Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Eilftes Kapitel.

Auf was Art Gil Blas dem Herzoge von Lerma sein Elend entdeckt, und wie ihn der Minister hierauf behandelt.

Weil der König, so lang' er auf dem EscorialEscorial, nicht Escurial, »weil es seinen Nahmen von den eingegangenen Eisenbergwerken hat, die sonst an dem Orte, wo es jetzt steht, waren, und im Spanischen Escorias heissen. Im Lande selbst ist der Nahme El Real Monasterio de San Lorenço gewöhnlicher; oft werden auch beyde Benennungen mit einander verbunden.« – D. Uebers. war, jedermann frey hielt, so merkt' ich hier gar nicht, wo mich der Schuh drückte. Ich schlief in einer Garderobe dicht an des Herzogs Gemach. Einesmahls, da dieser Minister, wie gewöhnlich mit grauendem Morgen aufgestanden war, befahl er mir, ihm in den Schloßgarten zu folgen, und Papier und Schreibezeug mitzunehmen. Wir lagerten uns unter Bäumen; ich mußte auf sein Geheiß die Stellung eines Menschen annehmen, der auf seinem Hute schreibt, und er hatte ein Papier in der Hand, das er zu lesen schien. Von fern ließ es, als wären wir mit sehr ernsten Dingen 222 beschäftigt, und gleichwohl sprachen wir nur von Kleinigkeiten. Denn Seine Excellenz waren kein Feind von selbigen.

Ich hatte ihn bereits über eine Stunde mit all' den Schnurren und Schwänken ergetzt, die meine muntre Laune mir eingab, als sich zwey Aelstern auf die Bäume setzten, die uns beschatteten. Sie begannen ein so tosendes GedatterGedatter, ein gutes altes Lautwort, eben so viel als schnattern, das man wohl für diese und ähnliche Vögel behalten könnte, da schnattern den Gänsen und Aenten einmahl beygelegt ist. – A. d. Uebers., daß sie unsre Aufmerksamkeit auf sich zogen. Die Vögel keifen wohl gar, wie es scheint? sagte der Herzog. Ich möchte wohl wissen, worüber sie eigentlich streiten. Ew. Excellenz, sagt' ich zu ihm, erinnern mich an eine Indische Fabel, die ich im Bilpay, oder in einem andern Fabler gelesen habe. Der Minister fragte mich, was das für eine Fabel sey, und ich erzählte sie ihm auf folgende Art:

»Es herrschte ehmahls in Persien ein guter Monarch, der, weil sein Verstand nicht ausgebreitet genug war, um seine Staaten selbst zu beherrschen, dem Groswessir die Sorge überließ. Dieser Minister, Nahmens Atalmuc hatte einen sehr hervorragenden Geist. Er trug die große Bürde dieses Reichs, ohne 223 von ihr niedergedrückt zu werden; er verbreitete über das ganze Land den goldenen Frieden; verstand sogar die Kunst, die Königsgewalt so allgeliebt als allgefürchtet zu machen, und die Unterthanen besaßen in einem dem Fürsten biedertreuen Wessir einen huldreichen Vater.

»Atalmuc hatte unter seinen Geheimschreibern einen jungen Kaschemirier, Nahmens Zeangir, dem er gewogner war als allen übrigen. Er fand Behagen an seiner Unterhaltung, führte ihn mit sich auf die Jagd, und entdeckte ihm die geheimsten Gedanken seiner Seele.

»Eines Tages, als sie mit einander in einem Gehölze jagten, ward der Wessir auf einem Baume zwey Raben gewahr, die mit einander krächzten, und sagte zu seinem Schreiber: Ich möchte wohl wissen, was sich diese Vögel in ihrer Sprache sagten. Dein Wunsch kann erfüllt werden, Herr, hob der Kaschemirier an. Und wie das? rief Atalmuc. Weil ein in der Kabala wohlerfahrner Derwis mir die Sprache der Vögel gelehret hat, versetzte Zeangir. Befielst Du, so will ich sie belauschen, und Dir von Wort zu Wort hinterbringen, was ich vernommen.

»Der Wessir willigte darein. Der Kaschemirier nahte sich den Raben, und schien ihnen ein aufmerksames Ohr zu leihen. Nach einiger Zeit kam er wieder zum Minister 224 zurück. Solltest Du es wohl glauben, Herr, sprach er, daß ihr Gespräch uns betrifft? Nicht möglich! sagte der Persische Minister. Und was sagen sie von uns?

