Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zehntes Kapitel.

Worin man Gil Blas mit Freud', Ehr' und Elend wird überhäuft sehen.

Man wird bald am Hofe gewahr, daß ich des Ministers Gewogenheit besaß. Er bemühte sich sogar, mir hiervon öffentliche Beweise zu geben; ich mußte ihm die Brieftasche nachtragen, 214 die er sonst immer selbst zu tragen pflegte, wenn er in den Staatsrath ging. Diese Ungewöhnlichkeit war Ursache, daß man mich für einen werdenden Günstling ansahe, daß viele mich mit scheelen Augen betrachteten, und daß man mich mit Hofweihwasser reichlich besprengte.

Meine beyden Nachbaren, die Secretäre, waren nicht die Letzten, die mich über meine bevorstehende Größe bekomplimentirten, und mich zum Supé bey ihrer Witwe einluden, nicht sowohl um ihre Schuld gegen mich abzuführen, als aus der Absicht, mich dadurch anzukörnen, ihnen in's Künftige Dienste zu leisten. Von allen Seiten her erwies man mir alle ersinnliche Ehr' und Höflichkeit. Sogar der stolze Don Rodriguez änderte sich ganz gegen mich. Er nannte mich nicht anders, als Sennor de Santillana, er, der mich nie anders als Ihr geheissen, ohne sich je des Worts Sennor zu bedienen. Er überhäufte mich mit Höflichkeiten, zumahl, wenn er urtheilte, daß mein Patron ihn bemerkte. Doch er hatte, das kann ich Euch versichern, mit keinem Dummkopfe zu thun. Ich stimmte eben den Ton gegen ihn an, und das um etliche Noten tiefer, je größer mein Haß gegen ihn war. Die älteste Hofschranze hätte sich nicht besser dabey benehmen können.

Ich begleitete meinen Herrn, den Herzog, auch dann, wenn er zum Könige ging, und 215 er ging täglich dreymahl zu ihm. Er begab sich des Morgens in das Schlafgemach Seiner Majestät, sobald Selbige aufgewacht waren; ließ sich an dem Kopfende Ihres Bettes nieder auf die Kniee, unterrichtete Sie von den Geschäften, die heut vorzunehmen waren, und dictirte Höchstdenselben das, was Sie zu sagen hatten. Sobald der König gespeist hatte, kehrt' er wieder zu ihm zurück, nicht um ihn mit Angelegenheiten, sondern mit angenehmen Gesprächen zu unterhalten. Er tischte ihm alle komische Abenteuer auf, die sich in Madrid zutrugen, und die ihm immer gleich aus der ersten Hand zukamen, denn er hielt sich zu dem Ende Spione. Wenn er endlich das drittemahl, auf den Abend, wieder zum Könige kam, so legt' er ihm von alle dem, was er den Tag über gethan, Rechnung ab, so wie es ihm beliebte, und bath sich dann so pro Forma seine Befehle auf Morgen aus.

Indeß er sich beym Könige befand, war ich im Vorsaale mit Standespersonen, die in großem Ansehen standen, umringt, die sich äusserst Mühe gaben, mit mir in's Wort zu kommen, und sich viel damit wußten, wenn ich ihnen Rede stand. Wie hätt' ich nach alle dem mich nicht einen Mann von Wichtigkeit glauben sollen? Wie manche am Hofe stehen nicht aus noch unbedeutendern Gründen in dem Wahne! 216

An einem Tage hatt' ich noch mehr Ursache stolz zu werden. Der König, dem der Herzog sehr viel vortheilhaftes von meinem Styl gesagt, war sehr begierig, davon ein Pröbchen zu sehen. Seine Excellenz liessen mich das Register von Catalonien nehmen, führten mich vor diesen Monarchen, und sagten zu mir: Ich sollte den ersten besten abgekürzten Aufsatz vorlesen.

Anfänglich machte mich zwar die Gegenwart des Fürsten verstört, allein das Beyseyn des Ministers ermannte mich wieder, und ich las mein Werk auf eine solche Art vor, daß Se. Majestät mir nicht ohne Vergnügen zuhörten. Sie hatten die Gnade, mich Ihrer Zufriedenheit zu versichern, und sogar Ihrem Minister anzuempfehlen, er solle für mein weiteres Fortkommen besorgt seyn. Hierdurch wurde mein Hochmuth wahrlich nicht gedämpft, und die Unterredung, die ich einige Tage nachher mit dem Grafen Lemos hielt, füllte vollends meinen Kopf mit ehrgeizigen Ideen.

Ich suchte diesen Herrn im Nahmen seines Oheims bey dem Prinzen von Asturien auf, und überreichte ihm ein Beglaubigungsschreiben, wodurch ihm der Herzog meldete: er könne sich gegen mich als einen Menschen aufschliessen, der von ihrem Vorhaben völlig unterrichtet sey, und den er zu ihrem gemeinschaftlichen Bothen erwählt habe. 217

