Gustav Leutelt
Der Glaswald
Gustav Leutelt

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12.

Es war noch recht früh. Das Himmelsblau schwebte in bleichen Morgendünsten; aber draußen vor den Fenstern fingen die höchsten Zweige der Platane doch schon einiges Sonnenlicht und in der Höhe kreuzten die Schwalben vor milchweißen Wolkenbänken.

Das Zimmer wies jenes Durcheinander auf, das eifrigem Suchen leicht zu folgen pflegt. Wo vordem der Schreibtisch des alten Herrn gestanden war, machte sich jetzt ein niedriger Fächerschrank breit, auf dessen Platte Tabellen mit Fahrplänen und Lohnlisten sich um den Raum stritten. Am Sekretär aber, von dem der Mann eben unwillig aufgestanden war, lag ein geöffnetes Buch, dessen Beschaffenheit mehr wissenschaftlichen als kaufmännischen Aussehens war. Eine Fliege, die ungestört seine Blätter absuchen konnte, lief quer darüber hin und putzte sich darauf eifrig den Staub von den Flügeln.

Der Mann ging sinnend auf und ab und wenn er in den Bereich des offenen Innenfensters geriet, spiegelte seine hohe Gestalt sich jedesmal im Glase wieder. Aber er faßte weder dies 123 Gegenbild, noch den sonnenbeglänzten Baum draußen ins Auge und wenn er doch Halt machte und leicht an die Scheiben trommelte, so verriet dies Spiel neben der äußeren auch seine innere Unrast. Und dann ging er nach dem Briefordner, hakte ein dicht beschriebenes Blatt los und überflog es wie einer, der die Bestätigung bekannter Tatsachen hervorsucht. Die Lohnliste daneben geriet wie von selbst in seine Hände und er starrte geraume Zeit auf sie, ohne eigentlich deren Zahlenreihen zu sehen.

Dann warf er wieder alles hin und nahm sein Gehen zwischen Tür und Fenster auf. Nur zuweilen fesselte ihn augenblickslang ein Gedanke so, daß er mit einem kleinen Ruck stehen blieb und dann vertiefte sich jedesmal die Entschlossenheitsfalte auf seiner Stirn. Das dauerte an und die Fliege hatte bei jedem Vorüberstreifen zu tun, um sich vor dem Manne in Sicherheit zu bringen. Aber dann erhielt die Bücherfreundin Gesellschaft vom Sonnenschein, der unterdes im Geäst der Platane herabgeklettert war und in die Stube drang.

War es der grelle Lichtstreifen, der den Gehenden plötzlich vor dem Buche Halt machen ließ? Das feurige Band schnitt eine Überschrift aus den 124 Buchstabenreihen heraus und machte sie in die Augen springend:

»Vom Streikrecht.«

Über das Gesicht des Mannes lief ein Zucken, doch vermochte es die Stirnfalte zwischen den Brauen nicht zu glätten. Dann klappte er mit einer Gebärde des Widerwillens das Buch zu und trug es nach seinem Fach.

Wieder vergingen die Minuten. Der Lichtstreifen wuchs zusehends und breitete sich über die Tischplatte aus. Vertrieb ihn auf Augenblicke der Schatten des Mannes, so sprang er doch immer wieder zurück, wenn der Rastlose das Fenster freigab. Aber dann ließ der mit einem Griff den Vorhang herabrollen und die Stube lag in einem gelblichen Halblichte da.

Es war ganz still und der Mann schien auf etwas hinzuhorchen. Wirklich kamen rasche Schritte, der dumpfe Laut der Außentür drang dazwischen und dann fing der weiche Stiegenläufer den Schall.

Die Augen des Mannes gingen nach der Standuhr und er flüsterte kopfschüttelnd:

»Wer?«

Es klopfte und die Tür wurde geöffnet, ohne den Hereinruf abzuwarten.

