Gustav Leutelt
Der Glaswald
Gustav Leutelt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10.

Streifendes Sonnenlicht aus Wolkenlücken hebt das Goldgrün der Sträucher hervor und läßt es weiterfliegend in stumpfe Schattentönungen zurücksinken. Eben leuchtete der Glanz noch von tausend Blättern und nun ist er fortgewischt wie leichtsprühende Tränlein von Kinderwangen.

Erschauernd zieht die Frau das Spitzentuch fester um ihre Schultern und läßt die Blicke immer den Weg entlang gehen, der geradeaus in den Wald zu führen scheint. Aus ihren Zügen spricht Erwartung, gestachelt durch irgend eine verschwiegene Sorge und die Augen möchten den Waldhang durchdringen, der jenseits aufragt. Aber nur die Sonne sticht von der Wolkenlücke her aus seinem Wipfelgedränge eine Lichtinsel, die langsam hingleitet. Wie in Sehnsucht recken sich daneben tausende sonnenlose Gewächse zur Höhe; aber gleichmütig zieht jener Glanz seine vorgeschriebene Bahn und bleiern lastet der Schatten über den anderen.

Wehmütig blickt die Frau auf dies Bild. Muß auch ihre Seele unter Schatten trauern, 101 wie jene glückloseren Gewächse? Wäre das leise Geflüster ihrer Lippen aufzufangen, so würde es wohl von der entschwundenen Lichtinsel des Glücks erzählen, für die auch der Überfluß um sie keinen Ersatz gewähren kann. Fernliegende Erinnerungen scheinen heranzuschweben, machen, daß ihre Augen mit einemmal nur nach innen sehen wollen und versuchen, Rätselrunen ins Gesicht zu prägen. Aber schon streicht sie die Andringenden hinweg und kehrt zu jenem Verlangen zurück, das sie an diesen Gartenplatz geführt hat: der Sehnsucht nach dem Kinde, das heut am Wochenende heimkehren soll.

Und wie die wieder übermächtig wird und die Augen der Frau nach dem Wege zurückzwingt, deuten nur noch tiefe Atemzüge auf einen niedergekämpften Gemütssturm hin.

Die Gesträuche neben der Harrenden sind ruhig; doch ist ein Murmeln zwischen ihnen, als ob das Drängen ihrer treibenden Kräfte hörbar würde. Eben wollen die Sinne der Frau in diese heimliche Musik einschwingen, als ein Ton von außen sich dareindrängt.

Ferner Hufschlag – dann Wagenrollen, zeitweilig hinter den langgestreckten Wänden der neuen Schleifereien abgedämpft, endlich 102 Räderknirschen im Sande des Vorplatzes und das Schnauben der Pferde.

Die Frau ist an jene Rundmauer getreten, die vom Garten nach dem Kiesplatze vorspringt und winkt dem Jünglinge zu, der aus dem Gefährt steigt. Wenige Augenblicke später eilt er vom Hause her in die Arme der Mutter.

»Liebster Robert!«

»So wehmütig, Mutter?«

Mit einem Ach schiebt die stille Frau jene Frage beiseite und während der Jüngling sie nach dem Sitz leitet, beginnt sie:

»Du kommst heute so spät.«

Eine leichte Verlegenheit ist darauf in seinen Zügen. Er steht zur Seite; aber gleich darauf wendet er sich wieder voll den Mutteraugen zu.

»Die Ida – Fräulein Siebeneichler wollte ich sagen – war heute am Kommen verhindert und ich mußte auf sie warten.«

Die zärtlichen Augen drüben blicken besorgt.

»Bist du . . .?«

»Ja,« fällt Robert ein. »Sie wartet jetzt schon immer draußen in den Anlagen. Heute aber war sie noch nicht zur Stelle und ich mußte den Kutscher halten lassen.« 103

»Du weißt aber, daß der Vater es nicht gern sieht.«

»Wie soll die Arme dann heimkommen?«

»Da wird ein Weg sich finden lassen.«

»Schau,« setzte sie noch hinzu, als das Gesicht des Sohnes sich verfinsterte, »man könnte den Verkehr unpassend finden und eure gemeinsamen Fahrten der Institutsleiterin hinterbringen, was deiner Freundin leicht schaden dürfte.«

