Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Drittes Kapitel.

Fabriz bringt Gil Blas'n beym Grafen Galiano an.

Ich war zu begierig, Fabrizen wieder zu sehen, als daß ich mich nicht ganz des Morgens früh zu ihm hätte begeben sollen. Ich wünsche, hob ich beym Hineintreten an, dem Sennor Don Fabrizio, die Blüthe oder vielmehr dem Pilz des Asturischen Adels, wohl geruht zu haben. Bey diesen Worten fing er an zu lachen. Also hast Du bemerkt, rief er, daß man mich bedont? Das hab' ich gnädiger Herr, gab ich zur Antwort, und Sie werden mir erlauben, Ihnen zu sagen, daß Sie gestern bey Erzählung Ihrer Verwandlung das Beste weggelassen haben.

Zugegeben, versetzt' er, doch hab' ich wahrlich diesen Ehrentitel nicht sowohl angenommen, um meine Eitelkeit zu befriedigen, als die Eitelkeit andrer. Du kennst die Spanier. Sie kümmern sich wenig um einen wackern Mann, 153 wenn's ihm zum Unglück an Vermögen und Herkunft fehlt. Ueberdieß muß ich Dir sagen, seh' ich so viele Leute, und Gott weiß, von was für Schlage, die sich Don Francisco, Don Gabriel, Don Pedro, oder Don, wie Du willst, nennen lassen, daß man gestehen muß, der Adel ist etwas sehr Alltägliches, und ein Bürgerlicher von Verdiensten erweist ihm eine Ehre, wenn er zu selbigem sich zu zählen würdigt.

Doch auf etwas anders zu kommen, fuhr er fort. Gestern Abend fiel an der Herzoglichen Tafel das Gespräch auf die lächerlichen Wirkungen der Eigenliebe. Erfreut, etwas in den Kram taugliches zu haben, das die Gesellschaft belustigen mußte, tischt' ich ihnen das Geschichtchen von der Schlagflußpredigt aus. Daß man darüber gelacht hat, und daß Dein Erzbischof gar wacker herhalten müssen, kannst Du Dir leicht vorstellen. Und dieß that für Dich keine üble Wirkung; denn Du wurdest bedauert, und Graf Galiano, ein vornehmer Sicilier, der eben zugegen war, that eine Menge Fragen, in Betreff Deiner, an mich, die ich, wie Du leicht denken kannst, zu Deinem Vortheile beantwortete; sodann trug er mir auf, Dich zu ihm zu führen. Ich war eben im Begriffe zu Dir zu gehen, und Dich dahin abzuhohlen. Vermuthlich wird er Dir den Vorschlag thun, einer seiner Secretäre zu werden. Schlag den 154 Posten nicht aus; Du wirst es bey diesem Herrn ungemein gut haben. Er ist reich, und macht zu Madrid Aufwand wie ein Abgesandter. Man sagt, er sey hiehergekommen, um sich mit dem Herzoge von Lerma wegen der Krongüter zu besprechen, die dieser Minister in Sicilien zu veräussern gesonnen ist. Kurz, Graf Galiano, obgleich ein Sicilier, scheint ein edler, franker und biederer Mann zu seyn. Du wirst am besten thun, wenn Du Dich an diesen Herrn hängst. Aller Wahrscheinlichkeit ist er es, der Dich nach der Prophezeyung zu Granada reich machen wird.

Ich war entschlossen, sagt' ich zum Nunnez, ein wenig das Pflaster zu treten, und mir gute Tage zu machen, eh' ich wieder in Dienste ginge, allein das, was Du mir vom Grafen Galiano sagst, macht mich ganz anders Sinnes. Ich wollte, daß ich schon bey ihm wäre. Das wird so lang' nicht dauern, sagte er, oder ich müßte mich sehr irren. Zu gleicher Zeit machten wir uns auf den Weg, um zum Grafen zu gehen, der in dem Hause seines Freundes, des Don Sancho d'Avila, wohnte, welcher sich damahls auf seinen Landgütern aufhielt.

Wir fanden auf dem Hofe, ich weiß nicht wie viel Pagen und Lakeyen, in eben so reicher als geschmackvoller Livrey, und in dem Vorgemach befanden sich Kammerjunker und viele 155 Hausofficiere. Sie trugen insgesammt prächtige Kleider, hatten aber dabey so barocke Gesichter, daß ich mich unter einer Rudel spanischgekleideter Affen zu befinden glaubte. Es gibt – und das läßt sich nicht läugnen – unter den Frauenzimmern sowohl als den Mannspersonen, Gesichter, über die keine Kunst etwas vermag.