»Der eine dort, versetzte der Geheimschreiber, sagte: »Ha! da ist der große Wessir Atalmuc. Dieser allspähende Adler, der über Persien, als über sein Nest, seine schirmende Fittiche ausspreitet, und unablässig für dessen Erhaltung wacht. Zur Erquickung von seinen mühevollen Arbeiten jagt er in diesem Gehölze mit seinem treuen Zeangir. Wie glücklich dieser Schreiber, einem Herrn zu dienen, der unendliche Güte für ihn hat! Nicht so rasch geurtheilt! fiel ihm der andre Rabe ein. Preise den Kaschemirier nicht so selig. Zwar spricht Atalmuc mit ihm wie der Freund zum Freunde, schüttelt in seinen Busen seine geheimsten Gedanken aus, auch zweifle ich nicht, daß er des Vorhabens ist, ihn dereinst auf eine hohe Staffel der Ehre zu setzen, doch ehe dieß dereinst heranrückt, ist Zeangir Hungers gestorben. Der arme Unglückliche wohnt in einem kerkerähnlichen Kämmerlein, wo es ihm am Allernothwendigsten gebricht. Mit Einem Worte, er lebt das elendeste aller Leben, obwohl es keiner der Höflinge gewahret. Der Groswessir läßt sich es nicht zu Sinne kommen, ihn zu fragen: Hast Du auch zu Deines Lebens Nahrung und 225 Nothdurft? Sich genügend, Wohlwollen für ihn zu hegen, läßt er ihn einen Raub der Armuth.«

Hier endigte ich meine Fabel, um zu sehen, wie der Herzog sie aufnehmen würde. Dieser fragte mich lächelnd, was diese Fabel auf Atalmuc für Eindruck gemacht, und ob der Groswessir die Kühnheit seines Schreibers nicht übelgenommen habe. Nein, Gnädiger Herr, versetzt' ich, durch diese Frage ein wenig betroffen, vielmehr sagt die Fabel, er habe ihn mit Wohlthaten überhäuft. Ein besonders Glück, versetzte der Herzog mit ernster Miene. Mancher Minister möchte dergleichen Winke nicht gut heissen. Doch fuhr er fort, indem er den Faden unsrer Unterredung plötzlich abriß, und aufstand, ich glaube, der König wird bald aufstehen. Meine Schuldigkeit ruft mich zu ihm. Mit diesen Worten eilt' er starken Schrittes nach dem Pallaste, ohne weiter mit mir zu reden, und wie es schien, von meiner Indischen Fabel gar schlecht erbaut.

Ich folgte ihm bis an die Cabinetsthür von Seiner Majestät, legte hierauf die Papiere wieder an den Ort, wo ich sie hergenommen hatte, und begab mich in ein Cabinett, worin die beyden Secretäre oder vielmehr Copisten, die auch mit waren, arbeiteten. Was fehlt Ihnen Sennor de Santillana? sagten sie, wie sie mich hereintreten sahen. So erschrocken? Ist Ihnen etwa ein Unglück begegnet? 226

Der üble Erfolg meiner Fabel lag mir zu sehr am Herzen, um ihnen meinen Schmerz bergen zu können. Ich erzählte ihnen mein Gespräch mit dem Herzoge, und sie schienen an der heftigen Bekümmerniß, die ich äusserte, vielen Antheil zu nehmen. Sie haben Ursache niedergeschlagen zu seyn, sagte der Eine zu mir. Manchmahl nehmen Se. Excellenz so etwas ganz schief.

Nur allzuwahr! sagte der Andre. Wenn's Ihnen nur nicht so geht, wie ehmahls einem von den Secretären des Cardinals Spinosa. Dieser war es überdrüssig, in fünf Vierteljahren, die er für Se. Eminenz gearbeitet, nicht das mindeste Gehalt bekommen zu haben, deßhalb nahm er sich eines Tages die Freyheit ihm seine Bedürfnisse vorzulegen, und sich einiges Geld auszubitten, um leben zu können. Nichts billiger als diese Forderung! sagte der Minister. Ihr sollt bezahlt werden.

Da, fuhr er fort, und gab ihm eine Anweisung auf tausend Ducaten. Hohlt Euch diese Summe bey dem Königlichen Schatzmeister; erinnert Euch aber zugleich, daß ich mich für Eure Dienste bedanke. Der Sekretär würde sich über den erhaltenen Abschied gern zufrieden gegeben haben, wenn er seine tausend Ducaten bekommen hätte, und sich nach einer anderweitigen Bedienung hätte umthun dürfen, so aber nahm ihn ein Alguazil, wie er aus des 227 Cardinals Pallaste kam, in Haft, und führte ihn nach dem Castelle zu Segovia, wo er lange Zeit gesessen hat.

Diese Anecdote verdoppelte meinen Schreck. Ich glaubte mich verloren, und da ich mich hierüber nicht trösten konnte, warf ich mir meine Ungeduld vor, als wenn ich nicht geduldig genug gewesen wäre.

