Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Neuntes Kapitel.

Gil Blas gewinnt die Gunst des Herzogs von Lerma, der ihm ein wichtiges Geheimniß anvertraut.

Ob gleich der Minister jeden Tag so zu sagen nur vor meinen Augen erschien und verschwand, so macht' ich mich doch unmerklich bey Seiner Excellenz so angenehm, daß Sie eines Nachmittags zu mir sagten: Hör, Gil Blas, Dein Gemüthscharacter gefällt mir, und Du hast meine ganze Gewogenheit. Du 210 bist treueifrig, pflichthaft, hast Kopf und kannst schweigen. Einen solchen Menschen, denk' ich, kann ich mit gutem Fug meines Vertrauens würdigen.

Als ich diese Worte gehört hatte, warf ich mich vor ihm nieder auf die Kniee, und nachdem ich die Hand, womit er mich aufrichten wollte, auf's ehrerbietigste geküßt, gab ich ihm zur Antwort: Ist es möglich, daß Ihro Excellenz mich mit einer so hohen Gunst zu beehren geruhen wollen? Wie viel heimliche Feinde werden mir nicht Dero Gütigkeiten erwecken. Doch es ist nur ein Mann, vor dessen Haß ich mich fürchte, und das ist Don Rodriguez de Calderon.

Von der Seite hast Du nichts zu befürchten, erwiederte der Herzog. Ich kenne Calderone'n. Er hängt von Kind auf an mir. Und ich kann behaupten, daß seine Gesinnungen so zu den meinigen stimmen, daß er alles werth schätzt, was ich liebe, so wie er alles haßt, was mir zuwider ist. Anstatt zu besorgen, daß er Dir abgeneigt seyn möchte, kannst Du vielmehr auf seine Freundschaft zählen.

Ich merkte hierauf, daß Sennor Don Rodriguez ein schlauer Gast war, der sich in die Gunst von Ihro Excellenz so einzuschmeicheln gewußt hatte, daß ich nicht säuberlich genug mit ihm fahren konnte. 211

Um Dich nun in den Besitz meines Vertrauens zu setzen, fuhr der Herzog fort, will ich Dir einen Plan entdecken, den ich vorhabe, und davon Du unumgänglich unterrichtet seyn mußt, wenn Du die Aufträge, womit ich Dich in der Folge zu beladen gedenke, auf das Beste besorgen willst. Seit geraumer Zeit seh' ich bereits mein Ansehen durchgängig geachtet, alle meine Anordnungen blindlings befolgt, kann mit Aemtern, Bedienungen, Vicekönigsstellen, Gouvernements und Pfründen nach Belieben schalten. Ich beherrsche, wenn ich so sagen darf, Spanien. Höher kann ich mein Glück nicht treiben; doch sichern möcht' ich es gern vor den Ungewittern, die darauf loszustürmen drohen; zu dem Ende wünscht' ich meinen Neffen, den Grafen Lemos zu meinem Nachfolger.

Da der Minister wahrnahm, daß das, was ich eben gehört hatte, mich in nicht geringe Verwunderung gesetzt hatte, sagte er zu mir: Ich merke wohl, Santillana, ich merke recht gut, was Dich so erstaunt. Dir scheint es höchst sonderbar, daß ich meinen Neffen dem Herzoge von Uzeda, meinem eignen Sohne, vorziehe. Doch wisse, Letzterer ist ein viel zu beschränkter Kopf, um meinen Posten bekleiden zu können, und überdieß bin ich sein Feind. Er hat sich in die Gunst des Königs zu schleichen gewußt, der ihn für seinen Liebling erklären wird, und das kann ich nicht ertragen. Mit 212 der Gunst eines Monarchen geht es wie mit dem Besitz eines angebetheten Weibes; man ist mit diesem Glück so neidisch, daß man sich nicht entschliessen kann, es mit einem Nebenbuhler zu theilen, so genau man sich auch durch Bande des Bluts oder der Freundschaft an ihn geknüpft befindet.

Ich zeige Dir hier das Innere meines Herzens, fuhr er fort. Ich habe bereits Versuche gemacht, den Herzog von Uzeda aus der Gunst des Königs zu stürzen. Doch vergebens; und deßhalb hab' ich eine andre Batterie aufgeführt, um die seinige niederschiessen zu können. Ich will, daß Graf Lemos sich seiner Seits in die Gewogenheit des Prinzen von AsturienSo heißt der Kronprinz von Spanien bekanntermaßen seit 1388. – A. d. Uebers. einschmeicheln soll. Da er Kammerherr bey ihm ist, so kann er zu allen Stunden mit ihm sprechen, und ausserdem, daß er Geist hat, weiß ich ein untrügliches Mittel, wodurch ihm sein Unternehmen glücken muß. Vermöge dieser Kriegslist werd' ich meinen Neffen meinem Sohn' entgegenstellen. Ich will Zwietracht unter diesen beyden Vettern aussäen, damit sie genöthigt werden, sich um meine Unterstützung zu bemühen, und da sie beyde meiner 213 bedürfen, werden sie sich beyde nach mir fügen müssen.

Das ist mein Project, setzte er hinzu. Deine Vermittlung wird mir hierbey wohl zu Statten kommen. Denn ich werde Dich insgeheim zum Grafen Lemos senden, und Du wirst mir alles das von ihm hinterbringen, was er mir will zu wissen thun.

Nach dieser vertraulichen Unterredung, die mir so lieb war, als baar Geld, verschwand alle meine Unruhe. Endlich bist Du geborgen! sagt' ich zu mir. Es wird ein goldner Regen auf Dich herabfallen! Unmöglich kann der Vertraute eines Mannes, der die Spanische Monarchie beherrscht, lange mit Reichthümern unüberschüttet bleiben! Voll einer so süßen Hoffnung sah' ich mit gleichgültigem Auge, daß es mit meiner armen Börse beynahe auf der Neige war.

 


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