»Du, Robert?« 125

»Ich habe dich bereits drüben gesucht, Papa. Und der Diener sagte, du seiest schon hier.«

»Und . . .?«

»Und da bin ich schnell herübergelaufen, weil die Schleifer streiken wollen.«

»Woher hast du die Nachricht?«

»Die alte Prediger rief es mir zu, als ich in den Wald hinaufging. Ich bin dann hinten herum geeilt und habe die Ansammlungen der Leute gesehen.«

»Was taten sie?«

»Sie hörten alle einem von den neuen Arbeitern zu; ich glaubte den Liebenauer in ihm zu erkennen.«

»So, den?«

»Du hast wohl gewußt, was die Leute vorhaben?«

»Warum?«

»Weil du die Nachricht so ruhig aufnimmst.«

»Ich bin nicht ganz unvorbereitet.«

»Was denkst du zu tun?«

»Vorderhand nichts.«

»Und wenn sie kommen?«

Robert forschte ängstlich im Gesicht seines Vaters, der als Antwort nur kühl die Achseln hochzog. Aber es schien doch, als breche heute 126 ein wärmerer Strahl aus jenen durchdringenden Augen.

Ob er doch Wert auf die sorgende Warnung des Sohnes legte?

Es schien so und diese weichere Regung rührte den jungen Mann. Er betrachtete die hohe Gestalt vor ihm, zu der er noch kaum emporgewachsen war.

Die Haare grauten bereits an den Schläfen und die Linien um den Mund hatten sich vertieft; aber der festeste Wille sprach noch immer aus diesen Zügen. Wieder sahen die Augen über den vor ihm Stehenden hin, ganz auf ein Ziel eingestellt, das der Mann irgendwo gewahren mußte.

Erst als der Sohn sich rührte, kehrte der Versunkene aus seiner Gedankenwelt zurück und reichte die Hand.

»Ich danke dir für deine Sorge, mein Kind,« sprach er mit fester Stimme; doch es war bei diesen Worten nichts von dem Geschäftston, dem diese Lippen sich bereits gewöhnt hatten.

Dem jungen Mann stiegen die Tränen empor. So weich hatte er seinen Vater noch nie gesehen. Zaudernd meinte er endlich: 127

»Kannst du . . ., willst du den Leuten nicht entgegenkommen?«

»Nein, Kind. Mir ist die Unzufriedenheit der Leute bekannt; aber es ist eben unmöglich, über die Preise des Weltmarktes hinauszugehen, bloß um den Arbeitern höhere Löhne zahlen zu dürfen.«

»Könntest du in dieser Zeitlage dich nicht mit einem geringeren Gewinn begnügen?«

»Der ist des Wettbewerbes wegen bereits so niedrig gehalten, daß dies nicht angeht. Und wenn wir ohne Gewinn arbeiten ließen, so würden die Leute doch bald wieder Lohnforderungen stellen, dieweil sie sich in der Zwischenzeit neue Bedürfnisse angeeignet hätten. Die Arbeiter irren eben, wenn sie ihre aufgewendete Arbeit zum Wertmaß der Ware erheben. Deren Preis wird endgültig nicht durch die verbrauchte Menge von Arbeit, sondern durch die Nachfrage des Kunden bestimmt.«

»Aber der Arbeiter hat doch seinen Teil daran.«

»Er hat ihn, aber was er leistet, ist nur Mitarbeit bei der Herstellung. Welchen Wert die Ware erlangt, das richtet sich nach dem Begehr des Kunden. Es hängt sodann von der 128 glücklichen Errechnung des Unternehmers ab, ob ein Mehrwert zurückbleibt.«

»Da könnte der Weltmarkt aber schließlich das Arbeiten ganz unmöglich machen; und es gibt doch ein Recht auf Arbeit.«

»Ein solches gibt es nur auf Arbeit, die bei anderen keinen Mangel bedingt. Ob dieser beim Käufer eintritt, der den Warenpreis nicht mehr zahlen kann, oder beim Anfertiger, den hohe Gestehungskosten zur Arbeitslosigkeit verurteilen, das löst gleiche Wirkungen aus.«

»Wenn aber die gegenwärtige Weltlage so ungünstige Bedingungen schafft, warum erweiterst du dann beständig den Geschäftsumfang?«

»Ist der einzelne Nutzen klein, dann muß es die Menge bringen.«

»Aber auf solche Weise zwingst du doch immer neue Menschen in diese mißlichen Verhältnisse.«

Ein scharfer Blick des Mannes flog nach dem Sohne.