Die Augen des Sohnes blitzen unwillig; aber er bezwingt sich und sagt:

»Habe ich unrecht gehandelt?«

»Nicht unrecht, aber unklug. Du weißt, daß der Vater mit der Richtung deines Bildungsganges nicht einverstanden war und sein Gewährenlassen nur der Fürsprache des Großpapas zu danken ist. Du würdest gut tun, ihm in diesen Nebendingen nicht zuwider zu handeln.«

Robert blickte angestrengt in das Laubdach der Silberpappel; aber er gewahrte kaum das Pendeln und Flirren der Blätter, das Erschrecken und Aufdrehen ihrer hellen Unterseite vor dem Stoß, sowie das folgende Durcheinanderwühlen. Nur das Schütteln der Äste berührte ihn wie eine Geste des Zweifels und rief die entsprechende Bewegung des eigenen Hauptes hervor. Und 104 da war es merkwürdig, wie mit einemmal auf der Stirn des Jünglings dieselbe Entschlossenheitsfalte auftauchte, die auf jenem Bilde des schönen Mannes über dem Schreibtisch der Mutter stand. Auch sonst glich er jenem Bildnis; nur seine Lippen hatten die weichen Linien des Muttermundes und die Augen blickten klarer.

Es blieb ganz still. Das leise Murmeln zwischen den Gewächsen hob wieder an; doch klang es, als wehe ein leichter Seufzer dazwischen. Die Augen der Frau aber blickten wieder ängstlich; sie hatten die Falte auf des Sohnes Stirn wohl gesehen.

Da war es eine Erleichterung, als taktfeste Schritte daherkamen und der alte Schürer aus dem Hause trat. Mit ihm kam es wie ein Antrieb in die stille Gartenecke und gleichzeitig wie ein Gefühl der Beruhigung, das aus dem Vertrauen entspringt.

»Gestatten sie, Frau Schwiegertochter?«

»Ich bitte darum.«

Der Stuhl wurde gerückt und Robert schob ihn an den Tisch heran. Dann trat er hinter den Sitz der Mutter und stützte sich auf die Lehne.

»So ists recht, Herr Student,« meinte der Ruhende. »Den alten Großvater in Ehren 105 halten und der Mutter aufwarten: das gab es immer in der guten, alten Zeit.«

»Hoffentlich auch heute,« begütigte die Frau.

»Doch nicht, meine Beste. War unlängst in einer sogenannten feinen Familie, wo die Fräulein Töchter eine Rücksichtslosigkeit gegen die Eltern an den Tag legten, daß ich nicht an mich halten konnte und ihnen über die Rosenmündchen fuhr.«

»Und was sinnst du denn?« wendete er sich an den noch immer ernst schauenden Jüngling. »Über alte Zeiten gewiß nicht.«

»Doch, Großpapa,« kam es zurück. Und als der alte Herr sich überrascht zurücklehnte, um besser zu sehen, hob Robert den Arm und deutete ins Freie hinaus. Der alte Mann aber wußte genau, daß die Bewegung ihn nicht zum Sehen auffordern sollte.

Die Gewächse im Garten flüsterten nur gelind. Dafür drang von außen ein singender Ton herein, der immer in gleicher Höhe schwebte und durch seine Unaufhörlichkeit dem Ohr keine Rast gönnte. Er bohrte sich förmlich durch das Blättergepluster und alle die kleinen Tagesgeräusche und die zarten Vogeltöne gingen in ihm unter wie fallende Tropfen.

Die Brauen des alten Herrn krausten sich. 106

»Ja, die Vesperpause ist vorüber und die Motore laufen wieder. Du hast übrigens recht,« meinte er nach einer Weile, »es ist eine abscheuliche Musik.«

»Die alten Wasserräder mit ihrem Vielerlei von Geräuschen waren wenigstens leichter zu ertragen,« gab Robert zu.

