Kampf, Vergewaltigung und daraus hervorgehendes Unheil? Wieder erschaut sie irgendwo einen Punkt, der nichts mit ihrer Umgebung gemein hat und erst die Stimme des Alten führt sie von dort zurück. 23

Dessen graue Augen haben nochmals richtig gelesen. Er streicht entschieden mit der Hand durch die Luft und meint dazu:

»Genug davon! Jetzt soll Robert beichten, warum er durchaus zu dem Mädl will.«

»Es ist wohl mehr des zahmen Eichhörnchens wegen, das er bei jenem Kinde gesehen,« gibt die Frau darein, aber ihre Stimme schwankt noch ein wenig. Das aufmunternde Kopfnicken nach dem Kinde aber gelingt bereits und als der Knabe zu erzählen beginnt, vermag sie schon ordnend in seine Worte einzugreifen.

Die Augen des Kleinen leuchten, als er über des Siebeneichler-Bauers Hansel berichtet und sein Plaudern veranlaßt selbst den Gestrengen drüben, zu sagen:

»Da möchtest Du wohl selbst solch einen braunen Kobold haben?«

Und der Großvater lächelt und meint:

»Na, wollen sehen. Aber so einer muß ganz jung aus dem Nest genommen werden.«

Die Frau ist heiterer geworden; aber wie das Gespräch weiter geht und sich die Rücksichten des alten Herrn wieder mehren, sinkt sie in ihr voriges Wesen zurück.

Sie will nicht bemitleidet sein. 24

 


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