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Die Zarathustrazeit

Der Künstler, der Literat, der Stubengelehrte konnte den großen Bruch dialektisch verbrämen, ästhetisch überflittern. Der Volkserzieher mußte an ihm scheitern. 1883 bis 1885 entstand das große Lebensbekenntnis: »Also sprach Zarathustra«. Das philosophische Seitenstück zu Goethes »Faust« und wie dieser, ein Standwerk des deutschen Schrifttums. Beide Werke haben dieselbe verzwickte Vielfältigkeit. Auch Goethes »Faust« hat alle Stimmungen, Befruchtungen, Pausen eines Lebensweges von achtzig Jahren in sich aufgesogen, so daß man nicht ohne Gewaltsamkeit das Ganze zu einheitlicher Handlung zusammenzwingt.

Nietzsches »Zarathustra« sammelte zwar nur die Gefühle dreier Jahre. Aber gerade diese drei Jahre waren so überfüllt von ungeheuren Geisteserlebnissen, daß in dem langsam abbrennenden Gehirn der Gedanke von heute den von gestern widerrief, und der morgige Tag wiederum das heute Gedachte zu flüchtigem Spiele erniedrigte. Und doch handelt es sich eigentlich immer in allen diesen Rasereien der Logik um ein und denselben Widerspruch. Man hat das Gefühl, einem geknebelten Titanen zuzuschauen, der sich im verzweifelten Krampf gegen das Schicksal stemmt und, je stärker er Laven aus sich heraus schafft, um so höher wächst der Berg, der ihn erdrückt. Das letzte Buch, bevor ihm die neue Sonne Zarathustra aufgeht, die »Morgenröte«, beschloß Nietzsche mit einem ergreifenden Nachgesang auf hohen Bergen. Er nimmt Abschied von seiner Jugend, grüßt noch einmal die alten Freunde, durchstreicht alle Vergangenheit, warnt vor den gefährlichen Spreng- und Schlagkräften seiner neuen Erkenntnis, streckt sehnsüchtig die Arme aus nach jungen Genossen, welche stark genug sind, um seine Wahrheit zu ertragen und bricht endlich jubelnd aus in die Verkündigung des Kommenden: der »Mittagsfreund«, der »Gast der Gäste«, der große Ausgleicher, Seelenlöser ist erschienen. In diesen Schatten hüllt er sich als in den Schleier seiner Scham. Mit Zarathustras Gesängen befreit er sich, wird er sich selber objektiv, so wie Goethe sich erlöst als Werther und Faust.

Zu der Zeit, wo Nietzsche das Werk begann (die erste Hälfte noch für die Öffentlichkeit bestimmt, die zweite Hälfte bereits als Privatdruck auf eigene Kosten hergestellt, und nur einem kleinen Kreise Wohlwollender zugänglich), da wünschte er noch, zum Herzen der Zeitgenossen zu gelangen. Er versuchte noch sich zu erläutern, seine Abgedrängtheit zu überbrücken und menschlich Anteil zu nehmen und zu gewinnen. Er hoffte auf Berufung an eine Universität, eine Lehrkanzel für seine Philosophie, oder doch auf irgendwelche Unterstützung. Als er das Werk beendete, da war alle Hoffnung schon begraben, da philosophierte er bereits »mit dem Hammer«, stellte seine Behauptungen hin wie ungeheure Blöcke, herrisch, unweigerlich, unumstößlich. Er hatte es aufgegeben, sie zu begründen. Die ganze Zeitspanne von 1883 bis 1889 (wo die unheilbare Geisteskrankheit ausbrach) zeigte eine noch nie gesehene, glühende Schöpfung unter dem Zwang der fortschreitenden Gehirnauflockerung. Dann: kurzes, schnelles Erlöschen. Was neben »Also sprach Zarathustra« herging, das waren (abgesehen von den Notizensammlungen und Aphorismen, zu dem immer nur geplanten und nur in Bruchstücken auf die Nachwelt gelangten Hauptwerk »Der Wille zur Macht«) zunächst nichts als Erläuterungen: »Jenseits von Gut und Böse« (1886), noch in dem alten Aphorismenmonumentalstil; dann 1887 »Genealogie der Moral«, der letzte Versuch streng wissenschaftlicher Beweisführung. Der Rest ward Feuerwerk. Selbstverbrennung ... »Fall Wagner«, »Götzendämmerung«, »Antichrist«, »Nietzsche contra Wagner«, »Wie man mit dem Hammer philosophiert«, »Ecce Homo« ... alles das ist rasend hingehauen, wie der zu Tode verwundete Löwe noch einmal aufbrüllt und alles rundum niedermäht. Da waren unschätzbare Hölzer, Narden, Blüten, Edelsteine, die der todwunde Phönix, der Tausendjahrvogel, zusammentrug. Auf ihnen hat er sich selbst zu Aschen verbrannt.


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