Nachdem der Graf dieß Billet gelesen hatte, führt' er mich in ein Zimmer, das er hinter uns abschloß, und hielt folgende Anrede an mich: Da Ihr das Vertrauen des Herzogs von Lerma besitzt, so zweifl' ich nicht, daß Ihr es verdient, und ich darf keine Schwierigkeiten machen, Euch das meinige zu schenken. Wißt also, es geht alles ungemein gut. Der Prinz von Asturien zieht mich all den Cavalieren vor, die um seine Person sind, und die es darauf anlegen, sich bey ihm beliebt zu machen. Ich hatte heute Morgen eine geheime Unterredung mit ihm, worin er seinen Verdruß äusserte, daß ihn des Königs Geitz ausser Stand setzte, den Trieben seiner Freygebigkeit zu folgen, ja nicht einmahl erlaubte, standesmäßige Figur zu machen. Ich ermangelte hierauf nicht, ihn zu bedauern, suchte den Augenblick zu nutzen, und versprach, ihm morgen beym Aufstehen tausend Pistolen zu bringen, in Erwartung grösserer Summen, die ich ihm unverzüglich zu verschaffen mich anheischig gemacht. Mein Versprechen entzückte ihn, und ich bin gewiß, seine Gunst gänzlich gefesselt zu haben, wenn ich Wort halte. Hinterbringt dieß alles meinem Oheim auf genaueste, und sagt mir auf den Abend seine Meinung zurück.

Sobald mir der Graf Lemos dieß gesagt hatte, verließ ich ihn und eilte zum Herzoge von Lerma, der nach diesem Berichte von 218 Calderone'n tausend Pistolen hohlen ließ, womit er mich diesen Abend belud, um sie dem Grafen zuzustellen.

Hoho! sagt' ich unterweges zu mir selbst. Nun seh' ich wohl das untrügliche Mittel ein, vermöge dessen dem Minister seine Unternehmung nicht fehlschlagen kann. Er hat auf Ehre! Recht, und allem Anschein nach wird ihn diese verschwenderische Freygebigkeit nicht zu Grunde richten. Ich merke wohl, wo sich diese niedlichen Füchschen herschreiben, allein ist es im Grunde nicht billig, daß der Vater dem Sohne aushilft?

Als ich vom Grafen wegging, wispert' er mir zu: Lebt wohl, lieber Vertrauter. Der Prinz ist den Damen nicht abgeneigt. Wir müssen uns nächstens über den Punct weitläuftig besprechen. Ich seh' es voraus, ich werd' ehstens Eures Beystandes bedürfen.

Auf dem Rückwege sann ich diesen Worten nach, die nicht im mindesten zweydeutig waren, und mich mit Freude erfüllten. Der Daus! sagt' ich, da steh' ich ja auf dem Sprunge, der Merkur des Kronerben zu werden. Wie moralisch gut oder schlecht dieß Geschäft war, untersucht' ich gar nicht; der Stand meines künftigen Gebieters stopfte meiner Gewissenhaftigkeit den Mund. Welch ein rühmlicher Posten, Minister des Galanteriedepartements von einem grossen Prinzen zu seyn! O sacht' an, Herr Gil Blas! hör' ich jemand rufen. Sie sollen nur 219 des Ministers Minister seyn! Zugegeben! allein im Grunde sind beyde Posten gleich ehrenvoll; bloß an Einträglichkeit sind sie von einander verschieden.

Indem ich mich nun dieser edlen Aufträge entledigte, mich von Tag zu Tage in der Gunst des Oberstaatsministers fester setzte, die schönsten Hoffnungen von der Welt vor mir hatte, wär' ich glücklich gewesen, wenn mich der Ehrgeitz hätte vorm Hunger schirmen können. Schon seit zwey Monaten hatt' ich mein prächtiges Logis aufgegeben, und bewohnte ein sehr schlicht ausmöblirtes Stübchen. Ob mir das gleich hart ankam, so verschmerzt' ich es dennoch, da ich früh Morgens ausging, und spät Abends zum Schlafengehen erst wieder heimkam.

Den ganzen Tag über bracht' ich auf meinem Theater zu, d. h. beym Herzoge; woselbst ich eine Cavaliersrolle spielte. Wenn ich mich aber wieder auf meinen Taubenschlag verfügte, schwand der vornehme Cavalier hinweg, und blieb bloß der arme Gil Blas übrig, der kein Geld hatte; und – was das Schlimmste – auch nicht wußte, woher welches nehmen. Ausserdem, daß ich zu stolz war, irgend Jemanden meine Bedürfnisse zu entdecken, so kannt' ich Niemanden, der mir hätte helfen können, als Navarro'n. Ich hatte mich aber, während meines Aufenthalts bey Hofe, zu wenig um ihn 220 bekümmert, als daß ich es gewagt hätte, mich an ihn zu wenden.

Getrieben durch die äusserste Noth, hatt' ich eins nach dem andern von meinen Sachen verkauft, und bloß das Unentbehrlichste behalten. In mein Speisequartier ging ich nicht mehr, weil ich die Zeche nicht zahlen konnte. Wovon fristet' ich denn mein Leben? Das will ich Ihnen sagen, lieber Leser. Man brachte uns alle Morgen ein kleines Brötchen und einen Fingerhutvoll Wein auf unsre Arbeitsstube. Das war alles, was uns der Minister geben ließ. Weiter aß ich den ganzen Tag nichts, und des Abends legt ich mich oft mit leerem Magen in's Bett.

Das war die Lage eines Mannes, der am Hofe glänzte, obwohl er mehr Mitleid als Neid hätte erregen sollen. Ich konnte mein Elend unmöglich länger tragen, und entschloß mich, es bey erster Gelegenheit dem Herzoge von Lerma zu entdecken. Zum Glück both sich eine dergleichen im Escorial an, wohin der König und der Prinz von Asturien sich einige Tage nachher begaben. 221

 


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