Ach! sagt' ich, warum mußt' ich diese unglückliche Fabel wagen, die dem Minister so übel behagt hat? Vielleicht stand er eben im Begriffe, mich aus dem elenden Zustande zu ziehn? Vielleicht war ich sogar eben auf dem Puncte, so plötzlich auf die Höhe des Glücks emporgehoben zu werden, wie mancher, über den die ganze Welt die Hände über den Kopf zusammenschlägt. Was für Reichthümer! was für Ehrenstellen entgehen mir durch meine Unbesonnenheit! Ich hätte erwägen sollen, daß manche unter den Grossen es nicht leiden können, wenn man ihnen zuvorkömmt, und verlangen, daß man sogar die äusserste Kleinigkeit, die sie einem zu geben schuldig sind, als Beweise ihrer Gnade annehmen soll. Besser, ich hätte, ohne den Herzog das mindeste merken zu lassen, fortgekalmäusert; ja – wäre sogar verhungert, so wäre doch dann die Schuld bloß sein.

Hätte noch ein Fünkchen Hoffnung in mir geglimmt, so würde mein Herr, den ich Nachmittag sahe, auch das in mir gänzlich verlöscht 228 haben. Er zeigte sich, gegen seine Gewohnheit, sehr ernst gegen mich, und sprach gar nicht mit mir. Dieß war Ursache, daß ich den Ueberrest des Tages in Todesängsten zubrachte; die Nacht nicht ruhiger; der Schmerz, all' meine goldnen Träume so dahin geschwunden zu sehen, und die Furcht, die Anzahl der Staatsgefangenen zu vermehren, preßten mir nichts als Seufzer und Klagen aus.

Der folgende Tag war der Tag der Entscheidung. Der Herzog ließ mich den Morgen rufen. Zitternder als ein Missethäter, über den das Urtheil soll gesprochen werden, trat ich in sein Cabinet. Santillana, sagte er zu mir, und wies auf ein in Händen habendes Papier, nimm diese Anweisung. . . . .

Bey dem Worte: Anweisung schauderte ich zusammen, und sagte bey mir selbst: Der leibhafte Cardinal Spinosa! Der Wagen nach Segovia steht schon vor der Thür. Der Schreck, der mich in diesem Augenblicke ergriff, war so heftig, daß ich auf die Knie sank, und dem Minister in die Rede fiel: Gnädiger Herr, sagt' ich zu ihm, und Thränen stürzten mir aus den Augen, ich flehe Ihro Excellenz demüthigst an, mir meine Kühnheit zu verzeihen. Die äusserste Noth hat mir das Geständniß meines Elendes abgedrungen.

Der Herzog konnte sich bey der Betroffenheit, worin er mich sah, des Lachens nicht 229 erwehren. Sey getrost, Gil Blas sagte er zu mir, und höre mich an. Obgleich in jener Entdeckung Deiner Bedürfnisse ein geheimer Vorwurf für mich liegt, daß ich ihnen nicht zuvorgekommen bin, so vergeb' ich Dir das sehr gern, mein Freund; hingegen kann ich es mir nicht vergeben, daß ich mich nicht eher nach Deiner Lage erkundigt habe. Um aber diesen Mangel an Achtsamkeit einigermaßen wieder gut zu machen, so geb' ich Dir hier zuvörderst eine Anweisung auf funfzehnhundert Ducaten, die Dir auf Sicht vom Königlichen Schatzmeister sollen ausgezahlt werden. Noch mehr, ich verspreche Dir alle Jahre soviel; und verbiethe Dir überdieß nicht, wenn reiche und großmüthige Personen Dich ersuchen sollten, ihnen zu dienen, ein gutes Wort für sie bey mir einzulegen.

In der Entzückung, worein mich diese Worte warfen, küßt' ich dem Minister die Füße. Er befahl mir aufzustehen, und unterhielt sich mit mir in dem ehemahligen vertraulichen Tone. Ich wollte meiner Seits meine fröhliche Laune wieder zurückrufen, es war mir aber nicht möglich, so schnell vom Leide zur Freude überzugehen. Mir war der Kopf so tösigTösig. So hat unser Lessing meines Erinnerns in der Dramaturgie, das Niedersächsische Däsig verhochdeutscht; ein Ausdruck, der mir hier Platz zu finden schien. – A. d. Uebers., wie einem 230 Missethäter, der in eben dem Augenblicke, da er den Todesstreich erwartet: Gnade rufen hört. Mein Herr schrieb die Verstörtheit, worin ich war, bloß der Furcht zu, ihn erzürnt zu haben, obwohl die Furcht vor einem ewigen Gefängnisse hieran nicht weniger Antheil hatte, und gestand mir: er habe bloß darum sich kalt gestellt, um zu wissen, ob mir diese Veränderung sehr nahe gehen würde; er schlösse hieraus auf die Wärme meiner Anhänglichkeit für ihn, und liebe mich dieserhalb um so mehr.

 


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