»Und man konnte allerlei hineinhören in das Poltern, Stampfen, Plätschern und Scharren. Und gar, wenn irgend ein Kammrad bockte und dazwischen rumpelte . . .«

Die Augen des alten Mannes funkelten vor Vergnügen bei diesen Erinnerungen und er setzte hinzu: »Es war alles so gemütlich – damals.«

»Und jetzt diese Tonmarter!«

»Stimmt! Ich hätte aber nicht geglaubt, Junge, bei dir so viel Sinn für das gute Alte zu finden. – Übrigens, du wirst das doch nicht bloß so hersagen, um dem alten Großvater eine Freude zu machen?«

»Nein, laß gut sein; ich seh' dir's schon an, daß du es aufrichtig meinst.«

In den Zügen des Mannes war dabei kaum ein Mißtrauen aufgeflammt und seine Hand hatte die Antwort des Enkels sogleich abgewehrt. Er 107 ging jetzt aus sich heraus und sprach mit Behagen über frühere Zustände und das bedächtigen, aber sicheren Ganges erreichte Ziel der Gründung des Hauses Schürer: sein Lieblingsstoff, den die Zuhörer genau kannten. Jetzt sei das Geschäft nur mehr eine Hetzjagd und er sehe es kommen, daß den Leuten darüber noch der Atem ausgehe.

»Die ganze Staubeckengeschichte mit dem jetzigen Fabriksbetrieb gehört auch in das Kapitel,« ereiferte er sich. »Ich würge noch an dem Ärger wegen des Dammbaues. Vollste Sicherheit – natürlich – auf dem Papier! Wer aber unsre Gebirgswässer kennt, der schüttelt den Kopf dazu. Und wie geschleudert worden ist!«

»Wer weiß . . .«

Der alte Mann brach ab und rückte ohne jede Nötigung durch die Sonne seinen Stuhl zur Seite. Robert sprang hilfreich zu; aber er wechselte dabei einen ernsten Blick mit der Mutter und warf so hin:

»Es ist mir auch leid um die Schleifer, die jetzt so richtige Fabriksarbeiter geworden sind. Das Hantieren in den langen, kalten Sälen dort unten wird den Leuten gewiß nicht gut tun und Lungenleiden dürften zunehmen.« 108

»Mag sein. Er soll mir aber auch die kleinen Häusel für meine Altangesessenen stehen lassen. Die dürfen sich nicht auch in den Kasernen aneinander herumdrücken.«

»Und ein Arzt wäre hier so nötig.«

Der alte Herr lächelte gutmütig.

»Ist schon wahr; es wird etwas geschehen müssen. Aber,« und Hand und Wort schnitten wiederum eine Bemerkung des Jünglings ab, »bilde dir in dieser Sache nichts ein, mein lieber Junge. Dein Berufsziel ist ein anderes und auch wenn du an die Hochschule abgehst, wirst du es im Auge behalten müssen.«

Sein Blick richtete sich bei diesen Worten schärfer auf den Jüngling. Gewiß hatte auch der Mann die Entschlossenheitsfalte auf der reinen Stirn drüben gesehen und es zuckte um die buschigen Brauen wie verhehlte Sorge. Dann aber fuhr er nachdrücklich fort:

»Ich war im Gegensatz zu deinem Vater der Meinung, daß ein Abweichen von dem üblichen kaufmännischen Bildungsgange kein großes Übel bedeutet und habe dir den Weg zur Hochschule geebnet. Sicher braucht auch der Industrielle von heute eine umfassende Bildung. Aber« – 109 und der Alte verbeugte sich entschuldigend gegen die schweigsame Frau drüben – »Du bist einmal der einzige Sohn deines Vaters und wirst sein Nachfolger im Hause Schürer, auf das hunderte von Arbeitern dieser Gegend ihr Dasein gestellt haben. Bedenke, daß auch die Erhaltung dieses Zustandes eine menschenfreundliche Aufgabe ist, die deiner harrt.«

Der alte Herr empfahl sich und ging. Mutter und Sohn schwiegen und der Jüngling stützte nachdenklich seinen Kopf auf der Armlehne der Frau. Von draußen drang noch immer der gleichbleibende Ton herein; aber dann sank er mit einemmal in sich zusammen. Die Beiden merkten es kaum; ihnen klangen noch die letzten Worte des Greises im Ohr. Der Hauch schien sie immer wieder zu tragen, die zitternde Luft war voll von ihnen und die leisen Schauer der Wipfel ermunterten die Ersterbenden.

Und dann, fast zage, hob die Frau ihre Rechte und strich immer wieder mütterlich zart über den Scheitel des Sohnes.

Die linden Mutterhände! 110

 


 << zurück weiter >>