Don Fabrizio ward angemeldet, und einen Augenblick nachher in ein Zimmer geführt, wohin ich ihm folgte. Der Graf saß im Schlafrock auf seinem Sopha, und nahm seine Schokolade. Wir machten ihm unsre Verbeugungen auf's allerehrerbietigste, und er erwiederte sie mit einer Kopfverbeugung, und so gnädigen Blickes, daß er mir gleich das Herz abgewann. Eine bewundernswürdige aber doch gewöhnliche Wirkung, welche die günstige Aufnahme der Großen in uns hervorbringt. Sie müssen uns sehr übel begegnen, wofern sie uns mißfallen sollen.

Nachdem dieser Herr seine Schokolade genommen hatte, so hob er zum Zeitvertreib an mit einem großen Pavian zu schäkern, den er bey sich hatte, und den er Cupido nannte. Warum man den Nahmen dieses Gottes dem Thiere gegeben hatte, weiß ich nicht; es müßte denn darum geschehen seyn, weil er dessen Schalkheit völlig besaß, sonst glich es ihm nicht im mindesten. Dennoch fand der Eigner dieses artigen Geschöpfs das größte Vergnügen an ihm; 156 es war, trotz seiner Pavianheit, sein Augapfel, und er war über seine Possen und Streiche so entzückt, daß er ihn stets in den Armen hatte. Nunnez und ich, so wenig Behagen wir auch an den Luftsprüngen und Männerchen des Pavians fanden, stellten uns davon ganz bezaubert. Dieß gefiel dem Sicilier ungemein, er machte eine kleine Pause in dem ihn so sehr vergnügenden Zeitvertreib, und sagte zu mir: Es wird nur auf Euch ankommen, einer meiner Secretäre zu seyn. Steht Euch dieser Posten an, so will ich Euch jährlich zweyhundert Pistolen geben. Es ist hinlänglich, daß Fabriz Euch aufführt, und für Euch haftet.

Ja, Gnädiger Herr, rief Nunnez, ich bin kühner als Plato, der nicht für einen seiner Freunde zu stehen wagte, welchen er an Dionys den Tyrannen sandte. Ich besorge nicht, mir Vorwürfe zuzuziehen.

Ich dankte dem Asturischen Poeten, mittelst eines Bücklings, für seine so dienstwillige Kühnheit. Hierauf wandt' ich mich zu meinem künftigen Patron, und versicherte ihn meines Eifers und meiner Treue. Sobald dieser Herr sahe, daß mir sein Vorschlag anstand, ließ er seinen Intendanten rufen, mit dem er ganz leise sprach. Hernach sagte er zu mir: Ihr sollt alsdann schon erfahren, Gil Blas, wozu ich Euch brauchen will. Folgt nur indessen meinem Homme d'affaires. 157 Ich hab' ihm eben in Betreff Euer Befehle ertheilt. Ich gehorchte, und ließ Fabrizio'n bey dem Grafen und bey Cupido'n,

Der Intendant, der einer von den schlausten Messinern war, führte mich auf sein Zimmer, woselbst er mich mit Höflichkeiten überhäufte. Er ließ den Schneider hohlen, der für's ganze Haus arbeitete, und befahl ihm, mir auf's schnellste ein eben so prächtiges Kleid zu machen, als die vornehmsten Hausofficiere trugen. Der Schneider nahm das Maß, und begab sich hinweg.

Was Ihr Logis betrifft, sagte der Messiner, so weiß ich eine Stube, die Ihnen gefallen wird. Apropos! fuhr er fort, haben Sie schon gefrühstückt? »Noch nicht.« »O Sie armer Mann! warum sagen Sie das nicht. Sie befinden Sich hier in einem Hause, wo man um zu bekommen, nur wünschen darf. Ich will Sie an einen Ort führen, wo's dem Himmel sey Dank, an nichts fehlt.«

Mit diesen Worten führt' er mich in die Küchenstube hinunter, wo wir den Haushofmeister fanden; einen Neapolitaner, der einem Messiner wohl gleich wiegt. Man konnte von ihm und dem Intendanten mit Fug sagen:

Der eine ist von Stroh,
Der andre eben so. 158

Dieser redliche Haushofmeister hatte ein halbes Dutzend von seinen guten Freunden bey sich, die mit Schinken, Ochsenzungen und anderm Eingebökelten sich den Magen vollstopften, und dieß nöthigte sie ein Gläschen auf das andre zu setzen. Wir gesellten uns zu diesen wackern Schluckbrüdern, und halfen die besten Weine des Herrn Grafen ausstürzen.

Indem es in der Küchenstube so bunt über Eck ging, ging es in der Küche selbst nicht besser her. Der Koch bewirthete gleichfalls drey oder vier von seinen Bekannten, die des Weins so wenig schonten wie wir, und zugleich Kaninchen- und Rebhühner-Pasteten gar weidlich schmausten. Sogar die Küchenjungen gaben mit vollen Händen weg, was sie nur wegpractisiren konnten. Ich glaubte mich in einem Hause, das der Plünderung preisgegeben sey. Indeß war das noch gar nichts, was ich gesehen hatte; bloße Kleinigkeiten gegen das, was ich nicht zu sehen bekam. 159

 


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