»Niemand zwingt die Leute, unsere hiesigen Erwerbsbedingungen anzunehmen. Wenn sie es tun, so dürften sie früher noch billiger gearbeitet haben.«

»Und ist eine Änderung dieses unsicheren Verhältnisses zu erhoffen?« 129

»In absehbarer Zeit nicht.«

»Dann verstehe ich den gewaltigen Ausbau unserer Erzeugungsmittel nicht.«

»Welcher?«

»Des Staubeckens oben.«

Die Stimme des Mannes klang gereizt, als er entgegnete:

»Mit diesem Erweiterungsbau verbundene Störungen kann man nur in Zeiten niedergehender Geschäftslage ertragen. – Im übrigen nimmt mich doch der Einwand wunder. Du sprichst nicht, wie ein Sohn der Firma.«

Der junge Mann schwieg.

»Fast will ich da glauben,« fuhr der Vater fort, »was man mir von deinen Studien zuträgt. Hast du wirklich auch anderweitige Vorlesungen belegt?«

Der Sohn blickte offen auf, doch erzitterte er leicht.

»Ja, Vater; doch habe ich die vorgeschriebenen Fächer darüber nicht vernachlässigt.«

»Das will ich hoffen. Zu einer Änderung der Berufswahl wirst du meine Zustimmung auch nie erlangen. Dächtest du je daran, dich der Firma zu versagen, so hätte ich keinen Sohn mehr. Das bleibt unwiderruflich.« 130

Der Mann sah bei diesen Worten wieder in die Weite, als denke er daran, sein Ziel auch über den Sohn hin zu erreichen. Auf dessen Zügen wechselten Röte und Blässe; aber die Entschlossenheitsfalte des Vaters stand auch bereits auf seiner Stirn und wer weiß, was geschehen wäre, wenn sich draußen nicht ein Geräusch von vielen Stimmen und Tritten erhoben hätte.

Die Männer eilten ans Fenster und blickten an den Seiten des Vorhangs hinaus. Eben kamen Leute vor das Herrenhaus drüben und immer wieder andere folgten, so daß auf dem großen Kiesplatze bald alles Kopf an Kopf dahinstand. Eine Gruppe von drei Männern löste sich aus dem Haufen und ging nach der Außenstiege.

»Sie glauben, mich noch drüben zu treffen,« drang's an des Sohnes Ohr. »Bald werden sie hier sein.«

»Ich bleibe bei dir.«

»Es ist etwas ganz anderes, was ich von dir verlange,« kam es zurück. »Du eilst zur Mutter, und wenn die Menge sich hierher gezogen hat, so läßt du anspannen und fährst mit ihr zu Redels nach Maxwald. Ihr erhaltet Nachricht, wann es zur Rückkehr Zeit ist.« 131

»Aber . . .«

»Kein aber; ich will es. Übrigens fürchte nichts; ich bin Manns genug, um denen da entgegen zu treten.«

Wieder brach ein wärmerer Strahl aus den Augen des Mannes und als er dem Sohne die Hand reichte und ihn gegen die Tür drängte, hielt dieser sich krampfhaft an ihm fest. Aber die überlegene Kraft des Vaters schob ihn unwiderstehlich weiter und nur in der Tür wandte er noch einmal den Kopf zurück, während helle Tränen aus seinen Augen perlten.

Der Mann stand einen Augenblick hinter der geschlossenen Tür und ein nervöses Zucken lief um seine Mundwinkel. Aber dann strich er mehrmals über die Stirn, straffte sich empor und schritt nach dem gewohnten Arbeitsplatz am Tische.

Er wartete.

 


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